Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenhauspflege. fehlender Pflegeplatz
Leitsatz (amtlich)
Die Krankenkasse ist nicht verpflichtet, die Kosten eines Krankenhausaufenthaltes zu übernehmen, wenn für einen Pflegefall kein geeigneter Pflegeplatz gefunden wird.
Orientierungssatz
Es ist mit dem Zweck der KV nicht zu vereinbaren, Krankenhauspflege zur Beseitigung von sozialen Gefährdungen ohne medizinische Notwendigkeit zu gewähren. Verfügt der Versicherte nicht über die zu seiner Pflege erforderlichen Mittel oder lehnen die Familienangehörigen seine Betreuung ab, hat der Sozialhilfeträger einzugreifen.
Normenkette
RVO § 184 Abs. 1 Fassung: 1970-12-21, § 216 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1967-12-21, § 1531 Fassung: 1931-06-05
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 24.08.1978; Aktenzeichen L 16 Kr 12/77) |
SG Köln (Entscheidung vom 20.12.1976; Aktenzeichen S 19 Kr 97/76) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. August 1978 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten über den Ersatz von Krankenhauspflegekosten für die Zeit vom 24. Januar bis zum 31. März 1975.
Die im Jahre 1898 geborene C K (K.) wurde im März 1974 in das ... Landeskrankenhaus V eingewiesen, da sie wegen eines altersbedingten hirnorganischen Abbauprozesses desorientiert wirkte und die Gefahr der Verwahrlosung bestand. Die Kosten des Krankenhausaufenthaltes trug die Beklagte, bei ihr war der Ehemann der Frau K. als Rentner mit Anspruch auf Familienkrankenhilfe versichert.
Im Juni und im August 1974 führte der Stationsarzt des Landeskrankenhauses Dr. P im Schreiben an das Sozial- und Jugendamt aus, Frau K. könne zwar ihren Haushalt nicht mehr versorgen, sie pflege sich jedoch unter Anleitung selbst und könne in ein Altersheim verlegt werden; es seien bereits Bemühungen eingeleitet worden, für sie einen geeigneten Heimplatz zu finden. In den Pflegeberichten vom 20. Mai und 20. August 1974 ist vermerkt, die Verlegung in ein Altenheim sei zu verantworten, Frau K. verhalte sich auf der Station sehr geordnet und ruhig und nehme willig ihre Medikamente ein.
Da die Angehörigen der Frau K. auf einer Verlegung der Erkrankten in ein Altersheim des Kreises O bestanden, verzögerte sich diese, weil dort ein geeigneter Pflegeplatz nicht verfügbar war.
Nachdem der Vertrauensarzt Dr. P gegenüber der Beklagten regelmäßig die Notwendigkeit einer stationären Behandlung der Frau K. bestätigt hatte, stellte er auf Grund einer Begehung vom 24. Januar 1975 fest, daß ein Bewahrfall vorliege. Daraufhin lehnte die Beklagte die weitere Kostenübernahme von diesem Tage an ab. Der Kläger trug bis zur Entlassung von Frau K. in ein Altersheim am 1. April 1975 vorläufig die Kosten, nachdem der Arzt des Landeskrankenhauses Dr. B mitgeteilt hatte, daß die stationäre Behandlung fortgeführt werden müsse, um eine Verschlimmerung des Krankheitszustandes zu vermeiden. Er machte gegen die Beklagte einen Ersatzanspruch geltend, den diese ablehnte.
Das Sozialgericht (SG) Köln hat die Beklagte zur Zahlung verurteilt (Urteil vom 20. Dezember 1976). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen die Krankenakte des Landeskrankenhauses betreffend Frau K. und die Pflegeakte des Amtsgerichts O beigezogen und danach unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abgewiesen (Urteil vom 24. August 1978). Nach den Feststellungen des Vertrauensarztes Dr. P habe in der fraglichen Zeit kein Anspruch auf Krankenhauspflege bestanden, vielmehr ein Pflegefall vorgelegen. Der abweichenden Äußerung des Dr. B könne kein entscheidendes Gewicht beigemessen werden, denn sie stehe im Widerspruch zu zahlreichen Äußerungen der Ärzte des Landeskrankenhauses. Diese hätten bereits vor der streitigen Zeit mehrmals festgestellt, Frau K. könne in ein Altenpflegeheim verlegt werden. Auch die Tatsache, daß Frau K. nicht habe in eine eigene Wohnung entlassen werden können und kein geeigneter Pflegeplatz für sie frei gewesen sei, könne den Anspruch nicht begründen. Zwar habe die Rechtsprechung in besonderen Einzelfällen bei der Prüfung der Erforderlichkeit von Krankenhauspflege auch die persönlichen, insbesondere die häuslichen Verhältnisse der Erkrankten berücksichtigt, ein derartiger Ausnahmefall liege jedoch nicht vor.
Mit der durch Beschluß des Senats vom 25. Januar 1979 zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 184 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und der §§ 103 und 106 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Frau K. habe nicht ohne Gefährdung aus dem Landeskrankenhaus entlassen werden können, denn eine Rückkehr in die Familie sei nicht möglich gewesen und ein Platz in einem Altenheim habe nicht zur Verfügung gestanden. Da somit im konkreten Falle die medizinische Betreuung nur im Landeskrankenhaus habe erfolgen können, sei schon deshalb die Erforderlichkeit von Krankenhauspflege iS des § 184 RVO zu bejahen. Halte man jedoch eine abstrakte Betrachtungsweise des Anspruchs auf Krankenhauspflege für zutreffend, so habe doch das LSG seine Amtsermittlungs- und Aufklärungspflicht verletzt. Es habe sich nicht genügend Gewißheit darüber verschafft, ob in der fraglichen Zeit eine Krankenhausbehandlung notwendig gewesen sei oder eine ambulante ärztliche Betreuung ausgereicht hätte. Der behandelnde Arzt Dr. B habe im Januar 1975 eine weitere stationäre Behandlung für erforderlich gehalten. Diese Auffassung habe das LSG nicht durch die Stellungnahme des Dr. P als widerlegt ansehen dürfen, ohne Dr. B vorher zu hören. Auch habe Dr. P zunächst selbst laufend eine Behandlungsbedürftigkeit bescheinigt und erst auf Veranlassung der Beklagten einen Bewahrfall festgestellt. Unter diesen Umständen habe das LSG der Beurteilung der Sachlage durch Dr. B den Vorzug geben und die Beklagte zur Kostenerstattung verurteilen müssen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. August 1978 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG Köln vom 20. Dezember 1976 zurückzuweisen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, ein Anspruch auf Krankenhauspflege sei nur dann zu bejahen, wenn die stationäre Behandlung aus medizinischen Gründen notwendig sei, dh nicht ambulant erfolgen könne; aus sozialen Gründen lasse sich eine Leistungspflicht der Krankenkasse nicht herleiten. Der Verbleib im Krankenhaus, weil nicht genügend Heimplätze zur Verfügung stehen oder weil die Familien nicht zur Pflege der Erkrankten bereit sind, stelle eine Fehlplacierung dar und könne einen Anspruch auf Krankenhauspflege nicht begründen. Die Äußerungen des Stationsarztes Dr. P, die Eintragungen in den Pflegeberichten und die Begutachtung durch Dr. P bewiesen, daß sich die Pflege der Frau K. in der fraglichen Zeit auf die sogenannte Grundpflege beschränkt habe und daneben ambulante Behandlung ausgereicht hätte. Die abweichende Meinung des Dr. B könne nicht überzeugen. Dem Kläger stehe kein Ersatzanspruch zu.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einer Verletzung von Verfahrensvorschriften. Wenn der Kläger rügt, daß das LSG seine Urteilsfindung anstatt auf die gutachtlichen Äußerungen des Dr. P auf die des Dr. B hätte stützen müssen, so macht er damit keinen Aufklärungsmangel geltend, sondern greift die rechtliche Beurteilung an, zu der das LSG auf Grund der Äußerungen der beiden Ärzte gekommen ist.
Das LSG hat jedoch im einzelnen überzeugend dargelegt, daß die an Frau K. vorgenommenen ärztlichen Behandlungsmaßnahmen auch im Wege ambulanter ärztlicher Versorgung hätten erbracht werden können. Auf diese Feststellung kam es für die Entscheidung des Rechtsstreits an. Der Kläger hat in der Revision nicht vorgetragen, welche Tatsachen gegen diese Feststellung sprechen sollten, welche Aufklärungsmaßnahmen das LSG noch hätte durchführen müssen und warum Dr. B zu den - auch von ihm nicht bestrittenen - Tatsachen nochmals hätte gehört werden sollen. Von den Feststellungen des LSG ist deshalb auch im Revisionsverfahren auszugehen.
Auch in sachlich-rechtlicher Hinsicht hat die Revision keinen Erfolg. Dem klagenden Sozialhilfeträger steht kein Ersatzanspruch gegen die Krankenkasse zu. Die Voraussetzungen des § 1531 RVO sind nicht erfüllt, weil der bei der Beklagten versicherte Ehemann der Frau K. in der streitigen Zeit gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Krankenhauspflege für seine Ehefrau hatte. Wie das LSG zu Recht entschieden hat, benötigte Frau K. seit dem 24. Januar 1975 nicht mehr Krankenhauspflege (§ 184 RVO), vielmehr lagen die Voraussetzungen einer Unterbringung zur dauernden Anstaltspflege (§ 216 Abs 1 Nr 4 RVO) vor. Die Kosten dafür hat die Beklagte aber nicht zu tragen.
Nach § 184 Abs 1 Satz 1 RVO in der ab 1. Januar 1974 geltenden Fassung des Leistungsverbesserungsgesetzes vom 19. Dezember 1973 (BGBl I 1925) besteht ein zeitlich unbegrenzter Anspruch auf Krankenhauspflege, wenn die Aufnahme in ein Krankenhaus erforderlich ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist die Behandlung in einem Krankenhaus dann erforderlich, wenn die notwendige medizinische Versorgung nur mit den besonderen Mitteln eines Krankenhauses durchgeführt werden kann und eine ambulante ärztliche Versorgung nicht ausreicht (vgl BSGE 28, 199 ff = SozR Nr 22 zu § 1531 RVO; SozR Nr 30 zu § 184 RVO).
Diese Voraussetzung war in der streitigen Zeit nicht erfüllt. Das LSG hat zutreffend darauf hingewiesen, daß die Ärzte des R Landeskrankenhauses bereits 1974 zu der Auffassung gekommen waren, Frau K. könne in ein Altenpflegeheim verlegt werden. Auch der Vertrauensarzt Dr. P hat im Mai 1976 ausdrücklich bestätigt, daß die ärztliche Behandlung der Frau K. bei einer anderweitigen Unterbringung und Pflege ambulant hätte durchgeführt werden können. Die Erforderlichkeit von Pflege allein begründet noch keinen Anspruch auf Krankenhauspflege, wie der erkennende Senat bereits mehrfach entschieden hat (vgl Urteil vom 25. Januar 1979 - 3 RK 83/78 = SozR 2200 § 184 RVO Nr 11; Urteil vom 11. Oktober 1979 - 3 RK 72/78 -).
Eine Kostenpflicht der Beklagten kann - entgegen der Ansicht des Klägers - auch nicht aus sozialen Gründen hergeleitet werden. Insbesondere läßt sich der Anspruch des Klägers nicht darauf stützen, daß Frau K. bis zum Ablauf des Monats März 1975 außerhalb des Krankenhauses nicht ordnungsgemäß hätte betreut werden können. Nach dem Vorbringen des Klägers habe Frau K. nicht in die Familie zurückkehren können, und ihr habe auch kein Platz in einem Altenpflegeheim in O zur Verfügung gestanden. Es kann dahinstehen, ob dieses Vorbringen den tatsächlichen Umständen voll Rechnung trägt oder ob nicht ein anderer Altenheimplatz - wenn auch nicht in O, so doch in erreichbarer Nähe - der Frau K. als Pflegestelle zumutbar gewesen wäre, denn auch bei Unterstellung des Vorbringens als zutreffend bestand für Frau K. in der streitigen Zeit kein Anspruch auf Krankenhauspflege auf Kosten der Beklagten. Der Gesetzgeber hat in § 184 Abs 1 Satz 1 RVO die Zweckrichtung der Krankenhauspflege festgelegt: Sie ist von der Kasse zu gewähren, wenn die stationäre Aufnahme erforderlich ist, um eine Krankheit zu erkennen oder zu behandeln oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach der Rechtsprechung genügt es darüber hinaus auch, wenn die stationäre Behandlung eine Verschlimmerung der Krankheit verhüten oder das Leben verlängern soll (BSGE 47, 83 mwN). Entscheidend ist mithin allein, daß die Krankenhauspflege aus medizinischen Gründen notwendig sein muß (so ausdrücklich Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, Stand August 1978, Anm 6.1 zu § 184 RVO). Daraus folgt, daß soziale Erwägungen allgemeiner Art oder familiäre Umstände einen Anspruch auf Krankenhauspflege gegen den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung nicht begründen können (vgl RVO Gesamtkommentar/Heinze, 54. Lieferung Dezember 1978 Anm 6 zu § 184 RVO). Verfügt der Pflegebedürftige nicht über die zu seiner Pflege erforderlichen Mittel oder lehnen die Familienangehörigen seine Betreuung ab, so hat der Träger der Sozialhilfe zu prüfen, ob für ihn Anlaß zum Eingreifen besteht (vgl § 68 BSHG) und mit welchen Maßnahmen im einzelnen er einzutreten hat. Das Gesetz verpflichtet aber weder in dem einen noch in dem anderen Falle die in der Krankenkasse organisierte Solidargemeinschaft der Versicherten, Krankenhausbetten ihrem eigentlichen Bestimmungszweck zu entfremden und für Pflegefälle auf ihre Kosten zur Verfügung zu stellen.
Aus den gleichen Gründen kann - entgegen der Auffassung des Klägers - eine Leistungspflicht der Krankenkasse nicht deshalb bejaht werden, weil in der fraglichen Zeit kein geeigneter Pflegeplatz zur Verfügung gestanden habe. Das gilt selbst dann, wenn sich die soziale Lage der Frau K. verschlechtert hätte und eine Gefährdung eingetreten wäre. Die aufwendige Leistung "Krankenhauspflege" hat die Krankenkasse nur dann zu erbringen, wenn für den Versicherten gerade die spezifischen Mittel dieser Behandlungsart vonnöten sind; soziale Gefährdungen zu beseitigen, ist nicht Zweckbestimmung des Krankenhauses.
Zu Recht hat das LSG darauf hingewiesen, daß die Entscheidung des Senats vom 18. November 1969 - 3 RK 24/68 - (KVRS 2500/45) einen Sonderfall betrifft und sich daraus keine für den Kläger sprechenden Ergebnisse ableiten lassen. Jene Entscheidung beruht auf einer gesetzlichen Bestimmung, die inzwischen nicht mehr geltendes Recht ist (§ 184 Abs 3 Nr 1 und Abs 4 RVO aF), zudem hat der Senat in der Entscheidung bereits betont, daß es für die Erforderlichkeit der Krankenhauspflege auf die Frage der medizinischen Notwendigkeit ankommt.
Nach alledem mußte der Revision des Klägers der Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1653921 |
BSGE, 216 |
Breith. 1980, 928 |