Entscheidungsstichwort (Thema)

Sachaufklärungspflicht. ärztliches Zeugnis

 

Orientierungssatz

Liegt für die Beantwortung einer entscheidungserheblichen Fragen nur eine mißverständliche und ununterschriebene Bescheinigung eines Arztes vor und gibt ein Brief dieses Arztes an das Gericht auch keine weitere Aufklärung, so darf das Gericht sich nicht damit zufrieden geben, sondern muß den Arzt im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht als Zeugen hören.

 

Normenkette

SGG §§ 103, 162 Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 19.11.1962)

 

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. November 1962 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Zwischen den Parteien ist streitig, ob den Klägern als Rechtsnachfolger ihres am 10. Juni 1954 an einer Nephroangiosklerose bei myogener Herzinsuffizienz und Urämie gestorbenen Ehemannes und Vaters Eugen H (im folgenden H. genannt) eine Beschädigtenrente zusteht und ob der Klägerin zu 1) Witwenrente nach ihrem Ehemann zu gewähren ist. H. hatte am 22. August 1952 (der Antrag ist am 5. September 1952 beim Versorgungsamt - VersorgA - eingegangen) die Gewährung einer Besch ä digtenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen "Harnbruch, Rheuma, Kreislaufstörung" als Folge der Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion beantragt, aus der er am 6. Oktober 1947 entlassen worden ist. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. R vom 2. Mai 1956 wurde der Antrag auf Gewährung einer Beschädigtenrente gegenüber den Klägern als gesetzlichen Erben des H. durch Bescheid des VersorgA Dortmund vom 4. Juli 1956 abgelehnt mit der Begründung, H. habe an einem Bluthochdruck gelitten, in dessen Verlauf sekundäre Störungen der Nierenfunktion mit allmählicher Ausbildung einer arteriosklerotischen Schrumpfniere aufgetreten seien. Der Bluthochdruck sei unabhängig von den Einflüssen des Wehrdienstes und der Kriegsgefangenschaft entstanden. Im Widerspruchsverfahren legten die Kläger eine Bescheinigung des Dr. J vom 6. Dezember 1956 vor, der H. seit 1949 bis zu seinem Tode behandelt hatte. Nach dieser Bescheinigung litt H. seit 1947 an Hypertonie und später an Rheumaschmerzen in der Lumbalgegend, Nephroangiosklerose , myogener Herzinsuffizienz und chronischer Nephritis. Hinsichtlich der Behandlung wegen Hypertonie und Dystrophie in den Jahren 1947 und 1948 bezog sich Dr. J auf eine Bescheinigung des Dr. Georg N vom 18. September 1956. Durch Bescheid vom 2. April 1957 wies das Landesversorgungsamt Westfalen den Widerspruch der Kläger zurück.

Nach dem Tode ihres Ehemannes beantragte die Klägerin zu 1) im August 1954 die Gewährung einer Witwenrente, die durch Bescheid des VersorgA Dortmund vom 4. Juli 1956 abgelehnt wurde. Der Widerspruch gegen diesen Bescheid hatte aus denselben Gründen wie bei der Beschädigtenrente des H. keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamt Westfalen vom 2. April 1957).

Das Sozialgericht (SG) hat den Rechtsstreit wegen der Beschädigtenrente und das Verfahren wegen der Witwenrente zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Es hat zunächst von Dr. Georg N einen Befundbericht angefordert; dieser Arzt hat jedoch mit Schreiben vom 6. Dezember 1957 mitgeteilt, daß nicht er, sondern sein Vater, der inzwischen verstorbene Dr. Erich N, den H. behandelt habe. Er verfüge lediglich noch über die beigefügten Unterlagen, und zwar Untersuchungsbefunde des Hygiene-Instituts in Gelsenkirchen vom 14. März und 18. August 1948 und eine Nachricht über die Hämoglobinbestimmung durch das Rochus-Hospital. Das SG hat ferner von Prof. Dr. Sturm das ausführliche Gutachten vom 21. April 1958 eingeholt. Dieser Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, daß das Bluthochdruckleiden des H. entweder eine juvenile Hypertonie oder eine essentielle Hypertonie oder eine sogenannte Kriegsnephritis gewesen sei. Welche der drei Möglichkeiten im vorliegenden Falle in Betracht komme, könne jetzt nicht mehr entschieden werden. Da aber H. aus russischer Kriegsgefangenschaft in einem schwergeschädigten Zustand mit einem für sein Alter ungewöhnlich schweren Bluthochdruckleiden zurückgekehrt sei, müsse ein ursächlicher Zusammenhang i. S. der Entstehung - wenn man das Bluthochdruckleiden als Folge einer unbemerkt durchgemachten Kriegsnephritis betrachte - oder i. S. der richtunggebenden Verschlimmerung - wenn es sich bei H. um eine juvenile Hypertonie oder um die Frühmanifestation einer essentiellen Hypertonie gehandelt habe - angenommen werden. Die schädigungsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage seit September 1952 mindestens 70 v. H., ab Januar 1954 100 v. H. Der Tod des H. sei somit auf Gesundheitsstörungen zurückzuführen, die mit Wahrscheinlichkeit durch schädigende Einwirkungen i. S. des § 1 BVG entstanden oder zumindest richtunggebend verschlimmert worden seien. Selbst wenn man bei H. eine anlagebedingte essentielle Hypertonie annehmen wolle, sei der Tod mit 49 Jahren durch die Schädigungsfolgen i. S. des BVG wenigstens ein Jahr früher eingetreten, als er bei rein schicksalhaftem Verlauf einer essentiellen Hypertonie eingetreten wäre. Auf eine kritische Stellungnahme des Beklagten zu diesem Gutachten hat Prof. Dr. St seine Auffassung in dem Ergänzungsgutachten vom 6. Mai 1959 aufrechterhalten. Durch Urteil vom 2. Oktober 1959 hat das SG Dortmund unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide den Beklagten verurteilt, der Klägerin zu 1) ab 1. August 1954 Hinterbliebenenrente nach dem BVG und den Klägern zu 1) bis 3) ab 1. August 1952 bis zum 31. Dezember 1953 Rente nach einer MdE um 70 v. H. und vom 1. Januar 1954 bis zum 30. Juni 1954 Rente nach einer MdE um 100 v. H. zu zahlen. Das SG hat sich im wesentlichen dem Gutachten des Prof. Dr. St vom 21. April 1958 angeschlossen.

Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) ein weiteres Gutachten von dem Chefarzt des Pathologischen Instituts der Stadt Wuppertal Prof. Dr. L vom 4. April 1961 eingeholt. Dieser Sachverständige ist nach eingehender Erörterung des medizinischen Sachverhalts zu dem Ergebnis gekommen, daß die chronische Nierenerkrankung des H. mit großer Wahrscheinlichkeit auf eine im Januar 1952 - also zweieinhalb Jahre vor dem Tode - durchgemachte schleichend verlaufene und deshalb ärztlicherseits nicht erkannte und als "Rheuma" mit lokalen Schmerzen in der Lendengegend gedeutete akute Glomerulonephritis zurückzuführen sei. Diese Nierenerkrankung habe zur renalen Hypertonie geführt, die als führendes Symptom das Krankheitsbild in den folgenden Jahren beherrscht habe. Da ein Bluthochdruck bei H. weder vor der Einberufung zum Wehrdienst noch während des Krieges oder der Kriegsgefangenschaft noch in den Jahren seiner Entlassung bis Ende 1951 bestanden habe, bestehe kein ursächlicher Zusammenhang des zum Tode führenden Leidens mit schädigenden Ereignissen während des Wehrdienstes oder der Kriegsgefangenschaft. Auf den Antrag der Kläger nach § 109 SGG hat das LSG noch das Gutachten des Prof. Dr. A vom 2. November 1961 eingeholt. Nach Ansicht dieses Sachverständigen kann die Art der Erkrankung, die den Tod des H. herbeigeführt hat, nicht mehr eindeutig erklärt werden. Es könne sich um eine primäre (essentielle) Hypertonie maligner Verlaufsform, um eine chronische Glomerulonephritis mit Hochdruck oder um eine chronische Pyelonephritis mit Hochdruck gehandelt haben. Die in den Akten enthaltenen Befunde sprächen am ehesten für die erste Möglichkeit (primäre Hypertonie maligner Verlaufsform). Die Beantwortung der Frage, ob die zum Tode führende Erkrankung des H. auf die Verhältnisse seines Wehrdienstes zurückzuführen sei, hänge von der Beantwortung der Frage ab, ob bereits 1947/48 bei H. ein hoher Blutdruck bestanden hat oder nicht. Da die hierzu in den Akten enthaltenen Unterlagen nicht eindeutig seien und verschieden interpretiert werden könnten, müsse es der richterlichen Beweiswürdigung überlassen bleiben, wie diese Frage zu beantworten sei. Unterstelle man, daß 1947/48 bei H. noch keine Hypertonie bestanden, sondern diese sich erstmals im Jahre 1952 manifestiert hat, so sei wegen des fehlenden zeitlichen Zusammenhangs auch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der zum Tode führenden Erkrankung des H. mit dem Wehrdienst als nicht wahrscheinlich anzusehen, gleichviel um welche der drei Erkrankungen es sich gehandelt habe. Unterstelle man jedoch, daß bereits 1947/48 ein deutlicher Hochdruck bestanden hat, so sei mit Wahrscheinlichkeit ein ursächlicher Zusammenhang i. S. der Verschlimmerung anzunehmen, und zwar in diesem Falle unabhängig davon, welche der drei in Betracht kommenden Erkrankungen bei H. vorgelegen habe. In diesem Falle wäre die MdE übereinstimmend mit Prof. Dr. St für die Zeit vom 1. August 1952 bis 31. Januar 1954 auf 70 v. H. und ab 1. Februar 1954 bis zum Tode auf 100 v. H. zu schätzen.

In der mündlichen Verhandlung hat das LSG noch den Oberarzt Dr. S gehört, der sich dem Gutachten des Prof. Dr. A in vollem Umfange angeschlossen hat. Nach Ansicht des Dr. S läßt sich die entscheidende Frage, ob in den Jahren 1947/48 bereits eine Hypertonie vorgelegen hat, nicht positiv beantworten, da die entsprechende Bescheinigung des Dr. Georg N vom 18. September 1956 keine Unterschrift trägt, so daß ihr kein Beweiswert beigemessen werden könne. Auch sonst fänden sich keine Anhaltspunkte für ein Hochdruckleiden in den ersten Jahren nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft. Durch Urteil vom 19. November 1962 hat das LSG Nordrhein-Westfalen auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG Dortmund abgeändert und die Klage abgewiesen; es hat die Revision nicht zugelassen. In den Entscheidungsgründen wird im wesentlichen folgendes ausgeführt: Es lasse sich nach den eingeholten Gutachten nicht eindeutig feststellen, welches Leiden bei H. in der Zeit von seinem Versorgungsantrag bis zu seinem Tode bestanden habe. Diese Unklarheit habe nachteilige Folgen für den Klageanspruch, da sich die Krankheit, wegen deren Auswirkungen Rente begehrt werde, nicht feststellen lasse. Außerdem sei der ursächliche Zusammenhang zwischen Schädigungen des Wehrdienstes und dem seit 1952 in Erscheinung getretenen Leiden nicht wahrscheinlich. Auf Grund der Würdigung des gesamten Beweisergebnisses habe der Senat nicht die Überzeugung gewinnen können, daß eines der in Betracht kommenden Leiden wenigstens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bestanden habe und wahrscheinlich durch den Wehrdienst maßgebend ursächlich beeinflußt worden sei. Als Voraussetzung für einen ursächlichen Zusammenhang hätte im Anschluß an die Kriegsgefangenschaft ein typischer Bluthochdruck bestehen und dann jahrelang anhalten müssen, nicht aber erst in den Jahren 1951 oder 1952 auftreten dürfen. Die Beweisanforderungen, die an derartige Brückensymptome zu stellen sind, seien im vorliegenden Falle nicht erfüllt. Dr. J habe nicht aus eigenen Wahrnehmungen bestätigen können, daß H. seit dem Jahre 1947 ununterbrochen an einem Bluthochdruck gelitten habe, da die Behandlung bei diesem Arzt erst im Jahre 1949 begonnen habe. Auch nach der Mitteilung der Allgemeinen Ortskrankenkasse habe eine Hypertonie erst im Jahre 1952 zur Arbeitsunfähigkeit geführt, während H. in den Jahren 1947/48 allein wegen Dystrophiefolgen arbeitsunfähig gewesen sei. Die davon abweichende Bescheinigung auf einem Formular des Dr. Georg N sei nicht unterschrieben und wegen des Zusatzes "bei unserer Kasse" als ärztliches Attest unsinnig. Im übrigen habe dieser Arzt nichts über die in den Jahren 1947/48 bei H. behandelten Leiden bescheinigen können, wie er dem SG auf ausdrückliche Anforderung eines Befundberichts mitgeteilt habe. Die Angaben, die H. selbst Anfang 1954 im Krankenhaus gemacht haben solle, seien als Beweismittel nicht hinreichend zuverlässig.

Gegen dieses am 19. Dezember 1962 zugestellte Urteil des LSG haben die Kläger mit Schriftsatz vom 16. Januar 1963, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 18. Januar 1963, Revision eingelegt und beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Dortmund vom 2. Oktober 1959 zurückzuweisen,

hilfsweise,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Nordrhein-Westfalen zurückzuverweisen.

Nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 19. März 1963 haben die Kläger die Revision mit Schriftsatz vom 18. März 1963, eingegangen beim BSG am 19. März 1963 begründet. Sie rügen eine Verletzung der §§ 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und tragen hierzu vor, die Feststellung des LSG, daß eine Hypertonie in den Jahren 1947/48 nicht erwiesen sei und es somit an einem zeitlichen Zusammenhang fehle, sei in verfahrensrechtlich nicht einwandfreier Weise zustandegekommen. Das Berufungsgericht habe sich nicht damit begnügen dürfen, die auf einem Rezeptformular des Arztes Dr. Georg N enthaltene Bescheinigung vom 18. September 1956 wegen der fehlenden Unterschrift und wegen des Zusatzes "bei unserer Kasse" als unsinnig zu bezeichnen. Um die Widersprüche zwischen dieser Bescheinigung und der späteren Auskunft des Dr. Georg N zu klären, hätte es diesen Arzt nochmals hören müssen, zumal die Bescheinigung offensichtlich nur in der Praxis des Dr. N geschrieben sein könne. Hätte das LSG die Bescheinigung vom 18. September 1956 dem Dr. N nochmals vorgehalten, so hätte wahrscheinlich geklärt werden können, wie diese Bescheinigung zustandegekommen sei und wer sie geschrieben habe. Dabei hätte sich unter Umständen ergeben, daß im Zeitpunkt der Ausstellung der Bescheinigung noch weitere Unterlagen vorhanden gewesen sind, die zu einer anderen Beurteilung der Zusammenhangsfrage in einem für die Kläger günstigen Sinne geführt hätten. Mit der Feststellung, daß schon die Unklarheit über die Diagnose dem Klageanspruch entgegenstehe, habe das Berufungsgericht die Grenzen des Rechts der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten; denn es habe sich damit über die wissenschaftlich begründeten Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. A und Dr. S ohne wohlerwogene Gründe hinweggesetzt. Diese Sachverständigen seien zu dem Ergebnis gekommen, daß unabhängig davon, welche der drei in Betracht kommenden Erkrankungen bei H. vorgelegen haben, jedenfalls dann der ursächliche Zusammenhang gegeben sei, wenn eine Behandlung wegen Hypertonie in den Jahren 1947/48 nachgewiesen werden könne.

Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

Die Revision ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Da das LSG die Revision nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG 1, 150), oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung i. S. des BVG das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG). Die Kläger haben als wesentliche Verfahrensmängel gerügt, daß das LSG gegen die Vorschriften der §§ 103, 128 SGG verstoßen habe. Hierbei genügt es für die Statthaftigkeit der Revision, wenn eine der von den Klägern erhobenen Rügen durchgreift; in einem solchen Falle braucht auf weitere Rügen, welche die Revision ebenfalls nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft machen könnten, nicht mehr eingegangen zu werden (vgl. BSG in SozR SGG § 162 Bl. Da 36 Nr. 122).

Die Kläger rügen unzureichende Sachaufklärung durch das Berufungsgericht. Nach § 103 SGG hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Hierbei muß es das tatsächliche Vorbringen der Beteiligten zwar berücksichtigen, es ist jedoch an das Vorbringen und die Beweisanträge nicht gebunden (§ 103 Satz 2 SGG). Das Gericht hat sorgfältig zu prüfen, ob es noch von weiteren Beweismitteln Gebrauch machen muß, wobei es unerheblich ist, ob diese von Amts wegen bekannt oder sie ihm von den Beteiligten benannt worden sind. Über den Umfang der zur Erforschung der Wahrheit notwendigen Ermittlungen entscheidet der Tatrichter im Rahmen der ihm obliegenden Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts. Er verletzt seine Aufklärungspflicht, wenn er einen Beweis über die für die Entscheidung wesentlichen Tatsachen nicht erhebt oder wenigstens versucht zu erheben.

Das LSG ist in dem angefochtenen Urteil auf Grund der erhobenen Gutachten zu der Auffassung gelangt, daß sich nicht mehr eindeutig feststellen lasse, welche Ursache das Leiden des H., der an einer Nephroangiosklerose mit Kreislaufschwäche bei myogener Herzinsuffizienz und Urämie gestorben ist, gehabt hat. Vor allem hat das LSG die Art des Hochdruckleidens im Hinblick auf die erhobenen Gutachten, die insoweit drei Möglichkeiten anführen, nicht feststellen können. Ferner hat das LSG einen ursächlichen Zusammenhang zwischen schädigenden Belastungen des Kriegsdienstes und dem seit dem Jahre 1952 in Erscheinung getretenen Leiden verneint; es ist hierbei insbesondere von den Gutachten des Prof. Dr. A und des Oberarztes Dr. S ausgegangen, nach denen es sich bei H. entweder um eine primäre (essentielle) Hypertonie maligner Verlaufsform oder um eine chronische Glomerulonephritis mit Hochdruck oder um eine chronische Pyelonephritis mit Hochdruck gehandelt haben kann. Im Anschluß an die Gutachten dieser Sachverständigen hat das LSG als entscheidend für die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs die Frage angesehen, ob H. bereits in den Jahren 1947 und 1948 nachweisbar an einem Bluthochdruck gelitten hat und damit die für die Anerkennung des zum Tode führenden Leidens als Schädigungsfolge erforderlichen Brückensymptome vorhanden gewesen sind. Das LSG hat jedoch solche Brückensymptome, insbesondere das Vorliegen eines Bluthochdrucks in den Jahren 1947 und 1948 nicht als nachgewiesen erachtet; es hat in diesem Zusammenhang eine Bescheinigung des Dr. Georg N vom 18. September 1956, in der dieser Arzt mitgeteilt hat, daß H. "bei unserer Kasse" 1947 und 1948 arbeitsunfähig krank wegen Hypertonie und Dystrophie gewesen ist, wegen des Zusatzes "bei unserer Kasse" als unsinnig bezeichnet, zumal diese Bescheinigung keine Unterschrift trägt und Dr. Georg N dem SG mit Schreiben vom 6. Dezember 1957 berichtet hat, daß H. von seinem verstorbenen Vater, Dr. Erich N, behandelt worden sei und außer Befunden über Blutuntersuchungen keine Unterlagen mehr vorhanden seien. Gegen die Feststellung des LSG, daß hinsichtlich des Bluthochdruckleidens des H. keine Brückensymptome für die Jahre 1947 und 1948 nachgewiesen sind, wenden sich die Kläger mit der Rüge mangelnder Sachaufklärung. Sie tragen hierzu vor, das LSG habe sich nicht damit begnügen dürfen, die auf einem Rezeptformular des Arztes Dr. Georg N enthaltene Bescheinigung vom 18. September 1956 wegen der fehlenden Unterschrift und wegen des Zusatzes "bei unserer Kasse" als unsinnig zu bezeichnen. Um die Widersprüche zwischen dieser Bescheinigung und der späteren Auskunft des Dr. Georg N gegenüber dem SG zu klären, hätte es diesen Arzt nochmals hören müssen.

Diese Rüge greift durch. Das LSG hat zutreffend erkannt, daß es im vorliegenden Falle nach den erhobenen Gutachten entscheidend darauf ankommt, ob bei H. bereits in den Jahren 1947 und 1948 ein Bluthochdruckleiden bestanden hat. In dieser Hinsicht liegt allein die nicht unterschriebene Bescheinigung des Dr. Georg N vom 18. September 1956 vor. Dr. J konnte nicht aus eigener Wahrnehmung bestätigen, daß H. seit dem Jahre 1947 ununterbrochen an einem Bluthochdruck gelitten hat, da die Behandlung durch diesen Arzt erst im Jahre 1949 begonnen hat. Nach Auffassung des LSG sind auch die eigenen Angaben des H., die er Anfang 1954 bei der Aufnahme ins Krankenhaus gemacht hat, als Beweismittel für das Vorliegen eines Bluthochdrucks schon seit dem Jahre 1947 nicht hinreichend zuverlässig. Bei diesem Sachverhalt mußte das LSG die letzte vorhandene Möglichkeit einer Aufklärung der entscheidenden Frage, ob H. schon im Jahre 1947 an Bluthochdruck gelitten hat, in vollem Umfange ausschöpfen. Wie die Kläger zutreffend rügen, bot sich hierzu eine Vernehmung des Dr. Georg N an, der im Hinblick darauf, daß die Bescheinigung vom 18. September 1956 auf ein Rezeptformular dieses Arztes geschrieben ist, aller Wahrscheinlichkeit nach der Verfasser dieser Bescheinigung gewesen ist. Dem steht nicht entgegen, daß dieser Arzt dem SG mit Schreiben vom 6. Dezember 1957 mitgeteilt hat, sein verstorbener Vater habe den H. behandelt und er verfüge lediglich noch über die in Abschrift beigefügten Unterlagen, die für die Frage des Vorliegens eines Bluthochdrucks in den Jahren 1947 und 1948 nicht beweiserheblich sind. Es kann dem LSG durchaus zugegeben werden, daß es hinsichtlich der Beweiserheblichkeit der kurzen Bescheinigung des Dr. Georg N vom 18. September 1956 berechtigte Zweifel haben konnte; es hätte jedoch versuchen müssen, diese Zweifel durch eine Vernehmung des Dr. N zu klären, da die Angaben über das Vorliegen eines Bluthochdrucks in den Jahren 1947 und 1948 nicht ohne weiteres als widerlegt durch das an das SG gerichtete Schreiben vom 6. Dezember 1957 angesehen werden können. Das SG hatte von diesem Arzt lediglich einen Befundbericht angefordert und um Übersendung etwa vorhandener Unterlagen gebeten; es hat den Arzt Dr. G. Ni. bei dieser Anforderung nicht gefragt, auf welche Unterlagen sich die Bescheinigung dieses Arztes vom 18. September 1956 gestützt hat. Für Dr. N bestand daher in diesem Zusammenhang kein Anlaß, zu der in dieser Bescheinigung aufgeführten Diagnose eines Bluthochdrucks in den Jahren 1947/48 Stellung zu nehmen. Zur Aufklärung dieser im vorliegenden Falle entscheidenden Frage hätte das LSG den Arzt Dr. Georg N hören und ermitteln müssen, auf welchen Aufzeichnungen seine Angabe in der Bescheinigung vom 18. September 1956, daß H. in den Jahren 1947 und 1948 wegen Bluthochdrucks behandelt worden sei, beruhte. Erst nach Aufklärung in dieser Hinsicht konnte das LSG den Sachverhalt insoweit abschließend würdigen und den Beweiswert der Bescheinigung vom 18. September 1956 gegenüber anderen Beweismitteln abwägen. Die Revision der Kläger ist daher wegen unzureichender Sachaufklärung statthaft.

Die Revision ist auch begründet, weil das angefochtene Urteil auf dieser mangelnden Sachaufklärung beruht; denn es besteht die Möglichkeit, daß das LSG anders entschieden hätte, wenn die nach den vorstehenden Ausführungen erforderliche Sachaufklärung durchgeführt worden wäre (BSG 2, 197). Da noch weitere Ermittlungen erforderlich sind, konnte der Senat nicht selbst entscheiden. Das angefochtene Urteil mußte daher aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das LSG Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen werden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2149323

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