Leitsatz (amtlich)
Die nach RKG § 83 Abs 3 (RVO § 1291 Abs 2) wiederaufgelebte Witwenrente ist nicht nur gegenüber Unterhaltsansprüchen nach den EheG §§ 58, 59, sondern auch gegenüber einem Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag nach EheG § 60 subsidiär. Dies bedeutet, daß sie bei der Festsetzung des Unterhaltsbeitrags nicht zu berücksichtigen ist.
Verzichtet die wiederverheiratete Witwe eines Versicherten bei der Scheidung ihrer 2. Ehe auf Unterhalt gegenüber ihrem 2. Ehemann, so ist auf die wiederaufgelebte Witwenrente der Unterhaltsanspruch anzurechnen, der ihr ohne den Verzicht nach dem EheG zustehen würde.
Normenkette
RKG § 83 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1291 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; EheG § 58 Fassung: 1946-02-20, § 59 Fassung: 1946-02-20, § 60 Fassung: 1946-02-20
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. November 1969 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Unter den Beteiligten ist streitig, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe bei der wiederaufgelebten Witwenrente der Klägerin aus der Versicherung ihres ersten, verstorbenen Ehemannes ein Anspruch auf Unterhaltsleistung nach § 60 Ehegesetz (EheG) gegen den von ihr geschiedenen zweiten Ehemann anzurechnen ist (§ 83 Abs. 3 des Reichsknappschaftsgesetzes - RKG -).
Die Klägerin hatte aus der Versicherung ihres am 24. November 1945 verstorbenen ersten Ehemannes eine Witwenrente aus der knappschaftlichen Versicherung bezogen. Am 5. Mai 1964 verheiratete sie sich wieder, so daß die Witwenrente gem. § 83 Abs. 1 RKG mit Ablauf des Monats Mai 1964 wegfiel. Als Abfindung wurde ein Betrag von 7794,- DM gezahlt (§ 83 Abs. 2 RKG). Die zweite Ehe der Klägerin wurde durch Urteil des Landgerichts Bochum vom 28. Juni 1965 (rechtskräftig seit dem 28. Juni 1965) aus beiderseitigem Verschulden der Ehegatten geschieden. Vorher hatten die Parteien in einem Vergleich für den Fall der Scheidung wechselseitig auf Unterhalt einschließlich des Notbedarfs verzichtet.
Mit Bescheid vom 24. November 1967 erkannte die Beklagte vom 1. März 1967 (Monat der Antragstellung) einen Anspruch auf eine wiederaufgelebte Witwenrente in Höhe von 192,80 DM monatlich an. Für die erhaltene Witwenrentenabfindung wurde die Rente um 10,- DM monatlich gekürzt. Außerdem wurde auf die wiederaufgelebte Witwenrente ab 1. Juli 1967 ein Unterhaltsbeitrag von 160 DM angerechnet, den nach Ansicht der Beklagten der geschiedene Ehemann als Unterhaltsbeitrag von seinem Knappschaftsruhegeld in Höhe von 660,70 DM zu zahlen gehabt hätte, wenn die Klägerin nicht auf Unterhaltsansprüche verzichtet hätte. Auf den dagegen eingelegten Widerspruch änderte die Widerspruchsstelle den Bescheid der Beklagten vom 24. November 1967 dahin ab, daß auf die ab 1. März 1967 wiederaufgelebte Witwenrente ab Juli 1967 nur ein Unterhaltsanspruch in Höhe von 60,- DM monatlich anzurechnen sei.
Auf die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Gelsenkirchen die Beklagte mit Urteil vom 18. April 1969 verurteilt, die wiederaufgelebte Witwenrente ohne Anrechnung eines Unterhaltsanspruchs gegen den geschiedenen Ehemann zu zahlen. Die dagegen eingelegte Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 13. November 1969 zurückgewiesen. Der allein in Betracht kommende Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag nach § 60 EheG sei gegenüber einem Anspruch auf eine wiederaufgelebte Witwenrente subsidiär; denn ein Anspruch auf einen Unterhaltsanspruch entfalle selbst dann, wenn die Verwandten der geschiedenen und bedürftigen Frau diese unterhalten könnten. Der Gesetzgeber wolle in diesen Fällen den geschiedenen Ehegatten von einer Unterhaltspflicht weitgehend verschonen. Diese Grundrichtung habe durch § 83 Abs. 3 RKG nicht geändert werden sollen. Für die Subsidiarität des Anspruchs nach § 60 EheG sprechen nach Ansicht des LSG auch pragmatische Gründe. Wenn man nämlich die Höhe dieses Anspruchs ohne Berücksichtigung der Wiederauflebensrente festsetzen würde, könne die geschiedene Ehefrau unter Umständen später mit der Wiederauflebensrente besser als der geschiedene Ehemann gestellt sein. Ein solches Ergebnis entspräche aber nicht dem Sinn des § 60 EheG. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.
Die Beklagte macht mit der Revision geltend, die Auffassung des LSG stimme nicht mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) überein.
Sie beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts vom 13. November 1969 und das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 18. April 1969 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Klägerin hält die Auffassung der Beklagten für richtig und weist außerdem darauf hin, daß sie auch dann keinen Unterhaltsanspruch nach § 60 EheG gegen ihren geschiedenen Ehemann haben würde, wenn ihre aufgelebte Witwenrente unberücksichtigt bleiben müßte. Ein solcher Anspruch hänge von ihrer Bedürftigkeit und darüber hinaus auch davon ab, ob es der Billigkeit entspreche, den geschiedenen Ehemann mit einem Unterhaltsanspruch zu belasten. Bei dieser Billigkeitserwägung müsse auch die Frage geprüft werden, wie lange die Ehe bestanden habe und ob sich aufgrund der gemeinschaftlichen Lebensverhältnisse eine Verpflichtung des Mannes ergeben hätte, auf Dauer für seine Frau aufzukommen. Während der kurzen Dauer der kinderlosen Ehe habe sich aber eine echte Ehegemeinschaft überhaupt nicht gebildet gehabt. Deshalb wäre es auch nicht billig, dem Ehemann nach einer so kurzen Ehe eine auf Lebenszeit währende Unterhaltsverpflichtung aufzuerlegen.
II
Die Revision der Beklagten ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen wird. Zur Entscheidung des Rechtsstreits sind noch weitere Feststellungen erforderlich, die das Revisionsgericht nicht treffen kann.
Nach § 83 Abs. 3 Satz 1 RKG lebt, wenn sich die Witwe eines Versicherten wiederverheiratet hat und die zweite Ehe ohne ihr alleiniges oder überwiegendes Verschulden später aufgelöst wird, der Anspruch auf Witwenrente aus der ersten Ehe wieder auf. Jedoch ist ein von der Witwe infolge Auflösung der zweiten Ehe erworbenen neuer Versorgungs-, Unterhalts- oder Rentenanspruch auf die Witwenrente anzurechnen.
Die zweite Ehe der Klägerin ist auf Klage und Widerklage aus beiderseitigem Verschulden geschieden worden, nachdem die Parteien vorher durch gerichtlichen Vergleich wechselseitig auf Unterhalt einschließlich des Notbedarfs verzichtet hatten. Dieser Verzicht ist für die Entscheidung des Rechtsstreits ohne Bedeutung. Der Sinn und Zweck der in § 83 Abs. 3 RKG getroffenen Regelung erfordert auch die Anrechnung von Unterhaltsansprüchen, die wegen eines Verzichts der Witwe zwar nicht erworben wurden, ohne den Verzicht aber erworben worden wären. Die wiederaufgelebte Witwenrente soll nach Auflösung der zweiten Ehe grundsätzlich die gleiche Versorgung gewährleisten, wie sie vor der Wiederverheiratung nach der ersten Ehe gegeben war. Soweit diese Versorgung aus den infolge der Auflösung der zweiten Ehe neu erworbenen Ansprüche nicht bestritten werden kann, soll die wiederaufgelebte Witwenrente die entstandene Versorgungslücke füllen. Der Sinn dieser Regelung verbietet es aber, daß die Witwe durch einen Unterhaltsverzicht selbst eine solche Versorgungslücke schaffen kann, die durch eine wiederaufgelebte Witwenrente auszufüllen wäre. Daher ist dann, wenn eine wiederverheiratete Witwe bei der Scheidung ihrer zweiten Ehe auf Unterhalt verzichtet, auf die wiederaufgelebte Witwenrente der Unterhaltsanspruch anzurechnen, der der Witwe ohne den Verzicht nach dem Ehegesetz zustehen würde (BSG SozR Nr. 9 zu § 1291 RVO).
An den Schuldausspruch im Ehescheidungsurteil sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit grundsätzlich gebunden (BSG SozR Nr. 21, 25, 26 und 29 zu § 1291 RVO). Als Grundlage für Unterhaltsansprüche der Klägerin gegen ihren geschiedenen Ehemann kommt also nur § 60 EheG in Betracht.
Wie das BSG bereits mehrfach entschieden hat (SozR Nr. 29 zu § 1265 RVO und Nr. 29 zu § 1291 RVO), stellt der Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag nach § 60 EheG einen Unterhaltsanspruch dar, der - sofern seine Voraussetzungen vorliegen - kraft Gesetzes mit der Rechtskraft der Ehescheidung entsteht, ohne daß es hierzu einer richterlichen Entscheidung bedarf. Ein Anspruch nach § 60 EheG ist daher bei der Anwendung des § 83 Abs. 3 RKG auf die wiederaufgelebte Witwenrente der Klägerin auch dann anzurechnen, wenn er noch nicht zivilgerichtlich festgestellt ist.
Die wiederaufgelebte Witwenrente ist gegenüber dem Unterhaltsanspruch aus der zweiten Ehe subsidiär (BSG in SozR Nr. 7, 9, 16 und 29 zu § 1291 RVO). Aus dem Sinn und Zweck der wiederaufgelebten Witwenrente ergibt sich, daß dies auch dann gilt, wenn es sich bei dem Unterhaltsanspruch der geschiedenen Frau um einen solchen aus § 60 EheG handelt.
Die Möglichkeit des Wiederauflebens einer Witwenrente soll die Scheu einer Witwe vor einer Wiederheirat wegen Verlustes der Witwenrente mindern. Sie soll deshalb nach einer von ihr nicht überwiegend verschuldeten Auflösung ihrer zweiten Ehe im Ergebnis materiell wieder so gestellt werden, wie sie stehen würde, wenn sie sich nicht ein zweites Mal verheiratet hätte. Das Wiederaufleben einer Witwenrente nach Auflösung der zweiten Ehe stellt eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, daß die Witwenrente mit Ablauf des Monats entfällt, in dem die Berechtigte wieder heiratet (§ 83 Abs. 1 RKG). Dieser Ausnahmecharakter und der Zweck dieser Regelung, die Scheu der Witwe vor einer zweiten Eheschließung zu mindern, lassen ein Wiederaufleben der Witwenrente nur dann und nur insoweit zu, als die geschiedene Frau aus der zweiten Ehe keinen Versorgungsanspruch in Höhe der Witwenrente nach dem ersten Ehemann hat. Daher muß in derartigen Fällen zuerst geprüft werden, ob und inwieweit die geschiedene Frau ohne Berücksichtigung des wiederauflebenden Witwenrentenanspruchs aus erster Ehe durch Ansprüche aus der zweiten Ehe versorgt ist. Bestehen solche Ansprüche nicht, wird die wiederaufgelebte Witwenrente in voller Höhe gezahlt. Anderenfalls sind sie auf die Witwenrente anzurechnen. Daraus ergibt sich, daß diese nicht gewährt wird, wenn die Ansprüche aus der zweiten Ehe ebenso hoch oder höher als die Witwenrente sind. Es ist nicht richtig, wenn das LSG meint, durch eine solche Regelung werde die Grundrichtung des § 60 EheG, den geschiedenen Ehegatten in diesen Fällen weitgehend von einer Unterhaltspflicht zu verschonen, geändert. Diese Vorschrift bleibt völlig unberührt, und gegen den geschiedenen Ehemann können Unterhaltsansprüche nur in dem beschränkten Umfange geltend gemacht werden, den der § 60 EheG zuläßt. Der geschiedene Ehemann hat dadurch, daß die Ehefrau unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf eine wiederaufgelebte Witwenrente hat, lediglich keine Vorteile. Das wäre aber auch nicht im Sinne der gesetzlichen Regelung des § 83 Abs. 3 RKG, der allein die geschiedene Ehefrau und nicht den geschiedenen Ehemann begünstigen will. Die berechtigten Interessen des geschiedenen Ehemannes werden durch die strengen Voraussetzungen, unter denen nach § 60 EheG ein Anspruch der Witwe auf einen Unterhaltsbeitrag besteht, ausreichend gewahrt.
Vor Feststellung der Höhe der wiederaufgelebten Witwenrente der Klägerin muß also geprüft werden, ob und in welcher Höhe ihr ein Anspruch auf Unterhaltsbeitrag nach § 60 EheG gegen ihren geschiedenen Mann zustehen würde, falls sie darauf nicht verzichtet hätte. Dabei ist die wiederauflebende, aber in ihrer Höhe noch nicht feststellbare Witwenrente nicht zu berücksichtigen. Diese Prüfung ist vom LSG nicht vorgenommen worden, weil es nach der von ihm vertretenen Rechtsansicht einer solchen Prüfung nicht bedurfte. Das BSG kann diese Prüfung nicht vornehmen, weil das LSG die hierfür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen (Bedürfnisse und Vermögens- und Einkommensverhältnisse des geschiedenen Ehemannes, seine sonstigen Unterhaltsverpflichtungen, Arbeitsfähigkeit und sonstiges Einkommen der Klägerin - ohne die wiederaufgelebte Rente -, die von ihr zu zahlende Miete, die sonstigen unterhaltspflichtigen Verwandten und dergl. mehr) nicht getroffen hat. Bei dieser Prüfung kann aber nicht - wie die Revision meint - auch die Dauer der zweiten Ehe bedeutsam sein (vgl. BGH in Lindenmaier/Möhring Nr. 1 zu § 60 Ehe-G).
Der Senat mußte daher den Rechtsstreit an das LSG zurückverweisen, damit die notwendige Prüfung noch nachgeholt werden kann. Erst dann kann die Differenz zwischen dem zu ermittelnden Unterhaltsbeitrag und der wiederaufgelebten Witwenrente, d.h. also der Betrag, den der Versicherungsträger der Klägerin noch auszuzahlen hat, ermittelt werden.
Über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens wird das LSG mitzuentscheiden haben.
Fundstellen