Leitsatz (amtlich)

Eine geschiedene Frau mit nur einem Kind erfüllt nach erneuter Eheschließung nicht mehr die Voraussetzungen für die Ausbildungszulage nach BKGG § 14a Abs 1 S 1 Halbs 2 aF (BKGG § 14a Abs 1 S 1 Buchst c nF); dies gilt auch, wenn der neue Ehepartner dem Stiefkind gegenüber nicht unterhaltspflichtig ist.

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Rechtsanwendung findet nicht ihre Grenze in der Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter dem Wortlaut einer Rechtsnorm. Es muß der vom Gesetz verfolgte Sinn und Zweck der Regelung erforscht werden, sofern er im Gesetz überhaupt, wenn auch unvollkommen, zum Ausdruck gekommen ist. Ergibt sich dabei, daß der Gedanke des Gesetzes einen zu engen oder zu weiten und daher unrichtigen Ausdruck gefunden hat, so ist eine berichtigende Auslegung geboten.

 

Normenkette

BKGG § 14a Abs. 1 S. 1 Hs. 2 Fassung: 1965-04-05, S. 1 Buchst. c Fassung: 1966-12-23

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. Mai 1968 aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 6. Juli 1966 zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin hat aus ihrer im Jahre 1961 geschiedenen Ehe eine Tochter, E. B., geboren ... 1948. Durch Beschluß des Amtsgerichts München vom 22. Februar 1962 ist ihr die elterliche Gewalt über die Tochter übertragen worden. Seit dem 30. April 1965 ist die Klägerin in zweiter Ehe kinderlos verheiratet. Die Tochter lebt im gemeinsamen Haushalt der Mutter und des Stiefvaters; sie besuchte bis 1967 ein Realgymnasium, danach studierte sie an der Universität München.

Im August 1965 beantragte die Klägerin beim Arbeitsamt München - Kindergeldkasse -, ihr Ausbildungszulage für ihre Tochter E. zu gewähren.

Mit Bescheid vom 8. November 1965 bewilligte das Arbeitsamt der Klägerin Ausbildungszulage nur für den Monat April 1965. Es lehnte weitere Leistungen mit der Begründung ab, bei Personen mit nicht mehr als einem Kind könne Ausbildungszulage nur gewährt werden, wenn sie verwitwet, geschieden oder ledig sind; da die Klägerin seit dem 30. April 1965 wiederverheiratet sei, werde Ausbildungszulage nur für den Monat April gezahlt. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 1966).

Die hiergegen erhobene Klage ist vom Sozialgericht München mit Urteil vom 6. Juli 1966 abgewiesen worden. Auf die Berufung der Klägerin hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 8. Mai 1968 die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und den Bescheid der Beklagten vom 8. November 1965 "dahin abgeändert, daß der Klägerin die Ausbildungszulage für die Tochter E. B. über den 30. April 1965 hinaus weitergewährt wird".

Es hat zur Begründung ausgeführt: Nach dem Sinn und Zweck des § 14 a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) idF des Gesetzes vom 5. April 1965 (BGBl I 222) sei die Ausbildungszulage auch dann zu gewähren, wenn sich die bezugsberechtigte alleinstehende Mutter verheirate, ohne daß der Ehegatte dem Kind gegenüber unterhaltspflichtig werde. Da der jetzige Ehemann der Klägerin seinem Stiefkind gegenüber nicht unterhaltspflichtig sei, stehe der Klägerin die Ausbildungszulage auch nach ihrer Wiederverheiratung zu. Die Ausbildungszulage sei nicht aufgrund des § 14 a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c BKGG idF des Finanzplanungsgesetzes vom 23. Dezember 1966 (BGBl I 697) entfallen, weil die nicht berufstätige Klägerin die dort festgesetzte Einkommensgrenze von 7800 DM jährlich nicht überschritten habe. Die Ausbildungszulage entfalle allerdings (spätestens) mit Ablauf des Jahres 1967, weil § 14 a BKGG seit dem 1. Januar 1968 durch Art. 10 Nr. 7 des Finanzänderungsgesetzes 1967 vom 21. Dezember 1967 (BGBl I 1259) gestrichen worden sei.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Mit der - form- und fristgerecht eingelegten - Revision beantragt die Beklagte,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 6. Juli 1966 zurückzuweisen.

Sie rügt, das LSG habe gegen § 14 a BKGG idF des Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des BKGG vom 5. April 1965 (BGBl I 222), des Art. 7 des Haushaltssicherungsgesetzes vom 20. Dezember 1965 (BGBl I 2065) und des Art. 9 des Finanzplanungsgesetzes vom 23. Dezember 1966 (BGBl I 697) sowie gegen § 32 des Haushaltsgesetzes 1967 vom 4. Juli 1967 (BGBl II 1961) verstoßen. Die vom LSG vertretene Ansicht stehe im Widerspruch zu der typisierenden Betrachtungsweise des Gesetzgebers bei der Abgrenzung der Ausnahmefälle in § 14 a BKGG.

Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist zulässig, sie ist auch begründet. Wie sich aus den zur Auslegung des erkennenden Teils des Berufungsurteils mit heranzuziehenden Entscheidungsgründen ergibt, hat das LSG die Beklagte zur Gewährung der Ausbildungszulage über den 30. April 1965 hinaus nicht ohne zeitliche Begrenzung, sondern nur bis einschließlich Dezember 1967 verurteilt. Es ist mit Recht davon ausgegangen, daß § 14 a BKGG mit Wirkung vom 1. Januar 1968 durch Art. 10 Nr. 7 des Finanzänderungsgesetzes 1967 "gestrichen" worden ist. Bei dieser Begrenzung der der Klägerin zugesprochenen Leistung hat das LSG jedoch übersehen, daß nach § 32 des Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1967 (Haushaltsgesetz 1967) vom 4. Juli 1967 (BGBl II 1961) § 14 a BKGG idF des Finanzplanungsgesetzes vom 23. Dezember 1966 in der Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1967 keine Anwendung findet. Das angefochtene Urteil kann deshalb für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1967 allein schon aus diesem Grunde keinen Bestand haben.

Der Anspruch der Klägerin auf Ausbildungszulage für ihre Tochter ist aber auch für die vorangegangene, von der Klage umfaßte Zeit - 1. Mai 1965 bis 30. Juni 1967 - nicht begründet. Nach dem damals geltenden Recht erhielten Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Geltungsbereich des BKGG für jedes Kind, das zwischen der Vollendung des fünfzehnten und der Vollendung des siebenundzwanzigsten Lebensjahres eine öffentliche oder staatlich anerkennte allgemein- oder berufsbildende Schule oder eine Hochschule besuchte, eine Ausbildungszulage. Personen mit nur einem Kind wurde jedoch Ausbildungszulage nur gewährt, "wenn sie verwitwet, geschieden oder ledig sind" (§ 14 a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BKGG idF vom 5. April 1965 -aF-, § 14 a Abs. 1 Satz 1 Buchst. c idF des Art. 9 des Finanzplanungsgesetzes vom 23. Dezember 1966 -nF-).

Aus dem Wortlaut des Gesetzes läßt sich ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Ausbildungszulage nicht herleiten, Weil sie nicht in demjenigen Familienstande - verwitwet, geschieden oder ledig - lebte, an den die Anspruchsberechtigung für Personen mit nur einem Kind geknüpft war. Maßgebend ist der Familienstand bei der Antragstellung; auf in der Vergangenheit liegende Tatbestände ist nicht zurückzugreifen. Zur Zeit der Antragstellung war die Klägerin aber nicht geschieden, sondern - wieder - verheiratet.

Die Rechtsanwendung findet indes nicht ihre Grenze in der Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter den Wortlaut einer Rechtsnorm. Es muß der vom Gesetz verfolgte Sinn und Zweck der Regelung erforscht werden, sofern er im Gesetz überhaupt, wenn auch unvollkommen, zum Ausdruck gekommen ist. Ergibt sich dabei, daß der Gedanke des Gesetzes einen zu engen oder zu weiten und daher unrichtigen Ausdruck gefunden hat, so ist eine berichtigende Auslegung geboten. Ist eine Lücke im Gesetz festzustellen, so kommt eine ergänzende Rechtsfindung in Betracht, nämlich eine ausdehnende Anwendung der dem Gesetz zu entnehmenden Prinzipien auf Sachverhalte, die den geregelten Tatbeständen rechtsähnlich sind (vgl. BSG 14, 238 ff).

Es findet sich kein Anhalt dafür, daß der Gesetzgeber bei der Gewährung der Ausbildungszulage schon bei einem Kind für "verwitwete, geschiedene oder ledige" Personen sich in der Bezeichnung des Kreises der Anspruchsberechtigten im Ausdruck vergriffen hätte und deshalb eine berichtigende Auslegung des Gesetzes geboten wäre. Die Gesetzesmaterialien lassen im Gegenteil erkennen, daß die Gesetz gewordene Fassung bewußt so und nicht anders gewählt worden ist. Nach dem in der Bundestags-Drucksache IV/3028 enthaltenen Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Arbeit ist die ursprüngliche Fassung des Gesetzentwurfs, welche die in Rede stehende Ausnahme - Ausbildungszulage schon beim einzigen Kind - ganz allgemein für "alleinstehende" Personen vorgesehen hatte, als zu unbestimmt angesehen und deshalb auf Anregung der beiden mitberatenden Ausschüsse dahin geändert worden, daß die Begünstigung "verwitweten, geschiedenen oder ledigen" Personen zugute kommen sollte. Diese - wohldurchdachte - Fassung hat der Gesetzgeber auch beibehalten, als er durch Art. 9 des Finanzplanungsgesetzes vom 23. Dezember 1966 die Gewährung der Ausbildungszulage für einzige Kinder des angeführten Personenkreises von einem Jahreshöchsteinkommen von 7800 DM abhängig gemacht hat. Da überdies die Bedeutung der Personenstandsbezeichnungen "verwitwet", "geschieden" und "ledig" allgemein bekannt und die Bezeichnungen der Gesetzessprache geläufig sind, läßt sich ein Fehlgriff im Ausdruck des Gesetzes nicht feststellen.

Es bleibt somit die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 20. Juni 1967 (BVerfG 22, 100 = SozR Nr. 62 zu Art. 3 GG) aufgeworfene Frage zu prüfen, ob § 14 a BKGG eine sinngemäße Auslegung dahin zuläßt, daß eine geschiedene Mutter mit nur einem Kind auch nach erneuter Eheschließung mit einem dem Kind nicht unterhaltspflichtigen Manne einer geschiedenen Frau gleichzustellen ist. In der angeführten Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht die Versagung der Ausbildungszulage für Einzelkinder Verheirateter - auch für den Fall, daß nicht beide Ehegatten dem Kind unterhaltspflichtig sind - als mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt, aber die Frage nach der Analogiefähigkeit des § 14 a BKGG in dem vom LSG verstandenen Sinne als eine dem einfachen Recht angehörende Frage unentschieden gelassen. Der erkennende Senat hat diese Frage aus folgenden Gründen verneint: Die Rechtsanwendung des LSG wäre nur dann zu billigen, wenn sich aus dem Gesetz ergäbe, daß übersehen worden sei, die gewissen alleinstehenden Personen zugebilligte Vergünstigung in der Gewährung der Ausbildungszulage - die Anspruchsberechtigung bereits mit einem einzigen Kind - auch ehemaligen Verwitweten, Geschiedenen oder Ledigen, vor allem einer geschiedenen Frau in der Lage der Klägerin, zuzugestehen. An dieser Voraussetzung fehlt es jedoch. Wie bereits dargelegt wurde, hat sich der Gesetzgeber besonderer Sorgfalt unterzogen, die zu begünstigenden "Alleinstehenden" möglichst eindeutig zu umschreiben. Schon deshalb erscheint die Annähme nicht gerechtfertigt, es sei vergessen worden, die Gruppe der "früheren Alleinstehenden" besonders zu erwähnen. Dies gilt um so mehr, als der Wechsel vom Personenstand des Verwitwet-, Geschieden- oder Ledigseins zum Personenstand des Verheiratetseins zu den Erscheinungen des täglichen Lebens gehört. Zudem läßt sich dem Plan des Gesetzes nicht die Notwendigkeit entnehmen, "frühere Verwitwete, Geschiedene oder Ledige" nach der Wiederheirat den ledig gebliebenen Personen hinsichtlich der Anspruchsberechtigung für die Ausbildungszulage gleichzustellen, auch nicht für den Fall, daß das Kind des ehemals Alleinstehenden keinen Unterhaltsanspruch gegen den Stiefvater bzw. die Stiefmutter hat. Die zu vergleichenden Personengruppen befinden sich in der Regel nicht in einer - für einen Analogieschluß zu fordernden - rechtsähnlichen Lage. Selbst wenn das Stiefkind keinen Unterhaltsanspruch gegen den neuen Ehegatten der früher alleinstehenden Person hat, so bringt es allein schon die Zugehörigkeit zum gemeinsamen Haushalt des leiblichen Elternteils und des Stiefelternteils - wie in dem hier zu entscheidenden Fall - mit sich, daß auch der Stiefelternteil, dieser aus sittlichen Gründen, zum Unterhalt des Kindes beiträgt. Von dieser Erfahrungstatsache konnte der Gesetzgeber bei der Regelung der Ausbildungszulage ebenso ausgehen, wie er dies beispielsweise bei der Regelung des Kinderzuschusses und der Waisenrente aus der Rentenversicherung getan hat; dort hat er die bloße Aufnahme eines Stiefkindes in den Haushalt des Rentenberechtigten als eine so erhebliche Belastung für den Rentenberechtigten bzw. einen solchen Vorteil für das Kind angesehen, daß er Veranlassung genommen hat, dem Rentenberechtigten einen Kinderzuschuß (§ 1262 Abs. 2 Nr. 2 RVO) und - im Falle des Todes des Rentenberechtigten - dem Kind eine Waisenrente (§ 1267 RVO) zuzugestehen. Aber auch abgesehen von Zuwendungen, die der nicht unterhaltspflichtige neue Ehepartner aus sittlichen Gründen gewährt, lebt eine aus drei Personen bestehende Familie im Regelfall relativ wirtschaftlicher und ist daher eher in der Lage, ihr Kind einer Ausbildung zuzuführen, als eine alleinstehende Person mit einem Kind. Wegen dieser Verschiedenheit in den Lebensverhältnissen einer ledigen und einer wiederverheirateten Person ist die erweiternde Auslegung, welche das LSG dem § 14 a BKGG hat angedeihen lassen, nicht gerechtfertigt.

Ob die von Wickenhagen/Krebs, Kommentar zum Bundeskindergeldgesetz, Randbem. 15 zu § 14 a BKGG aufgezeigten außergewöhnlichen Tatbestände - lebenslange Inhaftierung, Verschollenheit oder Festhaltung eines Ehegatten im feindlichen Ausland - es rechtfertigen, den anderen Ehegatten bei der Anwendung des § 14 a BKGG einer verwitweten, geschiedenen oder ledigen Person gleichzustellen, bedurfte keiner Prüfung, weil der Senat über einen solchen Fall nicht zu entscheiden hatte.

Da nach alledem der Klägerin kein Anspruch auf Ausbildungszulage für die Zeit von Mai 1965 bis Dezember 1967 für ihre Tochter E. B. zusteht, ist auf die Revision der Beklagten das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG München vom 6. Juli 1966 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2944740

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