Entscheidungsstichwort (Thema)
Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Anhebung der Altersgrenze. Zugangsfaktor. Kündigung. Sozialplan. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
- Es ist nicht verfassungswidrig, dass bei der Vertrauensschutz-(Übergangs-)regelung des § 237 Abs 4 S 1 Nr 3 SGB VI nur diejenigen Versicherten von Rentenabschlägen bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ausgenommen werden, die 45 Jahre anrechenbare Pflichtbeitragszeiten aufweisen.
- Es verstößt nicht gegen die Verfassung, dass bei der Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente wegen Arbeitslosigkeit der Rentenabschlag auch noch nach Ausgleich der individuellen Vorteile aus einer längeren Rentenbezugsdauer weiter geführt wird (Anschluss an BSG SozR 4-2600 § 237 Nr 2 und Fortführung von BSG SozR 4-2600 § 77 Nr 1 und SozR 4-2600 § 237 Nr 6).
Normenkette
SGB VI § 38 Fassung: 1996-09-25, § 41 Abs. 1 Fassung: 1996-09-25, § 63 Abs. 6, §§ 67, 77 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1989-12-18, Abs. 2 Nr. 1, §§ 187a, 237 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. b Fassung: 1996-07-23, Abs. 4 S. 1 Nr. 1 Buchst. b Fassug: 1997-12-16, Nr. 3; SGB VI Anl. 19; SGB X § 44; RRG J: 1992; RRG J: 1999 Art. 33 Abs. 9; WFG Art. 1 Nr. 10; RuStFöG; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Februar 2005 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Zugunstenverfahrens darüber, ob der Zugangsfaktor bei der Berechnung der dem Kläger gewährten Altersrente (AlR) wegen Arbeitslosigkeit zu Recht aufgrund vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente gekürzt worden ist.
Der im Oktober 1939 geborene Kläger war seit 1955 bei der J.I. C… GmbH, N… (im Folgenden: GmbH), versicherungspflichtig beschäftigt. Nachdem die GmbH beschlossen hatte, den gesamten Produktionsbereich in N… zu schließen, wurden am 18. Februar 1994 Vereinbarungen zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat unter der Bezeichnung “Interessenausgleich und Vereinbarung über ein Sozialplanvolumen” (“Rahmen-Sozialplan”) geschlossen. Danach sollte das Werk im zweiten Halbjahr 1996 geschlossen werden, und die von der Werksstilllegung betroffenen Arbeitnehmer sollten jeweils zu einem späteren Zeitpunkt durch individuelle firmenseitige Kündigung oder durch Beendigung des Arbeitsverhältnisses im gegenseitigen Einvernehmen aus dem Betrieb ausscheiden. In dem “Detail-Sozialplan” vom 15. März 1994 wurde die Höhe der individuellen Abfindungsleistungen geregelt. Eine weitere “Betriebsvereinbarung” vom 7./13. März 1996 wurde erforderlich, weil der Termin für die Schließung des Produktionsstandorts in N… in das Jahr 1997 verschoben wurde und dies ua Änderungen bezüglich der Abfindungen erforderlich machte.
Mit Schreiben vom 4. Dezember 1996 kündigte die GmbH das Arbeitsverhältnis des Klägers unter Bezugnahme auf die og Vereinbarungen unter Einhaltung der arbeitgeberseitigen gesetzlichen Kündigungsfrist zum 30. September 1997. Das Werk in N… wurde am 30. Juni 1997 geschlossen.
Ab 1. Oktober 1997 war der Kläger arbeitslos gemeldet und bezog Arbeitslosengeld (Alg); seit 1. November 1999 bezieht er AlR wegen Arbeitslosigkeit. Zuvor hatte ihm die Beklagte mitgeteilt, er könne die zu erwartende Rentenminderung bei frühestmöglicher Inanspruchnahme der AlR wegen Arbeitslosigkeit gegen eine Zahlung von Beiträgen in Höhe von DM 64.293,84 ausgleichen (Auskunft vom 30. Januar 1998). Im Bewilligungsbescheid vom 5. August 1999 berechnete die Beklagte die Leistung unter Berücksichtigung eines auf 0,898 gekürzten Zugangsfaktors wegen vorzeitiger Inanspruchnahme; anstelle von 51,8529 persönlichen Entgeltpunkten (EP) wurden der Rente nur 46,5639 EP zugrunde gelegt.
Mit Bescheid vom 31. Januar 2002 lehnte die Beklagte einen Antrag des Klägers vom November 2000 auf Rücknahme bzw Änderung des Bescheids vom 5. August 1999 und Gewährung der AlR unter Einbeziehung eines ungekürzten Zugangsfaktors ab. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 2002; Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10. September 2003). Mit Urteil vom 11. Februar 2005 hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat sein Urteil im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Kläger habe keinen Anspruch auf höhere Rente unter Berücksichtigung eines Zugangsfaktors von 1,0 statt 0,898. Er hätte eine abschlagsfreie Rente erst ab dem 1. September 2002 beanspruchen können, weil er im Oktober 1939 geboren sei. Die Voraussetzungen des § 237 Abs 2 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) aF (jetzt: Abs 4), unter denen vorzeitig eine AlR wegen Arbeitslosigkeit ohne Abschläge in Anspruch genommen werden könne, erfülle er nicht; er könne sich auch nicht auf die Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs 2 Satz 1 Nr 1 Buchst b SGB VI aF berufen. Der Kläger sei zwar vor dem 14. Februar 1941 geboren und auch nach dem 13. Februar 1996 bis zum Bezug der AlR arbeitslos gewesen. Sein Arbeitsverhältnis sei aber nicht aufgrund einer Kündigung oder Vereinbarung vor dem im Gesetz genannten Stichtag (14. Februar 1996) beendet worden. Es habe vielmehr erst durch die arbeitgeberseitige Kündigung vom 4. Dezember 1996 geendet. Zwar habe diese Kündigung ihren Hintergrund in dem Interessenausgleich und der Vereinbarung über Sozialplanvolumen vom 18. Februar 1994 sowie dem Sozialplan vom 15. März 1994. Diese kollektiv-rechtlichen Vereinbarungen seien jedoch keine solchen im Sinne der gesetzlichen Vertrauensschutzregelung. Ein bindendes Beendigungsangebot habe weder der Kläger noch seine Arbeitgeberin unter Bezugnahme auf den Interessenausgleich/Sozialplan unterbreitet, wobei ein derartiges Verfahren auch weder im Sozialplan noch in der ergänzenden Betriebsvereinbarung vom 7./13. März 1996 vorgesehen gewesen sei. Vielmehr seien die in den Vereinbarungen begründeten Ansprüche erst zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden. Auch nach dem Schutzzweck der einschlägigen Rechtsnorm sei es nicht gerechtfertigt, vorliegend die Vertrauensschutzregelung anzuwenden. Es fehle gerade an Dispositionen des Klägers zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor dem Stichtag. Der Kläger sei rentenrechtlich nicht anders gestellt gewesen als andere Versicherte, die am 14. Februar 1996 noch nicht arbeitslos, aber von einer betrieblichen Kündigung bedroht waren, denen aber keine Ansprüche aus dem Sozialplan zugestanden hätten. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die vorgezogene Anhebung der Altersgrenze, insbesondere die Ausgestaltung der Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs 2 SGB VI aF bestünden nicht, wie der 5., 8. und 13. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) entschieden hätten.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 237 Abs 2 Satz 1 Nr 1 Buchst b SGB VI aF (§ 237 Abs 4 Satz 1 Nr 1 Buchst b SGB VI nF) bzw der Art 3, 14 iVm Art 20 des Grundgesetzes (GG). Im Gegensatz zur Auffassung des LSG sei davon auszugehen, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund einer Vereinbarung, die vor dem 14. Februar 1996 geschlossen sei, beendet worden sei. Eine solche Vereinbarung könne auch eine kollektiv-rechtliche Regelung sein, wenn hiermit die Dispositionsmöglichkeiten der Beteiligten in Bezug auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erschöpft seien. Das sei vorliegend der Fall gewesen. In den vor dem Stichtag geschlossenen Vereinbarungen sei vorgesehen gewesen, die Arbeitsverhältnisse sämtlicher im Produktionsbereich beschäftigten Arbeitnehmer zu beenden. Durch diese mit der tatsächlich ausgesprochenen Kündigung in Bezug genommenen Vereinbarungen sei eine für ihn wie seine Arbeitgeberin gleichermaßen bindende unumkehrbare Disposition getroffen worden. Im Übrigen verstoße die jetzige Regelung auch gegen die Verfassung, insbesondere gegen den dort verankerten Grundsatz des Vertrauensschutzes. Ihm, der im Oktober 1939 geboren sei, sei mit dem Rentenreformgesetz 1992 (RRG 1992) ein Vertrauensschutztatbestand innerhalb der Jahrgänge bis Ende 1940 geschaffen worden, ohne Abschläge AlR wegen Arbeitslosigkeit mit 60 Jahren zu erhalten. Dieser habe nicht durch die Einführung einer Stichtagsregelung weiter eingeschränkt werden dürfen, wie dies mit den § 41 Abs 1a, § 237 Abs 2 SGB VI aF durch das Gesetz zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand (RuStFöG) geschehen sei. Insoweit werde auf die Gründe des Vorlagebeschlusses des 4. Senats vom 16. Dezember 1999 (B 4 RA 11/99 R) zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a und Satz 2 SGB VI idF des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes Bezug genommen. Insbesondere sei die Anhebung der Altersgrenze von 60 Jahren bei AlR wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit mit Art 14 GG iVm Art 3 GG nicht vereinbar, als der Abschlag seine Rentenhöhe auch dann noch vermindere, wenn die individuellen Vorteile aus einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer durch einen Abschlag beim Zugangsfaktor ausgeglichen seien. Insoweit werde auf den Vorlagebeschluss des 4. Senats vom 28. Oktober 2004 (B 4 RA 7/03 R) verwiesen. Auf Anfrage des erkennenden Senats hat er mitgeteilt, dass die ihm ausgezahlte Abfindung seiner Arbeitgeberin DM 86,026,-- betrug.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger erklärt, er gehe angesichts seiner damaligen finanziellen Lage davon aus, dass eine mögliche Fehlberechnung durch die Beklagte nicht für die Wahl des Rentenbeginns ursächlich gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Februar 2005 und das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10. September 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter der Aufhebung des Bescheides vom 31. Januar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 2002 den Rentenbescheid vom 5. August 1999 abzuändern und ihm ab 1. November 1999 höhere Altersrente unter Berücksichtigung eines Zugangsfaktors von 1,0 statt 0,898 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Streitgegenstand ist ausschließlich, ob der Kläger einen Anspruch auf (teilweise) Rücknahme des Rentenbescheids vom 5. August 1999 hat, weil der Monatsbetrag der AIR wegen Arbeitslosigkeit unter Berücksichtigung eines höheren Zugangsfaktors als 0,898 zu ermitteln ist.
Dies hat das LSG zutreffend verneint. Die Beklagte hat zu Recht in ihrem Bescheid vom 31. Januar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juli 2002 die Erteilung eines “Zugunstenbescheides” abgelehnt. Der Bescheid vom 5. August 1999 ist nicht zu beanstanden. Der von der Beklagten der Rentenberechnung der AlR wegen Arbeitslosigkeit mit Beginndatum 1. November 1999 zugrunde gelegte Zugangsfaktor von 0,898 entspricht der Rechtslage, wie sie zum Zeitpunkt des Rentenbeginns bestand.
Gemäß § 44 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Maßgebend ist insoweit die Rechtslage zum Zeitpunkt des Rentenbeginns in dem zu überprüfenden Bescheid vom 5. August 1999 auf den Antrag vom Juni 1999, dh dem Monat nach Vollendung des 60. Lebensjahrs im Oktober 1999, somit ab November 1999.
Zwischen den Beteiligten ist insoweit streitig, ob der Kläger unter die Ausnahmeregelung des § 237 Abs 2 SGB VI aF fällt (hierzu im Folgenden unter 1) und ob die Regelungen, die für sein Geburtsdatum eine Kürzung des Zugangsfaktors (“Rentenabschlag”) vorsehen, verfassungsgemäß sind (hierzu im Folgenden unter 2).
1. Die Beklagte hat die Renten zu Recht unter Berücksichtigung eines Zugangsfaktors von 0,898 berechnet (a); eine Übergangsregelung kommt dem Kläger nicht zugute (b).
a) Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich nach § 63 Abs 6, § 64 SGB VI, indem die mit dem Zugangsfaktor vervielfältigten EP (“persönliche EP”), der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden.
Nach § 77 Abs 1 Satz 1 SGB VI in der hier maßgeblichen bis 31. Dezember 2000 gültigen Fassung richtet sich der Zugangsfaktor nach dem Alter des Versicherten bei Rentenbeginn und bestimmt, in welchem Umfang EP bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente zu berücksichtigen sind. Bei Renten wegen Alters, die mit Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahrs oder eines für den Versicherten maßgebenden niedrigeren Rentenalters beginnen, werden EP grundsätzlich in vollem Umfang berücksichtigt (Zugangsfaktor 1,0, vgl Abs 1 Satz 2 Nr 3 der Vorschrift). Nach § 77 Abs 2 Nr 1 SGB VI ist der Zugangsfaktor bei EP, die noch nicht Grundlage von persönlichen EP einer Rente wegen Alters waren, für jeden Kalendermonat, für den Versicherte eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch nehmen, um 0,003 niedriger. Entsprechend dieser Vorschrift wurde der Zugangsfaktor bei der AlR des Klägers gekürzt, weil dieser die Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch genommen hat.
Dies ergibt sich aus der Regelung der §§ 38, 41 Abs 1 SGB VI iVm Anlage 19 zum SGB VI in der bei Rentenbeginn am 1. November 1999 maßgeblichen Fassung des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes ≪WFG≫ (vgl Art 1 Nr 10), das insoweit die bisherige Regelung in § 41 Abs 1a SGB VI (vgl Art 2 Nr 5 Buchst b RuStFöG vom 23. Juli 1996, BGBl I 1078) übernommen hat.
Nachdem bereits mit dem am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen RRG 1992 vom 18. Dezember 1989 (BGBl I 2261) die vorgezogenen AlR stufenweise abgeschafft worden waren (vgl § 41 SGB VI idF des RRG 1992) und ein vorzeitiger Rentenbeginn zu einer dauerhaften Kürzung des Zugangsfaktors um 0,003 je Kalendermonat geführt hatte (vgl § 77 Abs 2 Nr 1 SGB VI), zog das RuStFöG die Anhebung der Altersgrenzen vor und beschleunigte sie (zur historischen Entwicklung der AlR wegen Arbeitslosigkeit BSGE 92, 206 = SozR 4-2600 § 237 Nr 1 RdNr 14 ff). Für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1936 geboren sind, wurde die Altersgrenze von 60 Jahren bei der AlR wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit angehoben (§ 41 Abs 1a Satz 1 SGB VI idF des RuStFöG); die vorzeitige Inanspruchnahme einer solchen AlR war jedoch möglich (§ 41 Abs 1a Satz 2 SGB VI idF des RuStFöG). Die seit dem 1. Januar 1997 für den Kläger maßgebende Bestimmung des § 41 Abs 1 SGB VI idF des WFG lautet: “Die Altersgrenze von 60 Jahren wird bei Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1936 geboren sind, angehoben. Die vorzeitige Inanspruchnahme einer solchen Altersrente ist möglich. Die Anhebung der Altersgrenzen und die Möglichkeit der vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrenten bestimmen sich nach Anlage 19.”
Nach Anlage 19 zum SGB VI wird die Altersgrenze bei der AlR wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit für Versicherte des Geburtsmonats Oktober 1939, wie der Kläger, um 34 Monate angehoben, also von ursprünglich 60 Jahren auf 62 Jahre und zehn Monate. Damit konnte er zum 1. November 1999 eine AlR wegen Arbeitslosigkeit lediglich vorzeitig in Anspruch nehmen. Auf dieser Grundlage hat die Beklagte den zu berücksichtigenden Zugangsfaktor gemäß § 77 Abs 2 Nr 1 iVm § 38, § 41 Abs 1 SGB VI aF iVm der Anlage 19 rechnerisch richtig um 0,102 (34 Monate x 0,003) auf 0,898 abgesenkt.
b) Zu Recht ist die Beklagte ferner davon ausgegangen, dass der Kläger nicht von den genannten Rentenabschlägen auszunehmen war.
Soweit Übergangsregelungen auch nur ansatzweise in Betracht kommen, gilt Folgendes: Nach § 237 Abs 2 Nr 1 SGB VI aF wird für Versicherte, die vor 1941 geboren sind, die Altersgrenze von 60 Jahren bei der AlR wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit nicht angehoben, wenn sie (a) entweder am 14. Februar 1996 arbeitslos waren oder (b) deren Arbeitsverhältnis auf Grund einer Kündigung oder Vereinbarung, die vor dem 14. Februar 1996 erfolgt ist, nach dem 13. Februar 1996 beendet worden ist und die daran anschließend arbeitslos geworden sind. Diese Regelung wurde durch das Rentenreformgesetz 1999 (RRG 1999) vom 16. Dezember 1997 (BGBl I 2998) in § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB VI übernommen. Gleichzeitig wurde in Nr 3 aaO – rückwirkend zum 1. Januar 1997 (Art 33 Abs 9 RRG 1999) – die Regelung aufgenommen, dass es für solche Versicherte bei den Anhebungen bleibt, wie sie das RRG 1992 vorsah, die vor dem 1. Januar 1942 geboren sind und 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben, wobei Zeiten nicht anzurechnen sind, in denen Versicherte wegen des Bezugs von Alg oder Arbeitslosenhilfe versicherungspflichtig waren. Unter diesen Voraussetzungen werden Versicherte, die, wie der Kläger, vor dem 1. Januar 1941 geboren sind, nicht von der stufenweisen Anhebung der Altersgrenzen erfasst und bleiben abschlagsfrei.
Nach den vom LSG getroffenen Feststellungen kommt dem Kläger diese Übergangsregelung nicht zugute. Er weist zwar das erforderliche Geburtsdatum auf, weil er vor dem 14. Februar 1941 geboren ist, die weiteren Voraussetzungen eines der angeführten Sondertatbestände erfüllt er aber nicht. Der 5. Senat des BSG hat dies bereits für den Fall eines anderen Arbeitnehmers der Arbeitgeberin des Klägers entschieden (Urteil vom 25. Februar 2004, SozR 4-2600 § 237 Nr 2 RdNr 12 ff). Der erkennende Senat schließt sich dem aufgrund eigener Prüfung an.
Die Voraussetzungen des § 237 Abs 2 Satz 1 Nr 1 Buchst a SGB VI aF liegen nicht vor, denn der Kläger war am 14. Februar 1996 nicht arbeitslos. Auch die Voraussetzungen des Abs 2 Satz 1 Nr 3 der Vorschrift sind nicht erfüllt. Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG weist der Kläger keine 45 Jahre mit nach dieser Vorschrift anrechenbaren Pflichtbeiträgen auf; vielmehr finden sich solche nur vom 1. April 1954 bis 30. September 1997 (43 ½ Jahre). Zu Recht hat das LSG die Pflichtbeitragszeiten vom 1. Oktober 1997 bis 31. Oktober 1999 nicht berücksichtigt, weil § 55 Abs 2 SGB VI gemäß § 237 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB VI aF nicht für Zeiten anzuwenden ist, in denen der Versicherte – wie hier – wegen des Bezugs von Alg versicherungspflichtig war.
Schließlich sind auch die Voraussetzungen von Satz 1 Nr 1 Buchst b der Vorschrift nicht gegeben; im Sinne dieser Vorschrift liegt weder eine Kündigung noch Vereinbarung vor dem Stichtag vor.
Dem Kläger wurde erst nach dem 14. Februar 1996 gekündigt. Die Voraussetzungen der Kündigung richten sich nach § 620 ff des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Sie ist eine einseitige, empfangsbedürftige, unwiderrufliche Willenserklärung (Weidenkaff in Palandt, BGB-Komm, 66. Aufl, vor § 620 RdNr 28). Der Wille, das Arbeitsverhältnis für die Zukunft zu beenden, muss erkennbar sein (§ 133 BGB; vgl Weidenkaff, aaO, RdNr 32). In diesem Sinn wurde dem Kläger durch die GmbH nicht vor dem 4. Dezember 1996 gekündigt. Aus dem im Tatbestand des Urteils des LSG in Bezug genommenen Kündigungsschreiben mit diesem Datum ergibt sich mit der erforderlichen Deutlichkeit, dass die GmbH davon ausging, das Arbeitsverhältnis sei noch nicht beendet und es bedürfe deshalb einer erstmaligen schriftlichen Individualkündigung. Das Schreiben lautet: “Sehr geehrter Herr W…, bezugnehmend auf die Konzernentscheidung zur Restrukturierung von C…, sowie auf der Grundlage des Interessenausgleiches/Vereinbarung über Sozialplanvolumen vom 18.02.94 und Sozialplan vom 15.03.94 / BV vom 13.03.96, kündigen wir hiermit das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der arbeitgeberseitigen gesetzlichen Kündigungsfrist zum 30. September 1997. Der Betriebsrat wurde ordnungsgemäß zu Ihrer Kündigung gehört. Die Abfindungszahlung bestimmt sich nach den festgelegten Regelungen in den oben angeführten Vereinbarungen. Wir bedauern diese Maßnahme außerordentlich und verbleiben …”. Dass die vor der Kündigung und dem Stichtag liegenden Vereinbarungen in Bezug genommen wurden, kann nicht dahin gedeutet werden, dass eine dieser Vereinbarungen bereits das Arbeitsverhältnis beendet hätte; vielmehr wurden durch die Bezugnahme die Abfindungszahlungen Gegenstand der Kündigungserklärung.
Demgemäß lag vor dem Stichtag auch keine Vereinbarung über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses, insbesondere kein Auflösungsvertrag iS von § 237 Abs 2 Satz 1 Nr 1 Buchst b SGB VI aF vor. Als Vereinbarungen in diesem Sinne sind regelmäßig nur individualrechtliche Verträge anzusehen (s insoweit BSG vom 25. Februar 2004, SozR 4-2600 § 237 Nr 2 RdNr 12 f).
Auch soweit der 4. Senat des BSG angenommen hat, dass in einer Kollektivvereinbarung (Sozialplan) eine Vereinbarung im Sinne des § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 1 Buchst b SGB VI liegen kann (BSG vom 5. Juli 2005, SozR 4-2600 § 237 Nr 8 RdNr 18 ff), wirkt sich dies nicht zugunsten des Klägers aus. Denn der 4. Senat fordert für diesen Fall, dass die Betriebsvereinbarung einen Verpflichtungsvertrag über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch des einzelnen Arbeitnehmers enthält; er hat überdies ausdrücklich ausgeführt, dass eine solche in dem vom 5. Senat entschiedenen Parallelfall zu dem des Klägers (SozR 4-2600 § 237 Nr 2; s oben) nicht vorlag. Konkret ergibt sich dies jedenfalls auch daraus, dass Nr 3 Abs 2 der Vereinbarung vom 18. Februar 1994 nicht nur einen Wegfall der Arbeitsplätze, sondern – als Alternative – auch den Erhalt von Arbeitsplätzen durch Betriebsübergang nach § 613a BGB anspricht. Schon deshalb aber konnte die Vereinbarung nicht bereits als solche einer Individualkündigung oder einem Aufhebungsvertrag gleichstehen.
§ 237 Abs 2 SGB VI aF enthält auch keine planwidrige Lücke, als er in Satz 1 Nr 1 Buchst b und Satz 2 der Vorschrift im Fall eines am Stichtag noch nicht arbeitslosen und auch noch nicht gekündigten Versicherten verlangt, dass am Stichtag eine ihn bindende Vereinbarung zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses vorgelegen haben muss. Der erkennende Senat schließt sich insoweit der Auffassung des 5. Senats des BSG in seinem Urteil vom 25. Februar 2004 an (SozR 4-2600 § 237 Nr 2 RdNr 14).
2. Zu einer Aussetzung des Rechtsstreits und zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bestand keine Veranlassung. Der Kläger meint – ua unter Bezugnahme auf den Vorlagebeschluss des 4. Senats des BSG vom 16. Dezember 1999 (B 4 RA 11/99 R, EzS 50/407) betreffend § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a und Satz 2 SGB VI –, die Neuregelung der vorzeitigen Inanspruchnahme von Renten und der Rentenabschläge durch das RuStFöG und das WFG verstoße gegen Art 3, 14 iVm Art 20 GG (Vertrauensschutz); insbesondere sei willkürlich, dass die bis zum 31. Dezember 1936 Geborenen oder diejenigen, die die Übergangsregelung des § 237 Abs 2 (jetzt: Abs 4) SGB VI erfüllten, keine oder geringere Abschläge hinnehmen müssten. Er habe im Zeitpunkt der Neuregelung einem rentennahen Jahrgang angehört und damit Vertrauensschutz in die davor bestehende Rechtslage beanspruchen können.
Anders als der Kläger meint, verstoßen die Regelungen des § 41 Abs 1 SGB VI aF (jetzt: § 237 Abs 3 SGB VI idF des RRG 1999) und des § 237 Abs 2 SGB VI aF (jetzt § 237 Abs 4 SGB VI idF des RRG 1999) nicht gegen das GG. Der erkennende Senat hat bereits mehrere Entscheidungen zu den Regelungen des § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 3 bzw des § 237 Abs 3 SGB VI in der im Betreff genannten Fassung getroffen, jedoch keine Veranlassung zu einer Aussetzung der Verfahren und gemäß Art 100 Abs 1 GG zur Vorlage an das BVerfG gesehen (Urteile vom 5. August 2004 – B 13 RJ 10/03 R, SozR 4-2600 § 77 Nr 1, hierzu Verfassungsbeschwerde anhängig unter dem Az 1 BvR 2836/04 und – B 13 RJ 40/03 R, SozR 4-2600 § 237 Nr 6, hierzu Verfassungsbeschwerde anhängig unter dem Az 1 BvR 2300/04; vgl ferner BSG 5. Senat, Urteil vom 25. Februar 2004 – B 5 RJ 62/02 R – SozR 4-2600 § 237 Nr 2, hierzu gleichfalls Verfassungsbeschwerde anhängig unter dem Az 1 BvR 1576/04). Auf die eingehenden Ausführungen in den og Urteilen kann insoweit im Einzelnen verwiesen werden.
a) So hat der erkennende Senat in den og Urteilen die maßgebliche Regelung des § 237 SGB VI idF des RRG 1999 nicht als verfassungswidrig angesehen und insbesondere einen Verstoß gegen Art 14 GG verneint. Zwar ist der Schutzbereich des Art 14 GG tangiert, weil im Vergleich zur früheren Rechtslage mit der Rechtsänderung durch das RuStFöG eine Verschlechterung für die betroffenen Versicherten insoweit eingetreten ist, als die Altersgrenzen angehoben wurden und bei einem vorzeitigen Rentenbezug der Zugangsfaktor gemindert wird, auch wenn der Gesetzgeber die EP als solche nicht gekürzt hat. Durch diese Neuregelung ist jedoch Art 14 GG nicht verletzt. Gemessen an der vom Kläger erworbenen Rechtsposition ergibt die gebotene Abwägung zwischen seinem Interesse an deren Erhalt und dem öffentlichen Interesse an der Änderung auch, dass der Eingriff verhältnismäßig und zumutbar ist.
Dabei war insbesondere zu berücksichtigen, dass der Versicherte keineswegs rechtlich gezwungen ist, die vorgezogene AlR in Anspruch zu nehmen. Bei einem von ihm gewählten späteren Rentenbeginn kann er die Kürzung des Zugangsfaktors mindern oder – je nach gewähltem Zeitpunkt – ganz vermeiden.
Auch ein Verstoß der Neuregelung durch das RuStFöG bzw das WFG gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes ist nicht erkennbar. Insbesondere hat es der erkennende Senat bereits in den og Urteilen als zulässig angesehen, dass die durch das RRG 1992 langfristig angelegte Übergangsregelung zur Anhebung der Altersgrenzen bei der AlR wegen Arbeitslosigkeit wegen nicht vorhersehbarer Entwicklung der Frühverrentungen und den Auswirkungen der deutschen Vereinigung nochmals den Übergangszeitraum verkürzt hat. Bedenken gegen die Stichtagsregelung bestehen nicht.
b) Ebenso wenig ist der Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG verletzt. Soweit der Kläger dazu insbesondere vorbringt, er sei in derselben Lage gewesen wie jemand, der am Stichtag schon die endgültige Kündigung in der Hand gehabt habe, weil mit der Betriebsvereinbarung die Dispositionsmöglichkeiten der Beteiligten erschöpft gewesen seien, ist dem entgegenzuhalten, dass eine Gleichbehandlung der bei ihm vorliegenden mit der im Gesetz geregelten Fallkonstellation ebenfalls Gleichheitsprobleme auslösen würde. Denn ein Eingehen auf diese Argumentation würde bedeuten, den Kläger besser zu stellen als solche Arbeitnehmer, die einer “normalen” betriebsbedingten Kündigung ohne die großzügigen Regelungen eines Sozialplans wie im vorliegenden Falle anheim fallen (BSG 5. Senat, SozR 4-2600 § 237 Nr 2 RdNr 14).
Der erkennende Senat hat ferner bereits entschieden (Urteil vom 5. August 2004, SozR 4-2600 § 237 Nr 6 RdNr 49 f), dass sich verfassungsrechtliche Bedenken auch nicht aus der an 45 Pflichtbeitragsjahre anknüpfenden Übergangsregelung des § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 3 SGB VI ergeben, deren Erfüllung der Kläger verfehlt. Der Kläger beruft sich für die Annahme des Verfassungsverstoßes insoweit auf die Vorlagebeschlüsse des 4. Senats vom 28. Oktober 2004 (B 4 RA 7/03 R, B 4 RA 50/03 R, B 4 RA 64/02 R, B 4 RA 3/03 R, B 4 RA 42/02 R; beim BVerfG anhängig unter den Az 1 BvL 3/05 bis 7/05; entsprechend auch BSG 4. Senat vom 23. August 2005 – B 4 RA 28/03 R, BVerfG-Az 1 BvL 1/06; BSG 4. Senat vom 16. Mai 2006 – B 4 RA 5/05 R, BVerfG-Az 1 BvL 5/06). Der hierin vertretenen Argumentation vermag sich der Senat jedoch nicht anzuschließen.
Die Regelung des § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 3 SGB VI stellt eine Erweiterung der 1996 bereits eingeführten Vertrauensschutzregelungen zur AlR wegen Arbeitslosigkeit dar. Sie stimmt in ihren Voraussetzungen mit gleich lautenden Regelungen bei vorzeitigen AlR für langjährig Versicherte und Frauen (§ 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 bzw § 237a Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI idF RRG 1999) überein und ist in § 236a Satz 5 Nr 2 SGB VI mit Anhebung der Altersgrenze bei den vorzeitigen Renten für Schwerbehinderte durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl I 1827, vgl Art 1 Nr 40) zum 1. Januar 2001 auch für diese vorgezogene AlR eingeführt worden. Für die von ihr Begünstigten hat die Regelung nachträglich den durch das RRG 1992 geschaffenen Rechtszustand wiederhergestellt bzw diesen Rechtszustand beibehalten. Die Regelung in § 237 Abs 2 Satz 1 Nr 3 aF bzw Abs 4 Satz 1 Nr 3 SGB VI war verfassungsrechtlich nicht geboten. Damit begegnet es auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass sie von den Versicherten der betroffenen Jahrgänge nur in seltenen Fällen bereits bis zur Vollendung des 60. Lebensjahrs, also für einen Anspruch auf AlR wegen Arbeitslosigkeit entsprechend dem früheren Recht, erfüllt werden kann. Dennoch bleibt der Regelung ein Anwendungsbereich, weil die Rente auch mit einem höheren Lebensalter in Anspruch genommen werden kann als exakt dem, das nach dem RRG 1992 eine Rente ohne oder nur mit einem geringen Abschlag ermöglicht hat; zudem können Versicherte mit Altersteilzeitarbeit von der Regelung profitieren. Dass die Beibehaltung der früheren Rechtslage bei der AlR wegen Arbeitslosigkeit schwieriger erfüllbar ist als bei der AlR für langjährig Versicherte mit vollendetem 63. Lebensjahr, ist durch die unterschiedlich langen Rentenlaufzeiten sachlich gerechtfertigt.
Ebenso wenig war es sachwidrig, dass der Gesetzgeber für die aufgezeigte Ausnahmeregelung auf den Zeitfaktor (Versicherungsjahre) abgestellt hat und nicht (auch) darauf, ob der Versicherte (wie hier der Kläger mit über 51 EP aus Beitragszeiten) wertmäßig ebenso viel (oder mehr) zur gesetzlichen Rentenversicherung beigetragen hat wie ein Durchschnittsverdiener, der 45 Jahre Pflichtbeiträge entrichtet hat (und damit 45 EP aufweist). Es war ihm nicht verwehrt, insoweit langjährige Treue zum System der Rentenversicherung zu belohnen.
Schließlich kann die – später hinzugefügte – Ausnahmeregelung, selbst wenn sie für sich genommen gleichheitswidrig wäre, die als solche verfassungsgemäße Gesamtregelung verfassungsrechtlich nicht insgesamt unwirksam machen.
Ergänzend hierzu ist zu berücksichtigen, dass es sich bei § 237 SGB VI um eine Übergangsregelung handelt (vgl auch Götz/Stahl/Wollschläger, DRV 1998, 2, 6). Ob die zurzeit diskutierte Gewährung einer abschlagsfreien Rente mit 45 Pflichtbeitragsjahren bei Erhöhung des Rentenalters auf 67 auch für die Regelfälle verfassungsgemäß wäre (vgl dazu zB Kaldybajewa/Kruse, RVaktuell 2006, 434 ff), ist hier nicht zu entscheiden.
Ebenso wenig ist im vorliegenden Fall erheblich, ob sich die Regelung zur abschlagsfreien Zahlung einer vorzeitigen Rente beim Vorliegen von 45 Pflichtbeitragsjahren für Versicherte mit Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung gleichheitswidrig auswirkt (s BSG 4. Senat Vorlagebeschluss vom 16. Mai 2006 – B 4 RA 5/05 R, RdNr 293 ff). Der Kläger weist keine derartigen Kinderberücksichtigungszeiten auf; damit kann sich eine unterstellte Verfassungswidrigkeit in dieser Hinsicht nicht auf ihn auswirken (vgl BSG vom 9. Mai 1995, SozR 3-5870 § 10 Nr 6).
c) Der Kläger kann auch mit seinem weiteren Vortrag zur Verfassungswidrigkeit der Regelung über die Abschlagszahlung bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente nicht durchdringen. Er macht insoweit insbesondere unter Bezug auf die Vorlagebeschlüsse des 4. Senats vom 28. Oktober 2004 (s oben unter b, dort auch mwN) geltend, die Anhebung der Altersgrenze von 60 Jahren bei AlR wegen Arbeitslosigkeit sei deshalb nicht mit Art 14 GG iVm Art 3 GG vereinbar, weil seine AlR auch dann noch vermindert werde, wenn die individuellen Vorteile aus einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer durch einen Abschlag vom Zugangsfaktor ausgeglichen seien. Dies ist nach Darlegung des 4. Senats bei einem vollen, nicht durch eine Übergangsregelung abgemilderten, Abschlag und einem Rentenbeginn mit Vollendung des 60. Lebensjahrs bei Erreichen des Lebensalters von 87 Jahren und zehn Monaten der Fall. Der Senat teilt die verfassungsmäßigen Bedenken des 4. Senats nicht und sieht auch insoweit keine Veranlassung zur Aussetzung des Rechtsstreits und zur Vorlage an das BVerfG nach Art 100 Abs 1 GG (ohne entsprechende Bedenken zB auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Juni 2006 – 2 BvR 361/03, NVwZ 2006, 1280 ff zu einer entsprechenden Abschlagsregelung in der Beamtenversorgung).
Bedenken bestehen zunächst bereits hinsichtlich des Rechtsschutzbedürfnisses (der aktuellen Betroffenheit) des Klägers. Es handelt sich nur um eine in ferner Zukunft liegende nur möglicherweise eintretende Beeinträchtigung des Klägers. Weder ist vorhersehbar, ob der Kläger das maßgebliche Alter erreichen wird, bei dem der og Fall eintreten kann, noch ist absehbar, welche Rechtsvorschriften zu diesem Zeitpunkt gelten werden. Nicht ausreichend für die Annahme eines Rechtsschutzbedürfnisses erscheint es, auf eine mögliche Bestandskraft des angefochtenen Bescheids abzustellen. Denn der Kläger könnte sich, sobald nach seiner Rechtsmeinung die Abschläge ausgeglichen sein sollten oder dieser Zeitpunkt näher rückt, auf eine wesentliche Änderung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X berufen.
Im Übrigen ist der Senat auch in der hier diskutierten Hinsicht von der Verfassungswidrigkeit der Regelung über Abschlagszahlung bei vorzeitiger Inanspruchnahme der AlR wegen Arbeitslosigkeit (§ 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a iVm § 237 SGB VI) nicht überzeugt.
Das bisherige Recht (Reichsversicherungsordnung, Angestelltenversicherungsgesetz, Reichsknappschaftsgesetz) kannte bis 1991 keine versicherungsmathematischen Abschläge bei Renten, die vorzeitig in Anspruch genommen wurden (zB AlR vor Vollendung des 65. Lebensjahrs; vgl Stahl in Hauck/Noftz, SGB VI, § 77 RdNr 11). Der Rentenabschlag wurde mit dem RRG 1992 eingeführt. Zur Begründung hat der Gesetzgeber nur ausgeführt: “Der Zugangsfaktor ist grundsätzlich 1,0. Er ist kleiner, wenn der Versicherte eine Altersrente vor der für ihn maßgebenden Altersgrenze in Anspruch nimmt, er ist größer bei Hinausschieben einer möglichen Altersrente über das 65. Lebensjahr hinaus.” (BT-Drucks 11/4124, S 172 zu § 76 des Gesetzentwurfs). Der Zugangsfaktor soll die Vorteile oder Nachteile ausgleichen, die sich durch den Beginn der Rente vor oder nach Vollendung des 65. Lebensjahrs ergeben (vgl Stahl, aaO, RdNr 16).
Dass die Höhe des festgelegten Faktors (0,003 pro Kalendermonat) versicherungsmathematisch fair angesetzt ist, hat der Senat bereits entschieden (s hierzu BSG SozR 4-2600 § 237 Nr 6 RdNr 38 mwN). Hiermit aber wird deutlich, dass ein Versicherter nicht ungerecht (dh gleichheitswidrig) behandelt wird, wenn er den vorzeitigen Rentenbeginn mit einer dauerhaften Absenkung der Rentenhöhe erkauft.
Zwar kann errechnet werden, wann ein bestimmter Rentner den Vermögensvorteil der vorzeitigen Rente durch den Rentenabschlag ausgeglichen hat. Nicht berücksichtigt werden bei einer solchen isolierten Sichtweise jedoch die weiteren Faktoren, die die versicherungsmathematische Beurteilung beeinflussen, zB die bei einem vorzeitigen Rentenbeginn bestehende Möglichkeit, dass es ohne die vorzeitige Rente gar nicht zur Beanspruchung der AlR gekommen wäre (nämlich bei einem Versterben vor Vollendung des 65. Lebensjahrs). Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, zwischen einem vorzeitigen Rentner, der derart früh versterbe, und einem anderen, der das Alter von 87 Jahren und zehn Monaten erreiche, bestehe kein “Haftungsverbund” (so aber BSG 4. Senat, zB Vorlagebeschluss vom 16. Mai 2006 – B 4 RA 5/05 R, RdNr 351). Denn eben dieser Haftungsverbund (“Gefahrengemeinschaft”) ist typisch für ein Versicherungssystem (vgl Ebsen in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 3, Rentenversicherungsrecht, 1999, § 5 RdNr 7).
Damit kann der Senat auch nicht die Argumentation (des 4. Senats aaO, RdNr 353, 365) nachvollziehen, der Rentner, der zu einem Zeitpunkt versterbe, zu dem sein Rentenabschlag noch nicht zum Ausgleich des vorzeitigen Rentenbeginns geführt habe, genieße einen “Vermögensvorteil”, dem spiegelbildlich ein “Vermögensnachteil” dessen gegenüberstehe, der über den Ausgleichszeitpunkt hinaus lebe und weiterhin seine – um die Abschläge gekürzte – Rente beziehe.
Schließlich werden Versicherten mit den Rentenabschlägen keine Leistungen ohne ihr Zutun genommen. So hat der Senat bereits darauf hingewiesen (vgl BSG SozR 4-2600 § 77 Nr 1), dass Versicherte wie der Kläger keineswegs gezwungen sind, die vorgezogene AlR in Anspruch zu nehmen. Nur auf Antrag (freiwillig) kommt es zum vorzeitigen Rentenbeginn und damit zu seiner Rechtsfolge, der Rentenminderung. Bei einem späteren Rentenbeginn hätte auch der Kläger die Kürzung des Zugangsfaktors mindern oder ggf ganz vermeiden können. Es lag letztlich in seiner Entscheidung (rechtliche Wahlmöglichkeit), den Rentenabschlag in Kauf zu nehmen oder aber die Regelaltersrente mit Vollendung des 65. Lebensjahrs (bzw hier, nach § 41 Abs 1 iVm Anlage 19 SGB VI idF des WFG, die AlR wegen Arbeitslosigkeit abschlagsfrei mit 62 Jahren und zehn Monaten) zu beanspruchen.
d) Insbesondere im vorliegenden Einzelfall des Klägers ist kein Grundrechtsverstoß durch die Abschlagsregelung wegen vorzeitiger Inanspruchnahme der AlR wegen Arbeitslosigkeit erkennbar. Es kann nicht ohne Auswirkungen auf die Beurteilung sein, ob dem Kläger verfassungswidriges Unrecht geschehen ist, wenn ihm zumutbare Möglichkeiten zur Verfügung standen, die Rentenabschläge zu vermindern oder gar zu vermeiden. Das war hier der Fall.
Denn zum einen hatte der Kläger bei der vorzeitigen Inanspruchnahme der AlR wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit mit Vollendung des 60. Lebensjahrs seinen Anspruch auf Alg noch nicht ausgeschöpft. Er war seit dem 1. Oktober 1997 arbeitslos und hat Alg vom 1. Oktober 1997 bis 31. Oktober 1999 erhalten, also für zwei Jahre und einen Monat (25 Monate). Damit hatte er nach dem damaligen Rechtszustand (§ 127 Abs 2 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch ≪SGB III≫) seinen Anspruch (32 Monate; allerdings zu je 30 Tagen: § 339 SGB III) noch nicht voll ausgeschöpft; hätte er längstmöglich Alg bezogen, wären seine Rentenabschläge dadurch (um immerhin 1,8 oder 2,1 %-Punkte von 10,2) vermindert worden.
Es bestand auch keine Verpflichtung für Alg-Bezieher, den frühestmöglichen Rentenbeginn auch unter Hinnahme von Abschlägen wahrzunehmen (selbst beim Alg nach § 428 SGB III, was die Inanspruchnahme von Alg unter den erleichterten Bedingungen des Abs 1 voraussetzte, galt nach Abs 2 keine Verpflichtung zur Beantragung vorzeitiger Renten unter Abschlägen). Zwar war nach den Angaben des Klägers sein Alg deutlich (ca DM 300,--/Monat) niedriger als die AlR, selbst unter Berücksichtigung der Abschläge. Gleichzeitig stand ihm jedoch die vom Arbeitgeber aus Anlass der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses gewährte Abfindung zur Verfügung.
Mit der Abfindung (DM 86.026,--) hätte er die mit der vorzeitigen Inanspruchnahme verbundene Rentenminderung durch Beitragszahlungen nach § 187a Abs 1 SGB VI sogar vollständig ausgleichen können. Sie lag weit über dem Betrag, der hierfür hätte aufgebracht werden müssen (DM 64.293,84).
Damit aber wäre es ihm auch möglich gewesen, mit Hilfe der Abfindung das ihm gezahlte Alg bis zum Auslaufen aufzustocken und nach § 187a Abs 1 SGB VI die verbleibenden Abschläge auszugleichen.
3. Es bestand schließlich keine Veranlassung, den Rechtsstreit an das LSG zur Prüfung der Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zurückzuverweisen. Das LSG Baden-Württemberg hat eine Beratungspflicht des Rentenversicherungsträgers für den Fall bejaht, dass der Versicherte erkennbar zum Zeitpunkt des beantragten Rentenbeginns seinen Anspruch auf Alg noch nicht ausgeschöpft hatte (Urteil vom 16. Dezember 2004 – L 10 RA 4887/03). So aber lag der Fall beim Kläger (s oben unter 2d). Der Kläger hat jedoch in der mündlichen Revisionsverhandlung erklärt, er gehe angesichts seiner damaligen finanziellen Lage (Alg ca DM 300,-- niedriger als die AlR unter Abschlägen) davon aus, dass eine mögliche Fehlberatung durch die Beklagte für die Wahl des Rentenbeginns nicht ursächlich gewesen sei. Für das Vorliegen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs bestand bei dieser Sachlage kein Anhalt mehr.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen