Leitsatz (amtlich)
Die Berufungsschrift muß im sozialgerichtlichen Verfahren von dem Beteiligten, seinem gesetzlichen Vertreter oder seinem Prozeßbevollmächtigten eigenhändig unterschrieben sein, soweit sie nicht durch Telegramm eingelegt wird.
Normenkette
SGG § 151 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Celle vom 27. Mai 1955 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Kläger beantragte am 3. Februar 1953, ihm wegen Berufsunfähigkeit das Ruhegeld aus der Angestelltenversicherung zu gewähren. Die Landesversicherungsanstalt Hannover lehnte den Antrag am 10. Juni 1953 ab, weil sie den Kläger noch nicht für berufsunfähig hielt. Die Klage gegen diesen Bescheid wies das Sozialgericht Lüneburg durch Urteil vom 23. November 1954 ab. Die Berufung des Klägers verwarf das Landessozialgericht Celle durch Urteil vom 27. Mai 1955 als unzulässig. Zur Begründung führte es aus, die Berufung sei nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form eingelegt, die Berufungsschrift vom 7. Februar 1955 sei nämlich von dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers nicht unterschrieben, eine ordnungsmäßige Berufungsschrift müsse aber von dem Prozeßbevollmächtigten unterzeichnet sein; es genüge nicht, daß unter die Berufungsschrift mit Schreibmaschine in Klammern der Name "..." getippt sei. Wenn § 92 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für die Klage die Unterzeichnung nur als "Sollerfordernis" bezeichne, so handele es sich dabei um eine Ausnahmebestimmung, die auf die Berufungsschrift nicht entsprechend angewendet werden dürfe. Der Umstand, daß die Vollmacht vom 7. Februar 1955 vom Kläger eigenhändig unterschrieben sei, könne die fehlende Unterschrift des Prozeßbevollmächtigten unter der Berufungsschrift nicht ersetzen. Die Revision werde zugelassen, weil es sich um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handele und nicht verkannt werde, daß der Grundsatz, die Rechtsmittelschrift müsse die eigenhändige Unterschrift des Berufungsklägers oder seines Prozeßbevollmächtigten tragen, im Zivilprozeß, im Strafprozeß, im Verwaltungsstreitverfahren und in den Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nach ständiger Rechtsprechung bereits dadurch durchbrochen sei, daß bei telegrafischer Rechtsmitteleinlegung keine eigenhändige Unterschrift gefordert werde.
Das Urteil des Landessozialgerichts wurde dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 24. Juni 1955 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 28. Juni 1955, beim Bundessozialgericht eingegangen am 29. Juni 1955, legte der Kläger Revision ein und beantragte, unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Celle vom 27. Mai 1955 die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 23. November 1954 zuzulassen und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Celle zurückzuverweisen, außerdem auch die Beklagte zur Erstattung der Kosten sämtlicher Rechtszüge zu verurteilen. In der Begründung wurde ausgeführt, die Annahme des Landessozialgerichts, die Berufung sei nicht rechtswirksam eingelegt, sei irrig. Bei dem Fehlen der Unterschrift handele es sich um einen "Formfehler" im Sinne von § 106 Abs. 1 SGG. Die Beseitigung dieses Formfehlers sei auch noch nach Ablauf der Berufungsfrist möglich. Im übrigen sei die Vorschrift des § 92 Satz 2 SGG, die in der Unterschrift nur ein Sollerfordernis der Klage sehe, nach § 153 Abs. 1 SGG auch im Verfahren vor dem Landessozialgericht entsprechend anwendbar. Wenn ein fernmündlich aufgegebenes Telegramm, also ein Telegramm ohne Unterschrift, eine rechtswirksame Berufungsschrift darstellen könne, so müsse auch eine Berufungsschrift, bei der die Unterschrift aus Versehen unterblieben sei, als rechtswirksam anerkannt werden.
Die Beklagte beantragte, die Revision als unbegründet zurückzuweisen und führte dazu aus, das Landessozialgericht habe die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen, da sie nicht die Unterschrift des Prozeßbevollmächtigten getragen und deshalb nicht den gesetzlichen Formvorschriften entsprochen habe.
II
Die Revision, die das Landessozialgericht zugelassen hat, ist form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist auch rechtzeitig begründet, sie ist deshalb zulässig .
Die Revision ist jedoch nicht begründet. Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung gegen das Urteil eines Sozialgerichts - von dem hier nicht in Betracht kommenden Fall der Beurkundung durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgesehen - "schriftlich" einzulegen. Ob dazu auch gehört, daß die Berufung der Unterschrift bedarf, ist in § 151 SGG nicht ausdrücklich gesagt; es findet sich hierüber im SGG auch sonst keine Bestimmung; auch für den Zivilprozeß, das arbeitsgerichtliche Verfahren und den Verwaltungsprozeß, in denen die Berufung ebenfalls "schriftlich" einzulegen ist (vgl. die §§ 518 ZPO, 66 AGG, 83 MRVO 165, 103 VGG), ist die Frage nicht ausdrücklich geregelt. Unter diesen Umständen geht der Senat davon aus, daß die allgemeine Vorschrift des § 126 BGB, wonach da, wo durch Gesetz schriftliche Form vorgeschrieben ist, die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift unterzeichnet sein muß (dazu Ennecerus-Nipperdey, Allg. Teil des BGB, 14. Aufl. 1955 S. 654 Ziff. 2), Im Interesse der Rechtssicherheit auch im Verfahrensrecht der Sozialgerichtsbarkeit entsprechend anzuwenden ist. Für das Zivilprozeßrecht ist der Bundesgerichtshof ebenfalls der Auffassung, daß die Berufungsschrift unterzeichnet sein muß (vgl. die Beschlüsse vom 22.9.1952, NJW 1953 S. 259 und vom 14.12.1954, NJW 1955 S. 546). Für das arbeitsgerichtliche Verfahren wird ebenso angenommen, daß der Berufungsschriftsatz unterzeichnet sein muß (vgl. Dietz-Nikisch , AGG, 1954, Anm. 14 zu § 66 AGG und Dersch-Volkmar , AGG, 1955, Anm. 26 zu § 66). Wichtig ist vor allem, daß auch für das Verfahren der allgemeinen Verwaltungsgerichte, das sich in der hier zu entscheidenden Frage mit dem sozialgerichtlichen Verfahren insofern am nächsten berührt, als es wie das sozialgerichtliche Verfahren und anders als der Zivilprozeß und Arbeitsgerichtsprozeß für das Berufungsverfahren keinen Vertretungszwang kennt, Schrifttum und Rechtsprechung der Meinung sind, daß die Berufungsschrift als bestimmender Schriftsatz der Unterschrift des Berufungsklägers oder seines Vertreters bedarf (vgl. Klinger , Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Aufl., Anm. A 5 zu § 54, S. 367 und Anm. A 1 zu § 83, S. 505, 506, und Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.7.1955, NJW 1955, S. 1454). Die Nachholung der Unterschrift ist nach Ablauf der Berufungsfrist nicht mehr möglich; auch § 106 Abs. 1 SGG gibt dazu keine rechtliche Möglichkeit. Nur die Berufungsschrift, die vor Ablauf der Berufungsfrist unterzeichnet und dem Berufungsgericht zugegangen ist, läßt, wenn die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind, die Berufung als zulässig erscheinen. An diesem Ergebnis kann weder der Hinweis auf § 92 Satz 2 SGG noch der Hinweis auf die Möglichkeit telegrafischer Rechtsmitteleinlegung etwas ändern. § 92 SGG spricht nur von der Klage; eine "entsprechende" Anwendung dieser Vorschrift auf den Berufungsschriftsatz ist auch nicht über § 153 SGG möglich; die Anforderungen, die an eine rechtswirksame Berufung zu stellen sind, sind in § 151 SGG abschließend geregelt; § 151 Abs. 3 SGG entspricht dem § 92 SGG nur insoweit, als darin gesagt ist, daß die Berufungsschrift das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel bezeichnen soll; die Vorschrift des § 92, daß die Klage von dem Kläger oder seinem Vertreter auch mit Orts- und Tagesangabe unterzeichnet sein soll, kehrt in § 151 Abs. 3 nicht etwa in der Form wieder, daß auch für die Berufungsschrift die Unterzeichnung mit Orts- und Tagesangabe nur als Sollerfordernis bezeichnet wird. Daraus, daß gewohnheitsrechtlich die telegrafische Einlegung von Rechtsmitteln als rechtswirksam angesehen wird (vgl. Baumbach-Lauterbach , ZPO, 22. Aufl. Anm. 1 l zu § 129, Dietz-Nikisch , aaO, Enneccerus-Nipperdey , aaO.), kann nicht geschlossen werden, daß dann, wenn schriftliche Einlegung gewählt wird , die Unterzeichnung des Schriftsatzes entbehrlich ist; zur Schriftform gehört vielmehr auch die Unterzeichnung des Schriftstückes. Diese Unterzeichnung muß handschriftlich erfolgt sein; der Name, der unter ein Schriftstück nur mit der Schreibmaschine getippt ist, stellt keine Unterschrift dar; im vorliegenden Fall soll er das auch gar nicht sein; daraus, daß der Name des Prozeßbevollmächtigten in Klammern gesetzt ist, ergibt sich vielmehr, daß der maschinengeschriebene Name nur in deutlichen Buchstaben den handschriftlich darüber zu setzenden Namen wiedergeben sollte.
Das Landessozialgericht hat hiernach die Berufung des Klägers in dem Urteil vom 27. Mai 1954 zu Recht als unzulässig verworfen; die Revision gegen dieses Urteil ist nach § 170 Abs. 1 Satz 1 SGG als unbegründet zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 4 SGG.
Fundstellen