Orientierungssatz
Gegen Zwischenurteile der LSG ist die Revision nicht gegeben, soweit dies nicht in den die Zwischenurteile betreffenden Vorschriften der ZPO vorgesehen ist. Dies gilt selbst dann, wenn das LSG die Revision zugelassen hat.
Normenkette
SGG § 202 Fassung: 1953-09-03; ZPO §§ 303-304; SGG § 162 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Zwischenurteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. August 1963 wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I .
Der Kläger war an einer Lungentuberkulose erkrankt und erhielt auf seinen Antrag vom 23. Mai 1956 von der Beklagten wirtschaftliche Tbc-Hilfe.
Auf seinen Antrag vom 6. August 1956 gewährte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 31. Oktober 1956 die Gesamtleistung aus Leistungsanteilen der knappschaftlichen Rentenversicherung und der Invalidenversicherung für die Zeit vom 9. Oktober 1956 an. Mit Bescheid vom 18. Oktober 1957 stellte die Beklagte die Rente für die Zeit nach dem 1. Januar 1957 gemäß dem Knappschaftsrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (KnVNG) um. Von dem für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. November 1957 aufgelaufenen Betrag in Höhe von 1.498,90 DM behielt sie 703,51 DM als Ersatz für die von ihr während dieser Zeit gewährte wirtschaftliche Tbc-Hilfe ein, zahlte dem Kläger nur die Differenz von 795,39 DM aus und teilte ihm dies durch Schreiben vom 29. Oktober 1957 mit. Auf seinen Antrag vom 14. November 1957, ihm einen rechtsmittelfähigen Bescheid zu erteilen, lehnte die Beklagte die Auszahlung des einbehaltenen Betrages von DM 703,51 mit Bescheid vom 23. November 1957 abermals ab. Der Widerspruch des Klägers wurde von der Widerspruchsstelle der Beklagten am 5. Dezember 1958 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Klage.
Das Sozialgericht (SG) hat diese durch Urteil vom 19. April 1961 mit der Begründung abgewiesen, daß die Beklagte die gewährte wirtschaftliche Tbc-Hilfe zu Recht auf die für dieselbe Zeit rückwirkend gewährte Gesamtleistung angerechnet habe. Das Urteil enthält keinen Vermerk über die Zulassung der Berufung. Im letzten Absatz der Entscheidungsgründe heißt es:
"Eine Entscheidung darüber, ob gegen dieses grundsätzlich nicht anfechtbare Urteil (vgl. § 146 SGG) die Berufung gemäß § 150 Nr. 1 SGG zugelassen werden soll, hat die Kammer nicht getroffen. Es wird dieserhalb auf § 140 SGG hingewiesen."
Der erste Satz der Rechtsmittelbelehrung lautet:
"Gegen dieses Urteil ist, vorbehaltlich einer nach Maßgabe von § 140 SGG noch möglichen anderweitigen Entscheidung, ein Rechtsmittel gemäß § 146 SGG nicht gegeben, es sei denn, daß ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird (§ 150 Nr. 2 SGG)."
Dieses Urteil wurde dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 19. Juli 1961 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 27. Juli 1961, eingegangen am 28. Juli, beantragte der Kläger beim SG, im Wege der Ergänzung die Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG zuzulassen. Mit Ergänzungsurteil vom 6. September 1961 hat das SG sein Urteil vom 19. April 1961 nach § 140 Abs. 1 SGG dahin ergänzt, daß die Berufung gegen dieses Urteil zugelassen wird. Es hat ausgeführt, daß es in seinem Urteil vom 19. April 1961 versehentlich eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung nicht getroffen habe. Es halte die Ergänzung für zulässig und, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe, auch für erforderlich. Das Ergänzungsurteil wurde dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 6. September 1961 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 19. September, eingegangen beim Landessozialgericht am 20. September 1961, hat der Kläger gegen das Urteil des SG vom 19. April 1961 - ergänzt durch das Urteil vom 6. September 1961 - Berufung eingelegt.
Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Zwischenurteil vom 1. August 1963 festgestellt, daß die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts in Gelsenkirchen vom 19. April 1961 zulässig ist; es hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt. Sie ist der Auffassung, die Revision sei statthaft, weil das Berufungsgericht sie zugelassen habe. Sie sei aber auch nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft, weil das Verfahren des Berufungsgerichts an einem wesentlichen Mangel leide. Denn die Entscheidung des LSG, daß die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 19. April 1961 zulässig sei, verstoße gegen das Verfahrensrecht.
Sie beantragt,
das Zwischenurteil des Berufungsgerichts aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Gelsenkirchen vom 19. April 1961 als unzulässig zu verwerfen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Zwischenurteil für zutreffend.
II .
Die Revision der Beklagten gegen das Zwischenurteil des Berufungsgerichts vom 1. August 1963 ist zwar form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, sie ist jedoch nicht statthaft.
Die Zulässigkeit und die Anfechtbarkeit von Zwischenurteilen richtet sich gemäß § 202 SGG nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung, die insoweit entsprechend anzuwenden sind, weil die Unterschiede beider Verfahren deren Anwendung nicht ausschließen und nicht etwa nach den Grundsätzen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (vgl. BSG 10, 233; 13, 140). Zwischenurteile sind daher, soweit sie nicht - wie in § 275 Abs. 2, § 304 Abs. 2 ZPO - hinsichtlich der Rechtsmittel den Endurteilen gleichgestellt und daher selbständig anfechtbar sind, nur zusammen mit den Endurteilen anfechtbar (Stein-Jonas, ZPO, 18. Aufl., Anm. III, 3 zu § 303; Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl., § 55 III; Wieczorek, ZPO, Anm. B III b zu § 303). Vorliegend handelt es sich, da über die Zulässigkeit der Berufung entschieden worden ist, um ein Zwischenurteil nach § 303 ZPO, das hinsichtlich der Rechtsmittel nicht als Endurteil gilt und daher nicht selbständig anfechtbar ist (vgl. dazu Stein-Jonas, ZPO, 18. Aufl., Anm. II zu § 303; Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl., § 55 III). Es hat nur die Bedeutung, daß das Berufungsgericht selbst an seine Entscheidung gebunden ist, also in seinem Endurteil die Frage der Statthaftigkeit der Berufung nicht mehr abweichend entscheiden darf. Da in §§ 143, 160 SGG, abweichend von §§ 511, 545 ZPO, nicht von der Anfechtung von Endurteilen, sondern von Urteilen schlechthin die Rede ist, könnte die Auffassung vertreten werden, daß im sozialgerichtlichen Verfahren, abweichend vom Zivilprozeß, Zwischenurteile stets anfechtbar seien. Wie aber der erkennende Senat bereits entschieden hat, ist diese Auffassung nicht begründet. Vielmehr ist auch gegen Zwischenurteile im sozialgerichtlichen Verfahren die Revision nur dann statthaft, wenn gegen das Zwischenurteil seiner Art nach gemäß den zivilprozessualen Vorschriften die Revision gegeben ist. § 160 SGG ist einschränkend dahin auszulegen, daß die Revision gegen die Urteile der Landessozialgerichte nur dann zulässig sein kann, wenn gegen das angefochtene Urteil seiner Art nach die Revision überhaupt vorgesehen ist. Die spezielle Regelung der über § 202 SGG entsprechend anwendbaren Zivilprozeßordnung geht der allgemeinen Regelung des § 160 SGG vor (BSG 13, 32 ff).
Obwohl Zwischenurteile nicht selbständig anfechtbar sind, hat das Berufungsgericht die Revision ausdrücklich zugelassen. Diese Zulassung ist aber, da gegen die auf Grund des § 303 ZPO ergehenden Zwischenurteile ihrer Art nach ein Rechtsmittel überhaupt nicht vorgesehen ist, offensichtlich gesetzwidrig und daher unbeachtlich, wie das Bundessozialgericht bereits entschieden hat (vgl. BSG 1, 104; 10, 230; 10, 233, 239; 13, 32 f).
Da die Revision somit nicht statthaft ist, muß sie nach § 169 SGG als unzulässig verworfen werden. Die Frage, ob das Zwischenurteil inhaltlich zutrifft, kann durch das Revisionsgericht nur entschieden werden, wenn dieses Zwischenurteil zusammen mit dem Endurteil angefochten wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG (vgl. dazu Wieczorek, ZPO, Anm. B III a 2 zu § 303).
Fundstellen