Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendige Beiladung. Arbeitgeber. Streit über die Zuständigkeit zur Durchführung der gesetzlichen Krankenversicherung

 

Orientierungssatz

Besteht Streit über die Zuständigkeit zur Durchführung der gesetzlichen Krankenversicherung, so ist der Arbeitgeber gemäß § 75 Abs 2 Alt 1 SGG notwendig beizuladen.

 

Normenkette

SGG § 75 Abs 2 Alt 1 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 24.07.1986; Aktenzeichen L 5 K 64/85)

SG Mainz (Entscheidung vom 31.10.1985; Aktenzeichen S 2 K 69/84)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die klagende Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) für die Durchführung der gesetzlichen Krankenversicherung der Beigeladenen zu 1.) bis 12.) zuständig ist.

Die Beigeladenen sind oder waren bei der Firma H. AG in M. Betonbauer-Auszubildende. Die beklagte Ersatzkasse hat sie als Mitglieder aufgenommen. Mit Schreiben vom 7. Juli 1984 forderte die Klägerin die Beklagte auf, die bei ihr bestehende Mitgliedschaft der Beigeladenen zum 31. August 1984 zu beenden. Die Beklagte lehnte dies ab.

Die daraufhin erhobene Feststellungsklage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung seiner Entscheidung ua ausgeführt, die beklagte Ersatzkasse habe die Beigeladenen zu Recht als Mitglieder aufgenommen. Nach § 2 Abs 1a der Versicherungsbedingungen (VB) der Beklagten könnten Betonbauer Mitglied der Kasse werden, wenn sie auch mit Arbeiten beschäftigt seien, bei denen Holz oder an seine Stelle tretende Werkstoffe Verwendung fänden und sie sich nicht nur auf Betonschütt-, Eisenbiege- oder -Flechtarbeiten   spezialisiert hätten. Typischerweise verrichte ein Betonbauer, wenn er sich nicht auf die in den VB genannten ausschließlichen Tätigkeiten spezialisiert habe, regelmäßig auch Einschalungsarbeiten für die Betonbauten und sei somit mit Holzarbeiten beschäftigt. Die Beklagte habe mit der genannten Satzungsbestimmung auch nicht ihren Mitgliederkreis über den im Statut von 1910 aufgeführten Umfang hinaus unzulässig erweitert. Die zunehmende Bedeutung, die dem Beton als Baustoff zukomme, habe die Notwendigkeit ergeben, für seine Verarbeitung Facharbeiter heranzubilden, die über besondere Fachkenntnisse gerade auf diesem Gebiet verfügten. Auf diese Weise habe sich aus und neben den traditionellen Bauberufen des Zimmerers und Maurers als weiterer Bauberuf der des Betonbauers entwickelt. Die noch immer bestehende enge Verknüpfung dieses Berufes mit dem Beruf des Zimmerers ergebe sich deutlich aus dem vorgeschriebenen Ausbildungsgang, den die Angehörigen dieser Berufsgruppen durchlaufen müßten. Bei den Beigeladenen habe es sich im Zeitpunkt ihres Beitritts zwar nicht um gelernte Betonbauer, sondern um Auszubildende gehandelt. Wenn auch die VB Auszubildende nicht ausdrücklich als aufnahmeberechtigte Personen erwähnten, gehörten sie aber gleichwohl zu den Personen, die Mitglieder der Beklagten sein könnten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die - vom Senat zugelassene - Revision der Klägerin. Sie macht zur Begründung ua geltend, nach § 4 Abs 1 der am 1. Januar 1907 in Kraft getretenen Statuten der Beklagten habe jeder Zimmerer sowie jeder im Baufach beschäftigte Holzarbeiter Mitglied der Kasse werden können. Der Betonbauer und insbesondere der Stahlbetonbauer seien in dieser Aufstellung nicht genannt, weil sich ihre Berufe erst später entwickelt hätten und zum Lehrberuf geworden seien. Ob die Beklagte ihren Mitgliederkreis auf Betonbauer habe ausdehnen dürfen, hänge davon ab, ob dieser Beruf aus einem der alten "Satzungsberufe" hervorgegangen sei oder sich davon abgespalten habe. Nach dem von der Firma H. vorgelegten Ausbildungsplan zum "Stahlbetonbauer" sei dies jedoch nicht der Fall. Von den 33 Monaten Ausbildungszeit entfielen nur insgesamt 8 Monate auf den Ausbildungsabschnitt "Schalung". Davon nehme aber die Verwendung von neuzeitlichen Schalungselementen einen Großteil der Ausbildungszeit in Anspruch. Die Auszubildenden würden also nur vorübergehend auch mit Holzarbeiten beschäftigt. Sie gehörten deshalb nicht zum beitrittsberechtigten Personenkreis der Beklagten.

Die Klägerin beantragt, die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Juli 1986 und des Sozialgerichts Mainz vom 31. Oktober 1985 zu ändern und festzustellen, daß die Beigeladenen nicht Mitglied der Beklagten, sondern der Klägerin sind.

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt. Die Beigeladenen haben sich im Revisionsverfahren nicht vertreten lassen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des LSG und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an dieses Gericht. Die Vorinstanzen haben es unterlassen, die Arbeitgeberin der Beigeladenen, die Firma H. AG in M., zum Verfahren beizuladen. Hierin liegt ein bei einer zugelassenen Revision von Amts wegen zu berücksichtigender Verfahrensmangel; denn die Beiladung der Arbeitgeberin hätte gemäß § 75 Abs 2 Alternative 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erfolgen müssen (vgl dazu BSG, Beschluß vom 12. März 1974 - 2 S 1/74 - sowie Urteile vom 4. April 1979 - 12 RK 8/78 -, vom 31. August 1983 - 2 RU 65/82 - und 29. Februar 1984 - 10 RAr 14/82 - SozR 1500 § 75 Nrn 1, 21, 49 und 51).

Die beteiligten Krankenkassen streiten darüber, ob die Beigeladenen nicht der Beklagten, sondern der Klägerin als Mitglieder angehören. An dem streitigen Rechtsverhältnis ist auch die Arbeitgeberin der Beigeladenen derart beteiligt, daß die Entscheidung auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen kann (vgl dazu Urteil des erkennenden Senats vom 6. November 1985 - 8 RK 73/84 - SozR 1500 § 75 Nr 56). Die Firma H. AG hat als Arbeitgeberin gemäß § 381 Abs 1 Satz 1 RVO die Hälfte der Krankenversicherungsbeiträge zu tragen. Da die Beiträge von den Selbstverwaltungsorganen der einzelnen Krankenkassen festgesetzt werden, sind die Beiträge zu den gesetzlichen Krankenkassen und zu den Ersatzkassen unterschiedlich hoch. Die Festsetzung der Beitragshöhe durch die zuständige Krankenkasse berührt deshalb auch das gesetzliche Pflichtversicherungsverhältnis der Pflichtkassenmitglieder und damit die Beitragspflicht des Arbeitgebers dergestalt, daß die Entscheidung über die Zuständigkeit der Krankenkasse auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Zudem werden durch die Entscheidung darüber, welche der streitenden Kassen zuständig ist, auch die Beitragszahlungspflicht des Arbeitgebers (§ 393 der Reichsversicherungsordnung -RVO-), die Zulässigkeit von Maßnahmen gegen den Arbeitgeber (§ 398 RVO) und schließlich die Befugnis der Einforderung von Vorschüssen der klagenden AOK (§ 403 RVO) grundsätzlich mitbestimmt.

Da das Revisionsgericht die unterlassene Beiladung nicht nachholen kann (§ 168 SGG), war der Rechtsstreit an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Bei der neuen Entscheidung wird das LSG zu prüfen haben, ob für die Feststellungsklage noch ein Rechtsschutzinteresse besteht, soweit die Ausbildung einzelner oder aller Beigeladenen bereits beendet ist.

Das Berufungsgericht wird auch über die außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662824

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