Entscheidungsstichwort (Thema)

Beweiswürdigung. Gesamtergebnis

 

Orientierungssatz

Stellt das Gericht fest, die ersten Symptome der Nebenhöhlenerkrankung seien erst im Frühjahr 1952 aufgetreten, obwohl medizinische Sachverständige den Zusammenhang zwischen Leiden und Wehrdienst bejahen bzw für wahrscheinlich erachteten, so hat es seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen und insoweit den § 128 SGG verletzt, wenn es die medizinischen Gutachten nicht würdigt.

 

Normenkette

SGG § 128

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 18.06.1965)

SG München (Entscheidung vom 25.10.1961)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 18. Juni 1965 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Gründe

Die am 14. Januar 1903 geborene Klägerin stellte im Oktober 1957 wegen Kopfschmerzen und Nierenbeschwerden einen Antrag auf Versorgung. Zum Nachweis dafür, daß sie militärähnlichen Dienst geleistet habe, legte sie mit ihrem Antrag einen Marschbefehl des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) vom 15. April 1943 vor, nach dem sie im Auftrag des OKW nach R zu reisen hatte. In einer weiteren Bescheinigung vom 21. August 1957 bestätigte der frühere Bundesminister Prof. Dr. O, daß die Klägerin bis Ende April 1945 im Rahmen der Deutschen Wehrmacht als "Einheitsführerin K (Sonderführer)" zur ROA (Russische Befreiungsarmee des Generals W) kommandiert war. Ferner bescheinigte der ehemalige Oberst der Russischen Befreiungsarmee P der Klägerin am 21. März 1950, daß sie von der deutschen Wehrpropaganda der Befreiungsarmee zugeteilt gewesen sei, für diese die Aufstellung einer weiblichen Propagandaeinsatzkompanie durchgeführt und diese bis zum Zusammenbruch im Range eines Hauptmanns geführt habe. In einem Attest vom 24. Oktober 1957 führte der behandelnde Arzt der Klägerin Dr. W aus, sie stehe seit 1951 in seiner Behandlung, bei der es sich zunächst um Beschwerden infolge einer Arthritis der Daumengrundgelenke gehandelt habe. Dabei hätten aber schon Kreislaufstörungen in Form von Schwindelzuständen, häufig heftige Kopfschmerzen und Herzbeschwerden, weiterhin ein chronischer Nasennebenhöhlenkatarrh bestanden. In den Jahren 1953/54 hätten sich die Beschwerden seitens der Nasennebenhöhlen, insbesondere der Siebbeinzellen gesteigert, so daß im Januar 1953 in der HNO-Universitätsklinik M eine Operation der Siebbeinzellen durchgeführt worden sei. Wegen weiterer Entzündungen habe die Klägerin dann ab 14. Juni 1954 ein klimatisches Heilverfahren in der N-klinik W durchgemacht. Diese Klimakur habe abgebrochen werden müssen, weil eine Radikaloperation beider Kieferhöhlen und der Siebbeinzellen in der N-klinik vorgenommen werden mußte. Die Klägerin sei während des Krieges an der Ostfront bei Propagandakompanien eingesetzt gewesen und mehrfach wegen Erkältungskrankheiten mit Ohrkatarrhen und Katarrhen der Luftwege im Revier behandelt worden. Infolge der Anstrengungen des Fronteinsatzes sei wahrscheinlich damals bereits die chronische Nasennebenhöhlenentzündung entstanden und - von dieser ausgehend - die Schädigung des Kreislaufs und des Coronarsystems eingetreten. Die Beschwerden hätten seit Kriegsende ständig zugenommen, so daß ein ursächlicher Zusammenhang mit schädigenden Einflüssen des Kriegsdienstes wahrscheinlich sei.

Das Versorgungsamt (VersorgA) hat zunächst das Krankenblatt der HNO-Universitätsklinik M, in der die Klägerin vom 23. Januar bis 9. Februar 1953 behandelt wurde, beigezogen. Sie hatte damals zur Vorgeschichte angegeben, daß sie seit April 1952 Schnupfen habe. Die Überweisung sei von der Medizinischen Poliklinik wegen Verdachts auf eine Nebenhöhlenerkrankung erfolgt (monatelanger Schnupfen, Kopfschmerzen im Bereich der Augenbrauen). In dem vom VersorgA ebenfalls beigezogenen Krankenblatt der N-klinik W, in der sich die Klägerin vom 14. Juni bis 29. Juli 1954 befand, hatte sie zur Vorgeschichte angegeben, daß sie sich seit zwei bis drei Jahren nicht wohl fühle. Nachdem das VersorgA noch einen Auszug aus der Leistungskartei des Krankenversicherungsvereins "D" angefordert hatte, erstattete der HNO-Facharzt Dr. M ein versorgungsärztliches Fachgutachten vom 27. Februar 1958. Ihm gegenüber gab die Klägerin zur Vorgeschichte ergänzend an, sie habe im Jahre 1943 in Rußland nach starken Erkältungen akute Kieferhöhlenerkrankungen beiderseits durchgemacht, die im Krankenrevier behandelt worden seien. Eine erneute Nebenhöhlenerkrankung sei im Januar 1944 in P, ferner beim Rückzug im Februar 1945 aufgetreten. Seither habe sie immer wieder in kurzen Abständen Beschwerden seitens der Nasennebenhöhlen gehabt. Dr. M (das Gutachten ist im Auftrag von Dr. G unterschrieben) stellte einen Zustand nach beidseitiger Nebenhöhlenoperation fest und führte hierzu aus, daß objektive Unterlagen über die angegebenen Erkältungen und Nebenhöhlenerkrankungen in den Jahren 1943 bis 1945 nicht vorlägen. Nach dem Krankenblatt der HNO-Universitätsklinik M bestehe der Schnupfen seit Frühjahr 1952. Auch in dem Krankenkassenauszug der Debeka sei erstmals 1952 eine Nebenhöhlenerkrankung bzw. ein chronischer Schnupfen erwähnt, so daß eine Schädigungsfolge i. S. des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) für den Zustand nach beidseitiger Kieferhöhlen-Radikaloperation und Siebbeinausräumung unwahrscheinlich sei. In einem versorgungsärztlichen Gutachten vom 28. Januar 1958 vertrat Dr. Sch insoweit dieselbe Auffassung. Das VersorgA M wies daraufhin durch Bescheid vom 19. Mai 1958 den Versorgungsantrag der Klägerin wegen Fristversäumnis ab und führte noch aus, daß unabhängig davon nach dem Ergebnis der versorgungsärztlichen Fachgutachten keine Schädigungsfolgen vorlägen.

Im Widerspruchsverfahren überreichte die Klägerin mehrere ärztliche Bescheinigungen der Dres. K, Sch und v. M. Frau Dr. K bestätigte in ihrer Bescheinigung vom 4. Juni 1958, daß sie im Oktober 1945 zu der Klägerin wegen eines äußerst heftigen Anfalls von Kopfweh und Schwindel gerufen worden sei. Dr. Sch behandelte die Klägerin von Mai 1946 bis Juli 1948 und ab Februar 1956. Er gab in seiner Bescheinigung vom 9. Juni 1958 an, daß die Beschwerden von 1946 bis 1948 und seit 1956 überwiegend in Kopfschmerzen, zum Teil migräneartiger Natur, häufigen Schwindelanfällen und einer mäßigen Herz- und Kreislaufschwäche bestanden hätten. Im Jahre 1948 habe er die Klägerin wegen einer Otitis (Ohrenentzündung) behandelt. Dr. v. M führte in der Bescheinigung vom 23. Juni 1958 aus, daß für die chronische Schleimhautreizung in den Nasennebenhöhlen ein möglicher Zusammenhang mit den häufigen Erkältungskrankheiten während des Kriegseinsatzes nicht ganz von der Hand zu weisen sei; zumindest dürften die ungeheuren Strapazen während des Krieges und des Rückzuges als verschlimmernd, wenn nicht als auslösend anzusehen sein, weil die ersten Beschwerden dieser Art schon im Jahre 1945 aufgetreten seien. Durch Bescheid vom 6. Oktober 1958 wies das Landesversorgungsamt (LVersorgA) Bayern den Widerspruch der Klägerin unter Berufung auf die Versäumnis der Frist für die Antragstellung zurück.

Mit der Klage hat die Klägerin die Anerkennung eines Zustandes nach beidseitiger Kieferhöhlen-Radikaloperation und Siebbeinausräumung i. S. der Entstehung sowie einer Magenerkrankung (Ulcus duodeni, Ulcus ventriculi) i. S. der Verschlimmerung, ferner die Gewährung einer Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 40 v. H. beantragt. Die Klägerin hat zwei Atteste ihres behandelnden Arztes Dr. W vom 13. Januar 1960 und 28. Juli 1961 überreicht, in denen dieser Arzt die starken Kopfbeschwerden vorwiegend als gefäßbedingt ansah, es aber nach wie vor für wahrscheinlich hielt, daß die Kreislaufveränderungen als eine Folge der im Kriegsdienst zugezogenen Nasennebenhöhlenentzündung anzusehen seien. In der mündlichen Verhandlung am 25. Oktober 1961 hat das Sozialgericht (SG) München den praktischen Arzt Dr. Sch als Sachverständigen gehört. Er ist zu der Überzeugung gelangt, daß die Kopfschmerzen und die dazu gehörenden Beschwerden vasomotorisch bedingt seien und der Wehrdienst daher schon zur Zeit der Antragstellung keinen Einfluß auf diese Beschwerden gehabt habe. Inwieweit dabei die nachgewiesenen Veränderungen an den Nasennebenhöhlen mitspielten, lasse sich nicht genau abtrennen, sei aber auch nicht von wesentlicher Bedeutung, weil es sich nach den Eintragungen in den Krankenblättern der HNO-Universitätsklinik M und der N-klinik W hierbei um Veränderungen handle, die weder mit dem Wehrdienst in Zusammenhang stünden noch in ihrem zeitlichen Auftreten in meßbarem Umfang beeinflußt worden seien. Durch Urteil vom 25. Oktober 1961 hat das SG München die Klage abgewiesen, weil die geltend gemachten Gesundheitsstörungen nach den übereinstimmenden Gutachten der Versorgungsärzte und des Gerichtsarztes Dr. Sch nicht als Schädigungsfolgen i. S. des BVG anerkannt werden könnten.

Mit der Berufung hat die Klägerin eine weitere Äußerung ihres behandelnden Arztes Dr. W vom 10. November 1961 eingereicht, in der dieser Arzt sich mit den Gutachten der Versorgungsärzte und des gerichtlichen Sachverständigen Dr. Sch auseinandergesetzt hat. Durch Urteil vom 18. Juni 1965 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG München vom 25. Oktober 1961 zurückgewiesen; es hat die Revision nicht zugelassen. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß die Klägerin für Zwecke der Wehrmacht Dienst geleistet habe und damit der Tatbestand des § 3 Abs. 1 Buchst. b BVG erfüllt sei. Die von der Klägerin als Schädigungsfolge geltend gemachten Gesundheitsstörungen stünden aber mit der militärähnlichen Dienstleistung ven 1943 bis 1945 in keinem ursächlichen Zusammenhang. Die ersten Symptome einer Nebenhöhlenerkrankung, die auch nach Ansicht des Dr. W im Vordergrund stehe, seien nach den Angaben der Klägerin bei der Einweisung in die HNO-Universitätsklinik M und bei Beginn des Kuraufenthalts in der N-klinik W mehr als sieben Jahre nach Kriegsende im Frühjahr 1952 in Gestalt eines anhaltenden Schnupfens aufgetreten. Bei diesem großen zeitlichen Abstand vom Kriegsende erscheine die Ansicht des Facharztes Dr. M, daß es sich bei der Nebenhöhlenerkrankung nicht um eine Schädigungsfolge handle, bedenkenfrei. Sei aber die Nebenhöhlenerkrankung keine Schädigungsfolge, so müßten auch alle von Dr. W als Folge dieser Erkrankung und damit als mittelbare Schädigungsfolgen angesehenen Gesundheitsstörungen bei der Überprüfung des Rentenanspruchs außer Betracht bleiben. Das gelte insbesondere für die migräneähnlichen Kopfschmerzanfälle und Schwindelzustände sowie für die latente Herzinsuffizienz, die von Dr. W mit der Nebenhöhlenerkrankung in Zusammenhang gebracht worden seien. Wegen einer Magenerkrankung habe die Klägerin seit Januar 1957 ärztliche Hilfe nicht mehr in Anspruch genommen; auch Dr. W habe in seinen Attesten keine derartige Erkrankung erwähnt. Nach Ansicht des vom SG gehörten Sachverständigen Dr. Sch sei ein Magenleiden schon wegen des guten Ernährungszustandes der Klägerin auszuschließen. Ein etwa bestehendes Nierensteinleiden wäre nach den Gutachten der Dres. Sch und Sch ebenfalls keine Schädigungsfolge, zumal die überragende Bedeutung der Konstitution für die Entstehung von Nierensteinleiden wissenschaftlich anerkannt sei.

Gegen dieses am 22. Juli 1965 zugestellte Urteil des LSG (das in der Postzustellungsurkunde vermerkte Datum vom 22.6.1965 ist offensichtlich falsch, weil die Urteilsausfertigung erst am 21. Juli 1965 zur Post gegeben worden ist) hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 9. August 1965, beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen am 11. August 1965, Revision eingelegt und beantragt,

das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die Klägerin hat die Revision innerhalb der bis zum 22. Oktober 1965 verlängerten Begründungsfrist mit Schriftsatz vom 2. September 1965, auf den Bezug genommen wird, begründet.

Sie rügt das Vorliegen wesentlicher Verfahrensmängel i. S. des § 162 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und trägt hierzu insbesondere vor, sie habe als Ursache der sie in ihrer schriftstellerischen Tätigkeit sehr behindernden Kopfschmerzen nicht nur die Nebenhöhlenerkrankung angegeben, vielmehr habe sie auch vorgetragen, daß sie bei einem Fliegerangriff in Pleskau von einem Granatsplitter an der Stirn gestreift worden sei, so daß sie sich plötzlich stark nach rückwärts gebeugt habe, wodurch eine Halswirbelverletzung entstanden sei, die ebenfalls als Ursache für die Kopfschmerzen anzusehen sei. Zum Beweis hierfür habe sie im Berufungsverfahren die Einholung eines Gutachten von Amts wegen beantragt, die das LSG ohne nähere Begründung für nicht erforderlich gehalten habe. Damit habe es seine Sachaufklärungspflicht nach den §§ 103, 106, 112 SGG verletzt. Das LSG habe ferner zu Unrecht aus ihren eigenen Angaben gegenüber der HNO-Universitätsklinik M und der N-klinik W gefolgert, daß die ersten Symptome einer Nebenhöhlenerkrankung erst sieben Jahre nach Kriegsende im Frühjahr 1952 in Gestalt eines anhaltenden Schnupfens aufgetreten seien. Sie habe jedoch sowohl vor dem SG als auch vor dem LSG immer wieder darauf hingewiesen und zahlreiche ärztliche Bescheinigungen dafür überreicht, daß sie seit Kriegsende an Kopfbeschwerden und entzündlichen Erkrankungen im Bereich des Kopfes gelitten habe. Nach den Bescheinigungen der die Klägerin damals behandelnden Ärzte lägen entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts Brückensymptome für die Nebenhöhlenerkrankung vor. Ihre Angaben gegenüber der Universitätsklinik M und der N-klinik in W könnten nicht zu ihren Ungunsten gewertet werden, weil nach der allgemeinen Lebenserfahrung, über die sich das LSG entgegen der Vorschrift des § 128 SGG hinweggesetzt habe, ein unter starken Schmerzen stehender Patient bei der Einweisung in eine Klinik auf die Frage, seit wann er diese Beschwerden habe, selbstverständlich den Zustand angebe, der unmittelbar zur Einlieferung in das Krankenhaus geführt habe. Das LSG hätte sich daher nicht auf eine kurze verneinende Erwägung hinsichtlich der Brückensymptome beschränken dürfen, sondern durch Befragung der Klägerin und der behandelnden Ärzte in den beiden Kliniken ermitteln müssen, ob bei der Aufnahme der Anamnese tatsächlich nach dem Beginn der Beschwerden schlechthin oder - was nach der Lebenserfahrung viel natürlicher sei - lediglich nach dem Beginn derjenigen Beschwerden gefragt worden sei, die unmittelbar bei der Aufnahme in die betreffende Klinik vorgelegen bzw. die Einweisung in die Klinik unmittelbar veranlaßt hatten. Insbesondere hätte das Berufungsgericht das Vorliegen von Brückensymptomen nur nach Würdigung der von der Klägerin beigebrachten ärztlichen Stellungnahmen verneinen dürfen; es hätte sich insbesondere mit den sorgfältigen Ausführungen des Dr. W in seiner Äußerung vom 10. November 1961 auseinandersetzen müssen.

Der Beklagte beantragt die Verwerfung der Revision als unzulässig; er hält die von der Klägerin gerügten Verfahrensmängel nicht für gegeben.

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Da das LSG die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird und vorliegt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG 1, 150) oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung i. S. des BVG das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG). In ihrer Revisionsbegründung rügt die Klägerin Verstöße gegen die §§ 103, 106, 112, 128 SGG; hierbei genügt es für die Statthaftigkeit der Revision, wenn eine der von der Klägerin erhobenen Rügen durchgreift. In einem solchen Falle braucht auf weitere Rügen, welche die Revision ebenfalls nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 SGG statthaft machen könnten, nicht mehr eingegangen zu werden (vgl. BSG in SozR SGG § 162 Nr. 122).

Im vorliegenden Falle hat das LSG - wie die Klägerin zutreffend rügt - § 128 SGG verletzt. Nach dieser Vorschrift entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In seinem Urteil hat es die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Ein Mangel des Verfahrens in bezug auf die Beweiswürdigung liegt insbesondere dann vor, wenn das Gericht die gesetzlichen Grenzen seines Rechts zur freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten hat. Hierbei ist allerdings nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (BSG 1, 91) für eine hinreichende Würdigung der Sach- und Rechtslage in dem Urteil des Berufungsgerichts ein ausführliches Eingehen auf jedes einzelne Vorbringen eines Beteiligten und eine ausdrückliche Auseinandersetzung mit diesem nicht notwendig, sofern sich aus dem Urteil ergibt, daß das LSG alle für seine Entscheidung maßgebenden Umstände sachentsprechend gewürdigt hat. Das ist aber dann nicht der Fall, wenn das Gutachten eines Sachverständigen oder sonstige ärztliche Stellungnahmen - auch wenn sie von einem Beteiligten dem Gericht vorgelegt worden sind - in einem für die Entscheidung des Rechtsstreits wesentlichen Punkt in den Urteilsgründen übergangen worden sind und das Urteil deshalb nicht erkennen läßt, daß sich das Gericht seine Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gebildet hat (vgl. BSG in SozR SGG § 128 Nr. 10). Diese Grundsätze für eine ordnungsgemäße Beweiswürdigung hat das LSG in dem angefochtenen Urteil nicht hinreichend beachtet.

Die Klägerin hat in dem vorliegenden Rechtsstreit ua die Anerkennung eines Zustandes nach beidseitiger Kieferhöhlen-Radikaloperation und Siebbeinausräumung als Schädigungsfolgen beantragt. Das Berufungsgericht hat den ursächlichen Zusammenhang von schädigenden Einflüssen des militärähnlichen Dienstes der Klägerin mit diesen Gesundheitsstörungen verneint und hierzu in den Entscheidungsgründen ausgeführt, daß die ersten Symptome einer Nebenhöhlenerkrankung erst sieben Jahre nach Kriegsende im Frühjahr 1952 in Gestalt eines anhaltenden Schnupfens aufgetreten seien. Dies ergebe sich aus den eigenen Angaben der Klägerin bei der Einweisung in die HNO-Universitätsklinik M und bei Beginn des Kuraufenthalts in der N-klinik W. Bei diesem großen zeitlichen Abstand vom Kriegsende erscheine die Ansicht des Facharztes Dr. M daß es sich bei der Nebenhöhlenerkrankung nicht um eine Schädigungsfolge handle, bedenkenfrei. Sei aber die Nebenhöhlenerkrankung keine Schädigungsfolge, so müßten auch alle von Dr. W als Folge dieser Erkrankung und damit als mittelbare Schädigungsfolgen angesehenen Gesundheitsstörungen bei der Überprüfung des Rentenanspruchs außer Betracht bleiben.

Die Klägerin rügt unter Ziff. 8 bis 14 ihrer Revisionsbegründung eine Verletzung des § 128 SGG. Sie wendet sich mit ihrem substantiierten Verbringen vor allem gegen die das Urteil tragende Feststellung des LSG, daß die ersten Symptome einer Nebenhöhlenerkrankung erst sieben Jahre nach Kriegsende im Frühjahr 1952 in Gestalt eines anhaltenden Schnupfens aufgetreten seien. Die Klägerin trägt hierzu insbesondere vor, eine Reihe von Ärzten, deren Bescheinigungen sie im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren vorgelegt habe, hätten die Kopfbeschwerden mit heftigen Schwindelanfällen sowie entzündliche Erkrankungen im Bereich des Kopfes seit dem Jahre 1945 bestätigt. Sie habe während des gesamten Verfahrens auch immer wieder vorgetragen, daß alle diese Gesundheitsstörungen auf schädigende Einflüsse ihres militärähnlichen Dienstes und hauptsächlich auf die Nasennebenhöhlenerkrankung, die eine Radikaloperation erforderlich gemacht habe, zurückzuführen seien. Diese Nebenhöhlenerkrankung habe entgegen der Feststellung des LSG schon vor dem Jahre 1952 bestanden und sich keineswegs nur in einem seit 1952 vorhandenen starken Schnupfen, sondern vernehmlich auch in ihren starken Kopfbeschwerden und Schwindelanfällen geäußert. Das Berufungsgericht hätte das Vorliegen von Brückensymptomen für die Nebenhöhlenerkrankung von 1945 bis zur Radikaloperation nur nach Würdigung der von ihr beigebrachten ärztlichen Stellungnahmen verneinen und die angegriffene Feststellung nicht allein auf das Gutachten des Dr. M vom 27. Februar 1958 und ihre eigenen Angaben gegenüber der HNO-Universitätsklinik M und der Nordseeklinik Westerland stützen dürfen. Diese Rüge einer Verletzung des § 128 SGG durch das Berufungsgericht greift durch.

Es trifft zwar zu, daß die Klägerin - wie das LSG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ausführt - nach dem Krankenblatt der HNO-Universitätsklinik München zur Vorgeschichte angegeben hat, sie habe seit April 1952 Schnupfen gehabt. Die Klägerin hat ferner nach dem Krankenblatt der N-klinik W zur Vorgeschichte angegeben, daß sie sich seit zwei bis drei Jahren nicht wohl fühle. Da sie sich in der N-klinik W vom 14. Juni bis 29. Juli 1954 befand, würde diese Angabe ebenfalls die Jahre 1951 und 1952 betreffen. Sowohl HNO-Facharzt Dr. M, auf dessen Gutachten sich das LSG gestützt hat, als auch das LSG selbst haben diese Angaben der Klägerin für ausreichend angesehen, um die Feststellung zu treffen, daß die ersten Symptome einer Nebenhöhlenerkrankung erst sieben Jahre nach Kriegsende im Frühjahr 1952 in Gestalt eines anhaltenden Schnupfens aufgetreten sind. Dr. M hat diese Auffassung auch deshalb vertreten, weil nach seiner Ansicht objektive Unterlagen über die angegebenen Erkältungen und Nebenhöhlenerkrankungen in den Jahren 1943 bis 1945 nicht vorliegen. Dr. M hat sich jedoch ebensowenig wie das LSG mit dem Vorbringen der Klägerin und den von ihr im Laufe des Verfahrens überreichten Bescheinigungen über das Bestehen von Kopfschmerzen, Schwindelzuständen und Entzündungserscheinungen im Bereich des Kopfes auseinandergesetzt, obwohl diese Gesundheitsstörungen auf das Bestehen einer zunächst nicht erkannten Nebenhöhlenerkrankung hindeuten könnten, wie die Klägerin stets behauptet hat. Im übrigen führt Dr. M in seinem Gutachten selbst an, daß in dem Krankenkassenauszug der "Debeka" im Jahre 1952 ein chronischer Schnupfen bescheinigt worden ist. Der Schnupfen muß also schon vor dem Jahre 1952 bestanden haben und kann nicht entsprechend der angegriffenen Feststellung des LSG erst im Frühjahr des Jahres 1952 aufgetreten sein, weil er senst nicht als "chronisch" bezeichnet werden könnte. Das Gutachten des Dr. M, der die von der Klägerin überreichten ärztlichen Bescheinigungen in seinem Gutachten vom 27. Februar 1958 nicht gewürdigt hat bzw. nicht würdigen konnte, weil sie im Zeitpunkt der Erstattung seines Gutachtens noch nicht vorlagen, erscheint somit schon aus diesem Grunde mangelhaft und nicht ausreichend, um darauf allein die vom LSG getroffene Feststellung zu stützen. Auch der vom SG in der mündlichen Verhandlung am 25. Oktober 1961 gehörte Sachverständige Dr. Sch, der kein HNO-Facharzt, sondern ein praktischer Arzt ist, hat in seiner Beurteilung keine ausreichenden Gründe angeführt, welche die angegriffene Feststellung des LSG, die ersten Symptome der Nebenhöhlenerkrankung seien erst im Frühjahr 1952 aufgetreten, rechtfertigen könnten; er hat ohne nähere Begründung die geklagten Kopfschmerzen und die dazugehörigen Beschwerden als vasomotorisch angesehen und hierzu ausgeführt: "Inwieweit die von fachärztlicher Seite nachgewiesenen Veränderungen an den Nasennebenhöhlen dabei mitspielen, läßt sich wohl kaum genau abtrennen, ist aber auch nicht von wesentlicher Bedeutung, da es sich nach den Unterlagen im Akt, insbesondere nach den Eintragungen im Krankenblatt der Universitäts-HNO-Klinik und der N-Klinik hierbei um Veränderungen handelt, die weder mit dem Wehrdienst in Zusammenhang stehen noch auch nach ihrem zeitlichen Auftreten durch diesen in meßbarem Umfang beeinflußt sind". Das LSG durfte somit aus den Gutachten der Dres. M und Sch allein und aus den Angaben der Klägerin gegenüber den angeführten Kliniken nicht ohne weiteres die Feststellung treffen, daß die ersten Symptome der Nebenhöhlenerkrankung erst im Frühjahr 1952 aufgetreten sind, ohne sich mit dem substantiierten Vorbringen der Klägerin während des gesamten Verfahrens und den von ihr überreichten ärztlichen Bescheinigungen im einzelnen auseinanderzusetzen, zumal aus der Angabe der Klägerin gegenüber den Kliniken über das Bestehen eines Schnupfens seit 1952 allein nicht gefolgert werden kann, daß die Nasennebenhöhlenerkrankung erst in diesem Jahr entstanden ist; denn es ist allgemein bekannt, daß eine Nebenhöhlenerkrankung sich nicht nur in anhaltendem Schnupfen äußern kann.

Im Widerspruchsverfahren hat die Klägerin mehrere ärztliche Bescheinigungen der Dres. K, Sch und v. M überreicht. Frau Dr. K hat in ihrer Bescheinigung vom 4. Juni 1958 bestätigt, daß sie schon im Oktober 1945 zu der Klägerin wegen eines äußerst heftigen Anfalls von Kopfweh und Schwindel gerufen worden sei. Dr. Sch, der die Klägerin von Mai 1946 bis Juli 1948 und ab Februar 1956 behandelte, hat in seiner Bescheinigung vom 9. Juni 1958 angegeben, daß die Beschwerden der Klägerin von 1946 bis 1948 und seit 1956 überwiegend in Kopfschmerzen, zum Teil migräneartiger Natur, häufigen Schwindelanfällen und einer mäßigen Herz- und Kreislaufschwäche bestanden hätten; im Jahre 1948 habe er sie wegen einer Otitis behandelt. Dr. v. M hat in der Bescheinigung vom 23. Juni 1958 ausgeführt, daß für die chronische Schleimhautreizung in den Nasennebenhöhlen ein Zusammenhang mit häufigen Erkältungskrankheiten während des Kriegseinsatzes nicht ganz von der Hand zu weisen sei; zumindest dürften die ungeheuren Strapazen während des Krieges und des Rückzugs als verschlimmernd, wenn nicht als auslösend angesehen werden, "weil die ersten Beschwerden dieser Art schon im Jahre 1945 aufgetreten seien". Auch Dr. W hat in zahlreichen Bescheinigungen, die von der Klägerin im Laufe des Verfahrens überreicht worden sind, angegeben, daß es sich bei der Klägerin, die seit dem Jahre 1951 in seiner Behandlung steht, um einen "chronischen" Nasennebenhöhlenkatarrh handle, der seit den Jahren 1953/54 vermehrte Beschwerden hervorgerufen habe, so daß eine Radikaloperation beider Kieferhöhlen und der Siebbeinzellen habe vorgenommen werden müssen. Dr. W hat angeführt, daß die Klägerin während des Krieges an der Ostfront mehrfach Erkältungskrankheiten mit Ohrkatarrhen und Katarrhen der Luftwege durchgemacht habe, die im Revier behandelt worden seien. Er hat die Auffassung vertreten, daß wahrscheinlich damals bereits die chronische Nasennebenhöhlenentzündung entstanden und später - von dieser ausgehend - die Schädigung des Kreislaufs und des Coronarsystems eingetreten sei. Da die Beschwerden seit Kriegsende ständig zugenommen hätten, sei ein ursächlicher Zusammenhang mit Einflüssen des Kriegsdienstes wahrscheinlich (vgl. insbesondere die Bescheinigung des Dr. W vom 24. Oktober 1957). Es kann dahingestellt bleiben, ob das LSG entgegen den Angaben der Klägerin und den Bescheinigungen der vorstehend angeführten Ärzte zu der Feststellung hätte gelangen können, daß die ersten Symptome der Nebenhöhlenerkrankung erst im Frühjahr 1952 aufgetreten sind, weil es etwa die Angaben der Klägerin über das Auftreten von Erkältungskrankheiten während des Kriegseinsatzes nicht als hinreichend glaubwürdig hätte ansehen können. Jedenfalls hätte sich das Berufungsgericht aber in dem angefochtenen Urteil mit diesem Vorbringen der Klägerin und insbesondere mit den von ihr überreichten zahlreichen Bescheinigungen der oben angeführten Ärzte im einzelnen auseinandersetzen müssen. Es konnte sich in dieser Hinsicht auch nicht auf die Gutachten der Dres. M und Sch stützen, weil es in diesen Gutachten insoweit an einer hinreichenden Würdigung des streitigen Sachverhalts fehlt. Insbesondere hätte es einer Würdigung der von der Klägerin überreichten ärztlichen Stellungnahmen in der Richtung bedurft, ob die ihr von den behandelnden Ärzten bescheinigten Gesundheitsstörungen (Kopfschmerzen, Schwindelzustände, Otitis, "chronischer" Schnupfen, "chronische" Nebenhöhlenentzündung) Ausdruck einer schon seit 1945 bestehenden, aber noch nicht erkannten Nebenhöhlenerkrankung sein können. Das LSG hat somit bei der Feststellung, die ersten Symptome der Nebenhöhlenerkrankung seien erst im Frühjahr 1952 aufgetreten, seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen und insoweit den § 128 SGG verletzt.

Die Revision der Klägerin ist wegen dieses wesentlichen Verfahrensmangels i. S. des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft; sie ist auch begründet, weil das angefochtene Urteil auf dem mit Erfolg gerügten Verfahrensmangel beruht. Es besteht die Möglichkeit, daß das LSG anders entschieden hätte, wenn es die oben dargelegten Grundsätze der Beweiswürdigung hinreichend beachtet hätte (BSG 2, 197). Da es wegen der fehlerhaften Beweiswürdigung an hinreichenden Feststellungen des LSG fehlt, mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2347554

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