Leitsatz (amtlich)
Ein hausgewerbetreibender Handwerker, der gemäß AnVNG Art 2 § 52 Abs 3 von der Versicherungspflicht befreit worden ist, unterliegt nicht der Versicherungspflicht nach RVO § 1227 Abs 1 Nr 3 (HwVG § 7 Abs 2).
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 52 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1227 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-02-23; HwVG § 7 Abs. 2 Fassung: 1960-09-08
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 5. November 1968 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Es ist darüber zu entscheiden, ob ein Handwerker, der nach Art. 2 § 52 Abs. 3 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) von der Versicherungspflicht befreit worden war, wegen seiner Tätigkeit als Hausgewerbetreibender nach § 1227 Abs. 1 Nr. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) versicherungspflichtig ist.
Der Kläger ist Kürschnermeister und in die Handwerksrolle eingetragen. Von der Versicherungspflicht nach dem Handwerkerversorgungsgesetz (HVG) vom 21. Dezember 1938 war er befreit worden, nachdem er Pflichtbeiträge für 180 Kalendermonate entrichtet hatte. Er arbeitet für zwei Kaufhausunternehmungen, stellt Neuanfertigungen her und führt Reparaturen aus. Die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) hält ihn als Hausgewerbetreibenden für versicherungspflichtig und verlangt von ihm für die Jahre 1964 und 1965 Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter (Bescheid vom 6. Oktober 1966; Widerspruchsbescheid vom 24. April 1967).
Der dagegen erhobenen Klage haben Sozialgericht (SG) und Landessozialgericht (LSG) stattgegeben. Für sie war maßgebend, daß das Handwerkerversicherungsrecht im Verhältnis zum Recht der allgemeinen Rentenversicherungen die speziellere Regelung darstelle und daß es damit dessen Anwendung ausschließe. Nachdem nun der Kläger vom Versicherungszwang in der Handwerkerversicherung befreit worden sei und befreit bleibe (§ 7 Abs. 2 Handwerkerversicherungsgesetz vom 8.9.1960 - HwVG -), komme für ihn eine Versicherungspflicht in der Arbeiterrentenversicherung nicht mehr in Betracht.
Die Beklagte hat die - zugelassene - Revision eingelegt. Sie beantragt, die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen. Ihres Erachtens läßt das HwVG wegen unterschiedlicher Tätigkeiten die Versicherungspflicht aufgrund mehrerer gesetzlicher Vorschriften entstehen und nebeneinander bestehen. Eine Ausnahme habe das HwVG lediglich für Arbeitnehmer (§ 2 Abs. 1 Nr. 5) nicht aber für selbständig tätige Hausgewerbetreibende angeordnet.
Der Kläger ist in diesem Rechtszug nicht vertreten.
Die Revision ist unbegründet.
Die Beklagte wäre berechtigt, die vom Kläger geforderten Beiträge zu erheben, wenn der gegenwärtige Streitfall nicht ausschließlich dem HwVG, sondern auch der Bestimmung unterzuordnen wäre, die für die Versicherung der Hausgewerbetreibenden maßgebend ist (§ 1227 Abs. 1 Nr. 3 RVO). Davon hätte man auszugehen, wenn das HwVG für die von ihm erfaßten Tatbestände das Recht der Arbeiterrentenversicherung nicht generell verdrängte und wenn deshalb der einzelne - von Einzelregelungen (z. B. § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 2 HwVG) abgesehen - sowohl der einen als auch der anderen Versicherungsordnung unterworfen sein könnte. Für diese Ansicht könnte u. a. eine Gesetzesänderung sprechen. § 1227 Abs. 1 RVO beschränkte früher die Versicherung in der Rentenversicherung der Arbeiter darauf, daß nicht wegen derselben Beschäftigung oder Tätigkeit die Versicherungspflicht nach den Bestimmungen anderer Gesetze bestand. Dazu zählte auch das HVG. Wer nach diesem Gesetz versichert war, war es nicht nach der RVO. Die Bezugnahme auf das HVG wurde jedoch durch § 13 Abs. 1 Nr. 1 HwVG ersatzlos gestrichen. Damit entfiel insoweit der - ausdrückliche - Ausschluß mehrfacher oder miteinander konkurrierender Pflichtversicherungen. Daraus ließe sich herleiten, daß der einzelne trotz seiner Entlassung aus der einen Versicherungspflicht der anderen unterworfen sei. Ob ein solcher Schluß zu ziehen ist, kann dahinstehen. Wenn dies auch zuträfe, was hier nur unterstellt sei, so ist doch eine solche Rechtsfolge nicht auf einen Fall wie den vorliegenden zu erstrecken.
Die Befreiung nach Art. 2 § 52 Abs. 3 AnVNG bedeutete das Ende des Versicherungszwangs. Das folgt einmal daraus, daß neben der obligatorischen Handwerkerversorgung nach dem HVG eine Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung oder in der Arbeiterrentenversicherung nicht vorgesehen war (§ 1 Satz 2 der Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des HVG vom 13. Juli 1939); das galt auch für hausgewerbetreibende Handwerker (Reichsversicherungsamt Nr. 5420, Amtliche Nachrichten 1941, 151). Zum anderen ergibt sich dies aus dem Inhalt und Zweck des Art. 2 § 52 Abs. 3 AnVNG. Für die Altersvorsorge der Handwerker sollte eine Mindestsicherung genügen; deshalb durfte der Handwerker nach einer Pflichtversicherungszeit von 15 Jahren aus der Pflicht ausscheiden. Lediglich aus Verwaltungsgründen wurde dieses Ausscheiden von einem Antrag abhängig gemacht (2. Deutscher Bundestag, 186. Sitzung S. 10464 B). Antragserfordernis und Bezeichnung "Befreiung" dürfen nicht zu der Annahme verleiten, es habe sich um die Herausnahme von Einzelfällen aus der Geltung zwingender Gesetzesnormen gehandelt. Um Einzel- oder Ausnahmefälle ging es nicht. Die Ausnahme konnte im Vollzug des Gesetzes durchaus zur Regel werden, war sogar als solche gedacht. Auch hatte der Befreiungsfall generellen und abstrakten Charakter; er war nicht durch die Besonderheit einer außergewöhnlichen Sachlage gekennzeichnet. Vielmehr wurde es dem einzelnen nach Erreichen des Beitragsvolumens von 180 Monaten in der Pflichtversicherung überlassen, wie er sich entschließen wollte. Dagegen war dem Versicherungsträger bei seiner Entscheidung über das Befreiungsgesuch kein Ermessen eingeräumt. - Auf diesem Hintergrund der völligen Beseitigung des Zwangs zur Versicherung, und zwar nach Erwerb eines gewissen Grundstocks in der Rentenversicherung ist § 7 Abs. 2 HwVG zu sehen. Die Befreiungen der beschriebenen Art sind auf das neue Recht der Handwerkerversicherung übergeleitet worden. Die dargestellte Interessenlage legt es nahe, § 7 Abs. 2 HwVG dahin zu verstehen, daß Personen, die von dem System der gesetzlichen Zwangsvorsorge einmal erfaßt und dann wieder aus ihm entlassen worden waren, nicht abermals einem Zwang unterworfen werden sollen. Anderenfalls hätte man es mit einem Eingriff des Gesetzgebers in ein abgeschlossenes Geschehen zu tun; ein solcher Eingriff hätte jedoch deutlicher zum Ausdruck kommen müssen. So wie das Gesetz gefaßt ist, läßt es die Auslegung zu, daß der einmal erteilte Dispens vom Versicherungszwang im ganzen Umfang aufrechterhalten bleibt. Zwar deutet das "gelten" in § 7 Abs. 2, nämlich daß Befreiungen aufgrund des Art. 2 § 52 Abs. 3 AnVNG als Befreiungen auch für die Zeit nach Inkrafttreten des HwVG gelten, an, daß das, was war, mit dem Neuen nicht ohne weiteres identisch ist. Es wird aber vorgeschrieben, daß die früheren Befreiungen weiterwirken. Die Gesetzesformulierung gebietet nicht die Annahme, daß die Befreiungen nur auf den Rahmen des HwVG beschränkt werden und nicht - wie vorher - auf das ganze Gebiet der Rentenversicherungen erstreckt bleiben sollen. § 7 Abs. 2 HwVG ist eine Übergangsvorschrift. Ihre Funktion ist es, bestehende Rechtszustände und Rechtspositionen in die neuen Regelungen einzubringen und auf sie abzustimmen. Für die Interpretation einer Übergangsnorm hat der Gedanke der schonenden Anpassung zu gelten; überkommene Berechtigungen und Rechtsstellungen sollen nur insoweit angetastet werden, als dies erforderlich ist. Wendet man dies auf den Fall des von der Versicherungspflicht befreiten Handwerkers an, so hat man zu bedenken, daß der Betreffende sich auf die unbegrenzte "Befreiung" einrichten und im Vertrauen auf deren Beständigkeit Dispositionen für seine weitere Existenz- und Alterssicherung hat treffen dürfen, also Vorkehrungen, die bei erneuter Beitragsbelastung nicht mehr stets beibehalten werden könnten. Eine Gesetzgebung, die in solcher Weise die freie Initiative des einzelnen einschnürte und ihn ein zweites Mal unversehens und unvorbereitet in der Wahl seiner Vorsorgemittel einengte, erschiene inkonsequent. Sie ließe es an der Kontinuität und Berechenbarkeit der Rechtsentwicklung vermissen, welche die Grundlagen vernünftigen wirtschaftlichen Planens und Handelns sind. Freilich können wichtige Gründe den Gesetzgeber veranlassen, das Interesse des einzelnen an der Gradlinigkeit der Rechtssetzung zurückzustellen. Daß solche zwingenden Erwägungen die Normierung des § 7 Abs. 2 HwVG beeinflußt haben könnten, ist indessen nicht zu erkennen. Infolgedessen ist auch nicht zu folgern, daß die nach Art. 2 § 52 Abs. 3 AnVNG erteilten - umfassenden - Befreiungen von der Versicherungspflicht teilweise, z. B. in bezug auf Tätigkeiten eines Hausgewerbetreibenden zurückgenommen sein könnten.
Hiernach erweisen sich die angefochtenen Urteile im Ergebnis als richtig. Die Revision ist mit der auf § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.
Fundstellen