Entscheidungsstichwort (Thema)
gesetzliche Unfallversicherung. Aufsichtsrecht. Rechtsverletzung. Amtspflichtverletzung. haftungsbegründendes Verschulden. Berufskrankheit. Rückwirkungsklausel. Stichtagsregelung. Vorwirkung. Verordnungsentwurf
Leitsatz (amtlich)
- Die Aufsichtsbehörde kann den Sozialversicherungsträger nicht zur Gewährung von Sozialleistungen verpflichten, für die es im Zeitpunkt des Erlasses der Aufsichtsanordnung keine Rechtsgrundlage gibt.
- Der Vorwurf einer Amtspflichtverletzung rechtfertigt eine Verpflichtung zu Schadensersatzleistungen im Wege einer Aufsichtsanordnung jedenfalls nicht, wenn der Sozialversicherungsträger sich bei unklarer Rechtslage nach gewissenhafter Prüfung für eine rechtlich vertretbare Lösung entschieden hat.
Normenkette
SGB IV § 87 Abs. 1 S. 2, § 89 Abs. 1 Sätze 1-2; RVO § 551; BKV § 6 Abs. 1; BGB § 839 Abs. 1; GG Art. 34
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. November 2001 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines aufsichtsrechtlichen Verpflichtungsbescheides.
Unter dem 1. August 1995 machte das damalige Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) die Empfehlung samt Begründung seines Ärztlichen Sachverständigenbeirats – Sektion “Berufskrankheiten” – (Sachverständigenbeirat) bekannt, in die Berufskrankheitenliste (Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung) unter der Nr 4111 eine neue Berufskrankheit mit der Definition “Chronische obstruktive Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlenbergbau bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Feinstaubdosis von in der Regel 100 (≪mg/m(3)≫ × Jahre)” aufzunehmen (BArbBl 1995, Heft 10, S 39). Dieser Empfehlung folgte die Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) vom 31. Oktober 1997 (BGBl I, 2623), die am 28. August 1997 von der Bundesregierung beschlossen wurde und am 1. Dezember 1997 in Kraft trat (§ 8 Abs 1 BKV). Wie schon in dem vom BMA im Mai 1997 erstellten Referentenentwurf vorgesehen, enthält die BKV eine mit einem Stichtag verbundene Rückwirkungsklausel (Stichtagsregelung): Wegen der genannten Krankheit werden nur diejenigen Versicherungsfälle entschädigt, die nach dem 31. Dezember 1992 (dh nach Inkrafttreten der letzten Änderung der alten Berufskrankheiten-Verordnung ≪BKVO≫) eingetreten sind (§ 6 Abs 1 BKV in der bis zum 30. September 2002 geltenden Fassung, jetzt § 6 Abs 2 BKV).
Die klagende Berufsgenossenschaft (BG) hatte nach Bekanntmachung der Empfehlung des Sachverständigenbeirats die genannte Krankheit nach § 551 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) entschädigt, unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt die Krankheit eingetreten war. Diese Praxis änderte die Klägerin nach Bekanntwerden des Verordnungsentwurfs im Juli 1997; bis zum Inkrafttreten der Verordnung lehnte sie in ca 580 Fällen Ansprüche ab und berief sich auf die in der beabsichtigten Neuregelung enthaltene Stichtagsregelung. Hiergegen erhob das Bundesversicherungsamt (BVA) mit Schreiben vom 29. August und 4. November 1997 rechtliche Bedenken. Die Klägerin erwiderte, es handele sich um eine bisher ungeklärte Rechtsfrage; in mehreren bereits anhängigen Klageverfahren werde eine schnelle gerichtliche Klärung erstrebt. Eine Erörterung zwischen den Beteiligten am 25. November 1997 blieb erfolglos. Nach Inkrafttreten der neuen BKV vertrat das BVA die Auffassung, den betroffenen Versicherten stehe ein Schadensersatzanspruch nach § 839 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), Art 34 Grundgesetz (GG) zu; es forderte die Klägerin auf, die entsprechenden Leistungen den Betroffenen im Wege des Schadensersatzes zu gewähren. Mit Schreiben vom 19. Mai 1998 setzte es der Klägerin eine Frist von sechs Wochen, dieser Auffassung zu entsprechen, andernfalls werde ein förmlicher Verpflichtungsbescheid erlassen. Nachdem die Klägerin auf ihrer Rechtsauffassung beharrte, erging mit Anordnung der sofortigen Vollziehung der Bescheid vom 23. Juli 1998. Die Klägerin wurde darin verpflichtet, “in allen Fällen, in denen auf Grund der vorgreiflichen Anwendung der Stichtagsregelung (§ 6) der Berufskrankheitenverordnung (BKV) in der Fassung vom 31. Oktober 1997 der Antrag der Versicherten auf Entschädigung der chronischen obstruktiven Bronchitis oder des Emphysems von Bergleuten unter Tage im Steinkohlenbergbau nach § 551 Abs 2 RVO bzw § 9 Abs 2 SGB VII abgelehnt wurde, die Feststellungsverfahren mit dem Ziel wieder zu eröffnen, den Betroffenen im Wege des Schadensersatzes nach § 839 BGB, Art 34 GG die im Einzelnen zu ermittelnden Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren und diese Verfahrensaufnahme dem Bundesversicherungsamt unverzüglich schriftlich zu bestätigen”.
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 29. September 1998 die Aufsichtsanordnung vom 23. Juli 1998 aufgehoben. Die Beklagte habe der Klägerin keine Schadensersatzleistungen an die Versicherten auferlegen dürfen, weil diesen solche nicht zustünden; das Verhalten der Klägerin sei jedenfalls nicht schuldhaft, weil sie keinen unvertretbaren Standpunkt eingenommen habe; außerdem habe die Beklagte nicht durch eine Aufsichtsmaßnahme den zahlreichen anhängigen Klageverfahren vor den Sozialgerichten vorgreifen dürfen.
Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte den Bescheid vom 10. Dezember 1998 erlassen, mit dem sie den Bescheid vom 23. Juli 1998 geändert und die Worte “im Wege des Schadensersatzes nach § 839 BGB, Art 34 GG” gestrichen hat. Zur Begründung hat sie angegeben, sie wolle verhindern, dass andere hilfsweise geltend gemachte Anspruchsgrundlagen ignoriert würden. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten durch Urteil vom 29. November 2001 zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte habe mit den in dem Bescheid vom 23. Juli 1998 idF des Bescheids vom 10. Dezember 1998 getroffenen Anordnungen ihr Aufsichtsrecht gemäß § 89 Abs 1 Satz 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) überschritten. Die Aufsichtsanordnung sei zwar formell ordnungsgemäß zu Stande gekommen, und sie sei auch trotz der anhängigen Klageverfahren, die die behauptete Rechtsverletzung betroffen hätten, statthaft gewesen. Die Verpflichtungsanordnung sei aber rechtswidrig. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob das beanstandete Vorgehen der Klägerin eine Rechtsverletzung iS des § 89 Abs 1 SGB IV darstelle, und ob die Beklagte von ihrem Entschließungsermessen im Sinne eines aufsichtsrechtlichen Einschreitens hätte Gebrauch machen dürfen. Denn sie habe ihr Aufsichtsrecht jedenfalls dadurch überschritten, dass sie der Klägerin eine Verpflichtung auferlegt habe, für die es keinen Rechtsgrund gebe; zudem sei die Aufsichtsanordnung unbestimmt bzw unverhältnismäßig. Im Bescheid vom 23. Juli 1998 werde ausschließlich die Leistung von Schadensersatz – zur Erfüllung eines deliktischen Anspruchs – auferlegt; diese Verpflichtung sei durch den Bescheid vom 10. Dezember 1998 nicht entfallen. Die Voraussetzungen für einen Amtshaftungsanspruch seien indes nicht erfüllt, auch wenn unterstellt werde, die Klägerin habe Leistungen nach § 551 Abs 2 RVO nicht mit Rücksicht auf den Tag des Eintritts des Versicherungsfalls ablehnen dürfen. Denn insoweit sei die Rechtslage keineswegs klar gewesen, weshalb der Senat in seiner eigenen Entscheidung vom 27. Oktober 1997 (L 2 B-U 82/97) der Frage der vorgreiflichen Anwendung der Stichtagsregelung auch grundsätzliche Bedeutung beigemessen habe. Das für den Amtshaftungsanspruch erforderliche Verschulden fehle aber, wenn die handelnde Körperschaft, wie hier die Klägerin, ihre Rechtsansicht nach rechtlicher Prüfung gewonnen habe. Die Anordnung ließe sich daher nur halten, wenn alle Versicherten einen anderen als einen deliktischen Anspruch hätten. Dies sei aber gerade nicht der Fall; denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) könnten Versicherte eine Entschädigung wegen einer Berufskrankheit, die in die Liste aufgenommen worden sei, nicht mehr nach § 551 Abs 2 RVO verlangen und auch keine Rechte aus § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) oder dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch herleiten. Die Anordnung verpflichte damit die Klägerin zu einer vom Gesetz nicht vorgesehenen Leistung. Im Übrigen erfasse die Anordnung auch solche Sachverhalte, in denen die Klägerin Ansprüche auch mit Rücksicht auf die Stichtagsregelung abgelehnt habe, daneben aber weitere Ablehnungsgründe wie zB Fehlen der arbeitstechnischen Voraussetzungen oder der Kausalität angeführt oder nicht geprüft habe. Wenn es nach der Anordnung der Beklagten bei einer Überprüfung der übrigen Voraussetzungen hätte verbleiben sollen, wäre immer noch offen, wie die Klägerin zu verfahren hätte, wenn sie bei erneuter Überprüfung zu der Auffassung gelange, dass früher angenommene Anspruchsvoraussetzungen nicht vorlägen. Damit, auch solche Fälle in die Entschädigungspflicht einzubeziehen, sei die Anordnung ebenfalls über eine legitime Zielsetzung hinausgegangen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 89 SGB IV. Sie trägt vor, entgegen der Auffassung des LSG sei die Aufsichtsanordnung rechtmäßig. Grundlage für die Erbringung der darin verlangten Leistungen an die Versicherten sei ein Amtshaftungsanspruch nach Art 34 GG, § 839 BGB, dessen Voraussetzungen auch erfüllt seien. Mit der Änderung ihrer Verwaltungspraxis hinsichtlich der Ansprüche aus § 551 Abs 2 RVO im Vorgriff auf die noch nicht in Kraft getretene BKV habe die Beklagte ihre Amtspflichten gegenüber den davon betroffenen Versicherten schuldhaft verletzt. Die Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns ergebe sich aus der eindeutigen Formulierung des Gesetzes. Dementsprechend habe auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Entscheidung vom 9. Oktober 2000 (SozR 3-2200 § 551 Nr 15) ausgeführt, dass der Vorrang der Anerkennungsentscheidung des Verordnungsgebers erst zur Geltung komme, wenn die Regelungen der jeweiligen Verordnung über ihren zeitlichen Anwendungsbereich in Kraft getreten seien; bis zum Inkrafttreten der jeweiligen Änderungs-VO habe der UV-Träger nach § 551 Abs 2 RVO zügig zu entscheiden. Diese Rechtslage sei zum Zeitpunkt des Handelns der Klägerin offensichtlich gewesen; denn das BVerfG sei – wie im Bescheid vom 23. Juli 1998 erläutert – auch zuvor schon davon ausgegangen, dass ein noch nicht in Kraft getretenes Gesetz keine Wirkungen ausübe; dies gelte auch für eine Rechtsverordnung wie die BKV. Entgegen der Sollvorschrift des § 551 Abs 2 RVO habe die Klägerin die Anerkennung nicht nur in Ausnahmefällen verweigert. Die Rechtsansicht, eine Verwaltungsentscheidung zu § 551 Abs 2 RVO müsse vor Inkrafttreten der neuen Berufskrankheitenliste die bekannten Fristen berücksichtigen, hätte von der Klägerin nach gewissenhafter rechtlicher Prüfung ihrer Entscheidung nicht zu Grunde gelegt werden dürfen; sie stehe offensichtlich in Widerspruch zur geltenden Rechtslage. Die Aufsichtsanordnung leide auch nicht an einem Ermessensfehler. Das BVA habe einschreiten dürfen, da grundsätzlich kein Nachrang der Rechtsaufsicht gegenüber anhängigen Gerichtsverfahren bestehe, auch habe die Klägerin keine Überprüfung für alle Fälle nach gerichtlicher Klärung zugesichert. Die auf Ausgleich eines Schadens wegen Amtspflichtverletzung gerichtete Anordnung habe auch nicht in laufende Verfahren eingegriffen, bei denen es um Entschädigungsansprüche aus § 551 Abs 2 RVO – nicht jedoch um Amtshaftungsansprüche – gegangen sei. Die Aufsichtsanordnung sei auch nicht unbestimmt und/oder unverhältnismäßig. Sofern die Entschädigungsansprüche an anderen Voraussetzungen als der Stichtagsregelung scheiterten, bestehe auch kein Amtshaftungsanspruch.
Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung ihren Änderungsbescheid vom 10. Dezember 1998 zurückgenommen. Sie beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. November 2001 und das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 29. September 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. November 2001 zurückzuweisen.
Sie erklärt, die Beklagte nehme im vorliegenden Fall in einer – wie die verschiedenen Urteile der Instanzgerichte zeigten – umstrittenen Rechtsfrage sowie bei fortbestehend ungeklärter Rechtslage rechtswidrig ein aufsichtsbehördliches Interpretationsmonopol in Anspruch. In der Begründung der Anordnung seien zudem wesentliche Abwägungsgesichtspunkte nicht erkannt und nicht einbezogen worden. Außerdem sei die Anordnung unbestimmt, weil sie einerseits auf privatrechtlichen Schadensersatz in Geld, andererseits aber auf Wiedereröffnung der Feststellungsverfahren gerichtet sei. Indem sie die Amtshaftungsansprüche in den Regelungsgehalt der Anordnung aufgenommen habe, habe die Beklagte allerdings die Feststellung der deliktischen Amtshaftungsansprüche zur Hauptsache gemacht. Darüber zu entscheiden, sei sie aber funktionell unzuständig. Deswegen und weil er von der Klägerin etwas rechtlich und tatsächlich Unmögliches, nämlich die Beseitigung rechtswidriger hoheitlicher Fehler im Wege des deliktischen Schadensersatzes, verlange, sei der Bescheid vom 23. Juli 1998 nichtig.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat die Berufung gegen das der Klage stattgebende Urteil des SG im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.
Nachdem die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat ihren Änderungsbescheid vom 10. Dezember 1998 aufgehoben hat, ist Gegenstand der Überprüfung durch das Revisionsgericht allein der Ausgangsbescheid vom 23. Juli 1998 (vgl insbes BFH Urteil vom 3. August 2000 – III R 22/96 – BFH/NV 2001, 602, 604 mwN aus der Rspr des BFH; s auch BSG Urteil vom 21. Februar 1985 – 11 RA 2/84 – BSGE 58, 49, 54 = SozR 1300 § 45 Nr 15, S 42 ≪zur Rücknahme eines Vormerkungsbescheids≫; BVerwG Urteil vom 3. November 1998 – 9 C 51/97 – NVwZ-RR 1999, 277). Bei der dagegen gerichteten Anfechtungsklage der Klägerin handelt es sich um eine Aufsichtsklage nach § 54 Abs 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Danach kann die Klägerin als der staatlichen Aufsicht unterworfene bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 29 Abs 1, § 87 Abs 1 Satz 1, § 90 Abs 1 SGB IV) die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde (hier das BVA, § 90 Abs 1 SGB IV) begehren, wenn sie behauptet, die Anordnung überschreite das Aufsichtsrecht. Das war hier der Fall.
Nach § 87 Abs 1 Satz 2 SGB IV erstreckt sich die Aufsicht auf die Beachtung von Gesetz und sonstigem Recht, das für den Versicherungsträger maßgebend ist. Wird durch das Handeln oder Unterlassen eines Versicherungsträgers das Recht verletzt, soll die Aufsichtsbehörde zunächst beratend darauf hinwirken, dass der Versicherungsträger die Rechtsverletzung behebt (§ 89 Abs 1 Satz 2 SGB IV). Kommt der Versicherungsträger dem innerhalb einer angemessenen Frist nicht nach, kann ihn die Aufsichtsbehörde verpflichten, die Rechtsverletzung zu beheben. Der Erlass einer Aufsichtsanordnung ist danach ein an den Versicherungsträger gerichteter Verwaltungsakt, der im (pflichtgemäßen) Ermessen der Aufsichtsbehörde (“kann”) steht und neben einer Rechtsverletzung des Versicherungsträgers voraussetzt, dass dessen vorangegangene Beratung nicht zur Behebung der Rechtsverletzung geführt hat. Der Ausgangsbescheid vom 23. Juli 1998 erfüllt zwar nach den tatsächlichen, das BSG bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG die Anforderung einer ordnungsgemäßen Beratung. Es fehlt jedoch an einer die Anordnung rechtfertigenden Rechtsverletzung.
1. Als Rechtsverletzung der Klägerin nennt der Aufsichtsbescheid der Beklagten (vgl Ziff 2 der Begründung) die “vorgreifliche Anwendung der Stichtagsregelung vor Inkrafttreten der BKV in der Fassung vom 31. Oktober 1997 am 1. Dezember 1997”. Im Zeitpunkt seines Erlasses am 23. Juli 1998 stellte diese Verfahrensweise jedoch keine Rechtsverletzung iS des § 89 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB IV mehr dar. Die neue Verordnung mit der Rückwirkungsklausel des § 6 Abs 1 BKV war bereits am 1. Dezember 1997 in Kraft getreten. Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt war das der Klägerin vorgeworfene Verhalten nicht (mehr) rechtswidrig. Denn § 6 BKV stellt eine Spezialregelung dar, die sämtliche noch schwebende Verfahren ergreift und die Zuerkennung eines darüber hinausgehenden Leistungsanspruchs verhindert. Dies hat der Senat in seiner Entscheidung vom 30. September 1999 (B 8 KN 5/98 U R – BSGE 85, 24 ff = SozR 3-2200 § 551 Nr 13) zum Leistungsantrag eines Versicherten, der 1996, dh zeitlich noch unter der alten Rechtslage, gestellt worden war, im Rahmen der Prüfung eines Anspruchs aus § 44 SGB X im Einzelnen begründet. Entsprechend dem Sinn und Zweck der Rechtsaufsicht nach § 89 Abs 1 SGB IV, die Verwaltung zu einem (aktuell) gesetzmäßigen Verhalten zu veranlassen und ggf zu verpflichten, hatte sich damit für den Verpflichtungsbescheid vom 23. Juli 1998 der hierin genannte Anlass bereits erledigt. Wie oben dargelegt, richtet sich die durch eine Aufsichtsanordnung ausgesprochene Verpflichtung darauf, eine “Rechtsverletzung zu beheben”, wobei es für eine Rechtsverletzung auf das für den Versicherungsträger maßgebliche Recht ankommt. Ist der Rechtsverstoß aber bereits behoben, erübrigt sich ein aufsichtsrechtliches Einschreiten (Stößner, Die Staatsaufsicht in der Sozialversicherung, 2. Aufl 1978, S 56; für den umgekehrten Fall, dass ein ursprünglich rechtmäßiges Verwaltungshandeln durch spätere Rechtsänderung rechtswidrig wird, offen gelassen im Urteil des BSG vom 28. November 2002 – B 7/1 A 2/00 R – BSGE 90, 162, 165 = SozR 3-2500 § 284 Nr 1); die Aufsichtsbehörde kann den Versicherungsträger nicht zur Gewährung von Leistungen verpflichten, wenn es dafür keine Rechtsgrundlage (mehr) gibt.
2. Allerdings ist zu prüfen, ob sich der Verpflichtungsbescheid vom 23. Juli 1998 nicht gegen eine weitere Rechtsverletzung richtete, die bei seinem Erlass noch fortdauerte. Die Rechtsverletzung könnte darin bestehen, dass die Klägerin es unterlassen hat, Schadensersatzansprüche nach § 839 BGB, Art 34 GG der betroffenen Versicherten wegen einer Amtspflichtverletzung zu erfüllen. Ob dies einer Auslegung des Bescheids – im Gesamtzusammenhang von Entscheidungssatz und Gründen – zu entnehmen oder insoweit eine Umdeutung (§ 43 SGB X) möglich ist, kann jedoch offen bleiben. Auch mit einem derartigen Inhalt wäre der Bescheid als rechtswidrig aufzuheben.
a) Der Senat lässt dahinstehen, ob die Rechtsaufsicht der Beklagten Rechtsverletzungen dieser, dem Zivilrecht angehörenden Art erfasst, und des Weiteren, ob insoweit wenigstens ein besonderes öffentliches Interesse zum Einschreiten erforderlich oder jedenfalls ein Einschreiten dann ausgeschlossen ist, wenn die Betroffenen unmittelbar Klagemöglichkeiten gegenüber dem Sozialversicherungsträger haben (vgl dazu BSG Urteil vom 18. Mai 1988 – 1/8 RR 36/83 – BSGE 63, 173, 176 = SozR 2200 § 182 Nr 112 mwN) oder, solange noch nicht abschließend über eine Klage entschieden worden ist, die sich gegen die ablehnende Entscheidung richtet, in der hier das den Haftungsanspruch auslösende Verwaltungshandeln gesehen werden müsste (zum Einschreiten der Aufsichtbehörde während eines noch anhängigen Klageverfahrens vgl BSG Urteile vom 27. Oktober 1966 – 3 RK 27/64 – BSGE 25, 224 und vom 28. August 1970 – 3 RK 14/68 – SozR Nr 3 zu § 30 RVO und vom 30. Oktober 1979 – 2 RU 20/79 – SozR 2200 § 627 Nr 7; Stößner, aaO, S 40 f; Schmidinger, SozVers 1989, 113; Schirmer/Kater/Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Kennzahl 230 S 1 ff, Stand Januar 2001; Marschner/Pohl, SGb 2003, 420, 422). Denn auch wenn solche Einschränkungen des Aufsichtsrechts hier zu verneinen wären, könnte der Verpflichtungsbescheid vom 23. Juli 1998 keinen Bestand haben, weil gegen die Klägerin – wie die Vorinstanzen bereits zutreffend ausgeführt haben – Amtshaftungsansprüche nicht gegeben sind.
b) Ein Schadensersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung, für den die Klägerin nach Art 34 GG einzustehen hätte, setzt nach § 839 Abs 1 BGB ua voraus, dass ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt hat.
Zweifelhaft ist insoweit zunächst, ob das Inkrafttreten der Rückwirkungsklausel in § 6 BKV nicht auch eine mögliche Amtspflichtverletzung durch die frühere Ablehnung seinerzeit noch (unterstelltermaßen) berechtigter Leistungsansprüche entfallen lässt. Die Rechtsprechung des BGH zur Änderung der Rechtslage nach einer ursprünglichen Amtspflichtverletzung ist insoweit nicht eindeutig (vgl einerseits zum Fall, dass das Fehlen der Rechtsgrundlage für einen Gebührenbescheid nachträglich durch Erlass einer wirksamen Satzung behoben wurde, Urteil vom 13. Oktober 1994 – III ZR 24/94 – BGHZ 127, 223 ff mit kritischer Anmerkung von Oebbecke, JR 1995, 500 sowie Schmidt, LM BGB § 839 ≪Fe≫ Nr 137 und andererseits Urteile vom 23. Januar 1992 – III ZR 191/90 – NVwZ 1993, 299 und vom 12. Juli 2001 – III ZR 282/00 – NVwZ 2002, 124 – zur Verzögerung der Bescheidung einer Bauvoranfrage bis zum Wirksamwerden eines dem ursprünglich planungsrechtlich zulässigen Bauvorhaben gegenläufigen Planfeststellungsbeschlusses). Selbst wenn § 6 BKV einem Amtshaftungsanspruch nicht entgegenstünde und eine Aufsichtsanordnung zu seiner Erfüllung ungeachtet noch anhängiger gerichtlicher Verfahren über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns zulässig wäre, fehlt es – wenn nicht bereits an der Verletzung einer Amtspflicht, dh der objektiven Rechtswidrigkeit – zumindest am haftungsbegründenden Verschulden.
Bei der Rechtsanwendung hat jeder Inhaber eines öffentlichen Amts die Rechtslage mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen und sich danach auf Grund vernünftiger Überlegungen eine Meinung zu bilden. Nicht jeder objektive Rechtsirrtum begründet dann einen Schuldvorwurf. Wenn die nach sorgfältiger Prüfung gewonnene Rechtsansicht des Amtsträgers als rechtlich vertretbar angesehen werden kann und er daran bis zur gerichtlichen Klärung der Rechtslage festhält, kann aus der Missbilligung seiner Rechtsauffassung durch die Gerichte ein Schuldvorwurf nicht hergeleitet werden (BGH stRspr vgl Urteile vom 8. Oktober 1992 – III ZR 220/90 – BGHZ 119, 365, 370, vom 17. März 1994 – III ZR 27/93 – NJW 1994, 3158 und vom 3. Februar 2000 – III ZR 296/98 – BGHZ 143, 362, 371 sowie Beschluss vom 28. September 1995 – III ZR 202/94 – NVwZ-RR 1996, 65, 66; Papier in Münchner Komm zum BGB, 1997, § 839 RdNr 285 ff mwN; Wurm in Staudinger, Komm zum BGB, § 839 RdNr 203, 209 ff, Stand April 2002).
Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, bestand zur Zeit der vom BVA als rechtswidrig angesehenen Leistungsablehnungen eine unklare Rechtslage. Die Frage, ob die von der Klägerin in Anspruch genommene “vorgreifliche” Anwendung der bereits im Verordnungsentwurf enthaltenen Stichtagsregelung rechtmäßig war, ließ sich nicht eindeutig aus dem Gesetz beantworten, und eine höchstrichterliche Entscheidung lag dazu nicht vor. Die Frage ist auch heute noch nicht abschließend entschieden. Zwar hat eine Rechtsverordnung wie ein Gesetz Rechtswirksamkeit erst mit dem Inkrafttreten. Davon unabhängig ist indes die Frage ihrer “Vorwirkung” zu beantworten, insbesondere, ob die Verwaltung zur vorherigen Berücksichtigung einer sich selbst Rückwirkung beimessenden Norm nach dem bereits geltenden Recht – unmittelbar oder mittelbar auf Grund eines allgemeinen Prinzips (vgl Ricke, SGb 1997, 482, 484) – im Sinne einer “Voranwendung” oder “Vorberücksichtigung” (zu diesen Begriffen vgl Kloepfer, Die Vorwirkung von Gesetzen, 1973, S 22 f, 94, 161; ders, DÖV 1973, 657, 661, 663; zum Begriff der Vorwirkung auch Neuner in Festschrift für Canaris, 2002, S 83, 85 f) berechtigt ist oder das geltende Recht einer solchen Vorgehensweise entgegensteht. Der erkennende Senat hat diese Frage hinsichtlich der Rückwirkungsregelung in einer Verordnung nach § 551 Abs 1 RVO/§ 9 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) in seinem Urteil vom 30. September 1999 (B 8 KN 5/98 U R – BSGE 85, 24, 32 = SozR 3-2200 § 551 Nr 13, S 56) ebenso offen gelassen wie zuvor schon der 2. Senat des BSG im Urteil vom 14. November 1996 (2 RU 9/96 – BSGE 79, 250, 256 = SozR 3-2200 § 551 Nr 9, S 26).
aa) In seinem Urteil vom 30. September 1999 (aaO BSGE 85, 24, 32 = SozR 3-2200 § 551 Nr 13, S 56) – das Leistungsansprüche der Versicherten gegenüber der BG zum Gegenstand hatte – hat der Senat ausgeführt, auf die vom 2. Senat offen gelassene Frage, ob der Unfallversicherungsträger eine noch nicht in Kraft getretene, jedoch im Entwurf einer neuen Änderungs-Verordnung vorgesehene Rückwirkungsklausel bereits bei der Entscheidung über einen Anspruch nach § 551 Abs 2 RVO “im Vorgriff” zu berücksichtigen habe, komme es nicht mehr an, wenn “vor Abschluss des Gerichtsverfahrens die Ergänzung der BK-Liste mit einer entsprechenden Rückwirkungsklausel in Kraft” sei; über die Berechtigung einer solchen Vorgehensweise wäre gerichtlich nur dann zu entscheiden, wenn zuvor die geplante Rechtsänderung noch nicht stattgefunden hätte.
Der Senat hat dann allerdings Ausführungen zur Wirksamkeit der Rückwirkungsklausel hinsichtlich der BK Nr 4111 gemacht, die sich für die Auffassung der Beklagten hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der vorgreiflichen Anwendung des Stichtags anführen lassen. Denn danach ist für die Frage, ob der Stichtag sachgerecht gewählt ist, der gesamte Zeitraum zwischen dem Stichtag und dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung zu betrachten. Die Rückwirkung kann unzureichend sein, wenn sich bei einem im Interesse der Gleichbehandlung und Rechtssicherheit generell geeigneten Stichtag ergibt, dass bei einer bestimmten Krankheit nur einem unverhältnismäßig kleinen Kreis der einschlägig Erkrankten eine Entschädigung zusteht, und ferner, wenn es sich bei den Ansprüchen, die vor Inkrafttreten der BKV geltend gemacht wurden, über die aber erst danach abschließend entschieden worden ist, nicht nur um Ausnahmefälle handelt, die im Interesse der Gründe, die den Verordnungsgeber bei Erlass der Verordnung zur Bestimmung des Rückwirkungszeitraums geleitet haben, als vereinzelt und rechtlich unerheblich hinzunehmen sind (Senatsurteil aaO – BSGE 85, 24, 28, 34 = SozR 3-2200 § 551 Nr 13, S 54, 58). Ähnlich hat der 2. Senat in seinem Urteil vom 24. Februar 2000 (B 2 U 43/98 R – SozR 3-2200 § 551 Nr 14, S 65) bei Prüfung des Stichtags hinsichtlich der Berufskrankheit Nr 1317 auch darauf abgestellt, ob die zeitliche Länge der Rückwirkung (zwischen Stichtag und Inkrafttreten der Verordnung) erwarten ließ, dass alle vor der Neufassung begonnenen Verfahren, in denen Versicherungsfälle vor dem Stichtag geltend gemacht wurden, bis zum Inkrafttreten der Neufassung abgeschlossen sein würden. Geht man hiervon aus, kann die vorgreifliche Anwendung des im Verordnungsentwurf enthaltenen Stichtags den für die Verfassungsmäßigkeit der Rückwirkung maßgeblichen Zeitraum verkürzen.
bb) Ebenso wie das zuletzt genannte Urteil des 2. Senats des BSG ist das hier in Rede stehende Senatsurteil indes erst lange nach dem Zeitpunkt der hier diskutierten Amtspflichtverletzung ergangen. In dem von der Beklagten für ihre Auffassung angeführten Urteil des 2. Senats des BSG vom 14. November 1996 (aaO BSGE 79, 250 = SozR 3-2200 § 551 Nr 9) war darüber entschieden worden, ob es (1) für die Entschädigung einer in der Liste der BKVO idF der 2. Änderungs-Verordnung vom 18. Dezember 1992 (BGBl I, 2343) noch nicht aufgeführten Kehlkopfkrebserkrankung nach § 551 Abs 2 RVO ausreicht, dass die erforderlichen neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht schon im Zeitpunkt der Erkrankung, sondern erst im Zeitpunkt der Entscheidung über den Entschädigungsanspruch vorliegen, und ob im letzteren Fall (2) die Entschädigung jedenfalls durch eine begrenzte Rückwirkung entsprechend dem Stichtag der vorhergehenden Änderungs-Verordnung ausgeschlossen ist. Der 2. Senat hat die Frage (1) bejaht und die Frage (2) verneint. Er hat ausgeführt, die Rückwirkungsklausel der 2. Änderungs-Verordnung sei weder unmittelbar noch analog anzuwenden; die Festlegung eines Stichtags für eine begrenzte Rückwirkung sei als Akt der Rechtssetzung jedenfalls grundsätzlich dem Gesetzgeber oder dem von ihm ermächtigten Verordnungsgeber vorbehalten. Die Entscheidung befasst sich jedoch ausdrücklich nicht mit der Verfassungsmäßigkeit einer vom Verordnungsgeber verfügten Rückwirkungsklausel und enthält keine darauf bezogenen Aussagen zur Verletzung des Gleichheitssatzes. Insoweit wird vielmehr ausgeführt, es könne offen bleiben, inwieweit der Gleichheitssatz durch die derzeit gebotene Anerkennung eines Kehlkopfleidens wie eine Berufskrankheit nach § 551 Abs 2 RVO verletzt sei, “falls zu einem späteren Zeitpunkt die gleichen Leiden anderer Versicherter nach Aufnahme in die BK-Liste wegen einer möglicherweise vom Verordnungsgeber angeordneten begrenzten Rückwirkung als entschädigungspflichtig abzulehnen” seien. Insbesondere hat der 2. Senat damals dahinstehen lassen, ob und inwieweit nach Vorliegen eines Entwurfs einer neuen Änderungs-Verordnung die Unfallversicherungsträger möglicherweise darin vorgesehene Klauseln und Fristen bei der Entscheidung über einen Anspruch nach § 551 Abs 2 RVO “im Vorgriff” zu berücksichtigen hätten; der Entwurf einer solchen Änderungs-Verordnung liege bisher nicht vor.
Hieraus ergibt sich mit der erforderlichen Deutlichkeit, dass nicht bereits auf Grund dieser Entscheidung die beschriebene vorgreifliche Berücksichtigung als unzulässig anzusehen war. Dass der 2. Senat diese Frage offen gelassen hat, ist vielmehr gerade auch im Hinblick auf die erheblichen Gleichbehandlungsprobleme zu verstehen, die sich bei der in seiner Entscheidung bestätigten Auslegung des § 551 RVO – Vorrang der Verordnung nach § 551 Abs 1 RVO, zeitlich unbegrenzte Entschädigung von Krankheiten unter den Voraussetzungen des § 551 Abs 2 RVO und Entscheidungsfreiheit des Verordnungsgebers für eine begrenzte Rückwirkung – ergeben (vgl auch die kritische Anmerkung von Ricke, SGb 1997, 482, 483). Ob diese Probleme eher durch schnelles Handeln des Verordnungsgebers als durch Zuwarten gelöst werden können, lässt sich generell nicht beantworten und kann – je nach der für Entscheidungen nach § 551 Abs 2 RVO zur Verfügung stehenden Zeit (in aller Regel ab Bekanntwerden der neuen Erkenntnisse) und der Zahl der antragsberechtigten Versicherten – unterschiedlich ausfallen. Der Vorschlag von Eilebrecht (BG 1993, 187, 191), auf den sich die Klägerin bezogen hat, ist nur einer von verschiedenen Lösungsansätzen (vgl insoweit Koch in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 2, 1996, § 37 RdNr 27; Koch in Lauterbach, Unfallversicherung, § 9 SGB VII, RdNr 295, 296 und Anhang III zu § 9 SGB VII, RdNr 10 ff, Stand November 2002; Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, § 9 SGB VII, RdNr 37, Stand Februar 2001; Marschner/Pohl in SGb 2003, 420, 421 f; Ricke, aaO, 482, 484; Voosen, SGb 2000, 610, 611 f).
cc) Der von der Beklagten zitierte Kammer-Beschluss des BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 9. Oktober 2000 – 1 BvR 791/95 – SozR 3-2200 § 551 Nr 15) ist ebenfalls erst lange nach den beanstandeten Entscheidungen der Klägerin ergangen. Zudem trifft dieser Beschluss nicht die Problematik ablehnender Entscheidungen im Vorgriff auf eine geplante Stichtagsregelung, wenn darin ausgeführt wird, dass die Unfallversicherungsträger ihre Entscheidungen über Anträge nach § 551 Abs 2 RVO/§ 9 Abs 2 SGB VII nicht bis zum Inkrafttreten der Stichtagsregelung zurückstellen dürfen, sondern hierüber zügig zu entscheiden hätten. Diese Äußerung kann auch nur als nicht tragendes obiter dictum angesehen werden. Denn im Fall des damaligen Beschwerdeführers war ein ablehnender Bescheid über zweieinhalb Jahre vor dem Inkrafttreten der einschlägigen Änderung der BKVO ergangen. Das dem Senatsurteil vom 30. September 1999 (aaO BSGE 85, 24 = SozR 3-2200 § 551 Nr 13) zu Grunde liegende Problem, dass sich bei jeder bisher vorgestellten Lösung auch immer gravierende Gleichheitsprobleme stellen, löst das BVerfG im Übrigen nicht (vgl Koch in Lauterbach, Unfallversicherung, § 9 SGB VII RdNr 296, Stand November 2002). Auch die im angefochtenen Bescheid in Bezug genommene Entscheidung des BVerfG vom 8. Juli 1976 (1 BvL 19 und 20/75 und 1 BvR 148/75 – BVerfGE 42, 263, 283) ist insoweit nicht einschlägig. Die darin enthaltenen Ausführungen des BVerfG zur materiell-rechtlichen Wirkung des Inkrafttretens eines Gesetzes beziehen sich auf die deswegen gebotene hinreichend genaue Fixierung der zeitlichen Geltung des Rechts; mit der Rückwirkung eines Änderungsgesetzes und der damit verbundenen Gleichbehandlungsproblematik befasst sich diese Entscheidung nicht.
Bei dieser Ausgangslage hat die Klägerin, die ihre Entscheidung – wie aus den tatsächlichen Feststellungen des LSG hervorgeht – nach sorgfältiger rechtlicher Prüfung getroffen hat, jedenfalls nicht iS des § 839 BGB schuldhaft gehandelt, indem sie entgegen der Auffassung der Beklagten die Stichtagsregelung bereits vor dem Inkrafttreten der BKV angewandt hat.
Der Senat weist abschließend zur Klarstellung darauf hin, dass der Ausgang des gegen das Senatsurteil vom 30. September 1999 (aaO BSGE 85, 24, 32 = SozR 3-2200 § 551 Nr 13, S 56) anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahrens (1 BvR 235/00) das vorliegende Verfahren nicht beeinflussen kann. Abgesehen von der Unterschiedlichkeit des Streitgegenstands (dort: Leistungsansprüche der Betroffenen gegenüber der BG; hier: Aufsichtsverhältnis zwischen Aufsichtsbehörde und Selbstverwaltungsträger) fehlt es, wie dargelegt, für einen Entschädigungsanspruch gegen die Klägerin – wenn nicht an der Rechtswidrigkeit – zumindest am haftungsbegründenden Verschulden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 iVm Abs 4 SGG und Art 17 Abs 1 des 6. Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 17. August 2001 (BGBl I, 2144).
Fundstellen
Haufe-Index 1123444 |
BSGE 2004, 269 |
BSGE 91, 269 |
SozR 4-2400 § 89, Nr.1 |
SozSi 2005, 108 |