Entscheidungsstichwort (Thema)
Militärdienst während des Hochschulstudiums in Polen. gleichgestellte Zeit nach Art 4 Abs 2 des RV/UVAbk POL
Orientierungssatz
1. Eine in Polen zurückgelegte Studienzeit, während der auch militärischer Dienst abgeleistet worden ist, kann nach innerstaatlichem deutschem Recht nur als Ausfallzeit anerkannt werden. Eine Anerkennung als Ersatzzeit scheitert, weil dazu nur militärischer oder militärähnlicher Dienst iS der §§ 2 und 3 BVG gehört, nicht aber militärischer Dienst in der Volksrepublik Polen (vgl BSG 29.9.1980 4 RJ 51/79 = SozR 5050 § 15 Nr 18).
2. Ob eine in Polen zurückgelegte Zeit als Versicherungszeit, Beschäftigungszeit oder gleichgestellte Zeit nach Art 4 Abs 2 des RV/UVAbk POL anzurechnen ist, ist nach den polnischen Rechtsnormen zu beurteilen.
3. Eine unrichtige Anwendung ausländischen Rechts ist mit der Revision nicht angreifbar (vgl BSG 30.5.1984 5a RKn 17/83)
Normenkette
RVO § 1250 Abs 1 Buchst b, § 1259 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst b; BVG §§ 2-3; RVO § 1251 Abs 1 Nr 1; RV/UVAbk POL Art 4 Abs 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Vormerkung der vom Kläger in der Zeit vom 9. September 1954 bis zum 27. Juni 1956 und vom 1. September 1956 bis zum 1. Februar 1957 in Polen zurückgelegten Fachhochschulzeit als Ersatzzeit.
Der am 13. Januar 1936 geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Polen studierte er während der streitigen Zeit in W. und in K.. Im Anschluß daran war er angestellter Lehrer. Von Anfang 1959 bis zu seiner Aussiedlung im November 1959 arbeitete er als Haldenvermesser. Er besitzt den Vertriebenenausweis A. Seit 1972 ist er Beamter bei der Oberfinanzdirektion B..
Bei der Feststellung des Versicherungsverhältnisses des Klägers lehnte die Beklagte die Anrechnung der streitigen Zeit ab mit der Begründung, diese Zeiten seien nach dem deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen nicht anrechenbar (Bescheid vom 15. Juni 1979). Im Widerspruchsverfahren wurden die streitigen Zeiten als Ausfallzeit nach § 1259 Abs 1 Nr 4 Reichsversicherungsordnung (RVO) anerkannt (Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 1981, Bescheid vom 28. September 1981).
Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Anrechnung der streitigen Zeit als Ersatzzeit mit der Begründung, er habe während des Besuches der Fachhochschule auf Grund gesetzlicher Pflicht Wehrdienst leisten müssen. Dieser habe ihn zeitlich gegenüber dem Studium überwiegend in Anspruch genommen.
Die Klage blieb in den Vorinstanzen ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. Januar 1982, Urteil des Landessozialgerichts -LSG- Berlin vom 19. April 1983). Zur Begründung führte das LSG ua aus, eine Anrechnung der streitigen Zeit als Ersatzzeit komme nicht in Betracht, weil nur der militärische oder militärähnliche Dienst bis zum Ende des zweiten Weltkrieges als Ersatzzeit anrechnungsfähig sei. Das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen ermögliche ebenfalls keine Anrechnung. Hiernach sei der Kläger so zu behandeln, als habe er die streitigen Zeiten in der Bundesrepublik zurückgelegt. Eine Hochschulausbildung könne keine Ersatzzeit iSd § 1251 RVO sein. Schließlich habe der polnische Versicherungsträger in seiner Auskunft vom 10. Oktober 1979 mitgeteilt, daß zwar nach polnischem Recht der Militärdienst während des Studiums als Hochschulstudium berücksichtigungsfähig sei und diese Zeit als Beschäftigungszeit der Rente hinzugerechnet werden könne, jedoch nur unter der Voraussetzung, daß der Student vor Beginn des Studiums berufstätig gewesen sei.
Gegen diese Rechtsauffassung wendet sich der Kläger mit seiner vom LSG zugelassenen Revision. Er trägt vor, der Militärdienst habe nicht auf der Studienordnung, sondern auf einer gesetzlichen Bestimmung des Staates beruht. Deswegen sei die Ersatzzeitenregelung des § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO zumindest entsprechend anwendbar. Jedenfalls hätte das LSG die Auskunft des polnischen Versicherungsträgers nicht einfach hinnehmen dürfen, sondern insoweit den Sachverhalt weiter aufklären müssen. Dies hätte zu dem Ergebnis geführt, daß die streitige Zeit sowohl nach den polnischen gesetzlichen Grundlagen als auch nach ihrer Ausgestaltung vom militärischen Dienst geprägt gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
unter Änderung des angefochtenen Urteils und des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 28. Januar 1982 - S 25 J 663/81 - sowie des Bescheides der Beklagten vom 28. September 1981 die Beklagte zu verurteilen, die Zeiten vom 1. September 1954 bis 27. Juni 1956 und vom 1. September 1956 bis 1. Februar 1957 als Ersatzzeiten vorzumerken, hilfsweise, die genannten Zeiten zur Hälfte als Ersatzzeiten vorzumerken.
Er stellt ferner noch den Hilfsantrag, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt weiter vor, nach dem deutsch-polnischen Abkommen könne die deutsche Rentenversicherung nur solche in Polen zurückgelegte Zeiten übernehmen, die nach polnischem Recht in der dortigen Rentenversicherung zu berücksichtigen seien. Diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Dem LSG ist darin beizupflichten, daß eine Anrechnung der streitigen Zeit als Ersatzzeit weder nach § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO noch nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung vom 9. Oktober 1975 (BGBl 1976 II 396) möglich ist. Zwar kommt eine Anrechnung als Ausfallzeit nach § 1251 Abs 1 Nr 4 RVO in Betracht, diese hat die Beklagte jedoch vorgenommen.
Wenn auch im vorliegenden Fall nicht über die Auswirkungen von Zeiten auf einen geltend gemachten Rentenanspruch zu entscheiden ist, sondern lediglich über die Erstellung eines Versicherungsverlaufes, so ist der Kläger durch die von der Beklagten vorgenommene Anerkennung der streitigen Zeiten als Ausfallzeit insofern beschwert, als er die Anerkennung dieser Zeiten als Ersatzzeit (Versicherungszeit iSd § 1250 Abs 1b RVO) mit den damit verbundenen günstigeren versicherungsrechtlichen Auswirkungen begehrt (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 29. Juni 1984 - 4 RJ 87/83 -). Hierüber hat die Beklagte einen Verwaltungsakt erlassen, an dessen Änderung der Kläger im Hinblick auf die Bindungswirkung des § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein berechtigtes Interesse hat.
Eine Anrechnung des Militärdienstes bzw Studiums als Ersatzzeit nach § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO scheidet aus, weil der Militärdienst nach Beendigung des zweiten Weltkrieges geleistet worden ist und deswegen die Voraussetzungen des § 2 Abs 3 Bundesversorgungsgesetz (BVG) nicht erfüllt sind (vgl Urteil des Bundessozialgerichts -BSG- vom 29. September 1980 - 4 RJ 51/79 = SozR 5050 § 15 Nr 18 S 63).
Die Anrechenbarkeit der streitigen Zeit nach dem deutsch-polnischen Abkommen vom 9. Oktober 1975 richtet sich nach dessen Art 4 Abs 2. Hiernach berücksichtigt der deutsche Versicherungsträger polnische Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten und diesen gleichgestellte Zeiten so, als ob sie im Bundesgebiet zurückgelegt worden wären. Sind solche Zeiten zu berücksichtigen, so geschieht dies nach Art 2 Abs 1 des Ratifikationsgesetzes zum deutsch-polnischen Abkommen vom 12. März 1976 (BGBl 1976 II 393) in entsprechender Anwendung des Fremdrentengesetzes (FRG). Hieraus ergibt sich, daß die deutsche Rentenversicherung nur solche polnischen Zeiten honorieren muß, die schon nach polnischem Rentenversicherungsrecht berücksichtigungsfähig sind, die mit anderen Worten der Versicherte "mitbringt" (so das Urteil des erkennenden Senats vom 21. Juni 1983 - 4 RJ 59/82 = SozR 6710 Art 4 Nr 4).
Ob und inwieweit eine Zeit nach polnischem Recht anrechnungsfähig ist, ist nach Art 4 Abs 2 des Abkommens vom deutschen Rentenversicherungsträger festzustellen.
Die Beklagte und ihr folgend die Vorinstanzen haben die streitige Zeit weder als Versicherungs-, Beschäftigungs- noch als gleichgestellte Zeit angesehen. Sie haben hierbei das polnische Sozialversicherungsrecht angewandt. Wenn der Kläger vorträgt, hierbei seien die polnischen Verhältnisse nicht genügend berücksichtigt oder das polnische Recht nicht richtig erkannt worden, wendet er sich gegen die Anwendung ausländischen (polnischen) Rechts durch das LSG. Die unrichtige Anwendung ausländischen Rechts ist jedoch mit der Revision nicht angreifbar (vgl BSG-Urteil vom 30. Mai 1984 - 5a RKn 17/83 mwN).
Im übrigen ist die streitige Zeit von polnischer Seite nicht anerkannt worden. Es existiert keine von Polen übersandte Aufstellung, in der diese Zeit als Versicherungs-, Beschäftigungs- oder gleichgestellte Zeit iSd Art 4 Abs 2 des deutsch-polnischen Abkommens aufgeführt ist. Im Gegensatz dazu hat der polnische Versicherungsträger in seiner Auskunft vom 10. Oktober 1979 der Beklagten mitgeteilt, daß die Militärzeiten von Studenten, die während des Hochschulstudiums durchgeführt wurden, als Hochschulstudium zu berücksichtigen sind und nur dann angerechnet werden, wenn jemand vor der Aufnahme des Studiums eine Beschäftigung ausgeübt hat. Diese Voraussetzung ist im Falle des Klägers nicht erfüllt. Hiernach ist davon auszugehen, daß die streitige Zeit nach polnischem Recht nicht anrechnungsfähig ist, ohne daß es darauf ankäme, ob es sich dabei um einen Militärdienst oder um ein Studium gehandelt hat. Deswegen sind auch weitere tatsächliche Feststellungen in dieser Richtung nicht mehr erforderlich.
Eine Anrechnung der streitigen Zeit nach § 15 FRG (Beitragszeit) oder nach § 16 FRG (Beschäftigungszeit) kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil das FRG für derartige in Polen zurückgelegte Zeiten wegen des deutsch-polnischen Abkommens nicht gilt (§ 2 Buchst b FRG); außerdem hat der Kläger selbst nicht behauptet, während der streitigen Zeiten Beiträge entrichtet oder in einem arbeitsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis gestanden zu haben.
Nach allem war die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen