Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablehnung des Antrages auf Anhören eines Arztes

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Kläger, der vor dem SG und dem LSG durch einen sachkundigen Prozeßbevollmächtigten vertreten gewesen ist, hat sich im Laufe des Berufungsverfahrens darüber schlüssig werden können und müssen, ob er einen Antrag nach SGG § 109 stellen wolle, dies um so mehr, als sein Antrag in der 1. Instanz, einen bestimmten Arzt gutachtlich zu hören, ohne sachlichen Erfolg gewesen ist und das SG seine Entscheidung auf die medizinische Beurteilung des Sachverhalts gestützt hat; er hat sich nicht darauf verlassen dürfen, daß das LSG - anders als das SG - dem Klageantrag, schon aus rechtlichen Erwägungen stattgegeben werden, ohne auf die medizinische Beurteilung einzugehen; er hat auch nicht abwarten dürfen, bis das LSG ihm seine Beurteilung der Rechtslage bekanntgeben werde. Spätestens nachdem dem Kläger die Terminsladung mit der Aufforderung, den Termin schriftlich vorzubereiten, zugegangen war, hat er sich veranlaßt sehen müssen, den Antrag nach SGG § 109 nunmehr alsbald zu stellen, um dem Gericht die Möglichkeit zu geben, den Termin noch rechtzeitig aufzuheben. Eine solche Rücksicht auf das Allgemeininteresse an der Beschleunigung sozialgerichtlicher Verfahren ist dem Kläger auch zuzumuten gewesen. Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, daß er mit seinem Antrag bis zur mündlichen Verhandlung hätte warten dürfen. Da der Antrag nach SGG § 109 s?w?hl schriftlich als auch mündlich gestellt werden kann, darf der Kläger mit der Antragstellung grundsätzlich nicht bis zur mündlichen Verhandlung warten, wenn es - wie hier nahe liegt, den Antrag nach SGG § 109 bereits vorher schriftlich zu stellen. Unter diesen Umständen ist es verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das LSG in dem Verhalten des Klägers eine grobe Nachlässigkeit erblickt und den Antrag nach SGG § 109 Abs 2 abgelehnt hat.

 

Normenkette

SGG § 109 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Juli 1956 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der Kläger begehrte nach dem ersten Weltkrieg Versorgung wegen eines Darmleidens; er führte dieses Leiden auf eine Nahrungsmittelvergiftung im Jahre 1917 zurück; nach seinen Angaben erhielt er Versorgung jedoch erst ab 1933. Nach einem Bescheid des Versorgungsamts Düsseldorf vom 14. Februar 1942 bezog der Kläger nach den damaligen versorgungsrechtlichen Vorschriften wegen "chronischer Dickdarmentzündung (Colitis mucosa) mit psychisch nervösen Begleiterscheinungen" als Schädigungsfolge eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) von 100 v.H. sowie eine Pflegezulage nach Stufe 1.

Durch "Benachrichtigung über Festsetzung einer Kriegsgeschädigtenrente nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr.27" teilte die Landesversicherungsanstalt (LVA.) R, Außenstelle D, dem Kläger am 8. September 1947 mit, daß nach den bisherigen Feststellungen sein Leiden "Chronische Dickdarmentzündung (Colitis mucosa) mit psychisch nervösen Begleiterscheinungen" auf Kriegseinwirkung zurückzuführen sei und daß ihm, wie früher, eine Versorgungsrente nach einer MdE. von 100 v.H. sowie Pflegegeld nach Stufe 1 gewährt werde.

Im Oktober 1948 wurde der Kläger in der Medizinischen Klinik II und Poliklinik der Medizinischen Akademie D beobachtet und untersucht. Im Anschluß an das Gutachten, das die Ärzte Prof. Dr. B und Dr. Sch erstatteten, erließ die LVA. den Bescheid vom 23. Februar 1949; durch diesen Bescheid wurde dem Kläger die Rente einschließlich des Pflegegeldes ab Ende März 1949 entzogen: Ein chronisches Darmleiden sei nicht festzustellen gewesen; der jetzige Zustand des Klägers, insbesondere sein schlechtes Allgemeinbefinden, sei nicht Ausdruck eines Krankheitsprozesses, der mit dem vor mehr als 30 Jahren abgeleisteten Kriegsdienst in einem ursächlichen Zusammenhang stehe; die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente seien daher nicht gegeben.

Den Einspruch gegen diesen Bescheid wies der Beschwerdeausschuß am 26. September 1950 zurück.

Der Kläger legte Berufung beim Oberversicherungsamt (OVA.) D ein. Das OVA. veranlaßte eine Untersuchung und Begutachtung des Klägers in der Medizinischen Universitätsklinik für Innere und Nervenkrankheiten in Bonn; die Ärzte Privatdozent Dr. M und Dr. B stellten fest, bei dem Kläger liege eine Colica Mucosa (Schleimkolik) ohne zurzeit pathognomischen (die Krankheit kennzeichnenden) Befund vor; ein ursächlicher Zusammenhang der Krankheit und ihrer Begleiterscheinungen mit Wehrdiensteinflüssen sei abzulehnen, auch ein "verdorbenes Essen" im Jahre 1917 sei dafür nicht verantwortlich.

Der Kläger beantragte, nach § 1681 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ein Gutachten des Prof. Dr. St einzuholen. Prof. Dr. St teilte dem OVA. am 21. September 1953 mit, er sei auf Grund des Aktenstudiums und nach einer einmaligen Untersuchung des Klägers zu der Überzeugung gekommen, daß er nicht in der Lage sei, ein Gutachten abzugeben, das im Ergebnis von den früheren Gutachten abweiche, er sehe deshalb von der Erstellung des Gutachtens ab, um dem Kläger unnötige Kosten zu ersparen.

Das Sozialgericht (SG.) Düsseldorf, auf das der Rechtsstreit am 1. Januar 1954 übergegangen war, wies die Klage durch Urteil vom 14. Dezember 1954 ab: Der angefochtene Bescheid vom 23. Februar 1949, durch den dem Kläger die Rente entzogen worden sei, sei nach Ziff. 26 der Sozialversicherungsanordnung (SVA) Nr. 11 rechtmäßig.

Der Kläger legte am 7. April 1955 Berufung beim Landessozialgericht (LSG.) Nordrhein-Westfalen ein. In der mündlichen Verhandlung des LSG. vom 12. Juli 1956 beantragte der Kläger "hilfsweise" ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von Prof. Dr. N E, einzuholen.

Das LSG. wies die Berufung des Klägers mit Urteil vom 12.Juli 1956 zurück: Die Voraussetzungen, unter denen der Bescheid vom 14. Februar 1942 und die "Benachrichtigung" vom 8. September 1947 ergangen seien, seien unzutreffend gewesen; die Krankheit des Klägers habe, wie sich aus den ärztlichen Gutachten zweifelsfrei ergeben hätte, nicht mit dem Wehrdienst in einem ursächlichen Zusammenhang gestanden; die Versorgungsbehörde habe dem Kläger daher nach § 26 SVA Nr. 11 die Rente entziehen dürfen; den "Hilfsantrag", Prof. Dr. N als Gutachter zu hören, habe der Kläger aus grober Nachlässigkeit verspätet vorgebracht, ihm sei daher nicht entsprochen worden. Das LSG. ließ die Revision zu.

Das Urteil des LSG. wurde dem Kläger am 5. Januar 1957 zugestellt. Er legte am 25. Januar 1957 Revision ein und beantragte,

die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, "Chronisches Darmleiden (Colitis mucosa), chronisches Nervenleiden mit deutlich reduziertem Allgemeinzustand und dadurch bedingte Begleiterscheinungen" als Schädigungsfolge anzuerkennen und dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und Pflegezulage über den 31. März 1949 hinaus zu gewähren;

hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen; ferner dem Beklagten die außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.

Er begründete die Revision - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist - am 5. April 1957: Das LSG. habe die Vorschrift der Ziff. 26 SVA Nr. 11 nicht richtig angewandt; es habe auch zu Unrecht angenommen, daß sich die Voraussetzungen der früheren Rentenbewilligung als unzutreffend erwiesen hätten; die ärztlichen Gutachten, auf die das LSG. seine Entscheidung gestützt habe, hätten nicht ausgereicht, um zweifelsfrei feststellen zu können, daß das Leiden des Klägers nicht in einem ursächlichen Zusammenhang mit wehrdienstlichen Einflüssen gestanden habe; das LSG. habe den Sachverhalt durch ein weiteres ärztliches Gutachten klären müssen; es habe somit die Vorschriften der §§ 103 und 128 SGG verletzt; es habe auch zu Unrecht seinen Antrag, noch Prof. Dr. N als Sachverständigen zu hören, abgelehnt, es habe damit gegen § 109 SGG verstoßen.

Der Beklagte beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

II

Die Revision ist zugelassen (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG; der Kläger hat sie auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet; sie ist sonach zulässig.

Die Revision ist jedoch unbegründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 23. Februar 1949; in diesem Bescheid wird festgestellt, daß der Leidenszustand des Klägers (schlechtes Allgemeinbefinden und reduzierter Kräftezustand, nervöse Begleiterscheinungen) in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Wehrdienst des Klägers stehe; die Versorgungsbezüge, die dem Kläger nach dem Bescheid vom 8. September 1947 ("KB-Benachrichtigung") gewährt worden sind, werden ihm mit Ende März 1949 entzogen. Der Beklagte hat den Bescheid vom 8. September 1947 - der den Bescheid vom 14. Februar 1942 ersetzt hat - als rechtswidrig angesehen und zurückgenommen, weil der Sachverhalt darin nach seiner Ansicht unrichtig beurteilt worden ist; die bisherige Wertung des Leidenszustandes des Klägers als Schädigungsfolge habe nicht den tatsächlichen Verhältnissen entsprochen; ihr habe eine unrichtige medizinische Beurteilung zugrundegelegen. Die rechtliche Grundlage des angefochtenen Bescheides ist Ziff. 26 der SVA vom 5. Juli 1947 (AmtsBl. für die britische Zone 1947 S. 234); diese Vorschrift, die bis zum 31. Dezember 1952 in Kraft gewesen ist (BSG. 8 S. 11 ff. (13)), hat es ermöglicht, einen Bescheid über die Gewährung einer Versorgungsrente zurückzunehmen, wenn die Voraussetzungen der Bescheiderteilung sich als unzutreffend erweisen (vgl. dazu BSG. 3 S. 251 (262); ferner Urteile des BSG. vom 18. Februar 1959 - 11/9 RV 146/57 und vom 28. Juli 1959 - 11/8 RV 425/57 -).

Das LSG. hat zwar die "KB-Benachrichtigung" vom 8. September 1947 nicht als einen Bescheid im Sinne der Ziff. 26 SVA Nr.11 angesehen; es hat angenommen, der Altbescheid vom 14. Februar 1942, auf dessen Grundlage ohne vorherige sachliche Nachprüfung die KB-Benachrichtigung vom 8. September 1947 ergangen sei, sei nach Ziff. 26 SVA Nr. 11 zurückgenommen worden und damit sei auch die KB-Benachrichtigung wirkungslos geworden; diese Auffassung trifft allerdings, wie die Revision mit Recht ausführt, nicht zu; die Rentenbewilligung nach der SVD Nr. 27 hat sich auf die "KB-Benachrichtigung" gegründet; diese hat den Altbescheid vom 24. Februar 1942 ersetzt; die "KB-Benachrichtigung" ist ein Bescheid im Sinne der Ziff. 26 SVA Nr. 11 gewesen (vgl. hierzu BSG. 3 S. 252 (253 ff.)); indes ist es hier im Ergebnis bedeutungslos gewesen, daß das LSG. nicht die "KB-Benachrichtigung", sondern den Altbescheid als nach Ziff. 26 SVA Nr. 11 zurückgenommen angesehen hat, das LSG. hat sachlich zu prüfen gehabt, ob sich die Voraussetzungen der früheren Rentenbewilligung als unzutreffend erwiesen haben, diese Prüfung hat es auch vorgenommen; die sachlichen Erörterungen des LSG. schließen die Frage ein, ob die Rentenbewilligung durch die KB-Benachrichtigung unzutreffend gewesen ist. Das LSG. hat diese Frage bejaht; es hat festgestellt, die tatsächlichen Voraussetzungen, unter denen dem Kläger eine Rente nach der SVD Nr. 27 bewilligt worden sei, seien unrichtig beurteilt worden; der Krankheitszustand des Klägers habe in keinem ursächlichen Zusammenhang mit wehrdienstlichen Einflüssen gestanden. Der Kläger rügt zwar, das LSG. habe für seine Feststellung, die frühere Beurteilung des Versorgungsanspruchs sei in tatsächlicher Hinsicht unrichtig gewesen, keine ausreichende Grundlage gehabt, er sieht insoweit die §§ 128 und 103 SGG als verletzt an; diese Rügen treffen jedoch nicht zu.

Das LSG. hat seine Feststellungen im wesentlichen auf das Gutachten der Ärzte der Medizinischen Klinik II und Poliklinik der Medizinischen Akademie Düsseldorf, Prof. Dr. B und Dr. Sch, vom 1. November 1948 und auf das Gutachten der Ärzte der Medizinischen Universitätsklinik für Innere und Nervenkrankheiten in B, Privatdozent Dr. M und Dr. B, gestützt. Diese Gutachten weichen zwar in der Beurteilung des Krankheitsbildes des Klägers insofern von einander ab, als Prof. Dr. B und Dr. Sch wegen des Fehlens der für eine Colica mucosa charakteristischen Erscheinungen sich nicht, jedenfalls nicht eindeutig, dafür ausgesprochen haben, daß diese Krankheit überhaupt vorgelegen habe, während die Ärzte Dr. M und Dr. B auf Grund der Vorgeschichte und der charakteristischen Anamnese eine Colica mucosa, wenn auch eine ohne zurzeit pathognomischen (diese Erkrankung kennzeichnenden) Befund, angenommen haben. Die Sachverständigen sind sich jedoch darüber einig gewesen, daß das Krankheitsbild des Klägers, das durch schlechtes Allgemeinbefinden, Untergewichtigkeit, einen reduzierten Kräftezustand und nervöse Begleiterscheinungen gekennzeichnet wird, nicht durch den Wehrdienst des Klägers im ersten Weltkrieg beeinflußt worden ist, sondern auf anlagebedingten Faktoren beruht; sie sind insbesondere übereinstimmend der Auffassung gewesen, daß nicht ein durch "verdorbenes Essen" entstandenes chronisches Leiden für das jetzige Krankheitsbild verantwortlich zu machen ist; die Auffassung der Revision, daß die Gutachten in der Beurteilung der Zusammenhangsfrage teilweise auseinander gegangen seien, trifft deshalb nicht zu. Unter diesen Umständen hat das LSG. auch nicht durch Einholung eines weiteren ärztlichen Gutachtens klären müssen, ob für das Krankheitsbild des Klägers medizinisch die Diagnose " Colica mucosa" zutreffend gewesen ist oder nicht; dieser Frage hat das LSG. keine Bedeutung zumessen müssen, es hat sich bei der Beurteilung der hier entscheidenden Frage, ob das Krankheitsbild des Klägers - mag es als " Colica mucosa" zu bezeichnen sein oder nicht - Schädigungsfolge ist, der insoweit übereinstimmenden Auffassung beider Gutachten anschließen dürfen; es hat sich insoweit aber auch noch auf die Äußerung des Prof. Dr. St vom 21. September 1953 stützen dürfen; in dieser Äußerung hat Prof. Dr. St dessen Anhörung vom Kläger nach § 1681 RVO beantragt gewesen ist, erklärt, er sei nach Aktenstudium und einmaliger Untersuchung des Klägers zu der Überzeugung gekommen, er könne kein Gutachten erstatten, daß im Ergebnis von den früheren Gutachten (den Gutachten der Kliniken in Düsseldorf und Bonn) abweiche; daraus hat das LSG. entnehmen dürfen, daß auch Prof. Dr. St der Meinung ist, der Leidenszustand des Klägers stehe in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Wehrdienst. Auf Grund dieser medizinischen Unterlagen hat das LSG. überzeugt sein dürfen, daß der Leidenszustand des Klägers nicht auf den Wehrdienst oder auf Kriegseinwirkung zurückzuführen ist; es hat damit feststellen dürfen, daß die tatsächlichen Voraussetzungen, unter denen die Rentenbewilligung erfolgt ist, unrichtig gewesen sind. Das LSG. hat diese Feststellung auch stichhaltig und widerspruchsfrei begründet; es hat weder die Grenzen seines Rechts, die Beweise frei zu würdigen (§ 128 SGG), überschritten, noch hat es seine Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 103 SGG), verletzt.

Das LSG. hat auch nicht gegen § 109 SGG verstoßen. Hat das Gericht den Antrag auf gutachtliche Anhörung eines bestimmten Arztes nach § 109 Abs. 2 SGG abgelehnt, so liegt darin nur dann ein Mangel des Verfahrens, wenn die Zulassung des Antrages den Rechtsstreit nicht verzögert hätte, oder wenn das Gericht bei der Annahme, der Antrag sei in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher gestellt worden, die Grenzen seines Rechts, hierüber nach freier Überzeugung zu entscheiden, überschritten hat (vgl. Beschluß des BSG. vom 18.12.1956, SozR. Nr. 4 zu § 109). Der Kläger, der vor dem SG. und dem LSG. durch einen sachkundigen Prozeßbevollmächtigten vertreten gewesen ist, hat sich im Laufe des Berufungsverfahrens (vom April 1955 bis Juli 1956), jedenfalls vor der mündlichen Verhandlung, darüber schlüssig werden können und müssen, ob er noch einen Antrag nach § 109 SGG stellen wolle, dies um so mehr, als sein Antrag in der ersten Instanz einen bestimmten Arzt gutachtlich zu hören, ohne sachlichen Erfolg gewesen ist und das SG. seine Entscheidung auf die medizinische Beurteilung des Sachverhalts gestützt hat; er hat sich nicht darauf verlassen dürfen, daß das LSG. - anders als das SG. - dem Klageantrag schon aus rechtlichen Erwägungen stattgeben werde, ohne auf die medizinische Beurteilung einzugehen; er hat auch nicht abwarten dürfen, bis das LSG. ihm seine Beurteilung der Rechtslage bekanntgeben werde. Spätestens nachdem der Kläger die Terminsladung zum 12. Juli 1956 mit der Aufforderung, den Termin schriftsätzlich vorzubereiten, zugegangen war (am 12.6.1956), hat er sich veranlaßt sehen müssen, seine Angelegenheit nochmals zu überprüfen und auf Grund dieser Prüfung den Antrag nach § 109 SGG nunmehr alsbald zu stellen, um dem Gericht die Möglichkeit zu geben, den Termin noch rechtzeitig aufzuheben. Eine solche Rücksicht auf das Allgemeininteresse an der Beschleunigung sozialgerichtlicher Verfahren ist dem Kläger auch zuzumuten gewesen. Der Kläger hat zwar noch einen Schriftsatz eingereicht, in diesem Schriftsatz hat er auch zu der bisherigen medizinischen Beurteilung Stellung genommen, einen Antrag nach § 109 SGG hat er aber in diesem Schriftsatz nicht gestellt. Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, daß er mit seinem Antrag bis zur mündlichen Verhandlung hätte warten dürfen. Da der Antrag nach § 109 SGG sowohl schriftlich als auch mündlich wirksam gestellt werden kann (vgl. Beschluß des BSG. vom 2.4.1958, SozR. Nr. 17 zu § 109 SGG), darf der Kläger mit der Antragstellung grundsätzlich nicht bis zur mündlichen Verhandlung warten, wenn es - wie hier - nahe liegt, den Antrag nach § 109 SGG bereits vorher schriftlich zu stellen (s. auch Beschluß des BSG. vom 10.12.1958, SozR. Nr. 24 zu § 109 SGG; vom 28.2.1959 - 11/8 RV 211/57). Unter diesen Umständen ist es verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das LSG. in dem Verhalten des Klägers eine grobe Nachlässigkeit erblickt und den Antrag nach § 109 Abs. 2 SGG abgelehnt hat.

Das LSG. hat sonach zutreffend entschieden, daß der Bescheid vom 8. September 1947, durch den der Beklagte die Rente gewährt hat, rechtswidrig gewesen ist und damit nach Ziff. 26 SVA Nr. 11 durch den angefochtenen Bescheid hat zurückgenommen werden dürfen. Die Revision ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2149383

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