Entscheidungsstichwort (Thema)
Wahlanfechtung. Wahlanfechtungsklage. Fortsetzungsfeststellungsklage. Zulässigkeit. analoge Anwendung. fehlendes Feststellungsinteresse
Leitsatz (amtlich)
Die Regelungen über die Fortsetzungsfeststellungsklage sind für die Wahlanfechtungsklage entsprechend anzuwenden (Bestätigung von BSG vom 23.4.1975 - 2/8 RU 62/73 = BSGE 39, 244 = SozR 5334 Art 3 § 1 Nr 1).
Normenkette
SGB IV § 57; SGG § 131 Abs. 1 S. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gültigkeit der Wahl zur Vertreterversammlung der beklagten Berufsgenossenschaft (BG) in der Gruppe der Versicherten anlässlich der Sozialversicherungswahlen im Jahre 1999.
Die Klägerin, die Gewerkschaft N., war seit dem Jahre 1987 ununterbrochen mit mindestens einem Vertreter in der Vertreterversammlung der beklagten BG repräsentiert. Zu den für den 26. Mai 1999 anberaumten Sozialversicherungswahlen reichte sie eine Vorschlagsliste ein; Listenvertreter war Herr B. (B). Eine weitere Vorschlagsliste wurde von dem Beigeladenen zu 1., dem D. Verband, gemeinsam mit dem Beigeladenen zu 2., dem C. Gewerkschaftsbund Deutschlands, eingereicht. Die 1846 Unterschriften auf den Unterstützerlisten für diese Liste stammten bis auf 26 Unterschriften alle von Beschäftigten des Unternehmens M. (M). Nach mehreren Sitzungen des Wahlausschusses bei der Beklagten, in denen die Zulässigkeit der Listen, die Kosten einer Wahl und die Zusammenlegung der Listen erörtert wurden, vereinbarten die Klägerin und die Beigeladenen am 22. Dezember 1998 die Zusammenlegung ihrer Listen unter dem Kennwort "Gewerkschaftsliste gemäß Vereinbarung vom 22.12.1998". Zum Listenvertreter wurde B bestimmt, zu seinem Stellvertreter Herr S. von Seiten der Beigeladenen. Auf der gemeinsamen Liste kandidierte für die Beigeladenen Herr K. (K). In seiner Sitzung am 30. Dezember 1998 entschied der Wahlausschuss diese gemeinsame Liste zur Wahl der Gruppe der Versicherten zuzulassen. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass keine Wahlhandlung stattfinde, weil nur eine Vorschlagsliste eingereicht worden sei. Diese Entscheidung wurde der Klägerin mit Schreiben vom selben Tag bekannt gegeben mit dem Hinweis, dass bis zum 12. Januar 1999 Beschwerde bei dem Wahlausschuss eingelegt werden könne.
Da auch für die Gruppe der Arbeitgeber nur eine Vorschlagsliste zugelassen worden war, erfolgte am 6. Februar 1999 die Bekanntmachung des vorläufigen Wahlergebnisses im Bundesanzeiger Nr 25; die Bekanntmachung des endgültigen Wahlergebnisses erfolgte im Bundesanzeiger Nr 221 vom 23. November 1999.
Mit Schreiben vom 9. April 1999, das den Briefkopf der Klägerin trug, legte B unter Bezugnahme auf seine Funktion als Listenvertreter der "Gewerkschaftsliste gemäß Vereinbarung vom 22.12.1998" beim Bundeswahlausschuss Beschwerde gegen die Zulassung dieser Liste ein. Die Liste sei ungültig, weil die Voraussetzungen für die Zusammenlegung der Listen der Klägerin und der Beigeladenen nicht gegeben gewesen seien. Denn die ursprüngliche Vorschlagsliste der Beigeladenen sei ungültig gewesen, weil die Unterstützerunterschriften nicht von den Beigeladenen sondern von dem Unternehmen M gesammelt worden seien, um mit K einen Vertreter des Unternehmens auf Versichertenseite in der Vertreterversammlung zu platzieren und die gesetzlich vorgeschriebene Parität zu durchbrechen. Der Fristablauf stehe der Wirksamkeit der Beschwerde nicht entgegen, da die Beigeladenen die Anerkennung ihrer ursprünglichen Liste nur durch arglistige Täuschung erreicht hätten. Auch die Erklärung vom 23. Dezember 1998 wurde von B im Namen der Klägerin mit Schreiben an die Beigeladenen angefochten. Die Vorsitzende des Bundeswahlausschusses wies die Beschwerde nach § 23 Abs 3 der Wahlordnung für die Sozialversicherung vom 28. Juli 1997 (BGBl I 1946 - SVWO) als unzulässig zurück, weil sie nach Ablauf der Beschwerdefrist eingegangen sei (Beschluss vom 30. April 1999).
In der am 4. Juni 1999 vor dem Sozialgericht (SG) Mannheim erhobenen Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Wahl wandte die Klägerin sich insbesondere gegen die Wahl von K, den das Unternehmen M schon unter grober Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Regeln als Gesamtbetriebsratsvorsitzenden durchgesetzt habe. Zur Begründung legte sie außerdem ein Schreiben des Personalleiters B. des Unternehmens M über die Sammlung der Unterstützerunterschriften vor, von dem sie erst im März 1999 erfahren und dessen Authentizität erst im April 1999 festgestanden habe. Das SG sah die Klage als zulässig an, weil die Beschwerdefrist auf Grund der Fehlerhaftigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung in dem Schreiben vom 30. Dezember 1998 noch nicht abgelaufen gewesen sei; sie sei jedoch unbegründet, weil eine Wahlbeeinflussung durch das Unternehmen M nicht nachgewiesen werden könne (Urteil vom 16. Dezember 2002).
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Klage als unzulässig abgewiesen (Urteil vom 17. Juni 2004) und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Nach § 57 Abs 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) sei eine Klage unzulässig, soweit von dem Recht, gegen eine Entscheidung des Wahlausschusses den hierfür vorgesehenen Rechtsbehelf einzulegen, kein Gebrauch gemacht worden sei. Habe keine beschwerdeberechtigte Person gegen die Zulassung eines Wahlvorschlags Beschwerde eingelegt, könne niemand mit dem Ziel, die Zulässigkeit der Vorschlagslisten und damit die Wahl selbst für ungültig erklären zu lassen, eine zulässige Wahlanfechtungsklage erheben. Die Beschwerde des Listenvertreters B sei nach Ablauf der Beschwerdefrist beim Beschwerdewahlausschuss eingegangen und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht. Im Übrigen sei die Klage auch unbegründet. Die gerügten Mängel seien im Hinblick auf die Wirksamkeit der Wahlhandlung unbeachtlich. Die Rüge, die eingereichten Unterstützungsunterschriften für die ursprüngliche Vorschlagsliste der Beigeladenen könnten nicht gezählt werden, weil sie nicht von diesen, sondern von dem Unternehmen M gesammelt worden seien, greife nicht durch. Auf Grund der nach der SVWO weitgehend formalisierten Prüfung der Unterstützerlisten und den engen Zeitvorgaben des Wahlverfahrens seien die näheren Umstände, unter denen die Unterschriften gesammelt worden seien, nicht im Wahlanfechtungsverfahren zu überprüfen. Im Übrigen sei die erforderliche Gesamtzahl von 1000 Unterschriften mit 1846 Unterschriften deutlich überschritten worden.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts und macht ua geltend: § 57 Abs 4 SGB IV enthalte keine in jedem Fall zu erfüllende Voraussetzung für eine Wahlanfechtungsklage, denn andernfalls würde das durch § 57 Abs 3 Satz 3 SGB IV gerade ausgeschlossene Vorverfahren indirekt eingeführt. Die Beschwerde durch den Listenführer B sei fristgerecht erfolgt. Die Klage sei auch begründet, weil das LSG § 48 SGB IV und den Grundsatz der Parität verkannt habe. Es liege eine Verletzung der freien richterlichen Beweiswürdigung, der Denkgesetze und der Amtsermittlungspflicht vor. Die Annahme des LSG, die Umstände, unter denen die Unterschriften gesammelt worden seien, seien im Wahlanfechtungsverfahren nicht zu überprüfen, sei fehlerhaft. Die Beschwerde des Listenvertreters beziehe sich nicht nur auf die Sozialversicherungswahlen 1999, sondern habe auch Rechtsfolgen für die späteren Wahlen, weil eine Organisation, die in einer Vertreterversammlung vertreten sei, für die folgenden Wahlen keine Unterschriftenlisten benötige.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
festzustellen, dass die Wahl 1999 zur Vertreterversammlung der Beklagten in der Gruppe der Versicherten ungültig war und dass die Beigeladenen bei der nächsten Sozialwahl gemäß § 48 Abs 2 SGB IV Vorschlagslisten mit Stützunterschriften einreichen müssen.
Die Beklagte und die Beigeladenen zu 1. und 2. beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Für die zwischenzeitlich durchgeführte Sozialversicherungswahl im Jahre 2005 haben die Beigeladenen für ihre Vorschlagsliste keine Unterstützerunterschriften gesammelt und die Klägerin und die Beigeladenen haben ihre Listen wiederum zusammengelegt (vgl Bundesanzeiger Nr 28 vom 10. Februar 2005).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet, denn ihre Klage ist unzulässig. Die ursprüngliche Wahlanfechtungsklage hat sich durch Zeitablauf erledigt und für eine Fortsetzungsfeststellungsklage fehlt das Feststellungsinteresse.
Die Zulässigkeit der Klage ist als Prozessvoraussetzung auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen. Bei einer zulässigen Revision ist, bevor über die sachlich-rechtlichen Voraussetzungen des streitigen Anspruchs entschieden wird, zu prüfen, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, von denen die Rechtswirksamkeit des Verfahrens als Ganzes abhängt. Insbesondere sind solche Mängel zu berücksichtigen, die sich aus dem Fehlen unverzichtbarer Prozessvoraussetzungen ergeben, gleichgültig ob der Mangel nur das Revisionsverfahren oder schon das Klage- und Berufungsverfahren betrifft. Hierzu gehört auch die Zulässigkeit der Klage. Sie ist von Amts wegen zu prüfen, da anderenfalls das Revisionsverfahren einer entscheidenden Grundlage entbehrt (stRspr: BSGE 2, 225 ff; BSG SozR 1500 § 150 Nr 18).
Ob die ursprüngliche Wahlanfechtungsklage der Klägerin nach § 57 SGB IV gegen die umstrittene Wahl zur Vertreterversammlung der beklagten BG in der Gruppe der Versicherten anlässlich der Sozialversicherungswahlen im Jahre 1999 zulässig war - so das SG - oder nicht - so das LSG - kann dahingestellt bleiben, weil die Klage sich durch die zwischenzeitliche Neuwahl im Jahre 2005 erledigt hat und damit unzulässig geworden ist. Eine derartige Erledigung, die zum Entfallen des Rechtsschutzbedürfnisses für die Ausgangsklage führt, liegt bei einer Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt vor, wenn dieser durch ein im Laufe des Gerichtsverfahrens eingetretenes Ereignis gegenstandslos wird und von ihm für die Zukunft keine nachteiligen Wirkungen mehr zu erwarten sind (BSGE 42, 212, 216 = SozR 1500 § 131 Nr 3; BSG SozR 3-1500 § 131 Nr 5). Dies gilt für eine Wahlanfechtungsklage entsprechend und ist insbesondere zu prüfen, wenn zwischenzeitlich eine Neuwahl durchgeführt wurde.
Vorliegend hat sich die Klage gegen die Wahl im Jahre 1999 durch die zwischenzeitlich durchgeführte Neuwahl im Jahre 2005 erledigt. Denn es ist nicht zu erkennen, welche Wirkungen die Wahl aus dem Jahre 1999 - abgesehen von dem auslaufenden Restmandat der Vertreterversammlung - noch entfaltet. Auch von der Klägerin wurde mit Ausnahme der noch zu erörternden Auswirkungen auf die nachfolgenden Wahlen nichts derartiges - auch nicht hinsichtlich des Restmandats der Vertreterversammlung - vorgetragen.
Eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist ebenfalls unzulässig. Hat sich der Verwaltungsakt durch Zurücknahme oder anders erledigt, spricht das Gericht nach § 131 Abs 1 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf Antrag des Klägers aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Die Regelungen über die Fortsetzungsfeststellungsklage sind für die Wahlanfechtungsklage entsprechend anzuwenden, weil es sich um eine vergleichbare Prozesssituation handelt und der Kläger auch nach Erledigung der ursprünglichen Wahlanfechtungsklage ein Interesse an einer bestimmten Feststellung hinsichtlich der angefochtenen Wahl haben kann (zur weiten Handhabung des § 131 Abs 1 Satz 3 SGG vgl BSGE 73, 244, 245 f = SozR 3-1500 § 88 Nr 1; BSGE 78, 243, 249 = SozR 3-2500 § 109 Nr 2). Voraussetzung für eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist ua ein berechtigtes Feststellungsinteresse, das typischerweise gegeben ist bei Wiederholungsgefahr oder absehbaren Folgewirkungen des angefochtenen Verwaltungsaktes bzw hier der angefochtenen Wahl (vgl nur Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 131 RdNr 10 ff).
Beide Voraussetzungen können vorliegend nicht festgestellt werden. Für eine Wiederholungsgefahr sind mangels eines dahingehenden Vortrags der Klägerin keine Anhaltspunkte ersichtlich.
Die umstrittene Wahl im Jahre 1999 hat auch keine unmittelbaren Auswirkungen mehr auf zukünftige Wahlen, zB im Jahre 2011. Zwar können bestimmte Fehler bei früheren Wahlen sich auf die zukünftigen Wahlen auswirken (vgl BSGE 39, 244, 246 = SozR 5334 Art 3 § 1 Nr 1). Eine dieser Auswirkungen einer vorangehenden Wahl ist der Umstand, dass eine Liste, die aufgrund dieser Wahl in der Vertreterversammlung vertreten ist, bei der nachfolgenden Wahl, keine Unterstützerunterschriften vorlegen muss (vgl § 48 Abs 4 SGB IV). Dementsprechend war die Wirksamkeit der umstrittenen Wahl im Jahre 1999 für die Wahl der Versichertenvertreter bei der beklagten BG im Jahre 2005 von Bedeutung, weil davon abhing, ob die Beigeladenen für die von ihnen eingereichten Listen Unterstützerunterschriften vorlegen mussten oder sich auf das von ihnen gestellte Mitglied K in der Vertreterversammlung beziehen konnten. Vorliegend ist aber die Wahl im Jahre 2005 nicht umstritten, da diese bereits stattgefunden hat und von keiner Seite vorgetragen wurde, dass diese angefochten worden ist.
Auf zukünftige Wahlen, etwa im Jahre 2011, kann sich eine mögliche Täuschung der Beigeladenen und ein darauf beruhender Irrtum der Klägerin nicht mehr auswirken. Anders als bei der Wahl im Jahre 1999, als die Klägerin den umstrittenen Mangel zunächst nicht kannte und die Bildung einer gemeinsamen Liste später wegen arglistiger Täuschung angefochten hat, hat die Klägerin für die Wahl im Jahre 2005 in Kenntnis der gesamten Umstände erneut mit den Beigeladenen eine Zusammenlegung der Vorschlagslisten vereinbart und gegen deren Zulassung keinen Rechtsbehelf eingelegt. Bei dieser Sachlage sind die Beigeladenen bei der nächsten Wahl gemäß § 48 Abs 4 SGB IV von der Notwendigkeit der Beibringung von Unterstützerunterschriften für ihre Vorschlagsliste befreit. Denn die gewählten Vertreter dieser von der Klägerin nicht beanstandeten zusammengelegten Liste gehören der Vertreterversammlung jedenfalls nicht mehr unberechtigt an, weil ihre Wahl im Jahre 2005 nicht angefochten wurde. Wie unter diesen Umständen der für die Wahl im Jahre 1999 behauptete Unwirksamkeitsgrund zB auf die Wahl im Jahre 2011 oder später fortwirken soll, ist nicht ersichtlich.
Auch hinsichtlich des weiteren Antrags festzustellen, dass die Beigeladenen bei der nächsten Sozialwahl gemäß § 48 Abs 2 SGB IV Vorschlagslisten mit Stützunterschriften einreichen müssen, ist die Klage unzulässig, weil die Klägerin ua nicht vorgetragen hat, woraus sich vor dem Hintergrund des oben Gesagten heute ein derartiges Feststellungsinteresse ihrerseits ergeben könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung (vgl BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 24).
Fundstellen