Leitsatz (amtlich)

Mit der Wiederaufnahme der Krankengeldzahlung nach Ablauf der Dreijahresfrist des RVO § 183 Abs 2 S 1 beginnt keine neue Bezugszeit iS des RVO § 183 Abs 5; die einmal eingetretenen Voraussetzungen für die Kürzung des Krankengeldes wegen Bezugs von Berufsunfähigkeitsrente oder vorgezogenem Übergangsgeld werden durch die Unterbrechung der tatsächlichen Krankengeldzahlung nicht berührt.

 

Leitsatz (redaktionell)

Anwendung des RVO § 183 Abs 5 bei Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs:

Haben bei Zubilligung einer Berufsunfähigkeitsrente oder eines an deren Stelle getretenen vorgezogenen Übergangsgeldes die Voraussetzungen für die Anwendung des RVO § 183 Abs 5 vorgelegen, dann ist diese Vorschrift auch auf den mit Beginn einer neuen Dreijahresfrist wiederauflebenden Krankengeldanspruch anzuwenden, es sei denn, daß in der krankengeldfreien Zeit eine Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt worden ist.

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1961-07-12, Abs. 5 Fassung: 1961-07-12

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. April 1974 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger wurde im September 1966 arbeitsunfähig krank und erhielt Krankengeld bis zum Ende der Bezugszeit nach § 183 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO), nämlich bis März 1968. Vom Beginn der nächsten Dreijahresfrist des § 183 Abs. 2 RVO im September 1969 erhielt er bis zum Ende der erneuten Bezugszeit im März 1971 wegen derselben Krankheit - Herzinfarkt - wiederum Krankengeld.

Durch einen im Jahre 1972 in Ausführung eines gerichtlichen Vergleichs ergangenen Bescheid erkannte die Landesversicherungsanstalt (LVA) Berufsunfähigkeit des Klägers von einem in der ersten Bezugszeit liegenden Zeitpunkt an, nämlich ab Ende Januar 1968. Sie bewilligte auch rückwirkend Rente und vorgezogenes Übergangsgeld, soweit sie nicht - in der Zeit zwischen den beiden Krankengeldbezugszeiten - Heilbehandlung und Übergangsgeld gewährt hatte.

Die Beteiligten streiten noch um die Frage, ob der auf die zweite Bezugszeit entfallende Rentenanspruch des Klägers auf die beklagte Krankenkasse übergegangen ist. Der Kläger ist der Auffassung, die Tatbestandsmerkmale des § 183 Abs. 5 RVO seien nicht erfüllt, weil ihm bereits für eine Zeit vor der zweiten Bezugszeit und nicht "während" dieser Zeit Rente bewilligt worden sei. Die Beklagte meint, nach dem Sinn und Zweck des § 183 Abs. 5 RVO, Doppelleistungen zu vermeiden, werde auch der vorliegende Fall erfaßt.

Die LVA zahlte die Rentennachzahlung auch hinsichtlich der streitigen Zeit an die Beklagte aus. Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers, ihm den seiner Ansicht nach zu Unrecht erlangten Rentenbetrag auszuzahlen, durch Bescheid vom 27. Oktober 1972 und Widerspruchsbescheid vom 4. Januar 1973 ab.

Klage und Berufung haben nicht zum Erfolg geführt. Das Sozialgericht hat darauf hingewiesen, daß das Krankengeld auch in der zweiten Bezugszeit nach dem Lohn in der Zeit berechnet worden sei, als sich die Berufsunfähigkeit des Klägers noch nicht lohnmindernd ausgewirkt haben könne. Das Landessozialgericht (LSG) hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung zur Einheit des Versicherungsfalles ausgeführt, das in der zweiten Bezugszeit gewährte Krankengeld könne nicht anders beurteilt werden als das in der ersten Bezugszeit gewährte, wenn - wie hier - die Arbeitsunfähigkeit auch in der Zwischenzeit fortbestanden habe.

Der Kläger hat die zugelassene Revision eingelegt und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und der entgegenstehenden Bescheide zu verurteilen, ihm den streitigen Rentenbetrag (DM 7.266,40) auszuzahlen: Der Kürzungstatbestand des § 183 Abs. 5 RVO sei nur dann erfüllt, wenn bei Bewilligung der Rente wegen Berufsunfähigkeit Krankengeld tatsächlich bezogen werde. Mit dem Grundsatz der Einheit des Versicherungsfalles lasse sich hieran nichts ändern. Der vorliegende Fall sei mit dem Fall gleich zu behandeln, in dem nach Eintritt der Berufsunfähigkeit noch einmal eine Arbeit aufgenommen werde, die dann für die Berechnung des wiederaufgelebten Krankengeldes maßgebend sei.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie nimmt zur Begründung Bezug auf das angefochtene Urteil.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Die zunächst dem Kläger rückwirkend bewilligten Leistungen der Rentenversicherung sind auch in der hier noch streitigen zweiten Krankengeldbezugszeit gemäß § 183 Abs. 5 RVO auf die beklagte Krankenkasse übergegangen. Das dem Kläger gegen Ende der ersten Bezugszeit bewilligte vorgezogene Übergangsgeld (nach § 1241 Abs. 1 Satz 2 in der bis zum 1. Oktober 1974 geltenden Fassung) steht bei Anwendung des § 183 Abs. 5 RVO der an sich zu gewährenden Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) gleich. Das hat nicht nur - wie in den bisher vom Bundessozialgericht (BSG) entschiedenen Fällen (vgl. SozR Nr. 56 und Nr. 58 zu § 183 RVO) - die für den Versicherten günstige Folge, daß bei Bewilligung von vorgezogenem Übergangsgeld vor der Krankengeldzahlung eine Kürzung des Krankengeldes auch dann zu unterbleiben hat, wenn in der Krankengeldbezugszeit an die Stelle des Übergangsgeldes eine BU-Rente tritt. Sind - wie hier - die Kürzungsvoraussetzungen schon bei Bewilligung von vorgezogenem Übergangsgeld eingetreten, so wird der Anspruch auf Krankengeld nicht dadurch lastenfrei, daß das Übergangsgeld von der BU-Rente abgelöst wird.

Die einmal eingetretene Belastung des Krankengeldanspruchs - Kürzung bzw. Übergang auf Krankenkasse - wird auch nicht dadurch berührt, daß das Krankengeld wegen der Beschränkung der Bezugszeit auf 78 Wochen während jeweils dreier Jahre eine Zeitlang nicht gezahlt werden mußte. Durch seine nur vorläufige Erschöpfung (so BSG 31, 125, 128) ändert sich das Wesen des Krankengeldanspruchs nicht derart, daß er unbelastet wieder aufleben könnte. Das folgt schon aus dem Wortlaut des § 183 Abs. 2 Satz 1 RVO, wonach Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung gewährt wird (Halbsatz 1). Die trotzdem vorgesehenen Zahlungsunterbrechungen (Halbsatz 2) dienen lediglich der finanziellen Entlastung der Krankenkassen (BSG 31, 72, 73) im Falle von Dauerleiden, bei denen die Zuständigkeit der Rentenversicherung ohnehin näher liegt. Es spricht nichts dafür, daß die Zahlungsunterbrechungen den Krankenkassen endgültig das Recht nehmen sollten, in Leistungen der Rentenversicherung einen gewissen Ausgleich zu finden. Die Unterbrechungen der tatsächlichen Zahlung nach § 183 Abs. 2 RVO ändern somit - wie bezüglich des Ruhens des Krankengeldanspruchs wegen Lohnfortzahlung nach § 189 RVO bereits entschieden (vgl. SozR Nr. 60 zu § 183 RVO) - nichts an dem Bezug im Sinne des § 183 Abs. 5 RVO.

Auch innerhalb der zahlungsfreien Zeit sind keine Ereignisse eingetreten, die es rechtfertigen könnten, Krankengeld neben BU-Rente uneingeschränkt zu gewähren. Das wäre der Fall, wenn der Kläger in der zahlungsfreien Zeit trotz Berufsunfähigkeit wieder entgeltlich beschäftigt gewesen wäre. In diesem Fall wäre nicht der "alte" Krankengeldanspruch, sondern ein neu zu berechnender wieder aufgelebt (vgl. BSG in SozR Nr. 40 und Nr. 59 zu § 182 RVO). Unter dieser Voraussetzung hätte mit der Wiederaufnahme der Krankengeldzahlungen eine neue Bezugszeit im Sinne des § 183 Abs. 5 RVO auch deshalb begonnen, weil in der Zeit der Beschäftigung nicht nur die tatsächliche Erfüllung des Krankengeldanspruchs eingestellt worden, sondern der Anspruch selbst entfallen wäre (vgl. § 182 Abs. 1 Nr. 2 RVO und SozR Nr. 40 zu § 182 RVO). Die kürzungsfreie Zahlung von Krankengeld neben der BU-Rente würde dann auch dem Sinn des § 183 Abs. 5 RVO entsprechen, beide Leistungen voll zu belassen, wenn sie verschiedenen Zwecken - Lohnersatz und Ausgleich für Berufsunfähigkeit - dienen können.

Die globale, auf nähere Konkretisierung verzichtende Regelung des § 183 Abs. 5 RVO, die den Senat dazu geführt hat, von der Kürzung selbst dann abzusehen, wenn Beginn der BU-Rente und Beginn der Krankengeldzahlung auf einen Tag fallen (SozR Nr. 38 zu § 183 RVO), verbietet es zwar nachzuprüfen, ob Krankengeld tatsächlich Ersatz für einen bei bereits geminderter Leistungsfähigkeit erzielten Lohn darstellt. Wenn Krankengeld nicht bereits vor Rentenbeginn gezahlt worden ist, wird - unwiderleglich - vermutet, daß keine auf denselben Zweck gerichteten Doppelleistungen vorliegen. Das führt aber nicht dazu, daß nur die tatsächliche Zahlung entscheidend sein müßte, was die Revision befürwortet. Da bei Ende der zahlungsfreien Zeit ohnehin die Anspruchsvoraussetzung nach erneuter Meldung (vgl. BSG 31, 125, 129) überprüft werden müssen, bestehen auch keine verwaltungstechnischen Schwierigkeiten, den Bezugsbeginn des Krankengeldes festzustellen, der - wie ausgeführt - mit dem Anspruchsbeginn zusammenfällt.

Da somit weder durch die zeitweilige Zahlungseinstellung nach § 183 Abs. 2 RVO noch durch ein Ereignis in dieser Zeit die unstreitig eingetretenen Voraussetzungen der Kürzung des Krankengeldes nach § 183 Abs. 5 RVO beeinflußt worden sind, stand der Beklagten auch in der zweiten Bezugszeit der Rentenanspruch des Klägers zu. Die LVA hat nicht an einen Nichtberechtigten im Sinne des § 816 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches gezahlt, so daß die Klage unbegründet ist.

Da die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, war die Revision zurückzuweisen (§§ 190 Abs. 1 Satz 1, 193 des Sozialgerichtsgesetzes).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649600

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