Leitsatz (amtlich)
1. Auf die wiederaufgelebte Witwenrente ist ein neuer Unterhaltsanspruch der Witwe dann nicht gemäß RVO § 1291 Abs 2 S 1 Halbs 2 anzurechnen, wenn er nicht zu verwirklichen ist (Anschluß an BSG 1966-03-09 4 RJ 37/64 = BSGE 22, 78 und SozR Nr 12 zu § 1291 RVO).
2. Kann die Witwe einen nach dem materiellen Recht an sich begründeten Unterhaltsanspruch deshalb nicht verwirklichen, weil ihr durch rechtskräftiges Urteil Unterhalt nur in geringer Höhe zugesprochen worden ist, so ist der Unterhaltsanspruch dennoch in der nach dem materiellen Recht begründeten Höhe anzurechnen, wenn die Witwe in dem Unterhaltsprozeß nicht alle geeigneten und billigerweise von ihr zu erwartenden Mittel ergriffen hat, um den begründeten Unterhaltsanspruch durchzusetzen.
3. Daß die Witwe gegen ein Unterhaltsurteil das gegebene Rechtsmittel einlegt, ist von ihr nur aus besonderen Gründen zu erwarten.
Normenkette
RVO § 1291 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 9. Juli 1965 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die Klägerin begehrt eine höhere - wiederaufgelebte - Witwenrente. Streitig ist, ob die Versicherungsträger und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit im Rahmen des § 1291 Abs. 2 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) an ein rechtskräftiges Unterhaltsurteil des Amtsgerichts gebunden sind.
Der erste Ehemann der Klägerin ist als Soldat im 2. Weltkrieg gefallen. Sie erhielt sowohl von der Landesversicherungsanstalt (LVA) als auch vom Versorgungsamt (VersorgA) Witwenrente. Am 6. März 1954 heiratete sie wieder. Diese Ehe wurde am 18. Oktober 1960 aus der Alleinschuld des Ehemannes geschieden. Die Beklagte bewilligte der Klägerin die Witwenrente wieder vom 1. November 1960 an. Nach den Feststellungen der Beklagten hatte sich der geschiedene Ehemann vom 17. Mai 1960 bis 16. August 1961 in Haft befunden. Die Beklagte forderte die Klägerin auf, nach der Haftentlassung gegen ihren zweiten Mann Unterhaltsansprüche geltend zu machen. Das VersorgA gewährte der Klägerin vom 1. November 1960 an Rente in Höhe von 128 DM monatlich. Die Beklagte teilte der Klägerin am 13. Dezember 1961 mit, nach ihren Ermittlungen habe der geschiedene Mann in der Zeit vom 26. September 1961 bis 27. Oktober 1961 ein Entgelt von monatlich 507 DM bezogen; bei der Höhe dieses Einkommens übersteige ihr Unterhaltsanspruch die gewährte Witwenrente; die Rentenzahlung werde daher ab sofort eingestellt.
Die Klägerin erhob im Februar 1962 beim Amtsgericht Berlin-Neukölln Klage gegen ihren geschiedenen Mann mit dem Antrag, diesen zu verurteilen, ihr ab 10. Dezember 1961 eine Unterhaltsrente von 100 DM monatlich zu zahlen. Durch Urteil vom 25. Juni 1962 verurteilte das Amtsgericht den geschiedenen Ehemann unter Abweisung der Klage im übrigen, an die Klägerin eine Unterhaltsrente in Höhe von 25 DM monatlich zu zahlen. In den Entscheidungsgründen führte das Gericht aus, die Klägerin erhalte vom VersorgA eine Rente von 128 DM monatlich, die sie sich als ihr Einkommen anrechnen lassen müsse. Dieses Urteil ist von den Parteien des Rechtsstreits nicht angefochten worden.
Mit Bescheid vom 13. März 1963 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine Witwenrente für die Zeit vom 1. Oktober 1961 bis 31. Dezember 1961 von monatlich 12,40 DM, für die Zeit vom 1. Januar 1962 bis 31. Dezember 1962 von 18,10 DM und vom 1. Januar 1963 an von 25,90 DM monatlich. Hierbei ging sie davon aus, daß die Klägerin in diesen Zeiträumen gegen ihren geschiedenen Ehemann einen Unterhaltsanspruch von etwa 100 DM monatlich gehabt habe, um den sich der Rentenanspruch mindere. Gegen den Bescheid hat die Klägerin Klage mit dem Antrag erhoben, in Abänderung des Bescheides vom 13. März 1963 die Beklagte zu verurteilen, lediglich einen Unterhaltsanspruch gegen ihren geschiedenen Ehemann in Höhe von 25 DM monatlich ab 1. Oktober 1961 auf die Witwenrente anzurechnen.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) hat sich die Beklagte bereit erklärt, vom 1. November 1962 an den Anspruch auf Witwenrente erneut zu prüfen und darüber einen Bescheid zu erteilen; die Klägerin hat sich damit einverstanden erklärt. Das LSG hat das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen; es hat die Revision zugelassen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Berufungsgericht ausgeführt, die Klägerin habe infolge der Ehescheidung gegen ihren geschiedenen Mann zumindest vom 1. Oktober 1961 an einen Unterhaltsanspruch in Höhe von 100 DM monatlich erworben, der sich entgegen der Auffassung des Amtsgerichts Berlin-Neukölln nicht dadurch mindere, daß der Klägerin seinerzeit eine Kriegsopferwitwenrente bewilligt gewesen sei. Gemäß § 44 Abs. 5 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) sei der Witwenrentenanspruch gegenüber dem Unterhaltsanspruch subsidiärer Natur und ohne Rücksicht auf den Witwenrentenanspruch festzustellen (BSG SozR Nr. 7 zu § 1291 RVO). Der Anrechnung des Unterhaltsanspruchs auf die Witwenrente stehe das Urteil des Amtsgerichts Berlin-Neukölln nicht entgegen, weil es die Beklagte und auch das SG nicht binde. Diese hätten den Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihren geschiedenen Ehemann selbständig und unabhängig von dem genannten Urteil festzustellen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Revision eingelegt. Sie rügt Verletzung des § 1291 RVO und beruft sich vor allem darauf, das angefochtene Urteil habe sich mit der Frage der Tatbestandswirkung des Urteils des Amtsgerichts nicht gehörig auseinandergesetzt. Das Urteil sei auch aus praktischen Erwägungen nicht haltbar, weil die Klägerin keine prozessuale Möglichkeit habe, ihren angeblichen Unterhaltsanspruch gegen ihren geschiedenen Mann geltend zu machen. Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des LSG vom 9. Juli 1965 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Berlin vom 5. November 1964 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält die Revision aus den Gründen des angefochtenen Urteils für nicht gerechtfertigt.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die Revision ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.
Die Klägerin begehrt mit der Klage die Zahlung einer höheren - wiederaufgelebten - Witwenrente für die Zeit vom 1. Oktober 1961 bis 31. Oktober 1962. Sie wendet sich dagegen, daß die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid auf die Rente einen Unterhaltsanspruch gegen ihren geschiedenen Mann in Höhe von 100 DM monatlich angerechnet hat, obgleich das Amtsgericht auf Klage durch rechtskräftiges Unterhaltsurteil entschieden hat, daß sie gegen ihren früheren Ehemann einen Unterhaltsanspruch nur in Höhe von 25 DM monatlich hat. Das LSG hat den Standpunkt der Beklagten gebilligt. Die bisherigen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil rechtfertigen die vom Berufungsgericht getroffene Entscheidung nicht.
Nach der Vorschrift des § 1291 Abs. 1 RVO fällt die Witwenrente mit dem Ablauf des Monats weg, in dem die Witwe wieder heiratet. Gemäß Abs. 2 Satz 1, 1. Halbs. dieser Vorschrift lebt der Anspruch auf Witwenrente wieder auf, wenn eine Witwe sich wieder verheiratet hat und diese Ehe ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden der Witwe aufgelöst oder für nichtig erklärt wird, und zwar vom Ablauf des Monats an, in dem die Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist, wenn der Antrag spätestens 12 Monate nach der Auflösung oder der Nichtigkeitserklärung der Ehe gestellt ist. Daß diese Voraussetzungen des § 1291 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbs. erfüllt sind, der Klägerin also dem Grunde nach die wiederaufgelebte Witwenrente zusteht, ist vom LSG mit Recht angenommen worden und unter den Beteiligten auch unstreitig. Umstritten ist allein, in welcher Höhe die Klägerin Anspruch auf Witwenrente unter Berücksichtigung der Bestimmung des § 1291 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. RVO vom 1. Oktober 1961 an hat. Hier ist u. a. bestimmt, daß ein von der Witwe infolge Auflösung der Ehe erworbener neuer Unterhaltsanspruch auf die Witwenrente anzurechnen ist. Der Streit geht darum, ob und in welcher Höhe die Klägerin infolge Auflösung ihrer zweiten Ehe gegen ihren geschiedenen Ehemann einen Anspruch auf Unterhalt seit dem 1. Oktober 1961 erworben hat, um den sich ihr Rentenanspruch mindert.
Ob und in welcher Höhe die Klägerin infolge der im Oktober 1960 erfolgten Scheidung ihrer zweiten Ehe gegen ihren früheren Ehemann einen Anspruch auf Unterhalt erworben hat, beurteilt sich - wie das LSG mit Recht angenommen hat - nach den Vorschriften der §§ 58 Abs. 1, 59 des Ehegesetzes (EheG). Nach § 58 Abs. 1 EheG hat der allein oder überwiegend für schuldig erklärte Mann der geschiedenen Frau den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu gewähren, soweit die Einkünfte aus dem Vermögen der Frau und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit nicht ausreichen. Voraussetzung für den Anspruch der geschiedenen Frau auf Unterhalt ist die Unterhaltsfähigkeit des Mannes und die Unterhaltsbedürftigkeit der Frau (BSG 5, 179, 183).
Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, daß ein zivilgerichtliches Unterhaltsurteil die Versicherungsträger und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit grundsätzlich nicht in der Weise bindet, daß es von diesem Urteil abhängt, ob und in welcher Höhe ein Unterhaltsanspruch der Witwe gegen ihren früheren Ehemann auf die wiederaufgelebte Witwenrente gemäß § 1291 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. RVO anzurechnen ist. Das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits ausgesprochen, daß der Anspruch auf Zahlung der wiederaufgelebten Witwenrente nicht stets schon deshalb ausgeschlossen ist, weil die Witwe gegen ihren früheren Ehemann einen die Höhe der Witwenrente übersteigenden Unterhaltstitel erstritten hat; denn die Voraussetzungen für die Anrechnung eines Unterhaltsanspruches nach § 1291 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. RVO sind nicht schon dann gegeben, wenn die Klägerin ein vollstreckbares Urteil hat; erforderlich ist vielmehr, daß ein materiell-rechtlicher Anspruch auf Unterhalt besteht (BSG 22, 78, 79). In gleicher Weise und aus demselben Grunde wird auch die Anrechnung eines materiell-rechtlich bestehenden Unterhaltsanspruchs nicht immer schon dadurch ausgeschlossen, daß die Witwe gegen den früheren Ehemann einen Unterhaltstitel erstritten hat, in dem der ihr materiell-rechtlich zustehende Unterhaltsanspruch unterschritten ist. Mit Recht hat das LSG ausgeführt, daß dem zivilgerichtlichen Unterhaltsurteil keine Tatbestandswirkung zukommt; denn das Vorliegen eines solchen zivilgerichtlichen Unterhaltstitels ist nicht als gesetzliche Tatbestandsvoraussetzung in die Vorschrift des § 1291 Abs. 2 RVO aufgenommen; für die Anrechnung eines Unterhaltsanspruchs kommt es grundsätzlich allein auf die materielle Rechtslage an. Ebensowenig läßt sich, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, aus der Rechtskraftwirkung des Unterhaltsurteils eine Bindung der Beklagten oder der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit herleiten, weil das Urteil des Amtsgerichts Berlin-Neukölln schon nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung - ZPO - (§ 325) gegenüber der beklagten LVA, die an dem Vorfahren vor dem Amtsgericht nicht beteiligt war, keine Rechtskraftwirkung hat (vgl. hierzu BSG in SozR Nr. 25 zu § 1265 RVO).
Jedoch ist ein solches rechtskräftiges zivilgerichtliches Unterhaltsurteil für die Beurteilung nicht bedeutungslos, in welchem Umfang ein Unterhaltsanspruch der Witwe gegen den früheren Ehemann auf die Witwenrente gemäß § 1291 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. RVO anzurechnen ist. In diesem Zusammenhang kann es auf sich beruhen, ob das Urteil des Amtsgerichts unter Verletzung des geltenden materiellen Rechts den Unterhaltsanspruch der Klägerin zu niedrig festgestellt hat und die Beklagte sowie das LSG mit Recht davon ausgehen, daß der Klägerin für die streitige Zeit in Abweichung von dem Unterhaltsurteil ein materiell-rechtlicher Anspruch auf Zahlung von Unterhalt nicht im Betrage von monatlich 25 DM, sondern im Betrage von monatlich 100 DM zugestanden hat. Das LSG und die Beklagte haben dem Umstand nicht Rechnung getragen, daß ein Unterhaltsanspruch auf die wiederaufgelebte Witwenrente gemäß § 1291 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. RVO dann nicht anzurechnen ist, wenn er nicht zu verwirklichen ist. Dies haben bereits der 11. und 4. Senat entschieden (BSG 22, 78 ff und BSG in SozR Nr. 12 zu § 1291 RVO). Diesen Entscheidungen und den dafür gegebenen Begründungen ist zuzustimmen (vgl. auch die Entscheidung des 9. Senats in BSG 18, 263 ff). Wie der 11. Senat in seinem Urteil (BSG 22, 78, 80) überzeugend dargelegt hat, steht es hingegen nicht im Belieben der Witwe, einen Unterhaltsanspruch geltend zu machen; vielmehr muß sie in aller Regel einen solchen Unterhaltsanspruch zur Vermeidung der Anrechnung auch geltend machen. Der Versicherungsträger darf davon ausgehen, daß materiell-rechtlich bestehende Unterhaltsansprüche in aller Regel auch verwirklicht werden können. Nur wenn dargetan ist, daß der Unterhaltsanspruch durch Klage und unter Ausnutzung aller Vollstreckungsmöglichkeiten geltend gemacht ist, daß aber dennoch keine Unterhaltsleistungen zu erlangen sind, ist für die Anrechnung des Unterhaltsanspruchs kein Raum.
Das LSG hat mit Recht dargelegt, daß das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts die Bedeutung hat, daß eine neue Verhandlung und Entscheidung über den rechtskräftig festgestellten Unterhaltsanspruch, und zwar soweit er zugesprochen und soweit er abgewiesen worden ist, nicht mehr zulässig ist. Richtig ist weiterhin, daß die Rechtskraft des zivilgerichtlichen Unterhaltsurteils zwischen den Parteien des Rechtsstreits, also zwischen der Klägerin und ihrem früheren Ehemann wirkt. Demnach hat in Auswirkung der Rechtskraft des amtsgerichtlichen Unterhaltsurteils - worauf die Revision sich vor allem stützt - die Klägerin keine Möglichkeit mehr, einen höheren Unterhaltsanspruch gegen ihren früheren Ehemann durchzusetzen, als er ihr in dem rechtskräftigen Unterhaltsurteil zugesprochen worden ist; es sei denn, die Voraussetzungen des § 323 ZPO seien gegeben, wofür aber vorerst keinerlei Anhaltspunkte bestehen. Die Rechtskraft des Unterhaltsurteils bewirkt, daß ein der Klägerin nach dem materiellen Recht zustehender höherer Unterhaltsanspruch nicht verwirklicht werden kann. Wenn auch die Versicherungsträger und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nicht an das Unterhaltsurteil des Amtsgerichts gebunden sind, so haben sie doch in der Regel die Wirkungen der Rechtskraft eines solchen Urteils zu beachten, soweit sie zur Folge haben, daß der Unterhaltsanspruch der Witwe gegen den früheren Ehemann wegen der unter ihnen wirkenden Rechtskraft des Unterhaltsurteils nicht zu verwirklichen ist.
Allerdings gilt dies nicht uneingeschränkt. Wie es nicht im Belieben der Witwe steht, einen Unterhaltsanspruch überhaupt geltend zu machen, so steht es auch nicht in ihrem Belieben, wie sie ihn geltend macht. Der 11. Senat hat auch hierzu bereits dargelegt, daß ein der Witwe materiell-rechtlich zustehender Unterhaltsanspruch so lange in voller Höhe anzurechnen ist, bis sie nachweist, daß sie auch bei Ausschöpfung aller Mittel eine Erfüllung des Anspruchs von dem Verpflichteten nicht erlangen kann. Mit Recht weist die Beklagte darauf hin, daß der Ausgang einer zivilrechtlichen Unterhaltsklage weitgehend von dem Verhalten der Witwe als Klägerin des Unterhaltsprozesses abhängig ist. Für den Ausgang eines solchen Prozesses ist nicht nur entscheidend, welche Anträge gestellt werden, sondern auch, ob in dem Parteienprozeß Parteivereinbarungen über den erhobenen Anspruch getroffen werden. Ob ein ergangenes Unterhaltsurteil die sich hier besonders auswirkende Rechtskraft unter den Parteien des Rechtsstreits erlangt, ist ebenfalls davon abhängig, ob gegen das Urteil das gegebene Rechtsmittel eingelegt wird oder nicht. Wenn die Witwe gehalten ist, einen materiell-rechtlich bestehenden Unterhaltsanspruch geltend zu machen, um seine Anrechnung auf die Witwenrente zu vermeiden, so bedarf es der Klärung, ob und unter welchen Voraussetzungen zur Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs auch der Gebrauch eines Rechtsmittels zu fordern ist.
Der 11. Senat hat es in seiner Entscheidung (BSG 22, 79, 80) darauf abgestellt, daß für die Anrechnung des Unterhaltsanspruchs nur dann kein Raum sei, wenn dargetan ist, daß der Unterhaltsanspruch durch Klage und unter Ausnutzung aller Vollstreckungsmöglichkeiten geltend gemacht ist, daß aber dennoch keine Unterhaltsleistungen zu erlangen sind. Dem ist grundsätzlich beizupflichten. Die Klägerin hat ihren Unterhaltsanspruch gegen den geschiedenen Mann vom 10. Dezember 1961 an geltend gemacht. Sie hat Klage erhoben. Diese Klage hatte nur insoweit Erfolg, daß ihr ein Unterhaltsanspruch von 25 DM monatlich zugesprochen worden ist. An sich hat die Klägerin damit das getan, was von ihr erwartet werden konnte, um die Anrechnung des Unterhaltsanspruchs, soweit er materiell-rechtlich über das ihr Zugesprochene hinaus bestand, zu vermeiden; denn in der Regel ist von der Anrechnung eines Unterhaltsanspruchs abzusehen, wenn der Unterhaltspflichtige zur Leistung deshalb nicht herangezogen werden kann, weil eine Unterhaltsklage nicht zum Ziel geführt hat (vgl. hierzu Richtlinien Nr. 7 BMJ/BMW vom 31.5.1954 zu § 164 BBG; Plog/Wiedow, Komm. zum BBG § 164 Anm. RdNr. 27; van Dam/Loos BEG, Komm. 1957 § 23 Anm. 3; vgl. auch Lauterbach, Unfallversicherung 3. Aufl. § 615 Anm. 10 und 11). Wenn dies auch im Regelfall zu gelten hat, so ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Witwe allein mit der Klage alle Mittel erschöpft hat, um die Erfüllung des ihr zustehenden Unterhaltsanspruchs zu erlangen, oder ob ihr zuzumuten ist, durch Einlegung von Rechtsmitteln den ihr zustehenden Unterhaltsanspruch weiter zu verfolgen.
Hierbei ist von dem Grundsatz auszugehen, daß nur solche Unterhaltsansprüche anzurechnen sind, die auch zu verwirklichen sind; denn die Vorschrift des § 1291 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. RVO bezweckt, die Doppelversorgung zu verhindern, so daß grundsätzlich nur angerechnet werden kann, was die Witwe auch tatsächlich erhält; sonst läge keine Doppelversorgung vor. Wenn dennoch angerechnet werden soll, was die Witwe tatsächlich nicht erhält, eine Doppelversorgung in Wirklichkeit also nicht eintritt, weil sie ihr zustehende Unterhaltsansprüche nicht oder nicht ordnungsgemäß geltend gemacht hat, so können doch nur solche Leistungen in Betracht kommen, die sie erhalten hätte, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalles vernünftig vorgegangen wäre; wenn also kein vernünftiger Grund dafür gegeben ist, daß sie trotz Geltendmachung ihrer Ansprüche deren Erfüllung nicht erlangen kann.
In der Regel genügt die Witwe ihrer Pflicht zur Geltendmachung der ihr zustehenden Unterhaltsansprüche, wenn sie vor dem dafür zuständigen Gericht ihren Unterhaltsanspruch verfolgt. Entscheidet das zuständige Gericht auf Klage über den erhobenen Unterhaltsanspruch und weist es die Klage ganz oder zum Teil ab, so darf die Witwe, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, den Richterspruch hinnehmen, weil sie die von ihr zu erwartenden Schritte zur Vermeidung der Anrechnung des ihr materiell-rechtlich zustehenden Unterhaltsanspruchs getan hat. Von der Witwe kann im Rahmen ihrer Pflicht zur Geltendmachung ihrer Unterhaltsansprüche nur gefordert werden, alle geeigneten und billigerweise von ihr zu erwartenden Mittel zu ergreifen und auszuschöpfen, um die ihr zustehenden Unterhaltsansprüche auch durchzusetzen. Sie hat hierbei die größtmögliche, nach Lage der Sache von ihr zu erwartende Sorgfalt und Umsicht anzuwenden. Daher ist ihr nur der Gebrauch solcher ihr zur Verfügung stehenden Mittel zuzumuten, bei deren Anwendung nach allgemeiner Erfahrung begründete Aussicht besteht, daß ein Erfolg zu erzielen ist (vgl. hierzu § 44 Abs. 5 Bundesversorgungsgesetz i. d. F. vom 20. Januar 1967 - BGBl I S. 141 -, Verwaltungsvorschriften zu § 44 BVG Abs. 5 i. d. F. vom 23. Januar 1965 - Bundesanzeiger Nr. 19 vom 29. Januar 1965 -).
Wie es im bürgerlichen Recht unter Umständen ein Verschulden im Sinne des § 254 BGB bedeutet, wenn der Geschädigte es unterläßt, durch gerichtliche Verfolgung seiner Rechte und Einlegung von Rechtsmitteln einen Schaden abzuwenden oder zu mindern (vgl. RG 98, 345 ff; RG 121, 121 ff; BGH 15, 305 ff; Palandt BGB 25. Aufl. § 254 Anm. 2 b a. E.), so kann es auch einer Witwe zum Vorwurf gereichen, wenn sie es unterläßt, durch Einlegung eines Rechtsmittels den ihr zustehenden Unterhaltsanspruch durchzusetzen. Ob darin, daß ein Rechtsmittel nicht ergriffen wird, ein Verhalten liegt, das der Witwe zum Vorwurf zu machen ist, hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalles ab, wobei es insbesondere auf die Aussichten des Rechtsmittels ankommt (BGB - RKG Komm. 11. Aufl. § 254 Anm. 53; Soergel/Siebert BGB 9. Aufl., § 254 Rd. Nr. 50) und darauf, ob die Witwe darüber belehrt worden ist, aus welchen besonderen Gründen das Rechtsmittel hinreichende Aussicht auf Erfolg und welche Schritte sie für dessen Einlegung zu unternehmen hatte und ob sie die Belehrung auch verstanden hat (RG 98, 345, 347). In der Regel kann es einer Witwe nicht zum Vorwurf gereichen, wenn sie nicht klüger ist als das zur Entscheidung über ihren Unterhaltsanspruch berufene Gericht und wenn sie deshalb keine Wege beschreitet, über die gerichtliche Entscheidung hinaus ihren Unterhaltsanspruch durchzusetzen, also ein Rechtsmittel nicht einlegt (vgl. hierzu BGH 15, 305, 315). Auch braucht sie sich nicht auf einen für sie Kosten verursachenden und in seinem Erfolg unsicheren Rechtsstreit einzulassen (Soergel/Siebert aaO; BGB - RGR Komm. aaO).
Kann unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte nicht festgestellt werden, daß es der Klägerin als eine Verletzung ihrer Pflicht zur ordnungsgemäßen Geltendmachung ihrer Unterhaltsansprüche anzurechnen ist, daß sie es unterlassen hat, ihre Unterhaltsansprüche gerichtlich weiter dadurch zu verfolgen, daß sie gegen das Unterhaltsurteil des Amtsgerichts Berufung einlegte, so besteht auch kein Grund, einen materiell-rechtlich bestehenden Unterhaltsanspruch über das rechtskräftige zivilgerichtliche Unterhaltsurteil hinaus gemäß § 1291 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. RVO auf die Witwenrente anzurechnen.
Da es in dem angefochtenen Urteil an Feststellungen darüber fehlt, ob und welche besonderen Gründe dafür vorliegen, daß es einer ordnungsgemäßen Geltendmachung der Unterhaltsansprüche entsprochen hätte, gegen das Urteil des Amtsgerichts Berufung einzulegen, kann das Revisionsgericht in der Sache selbst nicht entscheiden. Das angefochtene Urteil ist daher, soweit der Anspruch auf Witwenrente vom 10. Dezember 1961 an in Frage steht, mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben. Die Sache ist insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Das LSG wird festzustellen haben, ob und durch wen die Klägerin darüber belehrt worden ist, daß und aus welchen besonderen Gründen das Unterhaltsurteil des Amtsgerichts der gegebenen materiellen Rechtslage nicht entsprochen und zu Unrecht ihr Klagebegehren auf Zahlung von Unterhalt in Höhe von 75 DM monatlich abgewiesen hat, ob ihr geraten worden ist, gegen das Urteil Berufung einzulegen und welche Gründe dafür sprachen, daß der Gebrauch des Rechtsmittels nach allgemeiner Erfahrung zu einem Erfolg geführt hätte. Sodann ist zu ermitteln, ob die Klägerin diese Belehrung verstanden und ob sie pflichtwidrig die Einlegung der Berufung unterlassen hat.
Bei seiner neuen Entscheidung wird das LSG zu berücksichtigen haben, daß die Klägerin behauptet hat, die Rechtsfrage, ob sich die Witwe auf ihren Unterhaltsanspruch gegen den geschiedenen Mann als Einkommen die wiederaufgelebte Witwenrente gemäß § 1291 Abs. 2 RVO, § 44 Abs. 5 BVG und auch nach gleichartigen Vorschriften (§ 68 Abs. 2 AVG, § 83 Abs. 3 RKG, § 615 Abs. 2 RVO, § 164 Abs. 3 BBG, § 23 BEG, § 59 Abs. 3 SVG) anrechnen lassen müsse, sei in der Rechtsprechung und im Schrifttum unterschiedlich beantwortet worden und damals auf Grund höchstrichterlicher Rechtsprechung noch nicht in dem einen oder anderen Sinne geklärt und anerkannt gewesen.
Die Anrechnung eines Unterhaltsanspruchs in Höhe von monatlich 100 DM auf die Rente der Klägerin für die Zeit vom 1. Oktober 1961 bis 30. November 1961 hat das LSG für richtig gehalten, weil die Beklagte für diese Zeit unabhängig von dem zivilgerichtlichen Unterhaltsurteil den Unterhaltsanspruch der Klägerin festzustellen gehabt und dieser Unterhaltsanspruch 100 DM betragen habe. Auch diese Entscheidung begegnet Bedenken.
Das LSG hat für seine Entscheidung zutreffend berücksichtigt, daß es für die Höhe des der Klägerin nach §§ 58, 59 EheG zustehenden Unterhaltsanspruchs gegen ihren früheren Ehemann auf die Unterhaltsbedürftigkeit der Klägerin und auf die Unterhaltsfähigkeit ihres früheren Ehemannes ankommt. Es hat als festgestellt angesehen, daß der frühere Ehemann vom 1. Oktober 1961 an ein Nettoeinkommen von etwa 324 DM monatlich hatte. Deshalb hat es dessen Unterhaltsfähigkeit bejaht. Bei der Prüfung der Unterhaltsbedürftigkeit der Klägerin hat das LSG lediglich ausgeführt, sie selbst habe - abgesehen von den Witwenrenten - kein nennenswertes Vermögen oder Einkommen. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat die Klägerin in Anwendung des § 58 Abs. 1 EheG gegen ihren geschiedenen Ehemann einen Anspruch auf etwa ein Drittel des Nettoeinkommens ihres Mannes, d. h. auf etwa 108 DM monatlich gehabt.
Die Feststellung allein, daß die Klägerin kein nennenswertes Vermögen und Einkommen gehabt habe, rechtfertigt die Annahme ihrer Unterhaltsbedürftigkeit nicht. Die geschiedene Frau muß sich, wie der Senat in seinem Urteil vom 31. Mai 1967 - 12 RJ 406/62 - ausgesprochen hat, auf ihren Unterhaltsanspruch gegen den allein oder überwiegend für schuldig erklärten Mann die Erträgnisse anrechnen lassen, die sie durch eine ihr mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit erlangen könnte (vgl. auch BSG 5, 179 ff). Ihre Unterhaltsbedürftigkeit entfällt, wenn sie eine sich ihr bietende Gelegenheit, durch zumutbare Arbeit den angemessenen Unterhalt selbst zu verdienen, ungenutzt läßt. Darüber, ob die im Mai 1917 geborene Klägerin durch eine ihr mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit ihren Unterhalt hätte selbst verdienen können, enthält das angefochtene Urteil keine Feststellungen.
Auch die vom LSG angenommene Unterhaltsfähigkeit des geschiedenen Mannes erscheint fraglich; denn es läßt sich auf Grund der Feststellungen in dem angefochtenen Urteil nicht beurteilen, ob der eigene angemessene Unterhalt des Mannes noch gewährleistet war, wenn er der Klägerin als Unterhalt den Betrag von monatlich 100 DM hätte zahlen müssen, so daß ihm für seine Lebenshaltung nur ein Betrag von 216 DM monatlich verblieben wäre. Nach § 59 Abs. 1 Satz 1 EheG braucht der allein oder überwiegend für schuldig erklärte Ehemann nur so viel zu leisten, als es mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse der geschiedenen Ehegatten der Billigkeit entspricht, wenn er durch Gewährung des im § 58 EheG bestimmten Unterhalts bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen den eigenen angemessenen Unterhalt gefährden würde. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 28. November 1963 (SozR Nr. 15 zu § 1265 RVO) entschieden, daß der beiderseitige Bedarf im entsprechenden Verhältnis eingeschränkt werden muß, wenn bei Gewährung des angemessenen Unterhalts der geschiedenen Frau im Sinne des § 58 EheG der eigene angemessene Unterhalt des Mannes nicht gewährleistet wäre. Schließlich lassen die Feststellungen des LSG keine Beurteilung darüber zu, was als der nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessene Unterhalt der geschiedenen Frau im Sinne des § 58 Abs. 1 Satz 1 EheG anzusehen ist; denn hierfür sind die Lebensverhältnisse der früheren Ehegatten zur Zeit der Scheidung maßgebend (BSG in SozR Nr. 16 zu § 1265 RVO). Auch ist nicht eindeutig zu erkennen, wie der eigene angemessene Unterhalt des geschiedenen Ehemannes im Sinne des § 59 Abs. 1 Satz 1 EheG zu bewerten ist, der sich nach den seit dem 1. Oktober 1961 vorliegenden Lebensverhältnissen der geschiedenen Eheleute richtet (BGB Palandt, 25. Aufl., EheG § 59 Anm. 4).
Die bisherigen Feststellungen des LSG ergeben nicht, daß die Klägerin unterhaltsbedürftig und der geschiedene Mann unterhaltsfähig gewesen ist und daß die Klägerin infolge Auflösung der zweiten Ehe gegen den geschiedenen Mann einen Unterhaltsanspruch von monatlich etwa 100 DM erworben hat, um den sich die wiederaufgelebte Witwenrente gemäß § 1291 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. RVO vom 1. Oktober 1961 an mindert. Das LSG wird auch die insoweit notwendigen Feststellungen noch zu treffen haben; auch aus diesen Gründen muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden, und zwar soweit das Urteil über den Rentenanspruch der Klägerin für die Zeit vom 1. Oktober 1961 an entschieden hat.
Die Entscheidung über die Erstattung außergerichtlicher Kosten im Revisionsverfahren bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen