Entscheidungsstichwort (Thema)

Antrag auf Versorgung. Kostenübernahmeantrag. notwendige Beiladung

 

Orientierungssatz

1. Zur Frage, ob der bei einem Träger der Krankenversicherung angebrachte Antrag auf Übernahme der Krankenhausbehandlungskosten im speziellen Einzelfall als Antrag auf Versorgung nach dem BSeuchG angesehen werden kann.

2. Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung begründet einen Verfahrensmangel, der im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachten ist und - da dort nicht behebbar - dazu nötigt, das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Das gilt aber dann nicht, wenn das angefochtene Urteil den Interessen des Beizuladenden in vollem Umfang entspricht und bei Zurückverweisung allenfalls die Gefahr besteht, daß - etwa aufgrund neuer Feststellung - ein für den Beizuladenden ungünstiges Urteil ergeht. Eine Beiladung gegen die offenkundigen Interessen des Beizuladenden widerspräche dem Sinn der Beiladungsvorschriften.

3. Das von den Eltern eines impfgeschädigten Kindes gegenüber dem Krankenhaus geäußerte Verlangen, die Kostenübernahme von dem zuständigen Leistungsträger zu fordern, stellt einen wirksamen Antrag auf Anerkennung der zu behandelnden Gesundheitsstörungen als Impfschaden iS des § 60 Abs 1 S 2 BVG in der bis zum 31.12.1978 geltenden Fassung dar, wenn die durch Impfung verursachte Gesundheitsstörung des Kindes bei Beginn einer deswegen erforderlichen stationären Krankenhausbehandlung noch nicht als Impfschaden anerkannt ist. Hat das Krankenhaus statt der Versorgungsbehörde die Krankenkasse in Anspruch genommen, so steht dieser für die entstandenen Aufwendungen ein Erstattungsanspruch nach § 19 BVG zu.

 

Normenkette

BVG § 19 Abs 1 S 1, § 20; SGG § 75 Abs 2

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 07.11.1984; Aktenzeichen L 10 V 40/84)

SG Dortmund (Entscheidung vom 14.02.1984; Aktenzeichen S 7 V 61/83)

 

Tatbestand

Die klagende Krankenkasse begehrt von dem beklagten Land Erstattung stationärer Behandlungskosten, die sie in der Zeit vom 18. Juni bis 7. Oktober 1975 für das Kind D. (D.) aufgewendet hat.

D., am 5. Juni 1974 geboren und am selben Tag gegen Tuberkulose (BCG) am rechten Oberschenkel geimpft, wurde am 18. Juni 1975 wegen osteomyelitischen Prozesses im rechten Oberschenkel mit Verdacht auf Knochentuberkulose in das Universitätsklinikum Essen eingeliefert und dort bis zum 7. Oktober 1975 behandelt. Die Klägerin, bei welcher der Vater von D. gegen Krankheit versichert war, kam für die Kosten in Höhe von 19.762,40 DM auf. Ein entsprechender Kostenübernahmeantrag war bei ihr am 26. Juni 1975 eingegangen.

Am 2. Dezember 1975 bestätigte sich endgültig der Verdacht, daß die Impfung Ursache der Erkrankung gewesen war. Darauf stellten die Eltern von D. am 18. Dezember 1975 ausdrücklich Antrag auf Anerkennung der Knochen-Tbc als Impfschaden. Der Beklagte entsprach dem Antrag mit Wirkung ab 1. Dezember 1975 (Bescheid vom 16. Dezember 1976).

Die Klägerin verlangte Erstattung ihrer Aufwendungen nach § 1244a Reichsversicherungsordnung (RVO) - aufgehoben mit Wirkung vom 1. Januar 1984 (BGBl I 1532) - zunächst vom Träger der Rentenversicherung, bei dem der Vater von D. ebenfalls versichert war. Die Klage war vor dem Sozialgericht (SG) erfolgreich. Das Landessozialgericht (LSG) wies die Klage ab. Das Verfahren vor einem Rentenversicherungssenat des Bundessozialgerichts (BSG) endete mit einem Vergleich. Danach verpflichtete der Beklagte sich gegenüber der Klägerin zum Erlaß eines Widerspruchsbescheides (der unter dem 17. Februar 1983 erging); gleichzeitig verzichteten die Beteiligten auf die Einrede der Verjährung.

Der Beklagte hat die Änderung des Bescheids vom 16. Dezember 1976 abgelehnt. In den Vorinstanzen ist die Klägerin mit ihrer Klage gegen den Beklagten durchgedrungen. Das SG hat gemeint, die Anerkennung der Knochen-Tbc als Schädigungsfolge wirke aufgrund des am 1. Januar 1979 in Kraft getretenen § 60 Abs 1 Satz 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) auf den Beginn der Krankheit zurück. Das LSG hat betont, die Neufassung des § 60 Abs 1 BVG finde auf zurückliegende Fälle keine Anwendung; jedoch gelte der Kostenübernahmeantrag vom 26. Juni 1975 als Antrag auf Versorgung nach dem Bundes-Seuchengesetz (BSeuchG); das folge aus § 18a Abs 1 Satz 3 Alternative 2 BVG, der zum Schutz des Beschädigten im Sinne einer Meistbegünstigung auszulegen sei.

Der Beklagte hat die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und beantragt, die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. November 1984 und des Sozialgerichts Dortmund vom 14. Februar 1984 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des beklagten Landes hat keinen Erfolg.

Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, daß der Anspruch auf Erstattung der Krankenhauspflegekosten, den die klagende Kasse für die Zeit vom 18. Juni bis 17. Oktober 1975 in Höhe von 19.762,40 DM geltend macht, begründet ist. Entgegen der Meinung der Revision ist der Anspruch nicht deswegen ausgeschlossen, weil der Antrag auf Anerkennung der Knochen-Tbc als Impfschaden durch die Eltern von D. unmittelbar der Versorgungsverwaltung gegenüber erst am 18. Dezember 1975 gestellt worden ist.

Nach § 19 Abs 1 Satz 1 BVG, woraus die Klägerin ihren Anspruch herleitet, werden den Krankenkassen ihre Aufwendungen für Krankenhauspflege erstattet, wenn sie nicht nur nach Versorgungsrecht, sondern auch nach Krankenversicherungsrecht verpflichtet waren, Heilbehandlungen zu gewähren. Wenn man davon ausgeht, was aber zweifelhaft sein kann, daß die klagende Kasse nicht nur dem Vater von D., ihrem Mitglied, sondern auch D. gegenüber im Sinne des § 19 Abs 1 Satz 1 BVG verpflichtet war, ist der Erstattungsanspruch auf diese Vorschrift zu stützen.

Daß in der Zeit vom 18. Juni 1975 bis 17. Oktober 1975 eine "anerkannte" Schädigungsfolge behandelt worden ist - was § 19 Abs 1 Satz 2 BVG verlangt -, steht zwischen den Beteiligten fest. Dem Anspruch steht nicht entgegen, daß die Gesundheitsstörung bei Beginn der Behandlung noch nicht als Schädigungsfolge anerkannt war. Nach § 19 Abs 3 Satz 1 BVG wird zwar Entschädigung erst "nach der Anerkennung" gewährt. Maßgebend dafür ist aber, wann die Anerkennung wirksam wird. Nach dem hier noch anwendbaren § 60 Abs 1 BVG in der bis zum 31. Dezember 1978 geltenden Fassung wird eine Anerkennung mit dem Antragsmonat wirksam.

Der Antrag ist aber nicht erst gestellt worden, als die Eltern - veranlaßt durch das Krankenhaus oder die Krankenkasse - dem Versorgungsamt gegenüber tätig wurden, sondern schon, als sie für ihr Kind Krankenhauspflege in Anspruch nahmen und es dem Krankenhaus überließen, die Kosten von dem Leistungsträger zu verlangen, den es anging. Das Krankenhaus hat zwar den Kostenübernahmeantrag vom 26. Juni 1975 an die klagende Kasse gerichtet, und im allgemeinen kann in einem bei einem Träger der Krankenversicherung angebrachten Antrag auf Kostenübernahme kein Antrag auf Anerkennung der zur Behandlung anstehenden Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen erblickt werden (BSG SozR 3100 § 19 Nr 9; BSG SozR 2200 § 205 Nr 55). Jedoch muß für den vorliegenden Fall eine Ausnahme anerkannt werden. Dazu führt die Berücksichtigung der Gesamtumstände, wie sie das LSG festgestellt hat. Da das LSG die Erklärung der Eltern nicht gewürdigt hat und von seinem Rechtsstandpunkt auch nicht würdigen mußte, konnte dies der Senat auch als Revisionsgericht nachholen (vgl Baumbach/Lauterbach, ZPO, 45. Aufl, § 550 Anm 2). Für einen objektiven Beobachter in der Rolle der Klägerin (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch) lag zu Beginn der stationären Behandlung von D. offen zutage, daß D. als Nichtmitglied keinen eigenen Leistungsanspruch auf Heilbehandlung hatte; der Anspruch auf Familienkrankenhilfe, über den ihr Vater verfügte, stand unter dem Vorbehalt der Subsidiarität (§ 205 Abs 1 Satz 1 RVO aF). Gleichzeitig bestand bei Beginn der Krankenhausbehandlung der dringende Verdacht auf tuberkulöse Osteomyelitis. Er gründete sich darauf, daß D. am 5. Juni 1974 gegen Tuberkulose (BCG) geimpft worden war, daß die Erkrankung an eben der Stelle in Erscheinung trat, wo die Impfung stattgefunden hatte, nämlich am rechten Oberschenkel, und daß medizinische Komplikationen nach Tbc-Impfungen keine Seltenheit bilden. Hinzu kam, daß sich der Verdacht, die Impfung müsse für die Erkrankung ursächlich sein, bald nach Beginn des stationären Aufenthaltes nahezu zur Gewißheit verdichtete. So wurden im Juli 1975 Mikrobakterien isoliert; die Typenbestimmung ergab, daß es sich um einen BCG-Stamm handelte. Bei dieser Sachlage konnten verantwortlich handelnde Eltern als Adressaten des über den Krankenhausträger eingereichten Kostenübernahmeantrages vernünftigerweise nur den Leistungsträger meinen, "den die Sache anging". Das aber war das Versorgungsamt, gegenüber dem die Klägerin in ihren Verwaltungsakten unter dem 2. November 1976 bezeichnenderweise das Vorhandensein eines Erstattungsanspruches gegenüber dem Versorgungsträger vermerkte. Daß der Antrag vom 26. Juni 1975 vom erkennbaren Willen der Eltern getragen war, für D. einen Antrag auf Versorgung nach dem BSeuchG zu stellen, verdeutlichte sich am 18. Dezember 1975, als die Eltern auf Veranlassung der Klägerin offiziell Antrag auf Anerkennung der Knochen-Tbc als Impfschaden stellten.

Da bereits die allgemeinen Auslegungsgrundsätze zur Annahme eines Antrages auf Versorgung nach dem BSeuchG am 26. Juni 1975 führen, bedarf es keiner Erörterung, ob - wie das SG gemeint hat - die am 1. Januar 1979 in Kraft getretene Bestimmung des § 60 Abs 1 Satz 2 BVG (vgl Art 8 des 10. AnpG-KOV vom 10. August 1978 - BGBl I 1217 -) zum Tragen kommt (dagegen könnte BSG SozR 2200 § 205 Nr 55 sprechen) oder ob - wie das LSG betont hat - § 18a Abs 1 Satz 3 Alternative 2 BVG zur Anwendung gelangt (dagegen könnte BSGE 34, 289, 293 = SozR Nr 13 zu § 19 BVG; BSG SozR 3100 § 18a Nr 2 und § 19 Nr 9 sprechen).

Dahinstehen kann ferner, ob der Erstattungsanspruch der Klägerin auch auf § 20 BVG gestützt werden könnte. Das wäre der Fall, wenn man sagen könnte, daß die Klägerin hier nur nach Versorgungsrecht und nicht nach Versicherungsrecht D. gegenüber verpflichtet war. Das müßte aber nur geklärt werden, wenn die Klägerin auch Verwaltungskosten verlangen würde. Das ist nicht der Fall.

Schließlich war der Senat nicht dadurch an der Bestätigung der Urteile der Vorinstanzen gehindert, daß diese Gerichte die impfgeschädigte D., vertreten durch ihre Eltern, nicht beigeladen haben. Zwar ist es naheliegend, daß D. entgegen der Ansicht des LSG zum Verfahren notwendig hätte beigeladen werden müssen (§ 75 Abs 2 Alternative 1 SGG). Denn von welchem Zeitpunkt an die Anerkennung wirkt, dürfte gegenüber der Klägerin und gegenüber D. nur einheitlich zu entscheiden sein. Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung begründet auch einen Verfahrensmangel, der im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachten ist und - da dort nicht behebbar - (§ 168 Abs 1 SGG) dazu nötigt, das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Das gilt aber nicht immer (vgl zu den Ausnahmen Kopp, VwGO, 7. Aufl, § 65 RdNr 21; BVerwG, Urteil vom 7. Februar 1986 in Buchholz, BVerwG, 40611, § 36 Bundesbaugesetz Nr 36; vgl auch BVerwG vom 2. September 1983, NVwZ 1984, 507). Es gilt jedenfalls dann nicht, wenn das angefochtene Urteil den Interessen des Beizuladenden in vollem Umfang entspricht und bei Zurückverweisung allenfalls die Gefahr besteht, daß - etwa aufgrund neuer Feststellung - ein für den Beizuladenden ungünstiges Urteil ergeht. Eine Beiladung gegen die offenkundigen Interessen des Beizuladenden widerspräche dem Sinn der Beiladungsvorschriften. Was allenfalls für eine Beiladung sprechen könnte, ist, daß dann der der Impfgeschädigten erteilte Bescheid unstreitig wirksam geändert werden könnte. Der Beginn der Wirksamkeit der Anerkennung wäre auf den Behandlungsbeginn im Juni 1975 festzusetzen, wie dies das LSG trotz fehlender Beiladung getan hat. Aber auch ohne Beiladung dürfte der Beklagte D. gegenüber nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg behaupten können, die Anerkennung wirke erst von Dezember 1975 an. Das braucht aber nicht geklärt zu werden, weil nicht feststeht, ob D. aus der ohne ihre Mitwirkung, aber zu ihren Gunsten erfolgten Vorverlegung des Anerkennungsbeginns Rechte herleiten will.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657353

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