Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Handwerksmeister, der nach Abschluß der Aufräumungsarbeiten zur Behebung von Fliegerschäden von der Gauhandwerkskammer eingesetzt wurde, leistete keinen militärähnlichen Dienst.

2. BVG § 85 bindet nur für die Beurteilung der Frage des medizinisch-ursächlichen Zusammenhanges zwischen Gesundheitsstörung und Schädigung.

 

Normenkette

BVG § 3 Abs. 1 Buchst. k Fassung: 1950-12-20, § 85 Fassung: 1950-12-20

 

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in Stuttgart vom 11. Januar 1956 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Kläger sind die Witwe und die Waisen des Wilhelm S..., im folgenden der Verstorbene genannt. Dieser war vom 12. Juni 1943 bis 25. September 1944 auf Grund einer Anordnung des Gauhandwerksmeisters der Gauwirtschaftskammer Württemberg-Hohenzollern, Abteilung Handwerk, zur Behebung von Fliegerschäden in Stuttgart eingesetzt. Er verstarb am 5. November 1944. Mit Antrag vom 23. Juli 1947 beantragten die Kläger Hinterbliebenenversorgung nach den Vorschriften des Gesetzes über Leistungen an Körperbeschädigte (KBLG) mit der Begründung, daß der Verstorbene sich bei seiner Tätigkeit eine schwere Angina zugezogen habe. Wegen dieser Erkrankung sei er am 25. September 1944 arbeitsunfähig geworden. Die Erkrankung habe eine schwere Herzklappenentzündung, sodann eine schwere Bronchopneumonie und schließlich den Tod zur Folge gehabt. Die damals zuständige Landesversicherungsanstalt Württemberg lehnte den Antrag der Kläger mit Bescheid vom 26. Juli 1950 ab, weil der Verstorbene seine Arbeit vor der Erkrankung nicht auf Grund der Notdienstverordnung geleistet habe und sein Tod auch nicht die Folge einer unmittelbaren Kriegseinwirkung gewesen sei. Die Berufung gegen diesen Bescheid wurde mit Urteil des Württembergischen Oberversicherungsamts Stuttgart vom 2. April 1952 als verspätet verworfen.

Nach dem Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) begehrten die Kläger erneut Hinterbliebenenrente. Das Versorgungsamt Stuttgart lehnte ihren Antrag mit Bescheid vom 25. September 1952 ab, weil die durch Urteil des Oberversicherungsamts Stuttgart vom 2. April 1952 getroffene ablehnende Entscheidung gemäß § 85 BVG auch für die Entscheidung über die Ansprüche der Kläger nach dem BVG rechtsverbindlich sei. Die gegen diesen Bescheid eingelegte Berufung der Kläger ging nach dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht Stuttgart über und wurde zunächst durch Vorbescheid, sodann durch Urteil vom 20. Oktober 1954 als unbegründet abgewiesen. Das Sozialgericht hielt sich zwar an die frühere Entscheidung nicht durch § 85 BVG gebunden, kam jedoch zu seiner Entscheidung mit der Begründung, daß der Verstorbene keinen Notdienst (§ 3 Abs. 1 Buchst. k BVG) geleistet habe und sein Tod auch nicht auf unmittelbare Kriegseinwirkung im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. b BVG zurückzuführen sei. In diesem Urteil erwähnte das Sozialgericht die Kläger zu 2) nicht ausdrücklich.

Die Berufung der Kläger gegen dieses Urteil wurde vom Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 11. Januar 1956 zurückgewiesen. Das Landessozialgericht hielt sich an die früher nach dem KBLG getroffene Entscheidung für gebunden. Seiner Ansicht nach erfaßt § 85 BVG nicht nur die kausale Beziehung zwischen schädigendem Ereignis und Gesundheitsstörung, sondern auch die kausale Beziehung zwischen militärischem Dienst und schädigendem Ereignis wie überhaupt alle Glieder der doppelten Kausalkette, mithin auch die Entscheidung über die Zugehörigkeit zum versorgungsberechtigten Personenkreis. Wie das Landessozialgericht weiter ausführt, wäre es aber auch bei einer nochmaligen Prüfung in der Sache zur Abweisung der Ansprüche der Kläger gekommen. Der Tod des Verstorbenen könne nicht auf eine unmittelbare Kriegseinwirkung zurückgeführt werden. Der Arbeitseinsatz habe nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit Kampfhandlungen gestanden. Bei dem Arbeitseinsatz habe es sich nicht um die Aufräumung unmittelbar nach dem Angriff gehandelt; diese sei bereits beendet gewesen, als man daran ging, die beschädigten Wohnungen wieder wohnlich zu gestalten.

Das Landessozialgericht ließ die Revision zu.

Gegen das am 17. Februar 1956 zugestellte Urteil haben die Kläger mit Schriftsatz vom 24. Februar 1956, eingegangen beim Bundessozialgericht am 25. Februar 1956, Revision eingelegt. Nachdem die Revisionsbegründungsfrist bis zum 17. Mai 1956 verlängert worden war, haben sie die Revision mit Schriftsatz vom 16. Mai 1956, eingegangen beim Bundessozialgericht am gleichen Tage, begründet. Sie beantragen,

die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 11. Januar 1956 und des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. Oktober 1954 sowie den Bescheid des Versorgungsamts Stuttgart vom 25. September 1952 aufzuheben und den Beklagten kostenpflichtig zu verurteilen, den Klägern vom 1. Mai 1952 ab Witwen- und Waisenrente zu gewähren,

hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Sie führen zur Begründung ihrer Revision aus, daß das Landessozialgericht durch § 85 BVG nicht gehindert gewesen sei, den Versorgungsanspruch der Kläger erneut zu prüfen und den § 5 Abs. 1 Buchst. b BVG anzuwenden. Nach dieser Vorschrift sei der Tod des Verstorbenen auf eine unmittelbare Kriegseinwirkung zurückzuführen, denn der Einsatz hätte im unmittelbaren Zusammenhang mit vorausgegangenen Fliegerangriffen gestanden. Im übrigen haben die Kläger gegenüber der Feststellung des Landessozialgerichts, daß die dringlichsten Aufräumungsarbeiten unmittelbar nach Fliegerangriffen bereits beendet waren und es sich bei den Arbeiten des Verstorbenen lediglich darum handelte, die Wohnungen allmählich wohnlicher zu gestalten, gerügt, daß diese Feststellung unter Verletzung der Sachaufklärungspflicht und unter Überschreitung der Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung zustande gekommen sei.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für richtig, zwar nicht aus dem Grunde, weil die früher nach den Vorschriften des KBLG getroffene Entscheidung gemäß § 85 BVG auch die Ablehnung der nach den Vorschriften des BVG geltend gemachten Ansprüche erfordere, sondern deswegen, weil die tödliche Erkrankung des Verstorbenen weder auf militärähnlichen Dienst im Sinne des § 3 Abs. 1 Buchst. k BVG, noch auf eine unmittelbare Kriegseinwirkung im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. b zurückzuführen sei.

Die Revision ist frist- und formgerecht eingelegt und auch rechtzeitig begründet worden. Da sie vom Landessozialgericht zugelassen wurde, ist sie auch statthaft. Die somit zulässige Revision konnte aber keinen Erfolg haben. Zunächst hatte der Senat keine Bedenken gegen die Annahme des Landessozialgerichts, daß die Kläger zu 2) Beteiligte des Berufungsverfahrens gewesen sind und damit auch Beteiligte des Verfahrens vor dem Bundessozialgericht dadurch geworden sind, daß ausdrücklich auch in ihrem Namen die Revision eingelegt worden ist. Die Klägerin zu 1) hatte namens und als gesetzliche Vertreterin ihrer Kinder für diese den Antrag auf Hinterbliebenenversorgung gestellt. Deshalb betraf der auf diesen Antrag ergangene Bescheid des Versorgungsamts offensichtlich auch die Hinterbliebenenansprüche der Kinder. Wenn dieser Bescheid nur an die Klägerin zu 1) gerichtet war, so genügte dies aus dem Grunde, weil die Klägerin zu 1) die gesetzliche Vertreterin ihrer Kinder war. Auch die Klage gegen diesen Bescheid war von der Klägerin zu 1) zugleich namens ihrer Kinder erhoben worden. Sie waren also Kläger und Beteiligte, auch wenn sie später im Urteil des Sozialgerichts nicht ausdrücklich erwähnt waren. Sie konnten mithin gegen dieses Urteil Berufung einlegen und wurden durch die Einlegung der Berufung, welche wiederum die Klägerin zu 1) für sie vorgenommen hatte, auch Beteiligte des Berufungsverfahrens. Das Landessozialgericht hat dies im Ergebnis mit Recht angenommen. Es waren danach die von Amts wegen zu berücksichtigenden Prozeßvoraussetzungen für die Entscheidung des Landessozialgerichts gegenüber den Klägern zu 2) gegeben.

Zu Unrecht hat das Landessozialgericht aber angenommen, daß nach § 85 Abs. 1 BVG die frühere Entscheidung über die Ansprüche der Kläger nach den Vorschriften des KBLG auch für die Entscheidung über die Ansprüche der Kläger nach den Vorschriften des BVG verbindlich sei und eine erneute sachliche Prüfung verbiete. Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 16. Oktober 1956 (BSG. 4 S. 21) und auch der 11. Senat in seinem Urteil vom 14. Januar 1958 (SozR. BVG § 85 Bl. Ca 6 Nr. 8) entschieden haben, ist eine nach bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften ergangene Entscheidung nur rechtsverbindlich für die Beurteilung der Frage, ob eine Gesundheitsstörung mit einer Schädigung ursächlich zusammenhängt. Diese Auffassung ergibt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes und entspricht der geschichtlichen Entwicklung des Versorgungsrechts. Wenn § 85 Satz 1 BVG von "einem schädigenden Vorgang im Sinne des § 1" spricht, dann setzt dieser Wortlaut voraus, daß die Zugehörigkeit eines Beschädigten zum versorgungsberechtigten Personenkreis des BVG feststeht und daß ein schädigender Vorgang vorliegt, der auf die Zugehörigkeit zu diesem Personenkreis zurückzuführen ist. Nur hinsichtlich des einen Tatbestandsmerkmals, nämlich des Zusammenhangs der festgestellten Gesundheitsstörung mit dem schädigenden Vorgang, hat das BVG eine Bindung an frühere Entscheidungen vorgeschrieben. Das BVG geht ebenso wie seine Vorläufer davon aus, daß grundsätzlich neues Versorgungsrecht eine erneute Prüfung alter Versorgungsansprüche auf ihre rechtliche Grundlage hin erfordert. Als einzige Ausnahme von diesem Grundsatz ist gemäß § 85 Satz 1 BVG eine Bindung an die Entscheidung nach bisherigem Recht nur insoweit ausgesprochen, als es sich um die Beurteilung der Zusammenhangsfrage zwischen Gesundheitsstörung und Schädigung handelt. Mit dieser Regelung sollte die durch eine nochmalige Feststellung des medizinischen Zusammenhangs erforderliche und vielfach überflüssige Verwaltungsarbeit erspart werden, außerdem aber auch die Rechtssicherheit und das Vertrauen in die einmal getroffene Beurteilung dieses Zusammenhangs gestärkt werden, da ja die Beurteilung des medizinischen Zusammenhangs nicht auf rechtlichem Gebiet lag und somit bei der Änderung von Rechtsnormen auch nicht notwendig eine neue Beurteilung erforderte. Die Ansicht des Landessozialgerichts, daß § 85 Satz 1 BVG beide Ursachenketten und auch sämtliche Glieder dieser Ketten erfaßt, kann schon deshalb nicht zutreffen, weil damit alle Tatbestandsmerkmale über den Grund eines Versorgungsanspruchs von der Bindung erfaßt wären. Das BVG hätte sich in solchem Falle mit einer einzigen Vorschrift begnügen und sagen können, daß alle Entscheidungen nach bisherigem Recht fortwirken und nur die Leistungen der Höhe nach umzurechnen sind, soweit schon bisher Leistungen gewährt wurden. Der Senat hatte daher keinen Anlaß, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen.

Wenngleich das Landessozialgericht sonach zu Unrecht eine Bindung an die nach dem KBLG über die Ansprüche der Kläger getroffene frühere Entscheidung angenommen hat und daher verpflichtet war, die Ansprüche der Kläger erneut nach den Vorschriften des BVG zu prüfen, so ergibt diese Prüfung durch den Senat, daß das Landessozialgericht die Ansprüche der Kläger zu Recht abgelehnt hat.

Der Tod des Verstorbenen ist nicht auf militärähnlichen Dienst zurückzuführen. Bei dem Arbeitseinsatz auf Grund der Einberufung durch die Gauhandwerkskammer hat es sich nicht um einen Dienst auf Grund der Notdienstverordnung gemäß § 3 Abs. 1 Buchst. k BVG gehandelt. Diese Vorschrift kann auch nicht, wie die Kläger vorsorglich geltend gemacht haben, ausdehnend ausgelegt und auf Fälle bezogen werden, in denen der Arbeitseinsatz durch den Gauhandwerksmeister angeordnet wurde. Der § 3 BVG zählt die Fälle des militärähnlichen Dienstes abschließend auf und kann nicht auf andere Fälle angewendet werden. (BSG. 4 S. 277 [280], 2 S. 29 [34]).

Soweit die Kläger ihre Ansprüche aber auf § 5 Abs. 1 Buchst. b BVG zu gründen suchen, gehen ihre Ausführungen fehl. Zutreffend hat das Landessozialgericht in der Hilfsbegründung zu seiner Entscheidung ausgeführt, daß im vorliegenden Fall der Arbeitseinsatz des Verstorbenen nicht mehr im unmittelbaren Zusammenhang mit Kampfhandlungen gestanden hat. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts war die befohlene Maßnahme nicht unmittelbar auf die Fliegerangriffe zurückzuführen und hatte auch nicht Aufräumungsarbeiten zum Gegenstand, sondern sie diente dazu, die beschädigten Wohnungen wieder wohnlicher zu gestalten, nachdem die Fliegerangriffe beendet und die unmittelbar anschließenden Aufräumungsarbeiten durchgeführt waren. In bezug auf diese Feststellungen, die das Landessozialgericht offenbar aus dem allgemein bekannten Zweck dieses Einsatzes und aus dem besonderen Einberufungsschreiben des Verstorbenen getroffen hat, haben die Kläger zulässige und begründete Revisionsgründe nicht vorgebracht. Die Kläger wollen zwar eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) und eine Überschreitung der Grenzen der freien Beweiswürdigung rügen. Aber abgesehen davon, daß sie nicht einmal darlegen, welcher Sachverhalt vom Landessozialgericht seiner Entscheidung zu Grunde zu legen gewesen wäre, fehlt in der Revisionsbegründung jegliche Bezeichnung von Tatsachen und Beweismitteln dafür (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG), warum, in welcher Richtung und mit welchen Mitteln der Sachverhalt näher aufzuklären gewesen wäre und inwiefern das Landessozialgericht die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten hat. Die Feststellungen des Landessozialgerichts sind daher nicht mit Erfolg angegriffen worden und sind gemäß § 163 SGG für den Senat bindend. Es ist somit davon auszugehen, daß die Einberufung und der Arbeitseinsatz des Verstorbenen nicht unmittelbar mit Kampfhandlungen bei Fliegerangriffen zusammenhingen, sondern erst die mittelbare Folge davon waren, damit nach Beendigung der Kampfhandlungen und der erforderlichen Aufräumungsarbeiten die beschädigten Wohnungen wieder wohnlich werden sollten. In dem Arbeitseinsatz des Verstorbenen liegt daher schon aus diesem Grunde keine "Maßnahme" im Sinne des § 5 Abs. 1 b BVG, so daß nicht geprüft zu werden braucht, ob es sich bei der Einberufung des Verstorbenen überhaupt um eine "behördliche" Maßnahme im Sinne des § 5 Abs. 1 b BVG gehandelt hat.

Da der Tod des Verstorbenen auch nicht auf einen anderen Versorgungstatbestand des § 1 BVG zurückzuführen ist, entfallen damit auch die Ansprüche der Kläger auf Hinterbliebenenrente, denn diese Ansprüche haben nach § 38 BVG zur Voraussetzung, daß der Verstorbene an einer solchen Schädigung im Sinne des § 1 BVG gestorben ist.

Die Entscheidungsgründe des Landessozialgerichts, auf welche es in erster Linie seine Entscheidung gestützt hat (§ 85 BVG) ergaben zwar eine Gesetzesverletzung. Die Entscheidung selbst stellt sich jedoch aus anderen Gründen, die auch das Landessozialgericht hilfsweise angeführt hat, als richtig dar. Deshalb war die Revision der Kläger zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2340602

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge