Entscheidungsstichwort (Thema)
3 bis 4 Stunden tägliche Arbeit
Leitsatz (amtlich)
Stellt ein Tatsachengericht der Sozialgerichtsbarkeit, ohne Beweise zu erheben, allein auf Grund seiner Kenntnisse und Erfahrungen des Arbeitslebens fest, daß es für einen Versicherten, der auf Grund seines Gesundheitszustandes nur noch in der Lage ist, halbschichtig leichte Arbeiten im Sitzen und im Stehen in geschlossenen Räumen zu verrichten, in wirtschaftlichen Ballungsgebieten Arbeitsplätze in nennenswerter, dh mehr als nur bedeutungsloser Zahl gibt, so verstößt es hiermit nicht gegen SGG § 128.
Leitsatz (redaktionell)
die ärztlichen Sachverständigen sprechen vielfach von einer Arbeitsfähigkeit von 3 bis 4 Stunden oder von 4 Stunden, weil sie von einer täglichen Arbeitszeit von 8 Stunden ausgehen. Damit meinen sie aber, daß der Versicherte noch halbschichtig arbeiten kann.
Der im öffentlichen Recht entsprechend anzuwendende Grundsatz von Treu und Glauben erfordert, daß der Versicherte nicht auf solche Tätigkeiten verwiesen wird, für die es Arbeitsplätze noch nicht einmal in nennenswerter Zahl gibt. Die Risikoverteilung zwischen der RV und der ArblV schließt es nicht aus, unter Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben eine Verweisung auf Erwerbstätigkeiten in besonders krassen Fällen auszuschließen.
Normenkette
RKG § 47 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1247 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; SGG § 128 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Oktober 1966 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist, ob der Kläger während der noch streitigen Zeit erwerbsunfähig war.
Am 9. November 1964 beantragte der Kläger, ihm die Gesamtleistung wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 47 Reichsknappschaftsgesetz (RKG), § 1247 Reichsversicherungsordnung (RVO) zu gewähren. Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 21. April 1965 mit der Begründung ab, der Kläger könne nach seinem Gesundheitszustand täglich noch drei bis vier Stunden leichte Arbeiten, z. B. als Platzreiniger, Fahrradwächter, Parkuhrenableser u. ä. verrichten. Der Kläger legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein und machte geltend, daß für diese Tätigkeiten nicht genügend Arbeitsplätze zur Verfügung stünden. Soweit vorhanden, seien sie nur einem bevorzugten Kreis von Personen vorbehalten. Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Widerspruch durch Bescheid vom 9. Juli 1965 mit der Begründung zurück, der Kläger könne mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen noch mehr als geringfügige Einkünfte erzielen.
Gegen diese Bescheide richtet sich die Klage.
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 16. März 1966 die Klage mit gleicher Begründung abgewiesen; es gebe auch für ihn in erreichbarer Nähe genügend Teilzeitarbeitsplätze von der Art, wie er sie noch ausfüllen könne.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Nachdem ihm die Beklagte im Laufe des Berufungsverfahrens Vorschüsse auf das von ihm inzwischen beantragte vorgezogene Altersruhegeld gewährte, hat er den Klageanspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf die Zeit vom 1. November 1964 bis zum 31. Mai 1966 beschränkt. Er hat nicht in Abrede gestellt, daß es Teilzeitbeschäftigungen gebe, denen er körperlich noch gewachsen sei, macht aber geltend, es stünden derartige Arbeitsplätze nicht in genügendem Umfang zur Verfügung. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers durch Urteil vom 6. Oktober 1966 zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Es hat die Berufung als unbegründet erachtet, weil der Kläger während der Zeit vom 1. November 1964 bis zum 31. Mai 1966 nicht erwerbsunfähig nach § 47 Abs. 2 RKG, § 1247 Abs. 2 RVO gewesen sei.
Der Kläger sei nicht außerstande gewesen, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben. Seine Erwerbsfähigkeit sei infolge seines labilen Bluthochdruckes, einer allgemeinen Gefäßsklerose, einer Osteochondrose der Wirbelsäule, einer Lungenblähung und einer Schwerhörigkeit eingeschränkt, doch sei es ihm noch möglich gewesen, täglich drei bis vier Stunden leichte Arbeiten im Sitzen und Stehen in geschlossenen Räumen zu verrichten. Diese Gesundheitsstörungen hätten ihn lediglich daran gehindert, vollschichtig und im Freien zu arbeiten sowie schwere und mittelschwere körperliche Arbeiten auszuführen. Er könne z. B. noch die Tätigkeiten eines Parkplatzwächters in Parkhäusern und auf Parkplätzen mit festen Schalter- und Wärterhäuschen sowie die Arbeiten eines Briefsortierers bei der Post oder eines Büroarbeiters im Registratur- und Botendienst bei Behörden, Banken, Versicherungen und sonstigen privaten Verwaltungen, ferner leichte Aufräumarbeiten in Industriehallen und Fabrikgebäuden oder leichte Pack- und Sortierarbeiten, die sich mit kleinen Teilen befassen, verrichten.
Das Berufungsgericht ist der Ansicht, daß es für Versicherte, die solche Arbeiten halbschichtig täglich verrichten können, in der Regel noch ein Arbeitsfeld gebe. Hiervon sei offenbar der Gesetzgeber bei dem Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit ausgegangen. Tatsachen aber, die als bekannt vorausgesetzt werden könnten bzw. von denen der Gesetzgeber bei seiner Entschließung ersichtlich mit einer entsprechenden Wertung ausgegangen sei, bedürften keines Beweises. Beweiserhebungen seien hierzu nur dann geboten, wenn im Einzelfall nicht ohne weiteres angenommen werden könne, daß die Verhältnisse jenen entsprächen, von denen der Gesetzgeber grundsätzlich ausgegangen sei. Das treffe jedoch auf die wirtschaftlichen Verhältnisse im Ruhrgebiet, an dessen Rande der Kläger wohnt, nicht zu. Das Ruhrgebiet sei ein wirtschaftlich hochentwickeltes Gebiet. In Gebieten dieser Art gebe es auch ein gewisses Arbeitsfeld für Teilzeitarbeiten. Ob dies generell für Teilzeitarbeiten aller Art gelte, bleibe offen, jedenfalls könne davon ausgegangen werden, daß es hinsichtlich der Teilzeitarbeitsplätze für Personen, die täglich noch drei bis vier Stunden - also halbschichtig - leichtere Arbeiten im Stehen und Sitzen verrichten können, ein gewisses Arbeitsfeld gebe. Dazu gehörten insbesondere auch die Tätigkeiten, auf die der Kläger verwiesen werde. Diese Tätigkeiten seien nach den Erfahrungen des erkennenden Senats weder bestimmten Personen noch einem bestimmten Personenkreis vorbehalten. Das Risiko, keine Arbeit zu finden, weil die Zahl der in Betracht kommenden Arbeitsplätze kleiner sei als die Zahl der Bewerber, gehöre nicht zu den Risiken, für die die gesetzliche Rentenversicherung aufzukommen habe.
Im übrigen hat das Berufungsgericht festgestellt, daß der Kläger mit diesen Tätigkeiten auch mehr als nur geringfügige Einkünfte erzielen könne. Er sei in der Lage, bei einem Stundenlohn von 2,50 DM und einer täglichen Arbeitszeit von drei bis vier Stunden Einkünfte zwischen 168,75 DM und 225,- DM monatlich zu verdienen. Diese Beträge seien nicht niedriger als ein Fünftel des tariflichen Hauerdurchschnittslohnes, von dem beim Kläger als ehemaligem Hauer auszugehen sei.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung der § 47 Abs. 2 RKG, § 1247 Abs. 2 RVO durch das Berufungsgericht. Er sei nur fähig gewesen, täglich drei bis vier Stunden leichte Arbeiten im Sitzen und Stehen in geschlossenen Räumen zu verrichten. Eine derart eingeschränkte Arbeitsfähigkeit erfülle den Tatbestand der Erwerbsunfähigkeit, weil sie praktisch nicht verwertbar sei.
Die Frage der Verwertbarkeit der restlichen Arbeitsfähigkeit werde wesentlich auch unter Berücksichtigung der Verhältnisse in der Wohngegend des Versicherten mit zu beantworten sein. Theoretisch möge eine drei- bis vierstündige Beschäftigungsmöglichkeit, z. B. in geschlossenen Parkhäusern, bestehen. Diese Möglichkeit entfalle aber für ihn, weil es in seinem Wohnort Parkhäuser dieser Art nicht gebe. Ähnlich verhalte es sich auch mit vielerlei anderen Halbtagsbeschäftigungen, die das LSG beispielhaft aufgezählt habe.
Er beantragt,
unter Abänderung des Urteils des LSG Essen vom 6. Oktober 1966 und unter Aufhebung des Urteils des SG Gelsenkirchen vom 16. März 1966 sowie der Bescheide der Beklagten vom 21. April und 6. Juli 1965 die Beklagte zu verurteilen, ihm Erwerbsunfähigkeitsrente vom 1. November 1964 bis zum 31. Mai 1966 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie ist insbesondere der Auffassung, daß die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nicht die Grenzen des Rechts der freien richterlichen Beweiswürdigung verletzen, wenn sie die Entscheidung, bestimmte Arbeitsplätze seien nicht nur in völlig unbedeutendem Umfange vorhanden, auf Grund ihrer besonderen Erfahrungen auf dem Gebiete des Arbeitslebens treffen; Beweise darüber brauchten regelmäßig nicht erhoben zu werden. Den Richtern des Berufungsgerichts, das seinen Sitz im Ruhrgebiet hat, seien die Arbeits- und Erwerbsverhältnisse in diesem Gebiet - auch aus ihrer täglichen Arbeit heraus - aus eigener Anschauung und eigenem Erleben bekannt; sie verfügten insoweit über besondere Erfahrungen auf dem Gebiete des Arbeitslebens. Deshalb habe das Vordergericht ohne Verstoß gegen §§ 103, 106 und 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu dem Ergebnis kommen dürfen, daß Teilzeitarbeitsplätze für Personen, die täglich noch drei bis vier Stunden leichtere Arbeiten im Stehen und Sitzen verrichten können, im Ruhrgebiet in nennenswertem Umfang vorhanden sind. Das Vordergericht habe insoweit - wenn auch ohne Beweiserhebung "konkret" geprüft und hiernach den Eintritt des Versicherungsfalles der Erwerbsunfähigkeit i. S. von § 47 Abs. 2 RKG bei dem Kläger zutreffend verneint. Der Einwand des Klägers, er wohne am Rande des Ruhrgebiets, so daß die Arbeitsplätze, die er an sich noch ausfüllen könne, für ihn nicht erreichbar seien, sei unerheblich. Der Kläger wohne in Herten (Westf.). Diese Stadt werde - ausgenommen im Norden - von großen Städten wie Recklinghausen, Herne, Wanne-Eickel und Gelsenkirchen umrahmt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) komme es im Rahmen des § 1247 Abs. 2 RVO nicht nur auf Arbeitsplätze in unmittelbarer Nähe der Wohnung, sondern in der täglich zu erreichenden Umgebung des Rentenbewerbers an. Das Berufungsgericht habe nicht verkannt, daß es für den Versicherten oft schwierig ist, den entsprechenden Arbeitsplatz zu finden. Die Schwierigkeit, einen der verbliebenen Einsatzfähigkeit gemäßen Arbeitsplatz zu erhalten, sei aber in der Rentenversicherung nicht mitversichert und könne deshalb auch nicht zur Anerkennung des Rentenanspruchs führen. Die Vordergerichte hätten nach alledem zutreffend erkannt, daß der Kläger in der streitigen Zeit nicht erwerbsunfähig i. S. von § 47 Abs. 2 RKG gewesen sei.
II
Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Im Ergebnis hat das Berufungsgericht zu Recht entschieden, daß der Kläger während der noch streitigen Zeit vom 1. November 1964 bis zum 31. Mai 1966 nicht erwerbsunfähig nach § 47 Abs. 2 RKG, § 1247 Abs. 2 RVO gewesen ist.
Der Kläger war während dieser Zeit nicht außerstande, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts war er nämlich noch in der Lage, täglich drei bis vier Stunden leichte Arbeiten im Sitzen und im Stehen in geschlossenen Räumen zu verrichten, wie z. B. die Tätigkeiten eines Parkplatzwächters in Parkhäusern und auf Parkplätzen mit festem Schalter- oder Wärterhäuschen, eines Briefsortierers bei der Post und eines Büroarbeiters im Registratur- und Botendienst, ferner leichte Aufräumarbeiten sowie leichte Pack- und Sortierarbeiten. Das Berufungsgericht hat aus dem Umstand, daß der Kläger noch drei bis vier Stunden täglich arbeiten kann, geschlossen, daß er praktisch noch halbschichtig arbeiten kann. Diese Schlußfolgerung ist bedenkenfrei. Die ärztlichen Sachverständigen sprechen vielfach von einer Arbeitsfähigkeit von drei bis vier oder von vier Stunden, weil sie von einer täglichen Arbeitszeit von acht Stunden ausgehen. Damit meinen sie aber, daß der Versicherte noch halbschichtig arbeiten kann.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG kann im Rahmen des § 47 Abs. 2 RKG, § 1247 Abs. 2 RVO auf Erwerbstätigkeiten allerdings nur verwiesen werden, wenn es für sie Arbeitsplätze in zumindest nennenswerter Zahl gibt (BSG 19, 147; SozR RVO Nr. 6 zu § 1247). Wenn es auch nach § 47 Abs. 2 RKG, § 1247 Abs. 2 RVO darauf ankommt, ob der Versicherte noch in der Lage ist, "Erwerbstätigkeiten" auszuüben, und daher die Zahl der Arbeitsplätze grundsätzlich ohne Bedeutung ist, so erfordert doch der im öffentlichen Recht entsprechend anzuwendende Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -), daß der Versicherte nicht auf solche Tätigkeiten verwiesen wird, für die es Arbeitsplätze noch nicht einmal in nennenswerter Zahl gibt (vgl. SozR RVO Nr. 6 zu § 1247). Eine Verweisung auf solche Erwerbstätigkeiten würde allen gerecht und billig Denkenden unverständlich erscheinen. Das Risiko der Arbeitslosigkeit wird zwar von der Arbeitslosenversicherung und nicht von der Rentenversicherung getragen, woran auch der Umstand nichts ändert, daß in vielen Fällen dieser Art nach der derzeitigen Gesetzeslage Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung nicht zu erbringen sind, obwohl ein solcher Versicherter keinen Arbeitsplatz findet. Diese Risikoverteilung schließt aber nicht aus, unter Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben eine Verweisung auf Erwerbstätigkeiten in besonders krassen Fällen auszuschließen Es ist aus § 47 Abs. 2 RKG, § 1247 Abs. 2 RVO nicht zu entnehmen, daß dieser in der Rechtsprechung schon seit langem anerkannte Grundsatz bei der Erwerbsunfähigkeitsrente anders als bei den übrigen wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit zu gewährenden Versichertenrenten der drei Rentenversicherungszweige nicht gelten soll. Bei der Erwerbsunfähigkeitsrente kommt es nämlich ebenso wie bei den übrigen dieser Renten darauf an, ob und gegebenenfalls welche Erwerbstätigkeiten der Versicherte noch verrichten kann. Es ist daher kein Grund ersichtlich, der für die Erwerbsunfähigkeitsrente insoweit eine unterschiedliche Betrachtung rechtfertigen könnte. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, bedeutet das Erfordernis einer nennenswerten Zahl von Arbeitsplätzen, daß der Umfang der vorhandenen - freien und besetzten - Arbeitsplätze nicht nur bedeutungslos sein darf (SozR RVO Nr. 54 zu § 1246). Auf die Feststellung, daß es für Erwerbstätigkeiten, auf die ein Versicherter verwiesen werden soll, Arbeitsplätze in mehr als nur bedeutungslosem Umfang gibt, kann nicht verzichtet werden. Dies hat das Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil offenbar auch nicht verkannt.
Das Berufungsgericht meint nun allerdings, es könne in der Regel davon ausgegangen werden, daß es für Erwerbstätigkeiten Arbeitsplätze in nennenswerter Zahl gebe, weil auch der Gesetzgeber davon ausgegangen sei. Dies kann man aber jedenfalls für Teilzeitarbeiten nicht annehmen, da der Gesetzgeber bei dem Erlaß dieser Vorschriften Teilzeitarbeiten kaum in seinem Blickfeld gehabt haben dürfte. Anderenfalls würde er diese nämlich ganz allgemein bei der Regelung der Erwerbsunfähigkeitsrente wegen der mit ihnen verbundenen Schwierigkeiten besonders berücksichtigt haben. Das ist jedoch nicht geschehen. Es bedarf daher in jedem Einzelfall der Prüfung, ob es für eine Teilzeittätigkeit Arbeitsplätze in nennenswerter, d. h. in mehr als nur bedeutungsloser Zahl gibt.
Eine andere Frage ist, ob sich die erforderliche Prüfung und Tatsachenfeststellung immer auf im Einzelfall erhobene Beweise stützen muß oder ob das Gericht diese auch allein auf Grund seiner Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet des Arbeitslebens vornehmen darf. Das Berufungsgericht hat nun im vorliegenden Fall, ohne Beweise zu erheben, zusätzlich festgestellt, daß es in wirtschaftlich hochentwickelten Gebieten, wie dem Ruhrgebiet, auch für Teilzeitarbeiten ein gewisses Arbeitsfeld gibt, was bedeutet, daß es in wirtschaftlichen Ballungsgebieten, insbesondere auch in größeren Städten, Arbeitsplätze für diese Teilzeittätigkeiten in nennenswerter, also mehr als nur bedeutungsloser Zahl gibt. Es bestehen keine Bedenken, daß das Berufungsgericht die Feststellung dieser Tatsache, die über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat, ohne Beweiserhebung allein auf Grund seiner Erfahrungen auf dem Gebiet des Arbeitslebens getroffen hat (vgl. SozR RVO Nr. 50 und 54 zu § 1246). Auch konnte das Berufungsgericht diese Feststellung ihrem Inhalt nach, da sie keinem Erfahrungssatz widerspricht, treffen, ohne § 128 SGG zu verletzen. Es mag sein, daß es jedenfalls für männliche Arbeiter Teilzeitarbeitsplätze dieser Art sogar in wirtschaftlichen Ballungsgebieten, insbesondere auch in größeren Städten, nur in geringer Zahl gibt, selbst wenn man neben den insbesondere durch Statistiken festgestellten Arbeitsplätzen noch weitere in ihrer genauen Größe, wie die Erfahrung lehrt, nicht im einzelnen erfaßbaren Zahl von Arbeitsplätzen dieser Art zusätzlich berücksichtigt.
Da es sich hier aber, wie bereits ausgeführt, nur um die Frage handelt, ob es halbschichtige Arbeitsplätze der für den Kläger in Betracht kommenden Art in wirtschaftlichen Ballungsgebieten in einem mehr als nur bedeutungslosen Umfang gibt, nicht aber, ob der Versicherte eine reale Aussicht hat, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden, kann trotzdem nicht gesagt werden, daß diese Feststellung des Berufungsgerichts gegen einen Erfahrungssatz verstößt.
Der Kläger macht nun geltend, an seinem Wohnort gebe es solche Arbeitsplätze nicht. Er verkennt aber, daß es nach der bestehenden Gesetzeslage grundsätzlich gleichgültig ist, in welchen Orten der Bundesrepublik Deutschland sich solche Arbeitsplätze befinden, da in § 47 Abs. 2 RKG und § 1247 Abs. 2 RVO auf Erwerbstätigkeiten und nicht auf Arbeitsplätze abgestellt ist. Der 12. Senat des BSG hat allerdings in seinem Urteil vom 28. Mai 1963 (BSG 19, 147; SozR RVO Nr. 6 zu § 1247) - auch hier in Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) - entschieden, daß dem Versicherten die Übernahme der Kosten für eine zweite Wohnung oder für einen Umzug nicht zuzumuten ist. Diese Entscheidung betraf aber einen Fall, in welchem der Versicherte nur noch bis zu drei Stunden täglich arbeiten konnte und daher gegebenenfalls nur ein sehr geringes Erwerbseinkommen hätte erzielen können, das in keinem rechten Verhältnis zu den erforderlichen Unkosten gestanden hätte. Ob eine solche Ausnahme auch bei halbschichtigen Tätigkeiten anerkannt werden kann, bedarf hier keiner Prüfung und Entscheidung; denn der Kläger wohnt am Rande des Ruhrgebietes und kann daher durch tägliches Pendeln größere Städte erreichen.
Das Berufungsgericht hat daher zu Recht den Kläger nicht für erwerbsunfähig angesehen. Ob dies auch dann angenommen werden könnte, wenn die Leistungsfähigkeit eines Versicherten, der noch halbschichtig leichte Tätigkeiten verrichten kann, weiter eingeschränkt ist, bleibt offen.
Es ist denkbar, daß für Gruppen von Fällen die ohnedies nur geringe Zahl geeigneter halbschichtiger Arbeitsplätze dann so zusammenschrumpft, daß sie nur noch als bedeutungslos angesehen werden könnte. Doch bedarf es hier einer Prüfung und Entscheidung dieser Frage nicht.
Wie das Berufungsgericht weiter bedenkenfrei entschieden hat, kann der Kläger, wie er selbst auch nicht bezweifelt, mit einer solchen Tätigkeit noch mindestens ein Fünftel des durchschnittlichen Bruttotariflohnes eines gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten und damit mehr als nur geringfügige Einkünfte i. S. der §§ 47 Abs. 2 RKG, 1247 Abs. 2 RVO verdienen (BSG 19, 147; SozR RVO Nr. 6 zu § 1247).
Da der Kläger somit während der streitigen Zeit nicht erwerbsunfähig war, ist seine Revision unbegründet. Sie wird daher zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen