Leitsatz (amtlich)

Die nach RKG § 83 Abs 3 (= RVO § 1291 Abs 2) wiederaufgelebte Witwenrente aus 1. Ehe ist gegenüber dem Anspruch der Frau gegen ihren geschiedenen 2. Ehemann auf einen Unterhaltsbeitrag nach EheG § 60 subsidiär.

 

Normenkette

RKG § 83 Abs. 3 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1291 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; EheG § 60 Fassung: 1946-02-20

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. August 1967 aufgehoben, soweit es die Zeit vom 1. April 1962 bis zum 30. April 1963 betrifft. Insoweit wird der Rechtsstreit an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

 

Gründe

I

Unter den Beteiligten ist streitig, ob und in welcher Höhe bei einer wiederaufgelebten Witwenrente der Klägerin aus der Versicherung ihres ersten, verstorbenen Ehemannes ein Anspruch auf Unterhaltsbeitrag nach § 60 Ehegesetz (EheG) gegen den von ihr geschiedenen zweiten Ehemann anzurechnen ist (§ 83 Abs. 3 des Reichsknappschaftsgesetzes - RKG -).

Die Klägerin hatte aus der Versicherung ihres am 24. Oktober 1957 verstorbenen ersten Ehemannes ab 1. November 1957 eine Witwenrente aus der knappschaftlichen Versicherung bezogen. Am 19. März 1960 verheiratete sie sich wieder, so daß die Witwenrente gemäß § 83 Abs. 1 RKG mit Ablauf des Monats März 1960 wegfiel. Als Abfindung wurde der Betrag von DM 7212,- gezahlt (§ 83 Abs. 2 RKG).

Die zweite Ehe der Klägerin wurde durch Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 2. Januar 1962 (rechtskräftig seit dem 7. März 1962) aus beiderseitigem Verschulden der Ehegatten geschieden. Mit Bescheid vom 12. Juli 1962 gewährte die Beklagte der Klägerin ab 1. April 1962 eine wiederaufgelebte Witwenrente nach ihrem ersten Ehemann. Die Witwenrente wurde mit DM 330,20 errechnet. Von diesem Betrag behielt die Beklagte DM 175,- als Unterhaltsanspruch gegen den geschiedenen zweiten Ehemann, DM 30,- als Rückzahlung auf die gezahlte Abfindung und DM 1,20 für Sterbegeldzusatzversicherung ein, so daß monatlich noch DM 124,- ausbezahlt wurden. Bei der Festsetzung des Unterhaltsanspruchs an den zweiten, geschiedenen Ehemann ging die Beklagte davon aus, daß dieser ein Knappschaftsruhegeld in Höhe von DM 875,10 erhielt und daher ein Unterhaltsanspruch in Höhe von DM 175,- gegeben sei. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13. November 1962 zurückgewiesen.

Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Duisburg mit Urteil vom 28. Juli 1964 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin die wiederaufgelebte Witwenrente aus der Versicherung ihres ersten, verstorbenen Ehemannes ohne Anrechnung eines Unterhaltsanspruchs gegen ihren geschiedenen zweiten Ehemann zu zahlen. Die Klägerin hatte in der Zwischenzeit eine Unterhaltsklage gegen ihren geschiedenen Ehemann vor dem Amtsgericht in Herne erhoben. Dieses hatte ihr mit Urteil vom 17. Dezember 1963 ab 1. Mai 1963 einen Anspruch auf einen monatlichen Unterhaltsbeitrag gegen ihren geschiedenen Ehemann in Höhe von DM 30,- zugesprochen und hinsichtlich weitergehender Ansprüche die Klage abgewiesen. Die dagegen von der Klägerin eingelegte Berufung hatte das Landgericht in Bochum mit Urteil vom 28. April 1964 zurückgewiesen. Das SG hat auch die zugesprochenen DM 30,- nicht auf die wiederaufgelebte Witwenrente angerechnet, weil nach seiner Ansicht der Anspruch auf Leistung eines Unterhaltsbeitrages nach § 60 EheG kein echter Unterhaltsanspruch sei. Er sei nicht dazu bestimmt, den gesamten Lebensbedarf des Berechtigten sicherzustellen. Ein solcher Anspruch könne daher auf die wiederaufgelebte Witwenrente nicht angerechnet werden.

Auf die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 15. August 1967 das Urteil des SG geändert und die Beklagte vorbehaltlich der endgültigen Entscheidung einer von der Klägerin erhobenen Abänderungsklage verurteilt, bei der Zahlung der Witwenrente für die Zeit vom 1. Mai 1963 an einen Betrag von monatlich DM 30,- als Unterhaltsbeitrag ihres geschiedenen zweiten Ehemannes anzurechnen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.

Mit der vor Erlaß dieses Urteils vor dem Amtsgericht Herne betriebenen Abänderungsklage nach § 323 der Zivilprozeßordnung hatte die Klägerin von ihrem geschiedenen zweiten Ehemann einen Unterhaltsbetrag in Höhe von DM 90,- mtl. gefordert. Diese Klage ist durch Urteil des Amtsgerichts Herne vom 27. Mai 1966 abgewiesen worden. Das Amtsgericht ging bei seiner Entscheidung davon aus, daß der Witwenrentenanspruch der Klägerin aus der Versicherung ihres ersten, verstorbenen Ehemannes wiederaufgelebt und auf diese Witwenrente kein Unterhaltsanspruch gegen den geschiedenen zweiten Ehemann anzurechnen sei, weil es sich bei dem Unterhaltsbeitrag nach § 60 EheG um keinen echten Unterhaltsanspruch handele. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt.

Das LSG führt zur Begründung seines Urteils vom 15. August 1967 aus, der Klägerin stehe ein höherer Unterhaltsbetrag als DM 30,- mtl. gegen ihren geschiedenen Ehemann nicht zu, solange das amtsgerichtliche Urteil, das den geschiedenen Ehemann zur Zahlung einer monatlichen Unterhaltsrente von DM 30,- vom 1. Mai 1963 ab verurteilt habe, bestehe. Die Beklagte könne daher für den entsprechenden Zeitraum höchstens diesen Betrag zur Anrechnung bringen. Der Anspruch nach § 60 EheG sei zwar ein Unterhaltsanspruch im Sinne von § 83 Abs. 3 RKG, dennoch komme aber dieser Anspruch im Rahmen des § 83 Abs. 3 Satz 1 RKG grundsätzlich nicht zur Anrechnung, weil er gegenüber dem Anspruch auf die wiederaufgelebte Rente subsidiär sei. Wenn auch grundsätzlich der Anspruch auf Unterhalt gegen den geschiedenen Ehemann dem Anspruch auf die wiederaufgelebte Witwenrente vorgehe, so könne diese Rangordnung doch nicht gelten, wenn es sich bei dem Anspruch gegen den geschiedenen Mann um einen Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag nach § 60 EheG handele. Ein solcher Unterhaltsbeitrag komme im Verhältnis zivilrechtlicher Unterhaltsansprüche zueinander grundsätzlich in letzter Linie in Betracht, und diese Subsidiarität müsse auch im Verhältnis zu einer wiederaufgelebten Rente gelten.

Im vorliegenden Falle bestehe allerdings für die Zeit ab 1. Mai 1963 die Besonderheit, daß der Klägerin ein Unterhaltsanspruch von mtl. DM 30,- gegenüber ihrem geschiedenen Ehemann rechtskräftig zuerkannt worden sei. Daher sei es hier trotz der Subsidiarität des Anspruches nach § 60 EheG gerechtfertigt, den Anspruch aus dem Unterhaltstitel in Höhe von mtl. DM 30,- vom 1. Mai 1963 ab auf die wiederaufgelebte Rente anzurechnen. Für die Zeit vor dem 1. Mai 1963 (vom 1. April 1962 bis zum 30. April 1963) komme allerdings die Anrechnung eines Unterhaltsanspruches nicht in Betracht, denn die Klägerin habe für diese Zeit keinen Unterhaltsanspruch erworben. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat Revision eingelegt und zur Begründung vorgetragen, der Versicherungsträger sei verpflichtet, selbständig zu prüfen, ob ein Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehefrau gegen ihren früheren Ehemann gegeben sei, denn ebenso wie bei § 65 RKG sei auch bei § 83 Abs. 3 RKG die Unterhaltspflicht nach § 60 EheG aus dem Gesetz und nicht aus einem den Unterhaltsbeitrag zusprechenden zivilrechtlichen Urteil herzuleiten. Das ergangene Unterhaltsurteil sei unrichtig, und eine Bindung der Versicherungsträger an unrichtige Unterhaltsurteile bestehe nicht. Es sei nicht richtig, daß die Subsidiarität wiederaufgelebter Renten gegenüber Unterhaltsansprüchen aus § 60 EheG wegfalle. Das Urteil des LSG sei auch widerspruchsvoll, denn einmal verneine es die Anrechenbarkeit eines dem Grunde nach bestehenden Unterhaltsanspruches nach § 60 EheG, zum anderen bejahe es aber die Anrechenbarkeit eines auf der Durchführung eines Unterhaltsprozesses beruhenden Unterhaltstitels, der sich aus § 60 EheG ergebe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. August 1967 und das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 28. Juli 1964 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat im Schriftsatz vom 23. Januar 1968 beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.

II

Die Revision der Beklagten ist teilweise begründet.

Nach § 83 Abs. 3 RKG lebt, wenn sich die Witwe eines Versicherten wiederverheiratet hat und die 2. Ehe ohne ihr alleiniges oder überwiegendes Verschulden später aufgelöst wird, der Anspruch auf Witwenrente aus der 1. Ehe wieder auf. Jedoch ist ein von der Witwe infolge Auflösung der 2. Ehe ... erworbener neuer Unterhaltsanspruch auf die Witwenrente anzurechnen.

Die zweite Ehe der Klägerin ist auf Klage und Widerklage aus beiderseitigem Verschulden geschieden worden. An den Schuldausspruch im Ehescheidungsurteil sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit grundsätzlich gebunden (vgl. Bundessozialgericht - BSG - SozR RVO § 1291 Nr. 21, 25 und 26). Als Grundlage für Unterhaltsansprüche der Klägerin gegen ihren geschiedenen Ehemann kommt demnach nur § 60 EheG in Betracht.

Wie das BSG bereits zu dem dem § 65 RKG entsprechenden § 1265 der Reichsversicherungsordnung (RVO) entschieden hat, stellt der Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag nach § 60 EheG einen Unterhaltsanspruch dar, der - sofern seine Voraussetzungen vorliegen- kraft Gesetzes mit der Rechtskraft der Ehescheidung entsteht, ohne daß es hierzu einer richterlichen Entscheidung bedarf (vgl. SozR RVO § 1265 Nr. 29).

Ein Anspruch nach § 60 EheG ist daher bei der Anwendung des § 83 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 RKG auf die wiederaufgelebte Witwenrente der Klägerin auch dann anzurechnen, wenn er noch nicht zivilgerichtlich festgestellt ist.

Die wiederaufgelebte Witwenrente ist gegenüber dem Unterhaltsanspruch aus der zweiten Ehe subsidiär (vgl. SozR RVO § 1291 Nr. 7,9 und 16). Aus dem Sinn und Zweck der wiederaufgelebten Witwenrente ergibt sich, daß dies auch dann gilt, wenn es sich bei dem Unterhaltsanspruch der geschiedenen Frau um einen solchen aus § 60 EheG handelt.

Die Möglichkeit des Wiederauflebens einer Witwenrente soll die Scheu einer Witwe vor einer Wiederheirat wegen Verlustes der Witwenrente mindern. Sie soll deshalb bei einer von ihr nicht überwiegend verschuldeten Auflösung ihrer zweiten Ehe im Ergebnis materiell wieder so gestellt werden, wie sie stehen würde, wenn sie sich nicht ein zweites Mal verheiratet hätte. Man muß sich jedoch darüber klar sein, daß das Wiederaufleben einer Witwenrente nach Auflösung der zweiten Ehe eine Ausnahme von dem Grundsatz darstellt, daß die Witwenrente mit Ablauf des Monats entfällt, in dem die Berechtigte wieder heiratet (§ 83 Abs. 1 RKG). Der Zweck dieser Regelung, die Scheu der Witwe vor einer zweiten Eheschließung zu mindern, und die Tatsache, daß es sich nur um eine Ausnahmeregelung handelt, läßt ein Wiederaufleben der Witwenrente nur dann zu, wenn die geschiedene Frau aus der 2. Ehe nicht ausreichend versorgt ist. Es muß also zunächst geprüft werden, ob die geschiedene Frau ohne Berücksichtigung der evtl. wiederauflebenden Ansprüche aus erster Ehe durch die Unterhaltsansprüche gegen ihren zweiten Ehemann ausreichend versorgt ist. Erst wenn und soweit dies nicht der Fall ist, kommen wiederauflebende Hinterbliebenenansprüche aus der ersten Ehe in Betracht.

Die Ansicht der Beklagten, daß der Unterhaltsanspruch einer geschiedenen Frau nach § 60 EheG ohne Berücksichtigung eines Anspruchs auf wiederaufgelebte Witwenrente zu berechnen und auf die an sich wiederauflebende Witwenrente anzurechnen ist, ist daher richtig, solange hierüber keine zivilgerichtliche Entscheidung vorliegt.

Im vorliegenden Falle fehlt es an einer solchen Entscheidung für die Zeit vom 1. April 1962 bis 30. April 1963. Für diese Zeit muß also noch geprüft werden, welchen Unterhaltsbeitrag der geschiedene Ehemann an die Klägerin zu zahlen gehabt hätte, wenn diese keinen Anspruch auf eine wiederaufgelebte Witwenrente hätte. Die Prüfung ist vom LSG nicht vorgenommen worden, weil es nach der von ihm vertretenen Rechtsansicht einer solchen Prüfung nicht bedurfte. Das BSG kann diese Prüfung nicht vornehmen, weil das LSG die hierfür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen (Arbeitsfähigkeit und sonstiges Einkommen der Klägerin - ohne die wiederaufgelebte Rente -, die von ihr zu zahlende Miete und dergl. mehr) nicht getroffen hat. Der Rechtsstreit muß daher an das LSG zurückverwiesen werden, damit diese Prüfung noch nachgeholt werden kann. Erst dann kann die Differenz zwischen dem zu ermittelnden Unterhaltsbeitrag und der wiederaufgelebten Witwenrente, d. h. also der Betrag, den der Versicherungsträger der Klägerin noch auszuzahlen hat, ermittelt werden.

Für die Zeit vom 1. Mai 1963 an ist der Klägerin durch die Urteile des Amtsgerichts Herne vom 17. Dezember 1963 und des Landgerichts Bochum vom 28. April 1964 rechtskräftig ein monatlicher Unterhaltsbeitrag in Höhe von DM 30,- zugesprochen worden. Mit Recht ist das LSG zu dem Ergebnis gekommen, daß auf die wiederaufgelebte Witwenrente ab 1. Mai 1963 nur ein Unterhaltsanspruch in Höhe von DM 30,- monatlich anzurechnen ist. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob die Zivilgerichte bei der Festsetzung des Unterhaltsanspruchs von den in diesem Urteil aufgezeigten Rechtsgrundsätzen ausgegangen sind. Entscheidend ist, daß die Klägerin ihre Unterhaltsansprüche nur in der von den Zivilgerichten festgestellten Höhe verwirklichen kann. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist aber ein neuer Unterhaltsanspruch der Witwe dann nicht gemäß § 83 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 RKG auf die wiederaufgelebte Rente anzurechnen, wenn er nicht zu verwirklichen ist (vgl. SozR RVO § 1291 Nr. 10, 12, 22). Die Klägerin hat in den Unterhaltsprozessen alle geeigneten, billigerweise von ihr zu erwartenden Mittel ergriffen, um ihren Unterhaltsanspruch durchzusetzen. Ein in der Zeit nach dem 1. Mai 1963 vorhandener Unterhaltsanspruch gegen den geschiedenen Mann kann von ihr nur im Rahmen der ergangenen Urteile bzw. im Rahmen des im Urteil des LSG enthaltenen Vorbehalts verwirklicht werden.

Über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens wird das LSG mitzuentscheiden haben.

 

Fundstellen

BSGE, 220

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