Leitsatz (amtlich)

Hat das SG in einer Sache, in der die Berufung nach SGG §§ 144 bis 149 ausgeschlossen war, das Rechtsmittel irrtümlich als nach SGG § 143 statthaft angesehen und deshalb keine Entscheidung darüber getroffen, ob die Berufung nach SGG § 150 Nr 1 zuzulassen war, so liegt darin kein wesentlicher Mangel des Verfahrens (Abweichung BSG 1961-09-28 4 RJ 85/59 = SozR Nr 31 zu § 150 SGG; Anschluß BSG 1963-05-09 7 RAr 15/61 = SozR Nr 38 zu § 150 SGG; Anschluß BSG 1963-08-01 5 RKn 77/62 = SozR Nr 39 zu § 150 SGG).

 

Normenkette

SGG § 150 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03, § 144 Fassung: 1953-09-03, § 145 Fassung: 1958-06-25, § 146 Fassung: 1958-06-25, § 147 Fassung: 1958-06-25, § 148 Fassung: 1958-06-25, § 149 Fassung: 1958-06-25, § 143 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 13. März 1962 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der am 29. August 1933 geborene Kläger, der seit dem 1. August 1957 Rente wegen Berufsunfähigkeit erhält, leidet an einer chronischen Nephritis mit nephrotischem Einschlag. Er beantragte deswegen wiederholt, ihm ein Heilverfahren zu bewilligen. Durch Bescheid vom 12. Dezember 1957 lehnte die Beklagte dies jedoch erneut ab, weil von einem Heilverfahren keine wesentliche Besserung des Leidens zu erwarten sei. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde am 26. Februar 1958 zurückgewiesen. Daraufhin erhob der Kläger fristgerecht Klage vor dem Sozialgericht (SG) Darmstadt mit dem Antrag,

ihm ein Heilverfahren in einer geeigneten Heilanstalt zu gewähren.

In der Zeit vom 27. April bis 22. Juni 1958, d. h. für acht Wochen, begab sich der Kläger nach Bad Brückenau und unterzog sich dort einer Kur im Sanatorium Dr. Sch auf eigene Kosten. Anschließend verlangte er von der Beklagten die Erstattung der von ihm hierfür verauslagten Kosten in Höhe von 1206,80 DM, da die Kur zu einem vollen Erfolg geführt habe.

Die Beklagte lehnte die Kostenerstattung ab. Wenn im Befinden des Klägers auch eine gewisse Besserung erzielt worden sei, so habe es sich doch nicht um ein Heilverfahren, sondern um eine zur Zuständigkeit der Krankenversicherung gehörende diätetische Behandlung gehandelt.

Nach einer umfangreichen Beweisaufnahme hob das SG entsprechend dem zuletzt gestellten Klageantrag durch Urteil vom 3. Februar 1961 den Bescheid vom 12. Dezember 1957 und den Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 1958 auf. Es war der Ansicht, die Ermessensentscheidung der Beklagten, mit der das beantragte Heilverfahren abgelehnt worden war, sei fehlerhaft. Nach den beigezogenen Krankenunterlagen und dem Gutachten der Universitätsklinik Heidelberg sei das Heilverfahren erforderlich gewesen und hätte auch eine Besserung des Gesundheitszustandes des Klägers herbeigeführt. Wenn die Beklagte trotzdem weiterhin das Heilverfahren für nicht notwendig erachtete, handele es sich dabei um eine Überschreitung ihres pflichtgemäßen Ermessens.

Weder im Tenor noch in den Entscheidungsgründen wurde die Berufung gegen dieses Urteil zugelassen. In der Rechtsmittelbelehrung heißt es, daß die Berufung nach § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig sei.

Gegen das ihr am 9. März 1961 zugestellte Urteil wandte sich die Beklagte mit ihrer am 6. April 1961 eingegangenen Berufung. Sie vertrat die Ansicht, daß entsprechend der Rechtsmittelbelehrung die Berufung zulässig sei. Da der Vorsitzende das Urteil erst nach der Rechtsmittelbelehrung unterschrieben habe, sei diese Bestandteil des Urteils geworden, so daß eine ausdrückliche Zulassung der Berufung nach § 150 Nr. 2 SGG vorliege. Außerdem handele es sich auch um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Bei einer anderen Auffassung würde das Verfahren des SG jedenfalls an einem wesentlichen Mangel leiden, weil dieses dann die nach den §§ 144 bis 149 SGG nicht zulässige Berufung in der Rechtsmittelbelehrung rechtsirrig als zulässig bezeichnet habe und deshalb die Frage nicht mehr geprüft und entschieden habe, ob die Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG zuzulassen war. Außerdem liege ein wesentlicher Verfahrensmangel noch darin, daß nach einer Mitteilung des SG die Rechtsanwältin R Prozeßbevollmächtigte gewesen, jedoch in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen sei und nach der Sitzungsniederschrift die Mutter des Klägers aufgetreten sei.

In der Sache war die Beklagte der Auffassung, daß das Gericht nicht berechtigt gewesen sei, den Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens nachzuprüfen.

Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung führt es aus, die Berufung sei nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG ausgeschlossen gewesen. Der Kläger habe im ersten Rechtszug die Gewährung eines Heilverfahrens beantragt in dem Umfang, wie er es auf eigene Kosten in Bad Brückenau in der Zeit vom 27. April bis 22. Juni 1958 durchgeführt habe. Bei einem Heilverfahren handele es sich um eine wiederkehrende Leistung im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Der Anspruch sei nur für einen begrenzten Zeitraum, also nicht für länger als 13 Wochen, geltend gemacht worden. Die Berufung sei auch nicht nach § 150 Nr. 1 oder 2 SGG zulässig. Entgegen der Ansicht der Beklagten habe das SG die Berufung nicht ausdrücklich zugelassen. Dem Urteil sei lediglich eine falsche Rechtsmittelbelehrung angeheftet worden. Durch eine solche werde eine unzulässige Berufung nicht zulässig. Der Senat habe nicht von sich aus zu prüfen, ob es sich um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 150 Nr. 1 SGG handele. Diese Entscheidung falle ausschließlich in die Zuständigkeit der ersten Instanz und könne vom LSG nicht nachgeholt werden. An die Nichtzulassung der Berufung sei der Senat gebunden. Es könne auch kein wesentlicher Verfahrensmangel darin gesehen werden, daß das SG über die Frage, ob die Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG zuzulassen sei, nicht entschieden und dem Urteil eine falsche Rechtsmittelbelehrung angeheftet habe. Die Parteien hätten im ersten Rechtszug keinen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Das SG hätte demnach keinen Anlaß gehabt, seine Entscheidung über die Nichtzulassung der Berufung in den Urteilsspruch oder in die Entscheidungsgründe aufzunehmen. Soweit die Rechtsmittelbelehrung unrichtig sei, liege hierin nicht ein Verstoß gegen Verfahrensvorschriften, sondern ein inhaltlicher Irrtum.

Der von der Beklagten sonst noch gerügte wesentliche Verfahrensmangel bestehe nicht. Zwar sei die Rechtsanwältin R vorübergehend mit der Wahrnehmung der Interessen des Klägers beauftragt gewesen, doch hätte dieser die Vollmacht wieder entzogen. Außerdem wäre die Beklagte durch den von ihr gerügten Verfahrensmangel nicht beschwert.

Das LSG hat in seinem Urteil vom 13. März 1962 die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen. Die Beklagte hat gleichwohl dieses Rechtsmittel eingelegt. Sie macht einen wesentlichen Verfahrensmangel geltend, der ihre Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft machen soll. Das SG habe die nach den §§ 144 bis 149 SGG nicht zulässige Berufung - bei einem Heilverfahren handele es sich um eine wiederkehrende Leistung im Sinne des § 144 SGG - in der Rechtsmittelbelehrung rechtsirrig als zulässig bezeichnet, ohne überhaupt zu prüfen und darüber zu entscheiden, ob die Berufung nach § 150 SGG zuzulassen sei oder nicht. Das SG müsse aber in jedem Falle eines Ausschlusses der Berufung nach den §§ 144 bis 149 SGG darüber entscheiden, ob es die Berufung zulassen wolle oder nicht. Da das SG ausweislich seiner Rechtsmittelbelehrung die Berufung schon kraft Gesetzes für zulässig gehalten habe, hätte es nicht mehr zu dem folgenden Schritt der Prüfung kommen können, ob die Berufung zuzulassen sei oder nicht. Eine solche Entscheidung komme nur in Betracht, wenn die Berufung kraft Gesetzes ausgeschlossen sei, nicht aber, wenn sie schon kraft Gesetzes zulässig sei. Die Unterlassung der Prüfung, ob die Berufung zuzulassen sei, stelle einen Verfahrensmangel dar, der bereits im Berufungsverfahren gerügt worden sei und erneut geltend gemacht werde.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Der Kläger hat keinen Antrag gestellt. Im übrigen haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die form- und fristgerecht eingelegte Revision ist nicht statthaft.

Das LSG hat in seinem Urteil die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen. Da die Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG schon der Sache nach nicht in Betracht kommen, könnte das Rechtsmittel nur noch statthaft sein, wenn wesentliche Verfahrensmängel gerügt werden können und vorliegen (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG 1, 150 und 254).

Insoweit rügt die Beklagte, daß LSG hätte die Berufung nicht als unzulässig verwerfen dürfen, es habe zu Unrecht statt eines Sachurteils ein Prozeßurteil erlassen. Allerdings würde es einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellen, wenn das LSG die Berufung als unzulässig verworfen hätte, obwohl es eine Sachentscheidung hätte treffen müssen (BSG 1, 283; 3, 293; 4, 200; 15, 169 und 172). Die erhobene Rüge kann jedoch keinen Erfolg haben.

Zunächst ist das LSG zu Recht davon ausgegangen, daß die Berufung nicht kraft Gesetzes nach § 143 SGG zulässig war. Die Gewährung eines Heilverfahrens stellt eine wieder kehrende Leistung im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG dar (BSG 2, 135). Da der Kläger nicht die Gewährung eines länger als drei Monate dauernden Heilverfahrens erstrebte, war die Berufung somit nach der genannten Vorschrift ausgeschlossen. Hieran würde sich selbst dann nichts ändern, wenn statt der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide die Verpflichtung der Beklagten zur Kostenerstattung streitig wäre (BSG 4, 206).

Die Berufung war auch nicht nach § 150 Nr. 2 SGG zugelassen worden. Entgegen der von der Beklagten zunächst vertretenen Auffassung besagte die unrichtige Rechtsmittelbelehrung des SG in seinem Urteil, daß die Berufung nach § 143 SGG zulässig sei, nicht, daß damit die Berufung zugelassen werde. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) muß das SG die Zulassung im Urteil eindeutig entweder in der Urteilsformel oder in den Entscheidungsgründen aussprechen (BSG 2, 245); der bloße Hinweis in der Rechtsmittelbelehrung, daß die Entscheidung mit der Berufung angefochten werden könne, ist hierfür nicht ausreichend (BSG 2, 67 und 121). Die Zulassung der Berufung als Teil der Entscheidung mußte so eindeutig zum Ausdruck gebracht werden, daß kein Zweifel daran bestehen kann, daß das SG eine seiner Ansicht nach auf Grund der §§ 144 bis 149 SGG sonst nicht statthafte Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache oder wegen Abweichung von einem Urteil des übergeordneten LSG zulassen wollte (BSG 4, 261). Hieran fehlte es in dem Urteil des SG.

Das LSG hat es ferner zu Recht abgelehnt, die Nichtzulassung der Berufung auf ihre Begründetheit nachzuprüfen. Nach der Entstehungsgeschichte des SGG hat der Gesetzgeber bewußt darauf verzichtet, ein besonderes Rechtsmittel gegen die Versagung der Zulassung der Berufung oder der Revision im sozialgerichtlichen Verfahren zu schaffen (BSG 3, 231; SozR § 162 SGG Bl. Da 32 Nr. 112). Das LSG hat daher zutreffend davon abgesehen, die Zulassung etwa nachzuholen. Die Nichtzulassung der Berufung war für das LSG bindend. Lediglich für den Sonderfall, daß das LSG die Revision offensichtlich zu Unrecht zugelassen hat, hat das BSG eine abweichende Auffassung vertreten und die Zulassung als unbeachtlich erklärt (BSG 1, 104; 10, 240 und 269).

In einer etwaigen unrichtigen Nichtzulassung der Berufung liegt aber auch kein wesentlicher Mangel des Verfahrens im Sinne des § 150 Nr. 2 SGG, wie die Revision meint (BSG 2, 45 und 81; SozR § 150 SGG Bl. Da 4 Nr. 12; BSG 3, 231 und 275). Dies gilt selbst dann, wenn das SG rechtsirrtümlich die Berufung kraft Gesetzes als zulässig angesehen hat und deshalb von seinem Standpunkt aus keine Veranlassung zur Prüfung hatte, ob sie nach § 150 Nr. 1 SGG zuzulassen sei. Darin liegt nicht ein prozessual fehlerhaftes Verhalten, sondern eine sachlich unrichtige Entscheidung. Unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ist eine Entscheidung nur dann zustandegekommen, wenn der Prozeß bei richtiger Handhabung der Verfahrensvorschriften anders verlaufen wäre oder anders hätte verlaufen können. Doch muß immer eine das Verfahren betreffende Vorschrift verletzt worden sein. Die Vorschriften über die Zulassung der Berufung stehen nun zwar im SGG, d. h. also in einer Verfahrensordnung, sie betreffen aber gleichwohl nur den Inhalt der Entscheidung, da sie nicht den Weg zum Urteil regeln. Auch wird das Verfahren nicht davon berührt, ob die Berufung zugelassen wurde oder nicht. Denn hinsichtlich des Verfahrensmangels kommt es nur auf das Verfahren des entscheidenden Gerichts, d. h. hier des SG an. Dieses war aber mit dem Urteil abgeschlossen. Es konnte durch die unterlassene Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung nicht mehr beeinflußt werden (BSG, SozR § 162 SGG Bl. Da 32 Nr. 112; 7 RAr 15/61 vom 9.5.1963).

Allerdings hat der Senat in seinem Urteil vom 28. September 1961 (SozR § 150 SGG Bl. Da 14 Nr. 31) eine andere Auffassung vertreten. Hieran hält er jedoch nicht fest.

Wenn das SG oder das LSG trotz des gesetzlichen Ausschlusses eines weiteren Rechtsmittels die Berufung bzw. die Revision nicht zulassen, obwohl ein entsprechender Ausspruch erforderlich gewesen wäre, kann dies auf zwei grundsätzlich verschiedenen Fällen eines Irrtums beruhen.

Einmal kann das SG zu Unrecht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zugemessen oder übersehen haben, daß es von einem Urteil des ihm im Rechtszuge übergeordneten LSG abwich; ebenso kann das LSG zu Unrecht der Revision keine grundsätzliche Bedeutung zumessen oder übersehen, daß es von einer Entscheidung des BSG oder einer grundsätzlichen Entscheidung des Reichsversicherungsamts, des Reichsversorgungsgerichts, des Bayerischen Landesversicherungsamts nach dem 8. Mai 1945 oder des Landesversicherungsamts Württemberg-Baden abweicht. In allen diesen Fällen ist jedoch das übergeordnete Gericht nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nicht in der Lage, diesen Irrtum der Vorinstanz zu korrigieren (vgl. ua SozR § 150 SGG Bl. Da 11 Nr. 29).

Sofern diese Rechtslage dazu führen sollte, daß die Instanzgerichte mißbräuchlich die Zulassung eines Rechtsmittels versagen, wofür hier aber nichts dargetan ist, muß es dem Gesetzgeber überlassen bleiben, für Abhilfe zu sorgen (ebenso BGH, NJW 1963, 2262).

Auf der anderen Seite können das SG oder in seltenen Fällen auch das LSG rechtsirrigerweise die Berufung bzw. die Revision kraft Gesetzes für zulässig halten, obwohl dies nicht zutrifft. So kann insbesondere das SG die Vorschriften der §§ 144 bis 149 SGG übersehen oder falsch auslegen. (Für das LSG vergl. hierzu z. B. den in SozR § 162 SGG Bl. Da 32 Nr. 112 behandelten Fall oder den Fall, daß es irrtümlicherweise die Revision bereits nach § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG ohne weiteres für zulässig hält - vergl. 11 RV 104/63 v. 20.8.1963 -).

Es kann jedoch nicht angehen, diese beiden denkbaren Fälle einer irrigen Beurteilung, ob ein weiteres Rechtsmittel zuzulassen ist, verschieden zu behandeln und in dem ersten das Vorliegen eines wesentlichen Verfahrensmangels grundsätzlich zu verneinen und im zweiten entweder allgemein oder wenigstens dann zu bejahen, wenn das SG offensichtlich übersehen hat, daß ein Fall der §§ 144 bis 149 SGG vorlag.

Auch der von dem erkennenden Senat in seinem früheren Urteil hervorgehobene Gesichtspunkt, im zweiten Falle liege der Verfahrensmangel letztlich darin, daß durch die Unterlassung einer Entscheidung über die Berufungszulassung den Beteiligten der gesetzliche Richter in Gestalt des übergeordneten Gerichts entzogen werde, greift nicht durch. Denn die Unterlassung jener Entscheidung kann nicht losgelöst von der sonstigen rechtlichen Beurteilung des Streitstoffes durch das SG betrachtet werden. In Fällen dieser Art geht die - allerdings rechtsirrige - Auffassung des SG stets dahin, einen berufungsfähigen Streitfall entschieden zu haben. Gleichgültig, ob diese Auffassung auf einem mehr oder weniger eindeutigen Versehen oder auf einer unrichtigen Beurteilung schwieriger tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhänge beruht, stets hat das SG in diesen Fällen gleichzeitig mit seiner Entscheidung - allerdings sachlich unrichtig und für das LSG unbeachtlich - auch erkennbar seiner Auffassung Ausdruck verliehen, daß gegen sein Urteil die durch keine gesetzliche Vorschrift untersagte normale Berufung gegeben sei. Eine derartige Entscheidung und eine Entscheidung über die Berufungszulassung nach § 150 Nr. 1 SGG schließen sich aber begrifflich aus. Wenn - wie nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vergl. schon BSG Bd. 5, 1) feststeht - in einer fehlerhaften Versagung der Berufungszulassung nach § 150 Nr. 1 SGG (erste Fallgruppe) kein Verfahrensmangel zu erblicken ist, durch welchen den Beteiligten das Recht auf den Spruch des übergeordneten Gerichts als "gesetzlicher Richter" entzogen würde, obwohl in diesen Fällen bei zutreffender Gesetzesanwendung eindeutig stets die höhere Instanz zum Spruch hätte kommen müssen, so kann ein derartiger Verfahrensmangel um so weniger bei der zweiten Art von Fällen vorliegen; denn bei diesen steht ja nicht einmal fest, ob überhaupt ein Grund zur Zulassung der Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG vorgelegen hat, ob also die richtige Gesetzesanwendung die Entscheidung des übergeordneten Gerichts ermöglicht hätte.

Ebensowenig gestattet es Art. 19 Abs. 4 GG in einem solchen Falle dem Rechtsmittelgericht, ein etwa irrtümlich nicht zugelassenes weiteres Rechtsmittel als zulässig zu behandeln (BSG 5, 150).

Schließlich konnte sich die Beklagte auch nicht auf den Inhalt der Rechtsmittelbelehrung verlassen; denn einen allgemeinen Vertrauensschutz dieser Art kennt das Gesetz nicht. Die Rechtsprechung hat einen solchen lediglich bei unrichtiger Belehrung bezüglich der Sprungrevision bejaht, also in Fällen, in denen ohnedies ein Rechtsmittel gegeben war, der Beteiligte aber infolge der fehlerhaften Unterrichtung ein falsches Rechtsmittel eingelegt hatte (BSG 2, 135, 139; 5, 140, 143).

Nach alledem litt das Verfahren des LSG nicht deshalb an einem wesentlichen Mangel des Verfahrens, weil es die Berufung auf Grund der gerügten Verfahrensmängel nicht für statthaft gehalten hat.

Ob das SG sonst noch wesentliche Verfahrensmängel begangen hat, die mit Erfolg hätten gerügt werden können, so daß die Berufung nach § 150 Nr. 2 SGG statthaft gewesen wäre, kann dahingestellt bleiben, da solche von der Beklagten im Verfahren vor dem LSG nicht geltend gemacht worden sind. Es brauchte deshalb nicht erörtert zu werden, ob das SG etwa § 106 Abs. 1 SGG verletzt hat, indem es nicht auf ordnungsmäßige Anträge gedrängt hat, was - nachdem der Kläger sich das Heilverfahren bereits selbst verschafft hatte - nahegelegen hätte (BSG 8, 1 und 178).

Nach alledem war die Revision der Beklagten als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

NJW 1964, 421

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