Leitsatz (amtlich)
Ruhestandsbeamte, die als Angestellte beschäftigt sind und ein die Jahresarbeitsverdienstgrenze der Krankenversicherung übersteigendes Entgelt beziehen, können nicht von der Krankenversicherungspflicht befreit werden; sie sind zur BA beitragspflichtig.
Leitsatz (redaktionell)
Eine Befreiung von der Arbeitslosenversicherungspflicht allein ist nicht möglich, da es hierfür im AFG an einer gesetzlichen Grundlage fehlt.
Die gesetzliche Regelung in AFG § 169 Nr 1 aF verstößt weder gegen GG Art 3 noch gegen GG Art 14.
Normenkette
RVO § 173 Abs. 1 Fassung: 1945-03-17; AFG § 169 Nr. 1 Buchst. a Fassung: 1969-06-25; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 14 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. März 1974 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Beitragspflicht des Klägers zur Bundesanstalt für Arbeit (BA).
Der Kläger ist Ruhestandsbeamter und bezieht seit dem 1. Juni 1972 ein Ruhegehalt vom Kreis A. Am 1. Juli 1972 nahm er eine Beschäftigung als Angestellter beim Generalvikariat des Bistums E gegen ein monatliches Gehalt von 3.843,09 DM auf.
Seinen Antrag vom 12. April 1972, ihn hinsichtlich dieser Beschäftigung von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung und Arbeitslosenversicherung zu befreien, lehnte die beklagte Krankenkasse mit Bescheid vom 21. Juli 1972 ab. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 1972).
Mit der Klage hat der Kläger seine Befreiung von der Krankenversicherungspflicht im Hinblick darauf gefordert, daß nur auf diese Weise seine Befreiung von der Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung erreicht werden könne. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil bestätigt (Urteil vom 7. März 1974): Der Kläger könne schon begrifflich nicht von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung nach § 173 Reichsversicherungsordnung (RVO) befreit werden, weil er bereits versicherungsfrei sei, denn sein Gehalt übersteige die Jahresarbeitsverdienstgrenze (JAV-Grenze). Da aber die lediglich durch die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes bedingte Versicherungsfreiheit in der Krankenversicherung nicht zur Beitragsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung führe, sei der Kläger in diesem Zweig beitragspflichtig. Bedenken dagegen seien nicht gerechtfertigt; insbesondere könnten die vom Kläger zu entrichtenden Beiträge nicht als unzulässige Steuern angesehen werden, da dem Kläger gegebenenfalls die Leistungsansprüche nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zustünden.
Gegen dieses Urteil wendet sich die zugelassene Revision des Klägers. Er rügt die Verletzung der §§ 169 Nr. 1, 182 Abs. 1 AFG. Auch wenn seine Befreiung von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung bereits aus logischen Gründen ausscheide, so sei dies ohne Einfluß auf seine Befreiung von der Beitragspflicht nach dem AFG. Die Beklagte müsse ihn in ihrer Funktion als Einzugsstelle nach § 182 Abs. 1 AFG auch ohne einen entsprechenden ausdrücklichen Auftrag von der Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung befreien, da er die Voraussetzungen des § 173 RVO erfülle. Nur auf diesem Wege könne eine ungleiche Behandlung der über der JAV-Grenze liegenden mit den weniger verdienenden Ruhestandsbeamten vermieden werden. Die Auffassung des LSG dagegen komme einer Rechtsverweigerung im Bereich des AFG gleich und bedeute in Anbetracht des unzulässigen Steuercharakters der Beiträge der Ruhestandsbeamten zur Arbeitslosenversicherung einen Verstoß gegen Art. 14 Grundgesetz (GG).
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. März 1974 und des SG Aachen vom 24. Oktober 1973 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. Juli 1972 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 1972 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, einen Bescheid über die Befreiung von der Krankenversicherungspflicht zu erteilen,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, einen Bescheid über die Befreiung von der Beitragspflicht zur BA zu erteilen,
ganz hilfsweise,
festzustellen, daß der Kläger von der Beitragspflicht zur BA befreit ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die beigeladene BA hat denselben Antrag gestellt.
Sie ist mit dem LSG der Ansicht, daß eine Befreiung des Klägers von der Krankenversicherungspflicht nicht möglich sei. Zur Begründung bezieht sie sich vor allem auf die Gesetzesmaterialien zur Neufassung des § 169 Nr. 1 AFG durch das Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Der Kläger hat innerhalb der Revisionsfrist lediglich den Antrag gestellt, unter Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen und des Bescheides der Beklagten vom 21. Juli 1972 die Beklagte zur Befreiung des Klägers von der Krankenversicherungspflicht zu verurteilen. Erst in einem späteren Schriftsatz hat er hilfsweise die Verurteilung der Beklagten zur Befreiung von der Beitragspflicht zur BA bzw. eine entsprechende gerichtliche Feststellung beantragt. Der Senat faßt diese hilfsweise gestellten Anträge als eine Ergänzung des Revisionsantrags auf, die bis zum Schluß der mündlichen Revisionsverhandlung zulässig ist. Mit den Hilfsanträgen will der Kläger lediglich sein Revisionsbegehren verdeutlichen. Eine Klageänderung, die im Revisionsverfahren nicht zulässig wäre (§ 168 erster Halbsatz Sozialgerichtsgesetz - SGG -), liegt darin nicht, denn der Kläger macht mit diesen Anträgen keinen neuen Klageanspruch geltend. Wie in den Vorinstanzen ist sein Klagebegehren auch in dem Revisionsverfahren auf eine Entscheidung über seine Beitragsfreiheit zur BA gerichtet und damit zugleich über seine Befreiung von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung. Die unterschiedliche Fassung des im Berufungsverfahren gestellten Klageantrags und des Antrags im Revisionsverfahren ist ohne Bedeutung für das Vorliegen einer Klageänderung (vgl. § 123 SGG).
Zutreffend hat das LSG entschieden, daß die Beklagte nicht verpflichtet ist, den Kläger gemäß § 173 Abs. 1 RVO von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung zu befreien, und er daher nach § 168 Abs. 1 AFG in der hier maßgebenden Fassung vom 25. Juni 1969 (BGBl I 582) beitragspflichtig zur BA ist. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG bezieht der Kläger in seiner Beschäftigung als Angestellter ein Gehalt, das über der JAV-Grenze liegt. Da er somit in der Krankenversicherung bereits nach § 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO versicherungsfrei ist, kann er nicht noch zusätzlich von der Versicherungspflicht nach § 173 Abs. 1 RVO befreit werden.
§ 173 Abs. 1 RVO bestimmt, daß Ruhegehaltsempfänger, denen Anwartschaft auf Hinterbliebenenversorgung gewährleistet ist, auf ihren Antrag von der Versicherungspflicht befreit werden. Diese Möglichkeit steht jedoch - entgegen der Ansicht der Revision - nur den Personen zu, die der Versicherungspflicht unterliegen, nicht aber denen, die bereits aus anderen Gründen versicherungsfrei sind. Für die Angestelltenversicherung hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits wiederholt entschieden, daß eine Befreiung versicherungsfreier Angestellter von der Versicherungspflicht nicht möglich ist (so grundlegend 3. Senat in BSG 26, 280, 282; ihm folgend Urteile des 12. und 11. Senats in DAngVers 71, 379; 72, 29). An diesem Grundsatz ist - wie der erkennende Senat schon in seiner Entscheidung betreffend die Befreiung von der Krankenversicherungspflicht nach § 173 b RVO (vgl. Urteil vom 18. April 1975 - 3 RK 49/74 -) zum Ausdruck gebracht hat - auch im Rahmen der Krankenversicherung festzuhalten.
Eine Befreiung versicherungsfreier Ruhegehaltsempfänger ist nicht nur - wie das LSG dargelegt hat - nach dem Wortlaut des § 173 Abs. 1 RVO ausgeschlossen, da eine Freistellung von einer nicht bestehenden Pflicht begrifflich nicht möglich ist. Sie widerspricht auch dem Sinn und Zweck des § 173 RVO. Während ein Bescheid der Krankenkasse über die kraft Gesetzes eintretende Versicherungsfreiheit (z.B. §§ 168, 169, 172 RVO) lediglich deklaratorische Wirkung hat, ist Ziel der Befreiung nach § 173 RVO, den Ruhegehaltsempfänger mit konstitutiver Wirkung von der Krankenversicherung freizustellen. Erst durch die Entscheidung der Krankenkasse über den Befreiungsantrag wird der Antragsteller von der Versicherungspflicht befreit, wobei der Beginn der Wirkung der Befreiung an den Zeitpunkt der Antragstellung geknüpft ist (§ 173 Abs. 2 RVO). Da unabdingbare Voraussetzung der konstitutiven Befreiung von der Versicherungspflicht aber das Bestehen dieser Pflicht ist, eröffnet § 173 RVO nur denjenigen Ruhegehaltsempfängern die Möglichkeit der Befreiung von der Versicherungspflicht, die dieser Pflicht auch unterliegen.
Wenn dem Kläger damit der Weg über eine Befreiung von der Krankenversicherungspflicht verschlossen ist, so kann er sein Ziel, von der Beitragspflicht nach dem AFG freigestellt zu werden, auch nicht durch eine Befreiung von dieser Pflicht durch die Beklagte erreichen. Im Gegensatz zur gesetzlichen Krankenversicherung (§§ 173 ff RVO) sowie der Rentenversicherung (§§ 1230 f RVO, §§ 7 f Angestelltenversicherungsgesetz - AVG -) kennt das AFG eine konstitutive Befreiung von der Beitragspflicht auf Antrag des einzelnen Arbeitnehmers nicht. In § 173 Abs. 1 AFG ist zwar eine sogenannte Befreiung von der Beitragspflicht vorgesehen, die jedoch seitens des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung durch Rechtsverordnung für eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern erfolgt und daher mit der durch Verwaltungsakt erteilten Befreiung in der Kranken- und Rentenversicherung nicht vergleichbar ist.
Schließlich steht dem Kläger auch keine andere Möglichkeit seiner Freistellung von der Beitragspflicht zur BA offen. Entgegen seiner Ansicht ist die Beklagte nicht befugt, ihm in ihrer Funktion als Einzugsstelle nach § 182 Abs. 1 AFG einen Bescheid über seine Beitragsfreiheit zu erteilen. Eine derartige Entscheidung der Beklagten wäre mit einer konstitutiven Befreiung des Klägers von der Beitragspflicht gleichzusetzen, die die Beklagte nach § 182 Abs. 1 AFG jedoch nicht erteilen kann. § 182 Abs. 1 AFG ermächtigt die Krankenkasse nur zu deklaratorischen Bescheiden über die Beitragspflicht, da das Gesetz konstitutive Beitragsbefreiungen nicht vorsieht.
Im übrigen besteht für eine Freistellung des Klägers von der Beitragspflicht zur BA auch kein sachlicher Grund. Auf Art. 14 GG kann der Kläger seine gegenteilige Auffassung nicht stützen. Weder rechtfertigt seine wirtschaftliche Sicherung als Ruhestandsbeamter eine Freistellung von der Beitragspflicht zur BA, denn diese besteht ungeachtet der wirtschaftlichen Stellung des einzelnen Arbeitnehmers, noch führt sein Argument, er nehme als Ruhegehaltsempfänger die Leistungen nach dem AFG nicht in Anspruch, zu einer anderen Betrachtung. Ebensowenig wie die Krankenversicherungspflicht richtet sich die Beitragspflicht zur BA nach der tatsächlichen Inanspruchnahme der Leistungen des Versicherungszweiges durch den einzelnen Versicherungs- bzw. Beitragspflichtigen. Verfassungsrechtliche Bedenken könnten sich allenfalls dann ergeben, wenn den Ruhegehaltsbeamten insgesamt die Leistungen nach dem AFG verschlossen wären. Dies ist jedoch nicht der Fall, denn zumindest die Beratungs- und Vermittlungsdienste der BA sowie die Leistungen zur Förderung der beruflichen Bildung stehen allen Ruhegehaltsempfängern offen.
Auch die Berufung des Klägers auf Art. 3 GG geht fehl. Zwar ist ihm darin beizupflichten, daß die Abhängigkeit der Beitragsfreiheit zur BA von der Versicherungsfreiheit in der Krankenversicherung zu einer Ungleichbehandlung der Ruhegehaltsempfänger mit Angestelltengehältern über der JAV-Grenze einerseits und der weniger verdienenden Ruhegehaltsempfänger andererseits führt. Die Beitragsfreiheit zur BA richtet sich zwar grundsätzlich nach der Versicherungsfreiheit in der Krankenversicherung (§ 169 Nr. 1 AFG). Ausgenommen von dieser Regelung sind jedoch die Arbeitnehmer, die nur wegen Überschreitens der JAV-Grenze in der Krankenversicherung versicherungsfrei sind. Sie unterliegen daher der Beitragspflicht nach dem AFG (§ 169 Nr. 1 a AFG). Folge dieser Regelung für den Kreis der Ruhegehaltsempfänger ist, daß diejenigen, die die JAV-Grenze übersteigen und sich nach § 173 RVO nicht von der Krankenversicherungspflicht befreien lassen können, beitragspflichtig zur BA sind, während die weniger verdienenden durch ihre Befreiung von der Krankenversicherungspflicht nach § 173 RVO beitragsfrei sind.
Diese Ungleichbehandlung führt nun nicht - wie der Kläger meint - zu einer Freistellung auch der nicht nach § 173 RVO von der Krankenversicherungspflicht befreiten Ruhegehaltsempfänger, denn für die Beitragspflicht dieses Personenkreises besteht ein sachlicher Grund. Als Arbeitnehmer haben auch die Ruhegehaltsempfänger an der Gesunderhaltung des Arbeitsmarktes ein unmittelbares Interesse. Daher unterliegen auch sie der nach dem AFG grundsätzlich für alle Arbeitnehmer bestehenden Beitragspflicht (§ 168 Abs. 1 AFG). Wenn in § 169 AFG auch Ausnahmen von diesem Grundsatz enthalten sind, so verbietet sich eine Erweiterung des von § 169 AFG erfaßten Personenkreises schon angesichts des Ausnahmecharakters dieser Vorschrift sowie insbesondere auch deshalb, weil § 169 Nr. 1 Buchst. a bis d den Kreis der beitragsfreien Arbeitnehmer selbst wieder begrenzt.
Nicht die beitragsrechtliche Regelung der Ruhegehaltsempfänger mit einem Gehalt über der JAV-Grenze nach dem AFG stellt eine Sonderregelung dar, sondern die Beitragsfreiheit der weniger verdienenden Ruhestandsbeamten. So bezieht das AFG neben den lediglich nach § 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO versicherungsfreien Ruhestandsbeamten - mit Ausnahme der Empfänger von Erwerbsunfähigkeitsrente (§ 169 Nr. 3 AFG) - auch alle als Arbeitnehmer beschäftigten Rentenempfänger in den Kreis der Beitragspflichtigen ein.
Ob gegen die Beitragsfreiheit der nach § 173 RVO von der Krankenversicherungspflicht befreiten Ruhestandsbeamten rechtliche Bedenken bestehen, kann dahinstehen. Sie beeinflußt die Beitragspflicht der Ruhegehaltsempfänger mit Gehältern über der JAV-Grenze nicht, wie schließlich auch die Gesetzesmaterialien zur Neufassung des § 169 Nr. 1 AFG durch das Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter vom 7. Mai 1975 (BGBl I 1061) bestätigen. Nach § 169 Nr. 1 AFG nF werden neben den bereits vor der Neuregelung des § 169 AFG beitragspflichtigen Ruhegehaltsempfängern auch die als Arbeitnehmer beschäftigten Ruhegehaltsempfänger, die nach § 173 RVO von der Krankenversicherungspflicht befreit sind, in die Beitragspflicht nach dem AFG einbezogen, da auch sie die Beratungs- und Vermittlungsdienste der BA, vor allem aber auch die Leistungen zur Förderung der beruflichen Bildung in gleicher Weise in Anspruch nehmen wie sonstige Arbeitnehmer (vgl. BT-Drucks. zu 7/1992 S. 17 unter Nr. 3).
Da der Kläger somit von der Krankenversicherungspflicht nach § 173 Abs. 1 RVO nicht befreit werden kann und er daher der Beitragspflicht zur BA unterliegt, war das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen