Entscheidungsstichwort (Thema)

Beiladung des BMA. verstärkter Grenzaufsichtsdienst als Ersatzzeit

 

Orientierungssatz

1. Eine Beiladung des BMA scheidet im sozialgerichtlichen Verfahren aus, weil auch der Beigeladene Beteiligter am Verfahren ist (§ 69 Nr 3 SGG) und dem BMA die Beteiligtenfähigkeit fehlt (§ 70 SGG; vgl BSG vom 1961-09-28 3 RK 72/57 = SozR Nr 13 zu § 70 SGG).

2. Eine beim verstärkten Grenzaufsichtsdienst zurückgelegte Zeit kann nicht als Ersatzzeit berücksichtigt werden, wenn der Einsatz zwar zeitweilig zur Unterstützung militärischer Maßnahmen erfolgte, dieser Einsatz aber die Verwendung für andere Zwecke nicht überwogen hat.

 

Normenkette

SGG § 75 Abs 2 Fassung: 1953-09-03; RVO § 1251 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1957-02-23; BVG § 3 Abs 1 Buchst d Fassung: 1976-06-22; SGG § 70

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 29.10.1979; Aktenzeichen L 2 J 186/78)

SG Trier (Entscheidung vom 16.08.1978; Aktenzeichen S 4 J 110/77)

 

Tatbestand

Der streitige Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit hängt davon ab, ob die vom Kläger während des zweiten Weltkrieges beim verstärkten Grenzaufsichtsdienst (VGAD) zurückgelegte Dienstzeit eine Ersatzzeit ist.

Der 1904 geborene Kläger trat 1938 in den Zolldienst ein. Im September 1940 kam er zu der Grenzaufsichtsstelle (GAST) T des VGAD an der deutsch-belgischen Grenze. Im Januar 1941 wurde er in den Bezirk des Oberfinanzpräsidenten für Niederschlesien abgeordnet und dort zunächst der GAST M, ab November 1942 der GAST L an der Ostgrenze des damaligen Generalgouvernements zur Sowjetunion zugeteilt. Von Juni 1943 bis Januar 1945 leistete er Dienst bei der GAST G in der als besetzt geltenden polnischen Provinz M an der Grenze zum Generalgouvernement. Anschließend befand er sich bis zum 10. April 1945 im Lazarett. Er verrichtete bis September 1947 andere Arbeiten und war dann wieder bis zur Pensionierung als Zollbeamter tätig.

Mit Bescheid vom 5. Juli 1974 lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers wegen Nichterfüllung der Wartezeit ab; es seien nur 47 Beitragsmonate zurückgelegt worden.

Zur Begründung der hiergegen erhobenen Klage brachte der Kläger vor, sein Dienst beim VGAD müsse als militärähnlicher Dienst bewertet und deshalb nach § 1251 Abs 1 Nr 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm § 3 Abs 1 Buchst d des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) als Ersatzzeit berücksichtigt werden; hierzu überreichte er schriftliche Auskünfte, Dokumente und gutachtliche Stellungnahmen. Er erklärte, in erster Linie Grenzdienst geleistet, Patrouillengänge durchgeführt sowie den Schmuggel bekämpft zu haben. Sie hätten als Angehörige des VGAD auf Gefangene achten müssen, die über den Bug nach Rußland flüchten wollten, und es sei ihre Aufgabe gewesen, dafür zu sorgen, daß die Polen ruhig blieben. Erst 1943/1944 seien sie auch in Gefechte mit polnischen und russischen Partisanen verwickelt worden.

Das Sozialgericht (SG) Trier hat die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz die Berufung zurückgewiesen und im Urteil vom 29. Oktober 1979 ausgeführt:

Die Wartezeit für die Erwerbsunfähigkeitsrente sei nicht erfüllt. Eine generelle Anerkennung des Dienstes im VGAD als militärähnlicher Dienst scheitere daran, daß er in § 3 Abs 1 BVG nicht genannt sei. In Betracht komme nur Buchst d der Vorschrift. Die vom Kläger vorgelegten Unterlagen machten deutlich, daß es keine zuverlässige für alle Teile des VGAD und alle Einsatzzeiten gültige Beurteilung geben könne. Der Kläger sei unter Zugrundelegung seiner vor dem SG gemachten Angaben nicht überwiegend zur Unterstützung militärischer Maßnahmen herangezogen worden. Den eingereichten Unterlagen des Bundesarchivs könne nichts Gegenteiliges entnommen werden, weil diese entweder nur allgemeine Darlegungen enthielten oder Gebiete beträfen, wo sich der Kläger nicht im Einsatz befunden habe.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, die bisher ergangenen Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) über die Anerkennung von VGAD-Zeiten hätten nicht alle beim Bundesarchiv befindlichen Unterlagen berücksichtigt. Hinsichtlich der vom LSG als maßgebend angesehenen konkreten Umstände sei auf eine bereits dem SG eingereichte Stellungnahme des Bundesarchivs vom 8. November 1977 zu verweisen. Im übrigen habe das LSG im Hinblick auf § 6 BVG den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) beiladen müssen.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

die Urteile der Vorinstanzen sowie den Bescheid

der Beklagten vom 5. Juli 1974 aufzuheben und diese

zu verpflichten, ihm unter Anerkennung der Zeit vom

17. Januar 1940 bis zum 10. April 1945 als Ersatzzeit

Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und eine Beiladung der Bundesrepublik Deutschland (BRD), vertreten durch den BMA, für jedenfalls nicht notwendig.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat mit Recht entschieden, daß wegen Nichterfüllung der Wartezeit kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit besteht. Die Dienstzeit des Klägers beim VGAD ab 17. Januar 1940 kann nicht nach § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO als Ersatzzeit berücksichtigt werden; denn es hat sich hierbei um keinen militärähnlichen Dienst iS des § 3 BVG gehandelt.

Die vom Kläger erhobene Rüge, das Berufungsgericht wäre zur - notwendigen - Beiladung des BMA verpflichtet gewesen, schon dies rechtfertige die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG, ist unberechtigt. Eine Beiladung des BMA scheidet im sozialgerichtlichen Verfahren ohnehin aus, weil auch der Beigeladene Beteiligter am Verfahren ist (§ 69 Nr 3 SGG) und dem BMA die Beteiligtenfähigkeit fehlt (§ 70 SGG; SozR Nr 13 zu § 70 SGG). Ob eine Beiladung der BRD, vertreten durch den BMA, wegen berechtigter Interessen (nach § 75 Abs 1 Satz 1 SGG) überhaupt in Betracht kommen konnte, ist unerheblich. Nur die unterbliebene notwendige Beiladung stellt einen (sogar von Amts wegen zu berücksichtigenden) Verfahrensmangel dar, der zur Zurückverweisung führt (SozR 1500 § 75 Nr 1; Meyer-Ladewig, SGG, § 75 RdNr 13). Hier war keine notwendige Beiladung geboten. Der Kläger stützt sich lediglich auf § 6 BVG, wonach in anderen als den in §§ 2, 3 und 5 bezeichneten, besonders begründeten Fällen mit Zustimmung des BMA das Vorliegen militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder unmittelbarer Kriegseinwirkung anerkannt werden kann. Abgesehen davon, daß § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO nur Zeiten militärischen und militärähnlichen Dienstes iS der §§ 2 und 3 BVG erfaßt, liegt insbesondere kein Fall des § 75 Abs 2, erste Alternative SGG vor. Die BRD ist an dem streitigen Rechtsverhältnis nicht derart beteiligt, daß die Entscheidung ihr gegenüber nur einheitlich ergehen kann; es fehlt am unmittelbaren Eingriff der Entscheidung in ihre Rechtssphäre.

Der in § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO als Bezugsvorschrift für militärähnlichen Dienst genannte § 3 BVG enthält in seiner Aufzählung keine Sonderbestimmung, die den Dienst im VGAD allgemein zum militärähnlichen Dienst erklärt. In Betracht kommen kann, wovon auch die Beteiligten ausgehen, nur § 3 Abs 1 Buchst d BVG. Danach ist militärähnlicher Dienst ua der Dienst der Beamten der Zivilverwaltung, die auf Befehl ihrer Vorgesetzten zur Unterstützung militärischer Maßnahmen verwendet wurden und damit einem militärischem Befehlshaber unterstellt waren.

Die Revision möchte in erster Linie erreichen, daß VGAD-Zeiten generell als militärähnlicher Dienst gelten. Sie beruft sich dazu ua auf die als "Geheime Reichssache" im September 1937 vom Reichsminister der Finanzen und dem Reichskriegsminister und Oberbefehlshaber der Wehrmacht herausgegebenen "Bestimmungen für die Vorbereitung eines Verstärkten Grenzaufsichtsdienstes ..." und die Materialsammlung des Bundesarchivs (Akten Band R 100 Anh/27), die das LSG beigezogen hatte, sowie eine Reihe weiterer Abhandlungen, Stellungnahmen und Erklärungen, die sich mit dem VGAD befassen. Dem ist zunächst entgegenzuhalten, daß der VGAD im Katalog des § 3 BVG nicht aufgeführt ist, daß aber - wollte man die beim VGAD zurückgelegten Zeiten gleichwohl ohne weiteres als Zeiten militärähnlichen Dienstes gelten lassen - dann im Ergebnis die erschöpfende Aufzählung des § 3 Abs 1 BVG praktisch um eine weitere Fallgruppe erweitert oder aber doch § 3 Abs 1 Buchst d auf einen bestimmten Personenkreis ohne Prüfung der einzelnen Voraussetzungen angewendet würde. Der Senat schließt sich dem 5. Senat des BSG an, der bereits in Urteilen vom 26. Januar 1978 - 5 RJ 102/77 - und 12. September 1980 - 5 RJ 128/79 - die generelle Berücksichtigung des Dienstes beim VGAD als militärähnlichen Dienst abgelehnt hat. Davon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat in diesem Zusammenhang mit Recht auf die Ausgestaltung des besonderen Grenzdienstes sowie auf dessen durch Wahrung zolldienstlicher und Unterstützung militärischer Aufgaben gekennzeichnete Doppelfunktion hingewiesen und dies an vom Kläger eingereichten Unterlagen und Archivmaterial erläutert.

Was die Tatbestandsmerkmale des § 3 Abs 1 Buchst d BVG im einzelnen anlangt, so hat es die Rechtsprechung nicht genügen lassen, wenn der Zollbeamte nur gelegentlich "zur Unterstützung militärischer Maßnahmen" verwendet wurde, sondern gefordert, daß diese Verwendung diejenige für andere Zwecke überwog (Urteile des BSG vom 20. Oktober 1977 - 11 RA 108/76 = BSG 45, 76 = SozR 2200 § 1251 Nr 38, vom 26. Januar 1978 - 5 RJ 34/77 = SozR aaO Nr 41 sowie 5 RJ 102/77 gleichen Datums und vom 12. September 1980 - 5 RJ 128/79 -); dabei sind militärische Maßnahmen im wesentlichen nur diejenigen, die der Kriegsführung selbst, nämlich der Vorbereitung und Durchführung von Angriffs- und Verteidigungshandlungen dienen (SozR 2200 § 1251 Nr 38 unter Hinweis auf SozR Nr 8 zu § 3 BVG).

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist der Sachverhalt vom LSG gewürdigt worden. Es hat sich mit den vielfältigen Erklärungen und Archivunterlagen auseinandergesetzt und ist zu dem Ergebnis gelangt, daß es sich entweder um Darlegungen allgemeiner Art handelt, die für den vorliegenden Fall keine Aufklärung bringen, oder um Schilderungen der Verhältnisse beim VGAD in Gebieten, in denen der Kläger nicht eingesetzt war. Deshalb hat das LSG nahezu ausschließlich die eigenen Angaben des Klägers zugrundegelegt und ist zu der Feststellung gelangt, daß dieser im Rahmen seiner Tätigkeit beim VGAD möglicherweise zeitweilig zur Unterstützung militärischer Maßnahmen eingesetzt war, daß dieser Einsatz aber die Verwendung für andere Zwecke jedenfalls nicht überwogen hat.

An diese tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gebunden. Der Kläger hat hiergegen keine begründeten Revisionsrügen erhoben (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Soweit er sich auf Teile einer ihm vom Bundesarchiv am 8. November 1977 erteilten Auskunft bezieht, ist darin nicht gesagt, in welcher Weise gerade er während der einzelnen Zeiträume mit seiner Einheit eingesetzt war. Mit dem weiteren Hinweis auf ein Urteil des BSG vom 2. Februar 1966 - 8 RV 857/64 (= SGb 1966 S 116) kann die Revision ebenfalls nicht die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts mit Erfolg angreifen, ungeachtet dessen, daß diese Entscheidung eine andere Fallgruppe - § 3 Abs 1 Buchst d BVG - betrifft. Allenfalls läßt sich dem Vorbringen in diesem Zusammenhang, die Partisanenbekämpfung sei eine militärische Aufgabe, entnehmen, dem Kläger seien solche Aufgaben übertragen worden. Indessen hat bereits das LSG Feststellungen in dieser Richtung getroffen bzw vom SG übernommen und jedenfalls nicht in Abrede gestellt, daß es sich hierbei um Unterstützung militärischer Maßnahmen gehandelt habe. Da von der Revision weder etwas über das zeitliche Ausmaß der Partisanenbekämpfung noch das Überwiegen derartiger Maßnahmen dargelegt worden ist, können die gegenteiligen Feststellungen des LSG um so weniger als erschüttert gelten.

Im übrigen hat die Revision zwar ausgeführt, wie nach ihrer Meinung der Sachverhalt zu würdigen gewesen wäre, ohne jedoch darzutun, daß das LSG die Grenzen der freien Beweiswürdigung (§ 128 SGG) nicht beachtet, insbesondere gegen Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen hätte. Das Vorbringen betrifft nicht den Gang des Verfahrens, sondern den Inhalt der getroffenen Entscheidung.

Somit kann die vom Kläger beim VGAD zurückgelegte Zeit nicht als Ersatzzeit berücksichtigt werden; der gleichen Beurteilung muß dann die Anschlußzeit im Lazarett unterliegen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657178

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