Leitsatz (redaktionell)
Das Verhältnis des erkrankten Soldaten zum Truppenarzt hat eine besondere - nur dem Wehrdienst eigentümliche (SVG § 81) - Prägung. Aus dieser Besonderheit und aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des Bundes ergibt sich für den Truppenarzt die Pflicht, einen kranken Soldaten auf seine Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit und Behandlungsfähigkeit hinzuweisen und ihm Verhaltensrichtlinien zu geben.
Normenkette
SVG § 81 Fassung: 1957-07-26
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. März 1969 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
Die Beteiligten streiten darum, ob der Klägerin Witwenversorgung nach den §§ 80, 81 des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) zusteht.
Der Ehemann der Klägerin war Stabsfeldwebel bei der Stabskompanie einer Panzer-Brigade der Bundeswehr. Er starb im Dezember 1964 im Alter von 50 Jahren an einem Sekundenherztod infolge allgemeiner Sklerose. Im Jahre 1957 hatte er sich freiwillig zur Bundeswehr gemeldet und war im Jahre 1959 als Berufssoldat übernommen worden. Beide Male war er zuvor militärärztlich untersucht und in die Tauglichkeitsstufe III eingeordnet worden; beide Male hatte sich ein Bluthochdruck ergeben. Diese Erscheinungen wurden 1962 nach pectanginösen Beschwerden ein Jahr lang beobachtet.
Am 25. Juli 1964 nahm der Ehemann der Klägerin an einem zum dienstlichen Sport gehörenden 3000-Meter-Lauf teil, mußte diesen jedoch wegen Herzbeschwerden abbrechen. Wegen gleicher Beschwerden meldete er sich am 5. Oktober 1964 krank; die ärztliche Untersuchung zeigte eine ausgeprägte Hypertonie, Kurmaßnahmen wurden dringend angeraten. Am 16. Oktober 1964 mußte er in stationäre Krankenhausbehandlung aufgenommen werden, wo er bis zu seinem Tode blieb. Die Obduktion ergab als Todesursache eine akute Coronarinsuffizienz, es fanden sich schwere sklerotische Veränderungen an den Gefäßen des Herzens, der Lunge und der Aorta.
Der Antrag der Klägerin auf Witwenversorgung wurde abgelehnt, weil nach dem Ergebnis der ärztlichen Begutachtungen der Verstorbene an einer essentiellen Hypertonie bei frühzeitiger allgemeiner Arteriosklerose gelitten habe und diese Erkrankung nicht durch den mit keinen besonderen dienstlichen Belastungen verbundenen Dienst in der Bundeswehr meßbar beeinflußt worden sei. Der Eintritt des Todes fünf Monate nach der Belastung durch den dienstlichen Sport beruhe nicht auf dieser Belastung, sondern auf dem raschen Fortschreiten der anlagebedingten Krankheit. Widerspruch, Klage und Berufung sind im wesentlichen aus den gleichen Gründen erfolglos geblieben.
Gestützt auf die ärztlichen Gutachten des Prof. Dr. D und des Dr. S welche das Sozialgericht eingeholt hatte, hat das Landessozialgericht (LSG) ausgeführt: Die Gutachter seien sich darin einig, daß das Todesleiden durch den Wehrdienst weder hervorgerufen noch entscheidend verschlimmert worden sei. Hinsichtlich der Frage einer Fürsorgepflichtverletzung durch die Truppenärzte sei Dr. S zu folgen. Es widerspreche der Lebenserfahrung, daß ein Patient im Alter und der Stellung des Ehemannes der Klägerin sich nach vorgenommenen Messungen des Blutdrucks nicht über deren Ergebnis unterrichten lasse. Von dem 3000-Meter-Lauf hätte er sich durch ärztliches Attest befreien lassen können. Daß der Truppenarzt ihm seinerseits nicht zwangsweise die Teilnahme am Sport verboten habe, könne bei dem Krankheitsverlauf nicht als Verletzung der truppenärztlichen Sorgfaltspflicht angesehen werden. Immerhin habe der Arzt die Blutdruckwerte Ende 1962 und während des ganzen Jahres 1963, welche im einzelnen festgestellt worden sind, wiederholt festgehalten. Mit Recht habe Dr. S darauf hingewiesen, daß die Initiative für ärztliche Maßnahmen vom Patienten selbst kommen müsse. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Revision eingelegt. Sie rügt mit näherer Begründung die Verletzung der §§ 80, 81 SVG, §§ 38 ff des Bundesversorgungsgesetzes und stützt sich auf das Gutachten von Prof. Dr. D. Das LSG habe die während des Wehrdienstes bestehenden Verhältnisse verkannt. Sie beantragt dem Sinn nach:
Unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen sowie der Verwaltungsbescheide den Beklagten zu verurteilen, ihr vom 1. Juli 1965 an Witwenrente zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Klägerin hat die Revision form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Ihr Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG.
Das LSG hat § 81 SVG verkannt. Nach dieser Vorschrift ist eine Wehrdienstbeschädigung eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Dienstverrichtung, einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse wahrscheinlich herbeigeführt worden ist. Eine Wehrdienstbeschädigung liegt auch dann vor, wenn der Wehrdienst die zum Tode führende Erkrankung zwar nicht verursacht hat, der Soldat jedoch ohne den Wehrdienst an diesem Leiden erst ein Jahr später verstorben wäre (vgl. BSG 2, 265 ff, 271).
Das Berufungsgericht hat zustimmend die Meinung des Gutachters Dr. S wiederholt, daß ein ursächlicher Zusammenhang zu bejahen wäre, wenn der Ehemann der Klägerin trotz glaubhafter Beschwerden zur Teilnahme an dem 3000-Meter-Lauf gezwungen worden wäre. Wenn es dabei zusätzlich ausgeführt hat, der Ehemann der Klägerin hätte jederzeit die Möglichkeit gehabt, sich durch ärztliches Attest von der Teilnahme am Sport befreien zu lassen, der Truppenarzt seinerseits habe ihm nicht zwangsweise die Beteiligung verbieten müssen, so hat es der Teilnahme am dienstlichen Sport und insbesondere an dem 3000-Meter-Lauf ursächliche Bedeutung beigemessen. Mit dieser Begründung stehen die späteren Ausführungen des LSG, das Todesleiden sei durch den Wehrdienst weder hervorgerufen noch entscheidend verschlimmert worden, in Widerspruch. Hätte es in den Dienstverrichtungen, insbesondere dem 3000-Meter-Lauf, keine Bedingung für den Tod des Ehemannes der Klägerin gesehen, so hätte es das Ausmaß der ärztlichen Fürsorgepflicht bezüglich der Teilnahme am dienstlichen Sport nicht zu erörtern brauchen.
Obwohl das Berufungsgericht dem dienstlichen Sport also ursächliche Bedeutung zuerkannt hat, hat es nicht geprüft, ob die Ausübung des Wehrdienstes das Leben des Ehemannes der Klägerin um mindestens ein Jahr verkürzt hat, weil es davon ausgegangen ist, daß eine Versorgung schon dann nicht gerechtfertigt sei, wenn der Verstorbene die Schädigung durch geeignete Maßnahmen, Antrag auf Dienstbefreiung, ärztliche Behandlung u.ä., hätte abwenden oder hinauszögern können. Dies ist nicht frei von Rechtsirrtum. Denn das Gesetz schließt einen Versorgungsanspruch nur dann aus, wenn der Beschädigte die Schädigung absichtlich herbeigeführt hat (§ 81 Abs. 4 SVG). Für eine derartige Annahme gibt der Sachverhalt keinen Anhalt.
Auch die Ausführungen des LSG, bei anderen mit körperlicher Anstrengung verbundenen Berufen kämen schicksalhafte Leidensverschlimmerungen gleichfalls vor, sind unbeachtlich; das SVG knüpft Rechtsfolgen nicht nur an Schädigungen, welche durch wehrdienstspezifische Dienstverrichtungen entstanden sind.
Da das angefochtene Urteil § 81 Abs. 1 SVG verletzt hat und sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend erweist, kann es nicht aufrecht erhalten werden. Das LSG hat nicht ausreichend geprüft, ob ohne die Ausübung des Wehrdienstes, insbesondere wegen der dienstlichen Obliegenheiten und der durch sie hervorgerufenen körperlichen Belastungen, der Ehemann der Klägerin mindestens ein Jahr länger gelebt hätte. Da das Bundessozialgericht (BSG) die zur Entscheidung erforderlichen Tatsachen nicht selbst ermitteln kann (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Sollte das LSG nach den erforderlichen Ermittlungen in medizinischer Betrachtung die Kausalität zwischen den Belastungen durch die Ausübung des Wehrdienstes und dem Tod des Ehemannes der Klägerin nicht bejahen können, wird es weiter prüfen müssen, ob der Tod durch wehrdiensteigentümliche Verhältnisse verursacht worden bzw. um ein Jahr früher eingetreten ist. Dabei wird es folgendes zu beachten haben: Dem Wehrdienst eigentümlich sind solche Verhältnisse, die für die Eigenart dieses Dienstes "typisch" und in der Regel zwangsläufig mit ihm verbunden sind; es muß sich um die Sonderverhältnisse dieses Dienstes handeln, die von den Verhältnissen des bürgerlichen Lebens abweichen (BSG, Urteil vom 28. November 1962 - 9 RV 1270/58 - BVBl 1963, 105).
Gemäß § 30 Abs. 1 des Gesetzes über die Rechtsstellung der Soldaten (Soldatengesetz idF vom 22. April 1969 - BGBl I 313 -) hat ein Soldat u.a. Anspruch auf freie Heilfürsorge; dieser wird durch die Bereitstellung truppenärztlicher Versorgung erfüllt (§ 36 Abs. 2 des Bundesbesoldungsgesetzes - BBesG - idF vom 18. Dezember 1963 - BGBl I 917). Soweit sein Anspruch auf truppenärztliche Versorgung reicht, kann der Soldat - wie sich aus Nummer 1 Abs. 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 31 des Soldatengesetzes über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen an Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit der Bundeswehr vom 12. Juni 1959 (VMBl 1959, 514) und Nr. 3 Abs. 4 Satz 3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen idF vom 28. Oktober 1965 (GMBl 1965, 383 ff) ergibt - die Gewährung von Beihilfe nicht verlangen. Diese Ausgestaltung der Heilfürsorge für Soldaten zählt zu den dem Militärdienst eigentümlichen Verhältnissen. Dies haben bereits das Reichsversorgungsgericht (RVG) und das BSG zu früheren, mit der heutigen im wesentlichen übereinstimmenden Rechtslagen entschieden (RVG, Bd. 2 S. 38; Bd. 3 S. 45, 46; vgl. BSG, Urteil vom 28. November 1962 - 9 RV 1270/58 - aaO). Die Unterwerfung unter die militärärztliche Behandlung ist als Ausfluß der dem Militärdienst eigentümlichen Verhältnisse insofern anzusehen, als der Erkrankte in seiner Eigenschaft als Soldat sich der Behandlung durch den Militärarzt zu unterziehen verpflichtet ist und hinsichtlich der Person des Arztes und der Art der Behandlung keine Freiheit genießt. Der Wehrdienst wirkt auch insoweit auf das Verhältnis von Arzt und Patient ein, als der Arzt in die Truppe eingegliedert ist und wenigstens aus der Sicht des Patienten nicht nur diesem, sondern auch dem gemeinsamen Dienstherrn verpflichtet ist. Da der Truppenarzt einen bestimmten Offiziersrang hat, bleibt für die rangniedrigeren Soldaten das militärische Vorgesetztenverhältnis entscheidend. Durch diese Umstände erhält das Verhältnis des erkrankten Soldaten zum Arzt eine besondere - nur dem Wehrdienst eigentümliche - Prägung.
Aus dieser Besonderheit und aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des Bundes, die diesen nach § 31 des Soldatengesetzes verpflichtet, für das Wohl des Soldaten zu sorgen, ergab sich für den Truppenarzt die Pflicht, den Ehemann der Klägerin auf seine Krankheit, so wie sie unabhängig vom Ergebnis der Obduktion nach den zu dessen Lebzeiten - vor allem in den Jahren 1962 und 1963 erhobenen Befunden - zu deuten war, deren Behandlungsbedürftigkeit und Behandlungsfähigkeit hinzuweisen und ihm Verhaltensrichtlinien zu geben. Die vorgenommenen Untersuchungen dienten nicht lediglich der Erhaltung seiner Dienstfähigkeit für die Bundeswehr, sondern auch der Gesunderhaltung im Interesse des Soldaten. Ob der Ehemann der Klägerin sich nach dem Ergebnis der Messungen erkundigt hat, ist entgegen der Ansicht des LSG unerheblich. Spätestens nachdem er 1962 - offenbar die ersten - Beschwerden dem Truppenarzt mitgeteilt hatte, durfte er sich darauf verlassen, dieser werde das Mögliche und Erforderliche zur Wiederherstellung seiner Gesundheit unternehmen.
Das Berufungsgericht wird also gegebenenfalls zu prüfen und festzustellen haben, ob der Truppenarzt den Ehemann der Klägerin über sein Leiden und dessen Behandlungsmöglichkeit aufgeklärt und ihm Richtlinien für seine Lebensweise gegeben hat. Es wird weiter festzustellen haben, ob das Unterbleiben der notwendigen Behandlung und Beratung das Leben des Ehemannes der Klägerin um mindestens ein Jahr verkürzt hat.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Da die Voraussetzungen der §§ 165, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG erfüllt waren, konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.
Fundstellen