Orientierungssatz
Zur Bedeutung des Worts "ausländisch" in FRG § 16 S 1 ("eine- in dem BVFG § 1 Abs 2 Nr 3 genannten ausländischen Gebieten- verrichtete Beschäftigung").
Normenkette
FRG § 16 S. 1 Fassung: 1960-02-25; BVFG § 1 Abs. 2 Nr. 3 Fassung: 1953-05-19
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 9. Oktober 1962 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger begehrt im Hinblick auf eine bislang nicht berücksichtigte, von ihm behauptete Beitragszeit von Oktober 1913 bis September 1914 und eine daran anschließende Kriegsdienstzeit die Erhöhung seiner Rente.
Die Beklagte sah den Nachweis für die geltend gemachte Beitragsleistung nicht als erbracht an. Die deshalb erhobene Klagen haben Sozialgericht (SG) und Landessozialgericht (LSG) abgewiesen. Das Berufungsgericht vermochte sich nicht von der Tatsache der Beitragsentrichtung zu überzeugen, weil der Kläger in der fraglichen Zeit - wenn überhaupt - als Handlungshilfe beschäftigt und deshalb in der Angestelltenversicherung versichert gewesen wäre, auf einer unter seinem Namen bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte ermittelten Kontokarte aber keine Beiträge verbucht seien. Wohl lasse sich aus Hinweisen auf der Kontokarte rekonstruieren, daß mit dem Arbeitgeber - vermutlich über die Frage der Versicherungspflicht des Klägers - korrespondiert worden sei. Möglicherweise sei der Kläger als Volontär und deshalb versicherungsfrei tätig gewesen. - Ein anderes Ergebnis lasse sich auch nicht aus § 16 des Fremdrentengesetzes (FRG) (Gleichstellung von Beschäftigungszeiten mit Beitragszeiten zugunsten Vertriebener) herleiten. Der Kläger sei zwar Vertriebener; die in Frage kommende Beitragszeit habe er auch in einem Vertreibungsgebiet, nämlich in der später an Polen gefallenen preußischen Provinz Posen zurückgelegt. Dennoch sei der Sachverhalt nicht § 16 FRG unterzuordnen. Denn diese Vorschrift setze voraus, daß die Beschäftigung in einem Gebiet verrichtet worden sei, in dem das Reichsversicherungsrecht zur Zeit der Beschäftigung nicht gegolten habe. Das treffe aber im gegebenen Falle nicht zu.
Der Kläger hat die von dem LSG zugelassene Revision eingelegt. Er wendet sich in erster Linie gegen die Art der Beweiswürdigung in dem vorinstanzlichen Urteil. Der Berufungsrichter ergehe sich in Mutmaßungen und Deutungen, unterschätze den Wert der vorhandenen Beweisstücke und bemerkte nicht, daß er damit die Beweislast zum Nachteil des Klägers umkehre. Er unterstelle, daß der Kläger 1913 und 1914 eine unentgeltliche Volontärtätigkeit ausgeübt habe, obgleich dieser Gedanke bereits in der Vorinstanz mit durchschlagenden Argumenten bekämpft worden sei. Nach den gesamten, für den Kläger in jener Zeit bestimmenden Lebensumständen sei er auf den Verdienst des eigenen Unterhalts angewiesen gewesen. Diesen Sachvortrag hätte das Berufungsgericht durch Zeugenvernehmungen überprüfen können und müssen. - Den Inhalt der bei der früheren Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA) über den Kläger geführten gelben Kontokarte habe das Berufungsgericht mißdeutet. Diese Karte könne kein vollgültiger Ersatz für den Inhalt der nicht mehr auffindbaren "Hauptkarte" sein. - Der Kläger beantragt, die vorinstanzlichen Urteile und die angegriffenen Bescheide der Beklagten insoweit aufzuheben, als die Beklagte zu verurteilen sei, bei der Berechnung seiner Rente die oben angeführten Beschäftigungs- und Ersatzzeiten zu berücksichtigen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Rente. Das LSG hat seine Überzeugung, daß die von dem Kläger behauptete Beitragszeit von Oktober 1913 bis September 1914 nicht glaubhaft gemacht sei, einwandfrei gebildet und begründet.
Es kann zweifelhaft sein, ob das LSG sich, wie es annimmt, mit einer Glaubhaftmachung begnügen durfte oder ob es einen strengeren Nachweis hätte verlangen müssen. Dies deshalb, weil weder die Voraussetzungen für die Anwendung des § 4 FRG noch die des § 1 der Verordnung (VO) über die Feststellung von Leistungen aus den gesetzlichen Rentenversicherungen bei verlorenen, zerstörten, unbrauchbar gewordenen oder nicht erreichbaren Versicherungsunterlagen vom 3. März 1960 erfüllt sein könnten. Doch bedarf es eines näheren Eingehens hierauf nicht. Dem Kläger können durch Verwendung eines ihm entgegenkommenden Beweismaßstabes keine Nachteile entstanden sein.
Die Revisionsangriffe gegen die Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht haben keinen Erfolg. Für seine Schlußfolgerungen waren das eigene Vorbringen des Klägers und die Bekundungen der gehörten Zeugen ausschlaggebend. Dieses Beweismaterial war, wie die Revision nicht bezweifelt, unergiebig. Die zusätzlichen Erwägungen des LSG über denkbare Gründe für eine Versicherungsfreiheit des Klägers, nämlich insbesondere, daß er Volontär gewesen sein könnte, hatten erkennbar kein eigenes selbständiges Gewicht und sollten die angefochtene Entscheidung nicht tragen. Waren diese Überlegungen aber vom Standpunkt des Berufungsrichters aus entbehrlich, dann kann es auf sich beruhen, ob die für möglich gehaltenen Tatsachen durch weitere Sachaufklärung hätten ausgeräumt werden können.
Der Kläger irrt, wenn er dem LSG entgegenhält, daß dieses den Beweiswert der von der Beklagten aufbewahrten und vorgelegten Kontokarte zu hoch veranschlagt habe. Diese Kontokarte ist diejenige, auf der Beiträge zu verbuchen gewesen wären. Das von der Reichsversicherungsanstalt geführte Beitragskonto diente als Beweismittel und als Unterlage für die Berechnung der Leistungen (§§ 176, 181, 182 des Versicherungsgesetzes für Angestellte - VGfA - vom 20. Dezember 1911).
Bedenkenfrei ist ferner, daß das LSG für die in Betracht kommende Beschäftigung des Klägers eine Beitragsentrichtung nicht nur zur Angestelltenversicherung, sondern auch zur Invalidenversicherung verneint hat. Der Kläger war nach seinen eigenen Angaben mit Buchhaltungs- und Kontoarbeiten beschäftigt worden. Bei diesen Tätigkeitsmerkmalen konnte er als Büroangestellter angesehen werden und wäre als solcher in der Angestelltenversicherung zu versichern gewesen (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 VGfA). Mit Rücksicht auf seine abgeschlossene kaufmännische Lehre könnte er auch als Handlungsgehilfe beurteilt worden sein. Dann hätte er zusätzlich in der Invalidenversicherung versichert werden müssen (§ 1226 Nr. 3 der Reichsversicherungsordnung - RVO - in der Fassung vom 19. Juli 1911). Immer hätten aber auch Beiträge zur Angestelltenversicherung fließen müssen. Wenn das LSG aus dem Fehlen jedes Belegs für solche Beiträge den Schluß zog, daß auch Beiträge zur Invalidenversicherung nicht überwiegend wahrscheinlich gemacht seien, so ist darin kein Verstoß gegen Beweisregeln oder Denkgesetze zu erblicken. Die Ursachen für die Nichtentrichtung von Beiträgen konnten im Rahmen der sogenannten Doppelversicherung für beide Versicherungszweige gleichermaßen gelten. Dafür, daß nur nach dem Recht der Invalidenversicherung ein Versicherungsverhältnis zu begründen gewesen wäre, hat der Kläger selbst nichts vorgetragen. Dafür besteht auch kein Anhalt.
Eine dem Kläger günstigere Entscheidung war des weiteren nicht aus § 16 des FRG herzuleiten. Der gegebene Sachverhalt läßt sich diesem Rechtssatz nicht unterordnen. Zu der Zeit, in welcher der Kläger in Posen tätig war, gehörte dieses Territorium zum Deutschen Reich. Mithin wurde die Beschäftigung nicht, wie es § 16 FRG vorsieht, in einem "ausländischen Gebiet" verrichtet. Der Tatbestand, der Grundlage eines Versicherungsverhältnisses der gesetzlichen Rentenversicherung hätte sein können, wurde im deutschen Rechtsanwendungsgebiet verwirklicht. Auf einen solchen Sachverhalt ist § 16 FRG nicht zu erstrecken. Das entspräche weder dem Wortlaut dieser Vorschrift noch ihrem Sinn und Zweck. Durch § 16 FRG sollen die Vertriebenen - ohne Beitragsleistungen - deshalb in die deutsche Sozialversicherung eingegliedert werden, weil ihnen in ihrem Herkunftsland vielfach die soziale Sicherung nicht bereits vom vollendeten 16. Lebensjahr an eröffnet war. Eine im Reichsgebiet ausgeübte Beschäftigung war dagegen nach deutschem Sozialversicherungsrecht zu beurteilen. Entweder war sie ein Anknüpfungspunkt für die Rentenversicherung oder sie war es nicht. Ein solcher Sachverhalt wird von § 16 FRG nicht erfaßt. Für ihn gilt vielmehr der Grundsatz des Rentenversicherungsrechts, daß eine Versicherung nicht schon durch Aufnahme einer Beschäftigung, sondern erst durch eine Beitragsentrichtung begründet wird.
Schließlich kann dem Kläger auch die Dienstzeit während des ersten Weltkrieges nicht zu einer Rentensteigerung verhelfen. Die Anrechnung dieser Ersatzzeit käme nur in Frage, wenn schon vor der Kriegsdienstzeit eine Versicherung bestanden hätte oder wenn eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit innerhalb von 3 Jahren nach dem Ende der Ersatzzeit aufgenommen worden wäre (§ 1251 RVO). Diese Erfordernisse sind nicht erfüllt. In der Zeit vor Beginn des Kriegsdienstes war der Kläger nicht versichert, und nachher begann er erst im Jahre 1934, also längst nach Ablauf der Frist von 3 Jahren, eine Beschäftigung, die zu seiner Versicherung führte.
Das mit diesem Ergebnis übereinstimmende Urteil des Berufungsgerichts ist richtig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1, 4 SGG.
Fundstellen