Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuständigkeitsstreitigkeit. Rechtsschutzinteresse. Mitgliedschaft. Auszubildender. Lehrling. Betonbauer. Stahlbetonbauer

 

Orientierungssatz

1. In Zuständigkeitsstreitigkeiten hat die klagende Krankenkasse in vollem Umfang ein Rechtsschutzinteresse, obwohl die in Streit stehenden Beschäftigten ihre Ausbildung und einige von ihnen sogar ihre Mitgliedschaft bei der beklagten Ersatzkasse beendet haben. Dabei kann unentschieden bleiben, ob auch in den Fällen, in denen eine Mitgliedschaft bei der Beklagten nicht mehr besteht, die gerichtliche Feststellung der Zuständigkeit der beteiligten Krankenkassen noch Folgewirkung für die Vergangenheit auslösen kann (vgl Urteil des BSG vom 25.10.1990 - 12/3 RK 13/88).

2. Können Betonbauer, wenn sie mit Holzarbeiten beschäftigt sind, Mitglieder bei einer Ersatzkasse werden, so steht unter den gleichen Voraussetzungen das Beitrittsrecht auch den in diesem Beruf Auszubildenden zu (vgl Urteil des BSG vom 20.9.1972 - 3 RK 59/69 und 3 RK 77/69 = SozR Nr 17 und 18 zu 12. Aufbau-VO § 4).

 

Normenkette

SGG § 55 Abs 1 Nr 2; SVAufbauV 12 Art 2 § 4 Abs 1 S 5; RVO § 165a Nr 2, § 517

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 14.04.1988; Aktenzeichen L 5 K 18/87)

SG Mainz (Entscheidung vom 31.10.1985; Aktenzeichen S 2 K 69/84)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die klagende Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) für die Durchführung der gesetzlichen Krankenversicherung der Beigeladenen zu 1) bis 12) zuständig ist.

Die beklagte Ersatzkasse nahm die Beigeladenen zu 1) bis 12), die bei der Firma H.  -T.   AG (jetzt Beigeladene zu 13) Betonbauer-Auszubildende waren, als Mitglieder auf. Die Aufforderung der Klägerin, die Mitgliedschaft der Beigeladenen zum 31. August 1984 zu beenden, lehnte sie ab. Das Sozialgericht (SG) Mainz wies die daraufhin von der Klägerin erhobene Feststellungsklage mit Urteil vom 31. Oktober 1985 ab; die hiergegen eingelegte Berufung wurde vom Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz zurückgewiesen (Urteil vom 24. Juli 1986). Das Bundessozialgericht (BSG) hob mit Urteil vom 20. Mai 1987 das Urteil des LSG auf und verwies den Rechtsstreit an das LSG zurück, weil der Arbeitgeber nicht beigeladen war.

Das LSG hat den Arbeitgeber beigeladen und die Berufung erneut durch Urteil vom 14. April 1988 zurückgewiesen: Die Beklagte habe die Beigeladenen zu 1) bis 12) zu Recht aufgenommen. Das folge aus § 2 Abs 1 Buchst a ihrer Versicherungsbedingungen (VB) - Stand: 1. Juli 1974 -, wonach Betonbauer prinzipiell Mitglieder werden könnten. Die Satzungsbestimmung halte sich im Rahmen der Ursprungssatzung, denn das Berufsbild der Betonbauer sei durch das der Zimmerer zumindest erheblich mitgeprägt. Die Ausbildungen in diesen beiden Berufen wiesen zahlreiche Gemeinsamkeiten auf. Demgemäß seien Betonbauer jedenfalls dann beitrittsberechtigt, wenn sie sich nicht völlig von den Holzarbeiten entfernt hätten. Das schließe das Beitrittsrecht der Auszubildenden zum Beruf des Betonbauers ein.

Die Klägerin begründet ihre - vom LSG zugelassene - Revision mit einer Verletzung des § 517 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie des Art 2 § 4 Abs 1 der 12. Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung (12. Aufbau-VO): Die Beklagte dürfe ihren Mitgliederkreis nicht auf Betonbauer ausdehnen, weil dieser Beruf nicht aus einem alten Satzungsberuf hervorgegangen sei. Nach § 4 Abs 1 des am 1. Januar 1907 in Kraft getretenen Statuts der Beklagten habe jeder Zimmerer sowie jeder im Baufach beschäftigte Holzarbeiter Mitglied der Kasse werden können. Der Betonbauer und insbesondere der Stahlbetonbauer seien in dieser Aufstellung nicht genannt, weil sich ihre Berufe erst später entwickelt hätten. Nach der Rechtsprechung des BSG seien Betonbauer daher nur dann als beitrittsberechtigt anzusehen, wenn sie nicht nur vorübergehend auch mit Holzarbeit beschäftigt werden (Urteil vom 20. September 1972 - 3 RK 59/69 - SozR Nr 17 zu § 4 der 12. Aufbau-VO = Breithaupt 1973, 697 = USK 72134). Da nach dem von der Beigeladenen zu 13) vorgelegten Ausbildungsplan zum "Stahlbetonbauer" von den 33 Monaten Ausbildungszeit nur insgesamt acht Monate auf den Ausbildungsabschnitt "Schalung" entfielen, davon aber die Verwendung von neuzeitlichen Schalungselementen einen Großteil der Ausbildungszeit in Anspruch nehme, würden Auszubildende nur vorübergehend auch mit Holzarbeiten beschäftigt. Dies rechtfertige die Einbeziehung sämtlicher Stahlbetonbauer-Auszubildender in den Mitgliederkreis der Beklagten auch deshalb nicht, weil während der Ausbildungszeit nicht feststehe, für welchen Bereich sich der Auszubildende später spezialisiere. Dies könne nämlich dazu führen, daß die Betreffenden nach abgeschlossener Ausbildung und entsprechender Spezialisierung Mitglied der Beklagten bleiben könnten, obwohl sie nicht mehr "im Baufach beschäftigter Holzarbeiter" seien.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des LSG 14. April 1988 und das Urteil des SG vom 31. Oktober 1985 aufzuheben und festzustellen, daß die Beigeladenen zu 1) bis 12) während ihrer Ausbildung zum Stahlbetonbauer nicht Mitglied der Beklagten werden konnten.

Die Beklagte und der Beigeladene zu 13) beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Nach ihrer Meinung bezeichnet die Revision die Beigeladenen zu 1) bis 12) zu Unrecht als Auszubildende für den Beruf als Stahlbetonbauer. Anerkannter Ausbildungsberuf nach der Verordnung über die Berufsausbildung in der Bauwirtschaft vom 1. Juli 1974 (BGBl I S 1073, zuletzt geändert durch die VO vom 17. Dezember 1984, BGBl I S 1599) sei der Beruf des Beton- und Stahlbetonbauers. Der Ausbildungsrahmenplan zu diesem Beruf beschreibe das Ausbildungsbild und die zu vermittelnden Kenntnisse einheitlich; es gebe also keine getrennte Ausbildung zum Betonbauer einerseits und zum Stahlbetonbauer andererseits. In der betrieblichen Ausbildung zum Beton- und Stahlbetonbauer stünden Einschalungsarbeiten mit Holz oder an seine Stelle getretene Werkstoffe im Vordergrund. Nach den VB der Beklagten sei dies unter Beachtung der Urteile des BSG vom 20. September 1972 (3 RK 59/69 - SozR Nr 17 zu § 4 der 12. Aufbau-VO = Breithaupt 1973, 697 = USK 72134 sowie 3 RK 77/69 - SozR Nr 18 zu § 4 der 12. Aufbau-VO = Breithaupt 1973, 699 = USK 72135) für die Mitgliedschaft von Betonbauern bei ihr ausreichend. Gleiches müsse für diejenigen gelten, die zu diesem Beruf ausgebildet würden.

Die Beigeladene zu 13) hält die Klage für unzulässig, weil die Beigeladenen zu 1) bis 12) ihre Ausbildung beendet hätten und daher ein Rechtsschutzinteresse für die Klage nicht bestehe. In der Sache selbst habe das LSG richtig entschieden.

Die Beigeladenen zu 1) bis 12) haben sich nicht geäußert.

Auf Anfrage des zunächst für das Revisionsverfahren zuständig gewesenen 3. Senats hat die Beklagte mitgeteilt, daß die Beigeladenen zu 4), 6), 7), 8), 9) und 11) zwischenzeitlich aus dem Mitgliedschaftsverhältnis zu ihr ausgeschieden seien.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, daß die Beklagte die Beigeladenen zu 1) bis 12) zu Recht als Mitglieder aufgenommen hat.

Keine Bedenken bestehen allerdings dagegen, daß die Klägerin im Revisionsverfahren ihren Klageantrag geändert hat, nachdem sie in den Vorinstanzen noch die Feststellung beantragt hatte, "daß die Beigeladenen zu 1) bis 12) nicht gemäß § 517 RVO von der Mitgliedschaft bei der Klägerin befreit sind". Der nunmehr gestellte Antrag "festzustellen, daß die Beigeladenen zu 1) bis 12) nicht Mitglied der Beklagten sein konnten", stellt nämlich eine nach § 99 Abs 3 Nr 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auch in der Revisionsinstanz zulässige Beschränkung des Klageantrags und nicht eine nach § 168 SGG unzulässige Klageänderung dar.

Auch hat die Klägerin für ihre Klage in vollem Umfang ein Rechtsschutzinteresse, obwohl die Beigeladenen zu 1) bis 12) ihre Ausbildung bei der Beigeladenen zu 13) und einige von ihnen sogar ihre Mitgliedschaft bei der Beklagten beendet haben. Dabei kann unentschieden bleiben, ob auch in den Fällen, in denen eine Mitgliedschaft bei der Beklagten nicht mehr besteht, die gerichtliche Feststellung der Zuständigkeit der beteiligten Krankenkassen noch Folgewirkungen für die Vergangenheit auslösen kann. Wie der erkennende Senat in seinem zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil vom 25. Oktober 1990 (12/3 RK 13/88) entschieden hat, hat bei Zuständigkeitsstreitigkeiten der vorliegenden Art die klagende Krankenkasse unabhängig von etwaigen Folgen für die Vergangenheit ein berechtigtes Interesse an der Feststellung ihrer Zuständigkeit, wenn - wie hier - damit zu rechnen ist oder zumindest möglich erscheint, daß die Zuständigkeitsfrage, solange sie nicht letztinstanzlich geklärt ist, später in anderen Fällen erneut streitig wird. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall bei jedem der Beigeladenen zu 1) bis 12) erfüllt, das Rechtsschutzinteresse für die Klage ist daher gegenüber allen Beteiligten zu bejahen.

Wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, sind die Beigeladenen zu 1) bis 12) auch Mitglieder der beklagten Ersatzkasse geworden.

Diese hat in § 2 Nr 1 Abs 1 und Abs 2 Buchst a ihrer VB in der nach Art 2 § 4 Abs 1 Satz 5 der 12. Aufbau-VO maßgeblichen Fassung vom 1. Januar 1974 ua bestimmt, daß Betonbauer und Betonbauhelfer, wenn sie mit Holzarbeiten beschäftigt sind, zum Mitgliederkreis der Beklagten zählen. Das BSG hat in den zwei Urteilen vom 20. September 1979 (3 RK 59/69 - SozR Nr 17 zu § 4 der 12. Aufbau-VO = Breithaupt 1973, 697 = USK 72134 sowie 3 RK 77/69 - SozR Nr 18 zu § 4 der 12. Aufbau-VO = Breithaupt 1973, 699 = USK 72135) entschieden, daß diese damals bereits geltende Satzungsbestimmung keine unzulässige Erweiterung des Mitgliederkreises der Ersatzkasse darstellt.

Können demnach Betonbauer, wenn sie mit Holzarbeiten beschäftigt sind, Mitglieder bei der Beklagten werden, so steht unter den gleichen Voraussetzungen das Beitrittsrecht auch den in diesem Beruf Auszubildenden zu.

Zwar sind Auszubildende in den VB der Beklagten nicht ausdrücklich als zum Mitgliederkreis gehörig genannt. Auch frühere Satzungsbestimmungen der Beklagten wie das 1910 in Kraft getretene "Statut" führten die Lehrlinge in der Beschreibung des Mitgliederkreises nicht ausdrücklich auf (§ 4). In der Bestimmung über die Beiträge (§ 6) waren aber Sondervorschriften für Lehrlinge unter 16 Jahren enthalten, denen entnommen werden konnte, daß der Satzungsgeber bereits damals diesen Personenkreis zu seinem Mitgliederkreis zählte. Nichts spricht dafür, daß die am 1. Januar 1974 geltenden VB insoweit hinter der damals geltenden Regelung zurückbleiben sollten. Auch machte die Vorschrift des § 165a Nr 2 RVO, wonach ua Lehrlinge zu den nach § 165 Abs 1 Nr 1 RVO versicherungspflichtigen Arbeitern gehörten, eine besondere Erwähnung von Auszubildenden oder Lehrlingen in den VB überflüssig. Schließlich entspricht es Sinn und Zweck der Berufskrankenkassen, für alle Angehörigen der für sie in Betracht kommenden Berufsgruppen offen zu sein und einen Kassenwechsel nach beendeter Ausbildung zu vermeiden (BSG, Urteil vom 20. September 1972 - 3 RK 77/69 - SozR Nr 18 zu § 4 der 12. AufbauVO = Breithaupt 1973, 699 = USK 72135). Als zum Beruf des Betonbauers Auszubildende konnten daher auch die Beigeladenen zu 1) bis 12) Mitglieder bei der Beklagten werden.

Dem steht nicht entgegen, daß nach den einschlägigen Ausbildungsvorschriften (Verordnung über die Berufsausbildung in der Bauwirtschaft vom 8. Mai 1974, BGBl I S 1073, zuletzt geändert durch die VO vom 17. Dezember 1984, BGBl I S 1599) im selben Ausbildungsgang der Beruf "Beton- und Stahlbetonbauer" erlernt wird. Ferner ist nicht maßgeblich, ob der Auszubildende sich nach Abschluß der Ausbildung einem Beruf zuwendet, der keine Holzarbeiten mehr erfaßt hat und mithin nicht zur Mitgliedschaft bei der Beklagten führen kann. Entscheidend ist, daß nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die das Revisionsgericht nach § 163 SGG binden, die Beigeladenen zu 1) bis 12) zu Beton- und Stahlbetonbauern und dabei nicht unwesentlich in Holzarbeiten ausgebildet worden sind. Da somit die Beitrittsvoraussetzungen für die Beigeladenen zu 1) bis 12) erfüllt waren, erübrigt sich die Prüfung, ob nach den einschlägigen Ausbildungsvorschriften Holzarbeiten einen wesentlichen Teil der Ausbildung ausmachten.

Hiernach erweist sich die Revision als unbegründet und war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1665180

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