Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenberechnung. Vorausbescheinigung. Hochrechnung nach § 194 Abs 1 SGB 6. beitragspflichtige Einnahmen. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Wird ein Rentenantragsteller vom Rentenversicherungsträger über die Folgen seines Einverständnisses mit der Ermittlung der voraussichtlichen beitragspflichtigen Arbeitsentgelte für die drei Monate vor Rentenbeginn durch Hochrechnung fehlerhaft aufgeklärt, kann ihm ein Herstellungsanspruch auf Zahlung einer Altersrente nach Maßgabe der tatsächlich erzielten höheren Entgelte zustehen.
Normenkette
SGB VI §§ 64, 63 Abs. 1-2, § 70 Abs. 4 Fassung: 2007-09-07, § 123 Abs. 3, § 194 Abs. 1 Fassung: 2007-09-07; RVO § 1401 Abs. 1; AVG § 123 Abs. 1; SGB IV § 28a Abs. 2, § 28 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 Buchst. b, d; SGB I §§ 13, 42; DEÜV § 8 Abs. 1, §§ 10, 12 Abs. 5
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 8. Dezember 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Altersrente.
Der am 5.10.1948 geborene Kläger beantragte am 1.9.2009 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 1.1.2010. Sein Beschäftigungsverhältnis endete nach einer Phase der Altersteilzeit zum 31.12.2009.
Bei Rentenantragstellung gab der Kläger an, er werde voraussichtlich bis zum Rentenbeginn "beitragspflichtige Einnahmen" in Form von "Arbeitsentgelt/Vorruhestandsgeld" erzielen; der "Vordruck R 250" solle durch den Rentenversicherungsträger angefordert werden. In der am Ende des - im Verfahren "Antrag-Online" bei der Stadtverwaltung Ludwigshafen am Rhein, Bürgerbüro und Sozialversicherung, ausgefüllten - Antragsformulars (R100) enthaltenen, vom Kläger unterschriebenen "Erklärung des Antragstellers" (nachfolgend: Vordruckerklärung) ist folgender Absatz enthalten:
"Ich willige ein (sofern ich im Abschnitt beitragspflichtige Einnahmen nichts anderes bestimmt habe), dass der Rentenversicherungsträger zur Beschleunigung des Rentenverfahrens
- frühestens drei Monate vor Rentenbeginn eine Meldung der beitragspflichtigen Einnahmen für abgelaufene Zeiträume vom Arbeitgeber anfordert,
- für den weiteren Zeitraum ggf. bis zum Rentenbeginn die entsprechenden voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahmen (maximal für 3 Monate) hochrechnet und
- diese der Rentenberechnung zugrunde legt.
Mir ist bekannt, dass kurzfristige Unterbrechungen der Beschäftigung im letzten Jahr von weniger als einem Kalendermonat sowie Sonderzahlungen in den letzten Monaten bis zum Rentenbeginn, die über die regelmäßigen Einmalzahlungen (wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld) hinausgehen, bei der Hochrechnung der Arbeitsentgelte nicht berücksichtigt werden können. Sollten die tatsächlichen beitragspflichtigen Einnahmen von den hochgerechneten Beträgen abweichen, können diese erst bei einer später zu zahlenden Rente berücksichtigt werden."
Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 29.10.2009 die beantragte Rente ab 1.1.2010 mit einem monatlichen Zahlbetrag von 1643,55 Euro (einschließlich eines Zuschusses zum Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von 107,52 Euro). Bei ihrer Festsetzung legte sie für das vierte Quartal des Jahres 2009 (1.10. bis 31.12.2009) ein hochgerechnetes beitragspflichtiges Arbeitsentgelt in Höhe von 13 542 Euro zugrunde.
Den Widerspruch des Klägers vom 11.11.2009 mit der Begründung, dass die beitragspflichtige Einmalzahlung für November 2009 ("Weihnachtsgeld") in Höhe eines vollen Monatsgehalts nicht berücksichtigt worden sei, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7.1.2010 zurück. Der Kläger habe bei Antragstellung in die Feststellung seiner Altersrente auf Grundlage einer Hochrechnung eingewilligt. Die Hochrechnung des voraussichtlichen beitragspflichtigen Arbeitsentgelts für das letzte Quartal des Jahres 2009 sei rechnerisch nicht zu beanstanden. Das tatsächlich in diesem Teilzeitraum erzielte höhere beitragspflichtige Arbeitsentgelt sei gemäß § 70 Abs 4 S 2 SGB VI nicht zu berücksichtigen.
Im Klageverfahren hat der Kläger unter Vorlage der Entgeltabrechnungen seines Arbeitgebers für die Zeit vom 1.10. bis 31.12.2008 ergänzend um Überprüfung der Berechnungsweise der Hochrechnung gebeten, da die Beklagte für dieses Quartal der Hochrechnung nicht das tatsächlich erzielte beitragspflichtige Entgelt in Höhe von 16 054,98 Euro, sondern lediglich 14 141,75 Euro zugrunde gelegt habe.
Das SG hat die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 18.5.2010 antragsgemäß verurteilt, dem Kläger unter Abänderung des Bescheids vom 29.10.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.1.2010 ab 1.1.2010 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen unter Berücksichtigung des im Zeitraum vom 1.10. bis 31.12.2009 tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Arbeitsentgelts in Höhe von 16 756 Euro zu zahlen. Nach dem Wortlaut des § 70 Abs 4 S 2 SGB VI bestehe zwar kein Anspruch des Klägers auf Neuberechnung unter Berücksichtigung des tatsächlich erzielten Entgelts. Doch sei zum einen der angefochtene Rentenbescheid nicht bestandskräftig geworden. Zum anderen habe das BSG zu der im Wesentlichen gleichgerichteten Vorschrift des § 123 Abs 1 S 3 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) entschieden, dieser Norm sei nicht zu entnehmen, dass eine einmal erteilte Entgeltvorausbescheinigung jeglicher nachträglicher Korrektur entzogen sei (Hinweis auf BSG vom 16.11.1995 - BSGE 77, 77 = SozR 3-2200 § 1401 Nr 1). Diese Rechtsprechung habe das Bayerische LSG in seinem Urteil vom 13.8.2008 (L 13 R 58/08 = NZS 2009, 630) für § 70 Abs 4 S 2 SGB VI in seiner bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung als nahezu inhaltsgleiche Vorschrift zu § 123 Abs 1 S 3 AVG bestätigt. Eine abweichende Auslegung des § 70 Abs 4 S 2 SGB VI im Hinblick auf eine nachträgliche Korrekturmöglichkeit sei auch nach dessen Änderung zum 1.1.2008 nicht geboten. Denn der Gesetzgeber habe trotz Kenntnis der vorgenannten Rechtsprechung des BSG zu den Vorläuferbestimmungen auch diese Änderung nicht zum Anlass genommen, diesbezüglich klarstellende Ausführungen zu machen. Im Übrigen stelle die mit Unterschrift unter dem Rentenantrag erklärte Einwilligung des Klägers in die Vorgehensweise nach § 194 Abs 1, § 70 Abs 4 SGB VI keinen Verzicht iS des § 46 Abs 1 S 1 SGB I dar.
Das LSG hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 8.12.2010 zurückgewiesen. Zwar habe die Beklagte sich auf Grundlage der Bestimmung in § 70 Abs 4 S 2 SGB VI zu Recht nicht in der Lage gesehen, eine Neuberechnung nach dem tatsächlich gemeldeten beitragspflichtigen Arbeitsentgelt vorzunehmen. Dessen Nichtberücksichtigung für den hochgerechneten Zeitraum verstoße nicht gegen Verfassungsrecht. Der Kläger habe aber dennoch einen Anspruch auf Neufeststellung seiner Altersrente. Die Hochrechnung sei falsch, weil die Beklagte die Regelung des § 194 Abs 1 S 3 SGB VI falsch angewendet habe. Hiernach seien der Hochrechnung die vom Arbeitgeber gemeldeten beitragspflichtigen Einnahmen der letzten zwölf Kalendermonate (hier also die Monate Oktober 2008 bis September 2009) zugrunde zu legen. Für den Zeitraum von Januar bis September 2009 habe die Beklagte zwar die beitragspflichtigen Arbeitsentgelte aus der gesonderten Meldung des Arbeitgebers angesetzt, jedoch für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2008 lediglich einen aus dem gemeldeten Gesamtverdienst des Jahres 2008 errechneten Durchschnittsverdienst. Der auf diese Weise errechnete Betrag von 14 141,75 Euro stimme nicht mit dem für diesen Teilzeitraum tatsächlich erzielten und gemeldeten beitragspflichtigen Entgelt überein; dessen tatsächliche Höhe habe die Beklagte beim Arbeitgeber nicht ermittelt. Zudem habe der Kläger mit seinem Widerspruch, dass er mit der Hochrechnung nicht einverstanden sei, seinen Antrag auf Hochrechnung zurückgenommen. Dies sei auch noch möglich gewesen, weil der Rentenbescheid vom 29.10.2009 nicht bestandskräftig gewesen sei.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 194 Abs 1 und des § 70 Abs 4 SGB VI. Entgegen der Rechtsmeinung des LSG entspreche die von ihr vorgenommene Hochrechnung der Regelung des § 194 Abs 1 S 3 SGB VI; diese sehe keine gesonderte Ermittlung der beitragspflichtigen Einnahmen (hier: für den Zeitraum vom 1.10. bis 31.12.2008) vor. Daher seien bei der Hochrechnung nicht die tatsächlich in dem Zeitraum vom 1.10. bis 31.12.2008 erzielten beitragspflichtigen Einnahmen zu berücksichtigen. Vielmehr ergäben sich die beitragspflichtigen Einnahmen für diesen Teilzeitraum aus einem Durchschnittsbetrag, der sich aus den für das Kalenderjahr 2008 dem Rentenversicherungsträger in der Jahresmeldung mitgeteilten beitragspflichtigen Einnahmen errechne. Müsste die Beklagte im Zwölf-Kalendermonats-Zeitraum die tatsächlichen beitragspflichtigen Einnahmen für Oktober bis Dezember 2008 berücksichtigen, wären hierfür Ermittlungen beim Arbeitgeber erforderlich. Dies widerspräche aber gerade dem Sinn und Zweck der Regelung des § 194 SGB VI, da der Arbeitgeber von der Verpflichtung zur Ausstellung von Entgeltbescheinigungen entlastet werden sollte (Hinweis auf BT-Drucks 16/4391 S 40).
Entgegen der Rechtsmeinung des LSG liege auch keine wirksame Rücknahme des Antrags auf Hochrechnung vor. Zwar könne ein Rentenantrag bis zum Eintritt der Bindungswirkung des Rentenbescheids zurückgenommen werden; dies betreffe aber nur den Rentenantrag insgesamt. Die Einwilligung zur Hochrechnung der beitragspflichtigen Einnahmen und der Rentenantrag seien als Einheit zu sehen und könnten nicht als zwei voneinander unabhängige Anträge betrachtet werden. Die Einlegung eines Widerspruchs gegen die Hochrechnung regelmäßig mit einem Antrag auf Rücknahme des Rentenantrags gleichzusetzen und diesen ggf sogar als einen erneuten Antrag auf Altersrente zu werten, würde das Neufeststellungsverbot des § 70 Abs 4 S 2 SGB VI ad absurdum führen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 8. Dezember 2010 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Speyer vom 18. Mai 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Nach einer auf Bitte des Senats durchgeführten Probeberechnung der Beklagten würde sich bei Berücksichtigung der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Entgelte für das letzte Quartal 2009 eine um monatlich 2,64 Euro höhere Rente ergeben; setzte man dagegen in die Hochrechnung die vom Arbeitgeber für Oktober bis Dezember 2008 bescheinigten beitragspflichtigen Arbeitsentgelte ein, würde sich die Altersrente nur um 0,40 Euro erhöhen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne einer Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen des LSG rechtfertigen noch keine Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer höheren Altersrente.
Als Grundlage für das Begehren des Klägers auf Zahlung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen (§ 236a SGB VI) ab 1.1.2010 unter Berücksichtigung seines im letzten Quartal des Jahres 2009 tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Arbeitsentgelts kommt der sozialrechtliche Herstellungsanspruch in Betracht. Für eine Entscheidung der Sache bedarf es jedoch noch weiterer Sachaufklärung durch das LSG.
Entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanz entspricht die von der Beklagten durchgeführte "Hochrechnung" den gesetzlichen Vorgaben in § 194 Abs 1 SGB VI (dazu unter 1.). Grundsätzlich bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass der Rentenversicherungsträger auch nach Bekanntwerden der tatsächlich im Hochrechnungszeitraum erzielten beitragspflichtigen Entgelte die Altersrente nicht von Amts wegen an diese anpasst (dazu unter 2.). Die Beklagte hat aber den Kläger bei Rentenantragstellung im September 2009 nicht ausreichend über die Wirkungen des Verfahrens nach § 194 Abs 1 SGB VI aufgeklärt (dazu unter 3.). Deshalb wird das LSG zu ermitteln haben, wie sich der Kläger entschieden hätte, wäre er zutreffend informiert worden. Hätte er bei einer ausreichenden Aufklärung auf die Hochrechnung verzichtet, wäre nach dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn er seinerzeit richtig unterrichtet worden wäre, dh der Kläger hätte Anspruch auf die beantragte Altersrente unter Zugrundelegung der Entgeltpunkte (EP) nach Maßgabe des von ihm im letzten Quartal vor Rentenbeginn tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Arbeitsentgelts (dazu unter 4.). Dahingestellt bleiben kann, ob in dem Widerspruch des Klägers gegen die Hochrechnung eine Rücknahme des Rentenantrags, verbunden mit einem Neuantrag ohne Hochrechnung, gesehen werden könnte (dazu unter 5.). Mit dieser Entscheidung weicht der Senat nicht iS des § 41 Abs 2 SGG von dem Urteil des 4. Senats des BSG vom 16.11.1995 (BSGE 77, 77 = SozR 3-2200 § 1401 Nr 1) ab (dazu unter 6.).
1. Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen EP, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden (§ 63 Abs 6, § 64 SGB VI). Die Höhe der Rente richtet sich vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen (§ 63 Abs 1 SGB VI). Dabei wird das in den einzelnen Kalenderjahren durch Beiträge versicherte Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen in EP umgerechnet (§ 63 Abs 2 S 1 SGB VI). Die Versicherung eines Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens in Höhe des Durchschnittsentgelts eines Kalenderjahres (gemäß Anlage 1 zum SGB VI) ergibt einen vollen Entgeltpunkt (§ 63 Abs 2 S 2 SGB VI). Dabei ist für das Kalenderjahr des Rentenbeginns und für das davor liegende Kalenderjahr das von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats bekannt gemachte vorläufige Durchschnittsentgelt (§ 69 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB VI) zugrunde zu legen (§ 70 Abs 1 S 2 SGB VI).
Gemäß § 194 Abs 1 S 1 SGB VI in der hier maßgeblichen, ab 1.1.2008 geltenden Fassung des Zweiten Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft (2. HemAbbG) vom 7.9.2007 (BGBI I 2246) haben Arbeitgeber auf Verlangen des Rentenantragstellers die beitragspflichtigen Einnahmen für abgelaufene Zeiträume frühestens drei Monate vor Rentenbeginn (oder zu einem späteren Zeitpunkt vor Rentenbeginn) gesondert zu melden. Erfolgt eine derartige gesonderte Meldung, errechnet der Rentenversicherungsträger bei Anträgen auf Altersrente die voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahmen für den verbleibenden Beschäftigungszeitraum bis zum Rentenbeginn für bis zu drei Monaten nach den in den letzten zwölf Kalendermonaten gemeldeten beitragspflichtigen Einnahmen (§ 194 Abs 1 S 3 SGB VI). Weicht die tatsächlich erzielte beitragspflichtige Einnahme von der durch den Rentenversicherungsträger errechneten voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahme ab, bleibt sie für diese Rente außer Betracht (§ 70 Abs 4 S 2 SGB VI).
a) Zur Sicherstellung der beschleunigten Erstfeststellung einer Altersrente und zur Gewährleistung eines nahtlosen Übergangs vom Arbeitsentgelt zur Altersrente hatte der Gesetzgeber nach dem von 1992 bis 2007 geltenden Recht in § 194 Abs 1 S 1 SGB VI idF des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) vom 18.12.1989 (BGBI I 2261) - im Wesentlichen inhaltsgleich die bis dahin geltenden Vorschriften des § 1401 Abs 1 S 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) und § 123 Abs 1 S 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) - bestimmt, dass der Arbeitgeber auf Verlangen des Versicherten das voraussichtliche (beitragspflichtige) Arbeitsentgelt für die Zeit bis zum Ende der Beschäftigung bis zu drei Monaten im Voraus zu bescheinigen hatte, wenn von dem Versicherten für die Zeit danach eine Rente wegen Alters beantragt wurde. Bei der Ermittlung des voraussichtlichen (beitragspflichtigen) Arbeitsentgelts hatte der Arbeitgeber voraussehbare beitragspflichtige Einmalzahlungen zu berücksichtigen (§ 194 Abs 1 S 2 SGB VI idF des RRG 1992). Wenn für den vorauszubescheinigenden Zeitraum die Höhe des (beitragspflichtigen) Arbeitsentgelts nicht vorhersehbar war, hatte der Arbeitgeber das vorauszubescheinigende Arbeitsentgelt nach dem in den letzten sechs Monaten erzielten (beitragspflichtigen) Arbeitsentgelt zu berechnen (Satz 3 aaO). Wich das tatsächlich erzielte (beitragspflichtige) Arbeitsentgelt von dem vorausbescheinigten ab, blieb es für diese Rente außer Betracht (§ 70 Abs 4 S 2 SGB VI idF des RRG 1992; auch nach den Vorgängervorschriften des § 1401 Abs 1 S 3 RVO und § 123 Abs 1 S 3 AVG ≪in ihren zuletzt geltenden Fassungen vom 1.1.1989 bis 31.12.1991≫ war für die Rentenberechnung ein von der Eintragung in der Entgeltvorausbescheinigung abweichendes Einkommen nicht zu berücksichtigen; vgl zu § 123 Abs 1 S 3 AVG: BSG vom 16.11.1995 - BSGE 77, 77 = SozR 3-2200 § 1401 Nr 1 ≪unter Aufgabe von BSG vom 19.10.1977 - BSGE 45, 72 = SozR 2200 § 1401 Nr 1≫, wonach bei einem Abweichen des tatsächlich erzielten Entgelts von dem vorausbescheinigten der Rentenversicherungsträger auf Verlangen des Rentenberechtigten verpflichtet, im Übrigen berechtigt war, den Zahlbetrag insoweit abzuändern).
Das 2. HemAbbG vom 7.9.2007 (aaO) hat die insbesondere von den Arbeitgebern als zu aufwändig kritisierte Regelung in § 194 Abs 1 SGB VI (idF des RRG 1992) mit dem Ziel geändert, die Arbeitgeber von der Verpflichtung zu entlasten, durch eine Entgeltvorausbescheinigung die voraussichtlichen beitragspflichtigen Arbeitsentgelte des Rentenantragstellers bis zum Ende seiner Beschäftigung zu ermitteln. Vielmehr sollte zukünftig bei Anträgen auf Altersrente "auf Verlangen" des Rentenantragstellers nunmehr der Rentenversicherungsträger die beitragspflichtigen Arbeitsentgelte für den verbleibenden Beschäftigungszeitraum bis zum Rentenbeginn für bis zu drei Monate vorausberechnen, und zwar auf der Grundlage der in den letzten zwölf Kalendermonaten vom Arbeitgeber gemeldeten beitragspflichtigen Arbeitsentgelte (vgl Gesetzentwurf eines 2. HemAbbG, BT-Drucks 16/4391 S 18, 25, 40).
Dementsprechend trat mit Wirkung ab 1.1.2008 an die Stelle der Entgeltvorausbescheinigung des Arbeitgebers dessen "auf Verlangen" des Rentenantragstellers entstehende Verpflichtung zur Abgabe einer gesonderten Meldung der beitragspflichtigen Einnahmen für abgelaufene Zeiträume frühestens drei Monate vor Rentenbeginn (§ 194 Abs 1 S 1 SGB VI) und damit korrespondierend die Verpflichtung des Rentenversicherungsträgers - bei Anträgen auf Altersrente und Vorliegen einer gesonderten Meldung des Arbeitgebers - zur Berechnung ("Hochrechnung") der voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahmen für den verbleibenden Beschäftigungszeitraum bis zum Rentenbeginn für bis zu drei Monate ("Hochrechnungszeitraum") nach den in den letzten zwölf Kalendermonaten gemeldeten beitragspflichtigen Einnahmen (§ 194 Abs 1 S 3 SGB VI). Das "Verlangen" des Rentenantragstellers bezieht sich daher zum einen auf die Meldung der bisher im laufenden Kalenderjahr schon bezogenen und abgerechneten, aber noch nicht gemeldeten beitragspflichtigen Einnahmen durch seinen Arbeitgeber und zum anderen auf die Hochrechnung der voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahmen für den verbleibenden Beschäftigungszeitraum bis zum Rentenbeginn durch den Rentenversicherungsträger und darauf, dass dieses Hochrechnungsergebnis bei der Berechnung der Altersrente berücksichtigt wird (vgl Pötter, RVaktuell 2007, 424, 426).
Damit hatte der Arbeitgeber nicht mehr in jedem Einzelfall zu prüfen und zu bescheinigen, ob vorausgesehen werden konnte, welches beitragspflichtige Entgelt der Antragsteller vor Rentenbeginn noch erzielen würde, sondern konnte sich auf die automatisierte Meldung bereits gezahlter Entgelte beschränken.
b) Im vorliegenden Fall hat die Beklagte diese Vorschriften rechtsfehlerfrei umgesetzt. Denn sie hat die Hochrechnung der voraussichtlichen beitragspflichtigen Arbeitsentgelte für den Zeitraum von Oktober bis Dezember 2009 nach den in den letzten zwölf Kalendermonaten (Oktober 2008 bis September 2009) vom Arbeitgeber - "im Rahmen des bestehenden Meldeverfahrens" (s Gesetzentwurf eines 2. HemAbbG, BT-Drucks 16/4391 S 40) - gemeldeten beitragspflichtigen Einnahmen durchgeführt. Meldungen des Arbeitgebers des Klägers erfolgten für das Jahr 2008 (nur) durch die Jahresmeldung gemäß § 28a Abs 2 iVm Abs 3 S 2 Nr 2 Buchst b und d SGB IV (iVm § 10 der Datenerfassungs- und Übermittlungsverordnung ≪DEÜV≫ vom 23.1.2006, BGBl I 152) und für Januar bis September 2009 (nur) durch die gesonderte Meldung auf Verlangen des Klägers gemäß § 194 Abs 1 S 1 SGB VI (iVm § 12 Abs 5 DEÜV).
aa) Der mit dem Begriff "abgelaufene Zeiträume" umschriebene Meldezeitraum einer gesonderten Meldung iS des § 194 Abs 1 S 1 SGB VI erfasst nur solche zurückliegenden abgerechneten Zeiträume, für die der Arbeitgeber noch keine beitragspflichtigen Arbeitsentgelte nach § 28a SGB IV iVm der DEÜV gemeldet hat, für die er also insbesondere nach § 28a Abs 2 iVm Abs 3 S 2 Nr 2 Buchst b und d SGB IV noch keine Jahresmeldung unter Angabe des in der Rentenversicherung beitragspflichtigen Arbeitsentgelts und dessen Erzielungszeiträume erstattet hat (vgl § 10 DEÜV). Hier lag bei Abgabe der gesonderten Meldung im September 2009 bereits die Jahresmeldung des Arbeitgebers über das beitragspflichtige Arbeitsentgelt des Klägers für das Jahr 2008 in Höhe von 56 567 Euro vor. Zu Recht umfasste die gesonderte Meldung des Arbeitgebers daher nur den Zeitraum Januar bis September 2009. Das für diesen Zeitraum gemeldete beitragspflichtige Arbeitsentgelt in Höhe von 40 028 Euro hat die Beklagte bei der Hochrechnung berücksichtigt.
bb) Entgegen der Rechtsansicht des LSG entspricht die Berechnung des von der Beklagten für die Zeit vom 1.10. bis 31.12.2008 der Hochrechnung im Rahmen des hier maßgeblichen Zwölf-Kalendermonats-Zeitraums (Oktober 2008 bis September 2009) zugrunde gelegten (Durchschnitts-)Betrags von 14 141,75 Euro auf Grundlage der Jahresmeldung 2008 den gesetzlichen Vorgaben des § 194 Abs 1 S 3 SGB VI (iVm § 123 Abs 3 SGB VI).
Denn dieser - aus dem gesamten mit der Jahresmeldung 2008 vom Arbeitgeber gemeldeten beitragspflichtigen Arbeitsentgelt errechnete - Teilbetrag für die Monate Oktober bis Dezember 2008 war vom Arbeitgeber im Meldeverfahren nicht "gesondert" zu melden; er war deshalb im "Entgeltabrechnungssystem" (s Gesetzentwurf eines 2. HemAbbG, BT-Drucks 16/4391 S 25) nicht ausgewiesen.
Die vom LSG postulierte Pflicht zur gesonderten Ermittlung des anteiligen beitragspflichtigen Arbeitsentgelts für einen von einer früheren Meldung umfassten Teilzeitraum lässt sich aus § 194 Abs 1 SGB VI weder für die Arbeitgeber noch für die Rentenversicherungsträger ableiten. Die entsprechenden Beträge müssten entweder von den Arbeitgebern im Einzelfall herausgesucht und bescheinigt werden, oder der Rentenversicherungsträger müsste vom Antragsteller eingereichte Entgeltabrechnungen oder sonstige Unterlagen über die fraglichen Monate prüfen und die einzelnen Beträge in die Hochrechnung nach § 194 Abs 1 S 3 SGB VI einbeziehen.
Schon nach dem Wortlaut des § 194 Abs 1 S 1 SGB VI haben jedoch die Arbeitgeber nur "die beitragspflichtigen Einnahmen für abgelaufene Zeiträume … gesondert zu melden". Diese Einschränkung der Meldepflicht rechtfertigt sich aber auch aus dem Sinn und Zweck des Hochrechnungs-Verfahrens, den Bezug einer Altersrente "nahtlos" mit dem Beschäftigungsende beginnen zu lassen und dabei das Verfahren der Rentenberechnung bei der Erstfestsetzung einer Altersrente möglichst einfach und zügig - insbesondere ohne zeit- und verwaltungsaufwändige Rückfragen - zu gestalten. Vor allem aber war es Ziel der Gesetzesänderung, im Zuge des Bürokratieabbaus die Belastungen der Arbeitgeber zu begrenzen und sie insbesondere von den aufwändigen Prüfungspflichten bei Erstellung einer "Vorausbescheinigung" (geschätzter Zeitaufwand: ca 45 Minuten pro Bescheinigung) zu entlasten (vgl Gesetzentwurf eines 2. HemAbbG, BT-Drucks 16/4391 S 18, 25, 40). Ausdrücklich heißt es in den Gesetzesmaterialien zum 2. HemAbbG, dass die Arbeitgeber die für die Durchführung der "Berechnungen durch die Rentenversicherung ... notwendigen Daten … im Rahmen des bestehenden Meldeverfahrens zu übermitteln" haben (aaO S 40).
Auf Grundlage dieser Vorgaben und der ihm danach nur zur Verfügung stehenden gemeldeten Erkenntnisse kann der Rentenversicherungsträger das auf den für die Hochrechnung maßgeblichen Zwölf-Kalendermonats-Zeitraum entfallende anteilige beitragspflichtige Arbeitsentgelt für diesen Teilzeitraum bei Vorliegen (nur) einer Jahresmeldung lediglich durch rechnerische Aufteilung nach der insoweit einschlägigen Vorschrift des § 123 Abs 3 SGB VI aus dem vom Arbeitgeber für das ganze Jahr gemeldeten beitragspflichtigen Arbeitsentgelt ermitteln.
Nach alledem hat die Beklagte den der Hochrechnung für den Teilzeitraum Oktober bis Dezember 2008 zugrunde gelegten Entgeltbetrag zutreffend berechnet. Gemäß § 123 Abs 3 SGB VI ergibt sich der auf einen Teilzeitraum entfallende Betrag, wenn der Gesamtbetrag mit dem Teilzeitraum vervielfältigt und durch den Gesamtzeitraum geteilt wird. Das Kalenderjahr wird dabei mit 360 Tagen, der Kalendermonat mit 30 Tagen und die Kalenderwoche mit 7 Tagen gerechnet. In Anwendung dieser Berechnungsvorschrift hat die Beklagte das vom Arbeitgeber für das Jahr 2008 gemeldete beitragspflichtige Arbeitsentgelt des Klägers in Höhe von 56 567 Euro mit den Tagen bzw Kalendermonaten im Teilzeitraum Oktober bis Dezember 2008 (= 90 Tage = 3 Kalendermonate) multipliziert und das Produkt durch die Tage bzw Kalendermonate im Gesamtzeitraum Januar bis Dezember 2008 (= 360 Tage = 12 Kalendermonate) dividiert, sodass sich ein Durchschnittsbetrag von 14 141,75 Euro ergab (= 56 567 Euro x 90 Tage ≪3 Kalendermonate≫ : 360 Tage ≪12 Kalendermonate≫).
cc) Für den hier maßgeblichen Zeitraum von Oktober bis Dezember 2009 hat die Beklagte das voraussichtliche beitragspflichtige Entgelt von 13 542 Euro zutreffend hochgerechnet.
Den nach den vorgenannten Grundsätzen ermittelten Gesamtbetrag für den Zwölf-Kalendermonats-Zeitraum vom 1.10.2008 bis 30.9.2009 in Höhe von 54 169,75 Euro (14 141,75 Euro als Durchschnittsbetrag für Oktober bis Dezember 2008 auf der Grundlage der Jahresmeldung 2008 + 40 028 Euro für Januar bis September 2009 aus der gesonderten Meldung) hat die Beklagte in Anwendung des § 123 Abs 3 SGB VI mit der Anzahl der mit beitragspflichtigen Arbeitsentgelten belegten Tage bzw Kalendermonate (hier: 360 Tage = 12 Kalendermonate) dividiert und sodann den Quotienten mit der Anzahl der hochzurechnenden Tage bzw Kalendermonate (hier: 90 Tage = 3 Kalendermonate) multipliziert. Somit ergab sich für die Monate Oktober bis Dezember 2009 ein hochgerechnetes beitragspflichtiges Entgelt von (gerundet) 13 542 Euro (= 54 169,75 Euro : 360 Tage ≪12 Kalendermonate≫ x 90 Tage ≪3 Kalendermonate≫), wie im angefochtenen Bescheid vom 29.10.2009 zugrunde gelegt.
2. Grundsätzlich ist der Rentenversicherungsträger nicht verpflichtet, die nach § 194 Abs 1 S 3 SGB VI "hochgerechnete" Altersrente im Nachhinein aus dem tatsächlich während des Hochrechnungszeitraums erzielten Entgelt neu zu berechnen. Dies folgt aus § 70 Abs 4 S 2 SGB VI, wonach die tatsächliche beitragspflichtige Einnahme "für diese Rente außer Betracht" bleibt, soweit der Rentenversicherungsträger nach § 194 Abs 1 S 3 SGB VI eine voraussichtliche beitragspflichtige Einnahme errechnet (hochgerechnet) hat (s hierzu bereits unter 1. a)). Der Senat braucht nicht zu entscheiden, in welchen Fällen (außer nach dem Tode des Altersrentners) die Zahlung einer "anderen" (Alters-)Rente, die nicht mehr "diese Rente" ist, in Betracht kommt (vgl § 34 Abs 4 SGB VI); jedenfalls der Kläger bezieht nach wie vor die im angefochtenen Bescheid bewilligte Altersrente für schwerbehinderte Menschen.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Rechtsfolge der Wahl des "Hochrechnungs-Verfahrens" nach § 194 Abs 1 S 1 und 3 SGB VI bestehen jedenfalls dann nicht, wenn sich der Rentenantragsteller nach gehöriger Aufklärung (s hierzu unter 4.) hierfür entscheidet. Angesichts der im Regelfall nicht übermäßigen Einwirkungen auf die Rentenhöhe (im Fall des Klägers: unter 0,2 %) kann dem aufgeklärten Rentenversicherten die freie Wahl darüber überlassen bleiben, ob er sich für die Hochrechnung und damit eine möglichst sichere Nahtlosigkeit des Übergangs vom regelmäßigen Arbeitsentgelt auf die Altersrente mit dem Risiko einer geringen Rentenminderung entscheidet oder ob er auf einer Rentenberechnung auf Grundlage aller tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Arbeitsentgelte mit dem Risiko eines hinausgezögerten Beginns der regelmäßigen Rentenzahlung besteht.
3. Der nach alledem für das Begehren des Klägers in erster Linie als Anspruchsgrundlage in Betracht kommende sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt auf der Tatbestandsseite voraus, dass der Sozialleistungsträger aufgrund Gesetzes oder bestehenden Sozialrechtsverhältnisses eine dem Betroffenen gegenüber obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 14, 15 SGB I), verletzt und diesem dadurch einen rechtlichen Nachteil zugefügt hat. Auf seiner Rechtsfolgenseite ist der Herstellungsanspruch auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herbeiführung derjenigen Rechtsfolge gerichtet, die eingetreten wäre, wenn der Sozialleistungsträger die ihm gegenüber dem Betroffenen obliegenden Pflichten rechtmäßig erfüllt hätte (stRspr, zB Senatsurteil vom 11.3.2004 - BSGE 92, 241, 243 f = SozR 4-2600 § 58 Nr 3 RdNr 19 mwN).
Vom LSG ist nicht festgestellt worden, dass der Kläger außerhalb der Hinweise in den bei seiner Rentenantragstellung verwendeten Formularen über die Vor- und Nachteile einer Hochrechnung und hinsichtlich der ihm zur Verfügung stehenden Gestaltungsmöglichkeiten bei der Rentenerstfeststellung von der Beklagten oder der antragsaufnehmenden Stelle der Stadt Ludwigshafen am Rhein (zur Fehlberatung durch ein Versicherungsamt s Senatsurteil vom 29.10.1991 - 13/5 RJ 38/89 - Juris RdNr 22) - mündlich oder schriftlich - beraten worden ist.
Ein Herstellungsanspruch steht einem Rentenberechtigten aber jedenfalls dann zu, wenn er ein Wahlrecht (hier: Rentenberechnung mit oder ohne Hochrechnung) hat, er jedoch vor seiner Entscheidung über dessen Folgen fehlerhaft aufgeklärt wird und dadurch einen Schaden (hier: geringerer Rentenbetrag) erleidet.
Als fehlerhaft im vorgenannten Sinne erweisen sich die in dem hier maßgeblichen Rentenantragsformular (R 100) enthaltenen Hinweise der Beklagten über die Hochrechnung und deren Rechtsfolgen im Einzelnen wie folgt:
a) Die im Fall des Klägers verwendete Vordruckerklärung weist die Rentenantragsteller am Ende des Antragsformulars darauf hin, dass "Sonderzahlungen in den letzten Monaten bis zum Rentenbeginn, die über die regelmäßigen Einmalzahlungen (wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld) hinausgehen, bei der Hochrechnung der Arbeitsentgelte nicht berücksichtigt werden". Hieraus muss der Antragsteller schließen, dass eine im Hochrechnungszeitraum zu erwartende regelmäßige Einmalzahlung bei der Hochrechnung (jedenfalls annähernd) voll berücksichtigt wird, die Hochrechnung sich also insoweit nicht zu Lasten des Versicherten auswirkt. Dies trifft aber nicht zu, wie im Fall des Klägers deutlich wird.
Bei diesem wirkte sich das jeweils im November gezahlte Weihnachtsgeld in Höhe eines Monatsgehalts bei den gemäß § 194 Abs 1 S 3 SGB VI anzusetzenden Entgelten der letzten zwölf Kalendermonate (s oben bei 1. b) bb)) nur dadurch aus, dass es im (nach § 123 Abs 3 SGB VI) zu errechnenden Entgelt für die Monate Oktober bis Dezember 2008 zu 3/12 (einem Viertel) enthalten war, also (bei unterstellt gleichbleibendem sonstigen Entgelt im Zwölf-Kalendermonats-Zeitraum) für den von der Hochrechnung erfassten Zeitraum (Oktober bis Dezember 2009) für jeden Monat zu einer Erhöhung des hochgerechneten Entgelts um 3/48 (einem Sechzehntel) führte, sodass das Weihnachtsgeld bei den hochgerechneten Entgelten für das letzte Quartal des Jahres 2009 somit letztlich nur zu 9/48 (drei Sechzehnteln, ca 19 %) berücksichtigt wurde. Demgegenüber wäre ohne Hochrechnung im entsprechenden Zeitraum das gesamte Weihnachtsgeld (100 % und nicht nur ca 19 %) als beitragspflichtige Einnahme anzusetzen und für die Rentenberechnung zu berücksichtigen. Dies führte im vorliegenden Fall, wie von der Beklagten im Revisionsverfahren mitgeteilt, zu einer Differenz von (immerhin) 2,64 Euro/Monat (ohne Berücksichtigung des Zuschusses zum Krankenversicherungsbeitrag).
Die Fallkonstellation des Klägers ist nicht untypisch. Die beschriebene Wirkung der Hochrechnung nach § 194 Abs 1 S 3 SGB VI tritt immer dann ein, wenn eine einmal jährlich gezahlte Sonderzahlung in den Hochrechnungszeitraum fällt. Dagegen stellen sich rechnerisch typischerweise diejenigen Rentenantragsteller besser, die die jährliche Sonderzahlung bereits vor dem Hochrechnungszeitraum erhalten haben und diese somit in die gesonderte Meldung des Arbeitgebers nach § 194 Abs 1 S 1 SGB VI einfließt; dies hat zur Folge, dass die hochgerechneten Entgelte höher ausfallen als die tatsächlichen. Diese Folgen der Hochrechnung erschließen sich aus der Vordruckerklärung nicht.
b) Des Weiteren geht aus den Hinweisen der hier maßgeblichen Vordruckerklärung nicht in hinreichender Deutlichkeit hervor, dass ein "Neufeststellungsverbot" beschrieben werden soll, nach dem es bei einem Abweichen des hochgerechneten beitragspflichtigen Arbeitsentgelts von dem später (vom Arbeitgeber gemeldeten) tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Arbeitsentgelt dennoch fortdauernd bei der bisherigen Berechnung der Altersrente verbleibt. Eine entsprechende Änderung kann dann nicht bei "dieser", sondern erst bei einer "anderen" (dh aufgrund eines neuen Leistungsfalls) zu zahlenden Rente erfolgen. Damit bleiben die hochgerechneten (im Falle des Klägers: ungünstigen) Arbeitsentgelte für diese Rente dauerhaft maßgeblich. Die gewählte Formulierung "Sollten die tatsächlichen beitragspflichtigen Einnahmen von den hochgerechneten Beträgen abweichen, können diese erst bei einer später zu zahlenden Rente berücksichtigt werden" kann demgegenüber für einen im Rentenversicherungsrecht nicht kundigen Antragsteller den Eindruck erwecken, dass (bereits) bei der nächstmöglichen monatlichen Rentenzahlung eine Korrektur nach Maßgabe der tatsächlich beitragspflichtigen Einnahmen zumindest mit Wirkung für die Zukunft erfolgen wird. Keinesfalls wird durch diese Formulierung gewährleistet, dass jeder Versicherte den Inhalt der gesetzlichen Regelung nachvollziehen kann.
c) Hingegen ist nicht als unrichtige Beratung zu werten, dass die Beklagte den Kläger im Rahmen der Rentenantragstellung nicht auch auf die Möglichkeit einer Vorschusszahlung gemäß § 42 SGB I und deren Voraussetzungen hingewiesen hat. Zwar hat § 42 SGB I - wie § 194 Abs 1 SGB VI - auch das Ziel, durch längere Bearbeitungszeiten im Verwaltungsverfahren entstehende (finanzielle) Nachteile und Härten zu vermeiden, und den Zweck, eine Übergangsphase zu bewältigen, in der bei einem dem Grunde nach feststehenden Anspruch auf eine Sozialleistung die Feststellung von deren genauen Höhe nach den üblichen Maßstäben noch nicht möglich ist. § 194 Abs 1 SGB VI erfasst aber in Bezug auf die Altersrente den spezielleren Tatbestand des nahtlosen Übergangs vom Arbeitsentgelt zur Altersrente und verdrängt insoweit nach der "lex-specialis-Regel", wonach das spezielle Gesetz dem allgemeinen vorgeht, die Regelung in § 42 SGB I.
d) Offenbleiben kann, ob aus dem hier verwendeten Rentenantragsformular und der Vordruckerklärung auch für den im Rentenversicherungsrecht nicht kundigen Versicherten klar erkennbar ist, dass eine Hochrechnung nur "auf Verlangen des Rentenantragstellers" (§ 194 Abs 1 S 1 SGB VI) erfolgt. Damit hat der Antragsteller nicht nur ein eigenes freies (Ja/Nein-)Wahlrecht zwischen zwei gleichgewichtigen Gestaltungsmöglichkeiten (also einer Rentenfestsetzung mit oder ohne Hochrechnung); vielmehr verbleibt es, wenn der Antragsteller keine einschlägige Erklärung abgibt, bei der Rentenberechnung auf der Grundlage der tatsächlichen Entgelte. Ob ein solches Wahlrecht dadurch hinreichend kenntlich gemacht wird, dass dem Antragsteller im Antragsformular unter Nr 10.4 bezogen auf die "Anforderung der gesonderten Meldung (Vordruck R 250)" zuletzt auch die Möglichkeit eingeräumt wird, anzukreuzen, dass deren Anforderung "entfällt, weil eine Hochrechnung unterbleiben soll", kann dahingestellt bleiben.
e) Offenbleiben kann auch, ob es für eine sachgerechte Entscheidung des Rentenantragstellers für oder gegen die Hochrechnung erforderlich ist, ihm - ggf durch Probeberechnungen oder Berechnungsbeispiele - die Folgen beider Entscheidungsalternativen bezogen auf den Rentenzahlbetrag deutlich zu machen.
f) Zwar macht der der Rentenfestsetzung zugrunde zu legende Hochrechnungszeitraum mit höchstens drei Kalendermonaten (vor Beginn der Altersrente) nur einen geringen Bruchteil des gesamten Versichertenlebens aus und beeinflusst damit die Rentenhöhe nur sehr eingeschränkt (im Falle des Klägers: ca 0,17 %). Dennoch ist nicht auszuschließen, dass sich ein Versicherter - bei genauer Kenntnis der Rechtsfolgen - dazu entschließt, den Beschleunigungseffekt einer Hochrechnung nicht wahrzunehmen und dadurch möglicherweise auf einen nahtlosen Übergang vom Arbeitsentgelt in die Altersrente (durch Erteilung des Rentenbescheids bereits vor Ende des Beschäftigungsverhältnisses) zu verzichten. Dies gilt umso mehr, als angesichts der "nachschüssigen" Zahlung aller nach dem 1.4.2004 beginnenden Renten (§ 118 Abs 1 iVm § 272a Abs 1 SGB VI) dem Rentenversicherungsträger (im Gegensatz zur bis dahin geltenden Rechtslage) ein Monat länger zur Verfügung steht, um die Altersrente für den ersten Monat nach Rentenbeginn anzuweisen.
Der Arbeitgeber hat zwar das Ende der Beschäftigung gemäß § 28a Abs 1 S 1 Nr 2 iVm Abs 3 S 2 Nr 2 Buchst b SGB IV iVm § 8 Abs 1 DEÜV mit den entsprechenden Entgelten spätestens erst sechs Wochen danach zu melden. Erst nach Eingang dieser Meldung kann der Rentenversicherungsträger die Altersrente - dann allerdings nach Maßgabe aller tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Arbeitsentgelte des Versicherten - festsetzen. Dies schließt jedoch nicht aus, dass diese Meldung gleichzeitig mit der letzten Lohn- oder Gehaltsabrechnung bereits vor Ende der Beschäftigung erfolgt.
Umgekehrt ist es aber genauso denkbar, dass der Rentenantragsteller die Möglichkeit der Rentenfestsetzung mit Hilfe der "Hochrechnung" nutzen will, um die "Nahtlosigkeit" zwischen Arbeitsentgelt- und Altersrentenbezug sicher zu erreichen oder zu seinen Gunsten - wenn auch zu Lasten der Versichertengemeinschaft - von der Hochrechnung einer bereits vor dem Hochrechnungszeitraum abgerechneten Einmalzahlung zu profitieren (vgl oben bei 3. a)).
Beide Handlungsalternativen setzen jedoch zur sachgerechten Ausübung des Wahlrechts die Kenntnis der jeweiligen Vor- und Nachteile voraus, jedenfalls aber, dass die vom Rentenversicherungsträger übermittelten Informationen korrekt und verständlich sind.
4. Die unzutreffenden Hinweise über die Rechtsfolgen der Hochrechnung im Antragsformular und insbesondere in der dortigen Vordruckerklärung begründen jedoch nur dann einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch, wenn die Fehlinformation für den beim Kläger eingetretenen Schaden (geringerer Rentenbetrag durch die Hochrechnung) kausal geworden ist. Hierzu fehlen tatsächliche Feststellungen des LSG.
Hätte der Kläger das Verfahren der Hochrechnung für die Festsetzung seiner Altersrente nicht gewählt, wenn er bei Rentenantragstellung im September 2009 von der Beklagten verständlich und richtig über die Hochrechnung und ihre Rechtsfolgen nach § 194 Abs 1, § 70 Abs 4 SGB VI informiert worden wäre, wäre die Pflichtverletzung der Beklagten kausal für den entstandenen sozialversicherungsrechtlichen Nachteil. Dann könnte er verlangen, dass seine Altersrente nach Maßgabe der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Arbeitsentgelte (auch) für den Zeitraum von Oktober bis Dezember 2009 (= 16 756 Euro) berechnet wird. Hätte sich der Kläger hingegen nach zutreffender Aufklärung über sein Wahlrecht und die Rechtsfolgen für eine Rentenberechnung mittels Hochrechnung entschieden, wäre die Rentenfestsetzung im angefochtenen Bescheid vom 29.10.2009 mit den (niedrigeren) hochgerechneten beitragspflichtigen Arbeitsentgelten rechtlich nicht zu beanstanden; ein Herstellungsanspruch auf Neufeststellung der Altersrente ab 1.1.2010 bestünde dann nicht.
5. Der Senat kann offenlassen, ob in dem Widerspruchsschreiben des Klägers vom 11.11.2009 - wie das LSG meint - eine Rücknahme der im "Verlangen" nach Erteilung einer gesonderten Meldung gemäß § 194 Abs 1 S 1 SGB VI enthaltenen Zustimmung zur Hochrechnung oder ob darin die Rücknahme des Rentenantrags vom 1.9.2009, verbunden mit einem Neuantrag ohne Hochrechnung der voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahmen für die letzten drei Monate der Beschäftigung vor Rentenbeginn gesehen werden könnte.
Sähe man im Widerspruch des Klägers eine Antragsrücknahme, verbunden mit einem Neuantrag ohne Hochrechnung, würde dieser jedenfalls im vorliegenden Fall zu einem Rentenbeginn 1.1.2010 (§ 99 Abs 1 S 1 SGB VI) und damit einer Berechnung der Altersrente auf der Grundlage der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Arbeitsentgelte im letzten Quartal des Jahres 2009 führen.
Eine solche Sichtweise ist rechtlich grundsätzlich möglich (vgl insoweit auch KommGRV, § 194 SGB VI Anm 4.1, Einzelkommentierung Stand Juli 2008; offen gelassen in BSG vom 19.10.1977 - BSGE 45, 72, 75 = SozR 2200 § 1401 Nr 1 S 3 f, beide im Zusammenhang mit dem Verfahren der Entgeltvorausbescheinigung nach früherem Recht). Denn es bleibt einem Versicherten unbenommen, bis zur bindenden Wirkung eines Rentenbescheids (vgl § 77 SGG) den für diesen erforderlichen Antrag (§ 115 Abs 1 S 1 SGB VI) zurückzunehmen (vgl Senatsurteil vom 9.8.1995 - BSGE 76, 218, 221 = SozR 3-2500 § 50 Nr 3 S 9); ebenso steht es ihm dann aber auch frei, (zugleich) einen neuen Rentenantrag mit Berechnung der Altersrente nach Maßgabe des tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Arbeitsentgelts (hier also auch unter voller Berücksichtigung der November-Einmalzahlung) zu stellen. Zudem hat der Sozialleistungsträger einen Antrag regelmäßig so auszulegen, dass das Begehren des Antragstellers möglichst weitgehend zum Tragen kommt (BSG vom 11.9.2001 - SozR 3-2200 § 1150 Nr 5 S 24; BSG vom 4.4.2006 - BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 14). Ist dieses nicht eindeutig, hat der Träger stets auf eine Klärung durch den Antragsteller hinzuwirken (BSG vom 4.4.2006 aaO) mit dem Ziel, dass dieser die ihm zustehende Sozialleistung nicht nur in zeitgemäßer Weise und zügig, sondern auch umfassend erhält (§ 17 Abs 1 Nr 1 SGB I).
Läge aber in dem "Widerspruch" des Klägers gar kein Widerspruch, sondern eine Antragsrücknahme, verbunden mit einem Neuantrag, so hätte über letzteren die Beklagte noch nicht entschieden. Dann aber hätte das LSG der Beklagten zunächst Gelegenheit geben müssen, über den Neuantrag zu befinden. Zudem wäre der Widerspruchsbescheid vom 7.1.2010 aufzuheben, weil kein Widerspruch eingelegt worden wäre und sich der Rentenbescheid vom 29.10.2009 wegen Antragsrücknahme erledigt hätte (vgl § 39 Abs 2 SGB X). Im Übrigen müsste aber auch dann (schon) zur Klärung des genauen prozessualen Begehrens des Klägers die Sache an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs 2 S 2 SGG).
6. Mit der vorliegenden Entscheidung weicht der erkennende Senat nicht iS des § 41 Abs 2 SGG von dem Urteil des 4. Senats des BSG vom 16.11.1995 (BSGE 77, 77 = SozR 3-2200 § 1401 Nr 1) ab. Denn er hat über andere Rechtsfragen entschieden. Das Urteil des 4. Senats erging noch zur alten Rechtslage (§ 123 Abs 1 AVG, entsprechend § 1401 Abs 1 RVO), auch wenn er außerhalb der tragenden Gründe den Rechtszustand nach dem SGB VI idF des RRG 1992 (§ 70 Abs 4, § 194) erwähnt hat (BSGE 77, 77, 82). Selbst dieser jedoch ist, wie oben (unter 1. a)) aufgezeigt, zum 1.1.2008 wesentlich geändert worden.
7. Dem LSG obliegt auch die abschließende Kostenentscheidung.
Fundstellen
BSGE 2012, 8 |
SGb 2012, 76 |
SozSi 2012, 9 |