Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen die Hinrichtung eines Deutschen auf Grund des Todesurteils eines Besatzungsgerichts wegen Kriegsverbrechen nach dem Kontrollratsgesetz Nr 10 ein schädigender Vorgang im Sinne des BVG § 5 Abs 1 Buchst d sein kann.

 

Orientierungssatz

Zur Frage der Anerkennung besatzungsgerichtlicher Urteile.

 

Normenkette

BVG § 5 Abs. 1 Buchst. d Fassung: 1953-08-07; KRG 10

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29. Januar 1959 wird aufgehoben; die Sache wird zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Gründe

I

Der Ehemann und Vater der Kläger, Dr. Hans T ... war seit 1928 Mitglied der NSDAP; bei Kriegsende war er als SS-Oberführer und Oberst der Polizei in W... Befehlshaber der Sicherheitspolizei beim Höheren SS- und Polizeiführer Rheinland-Westmark. Am 21. März 1947 wurde er von einem amerikanischen Militärgericht in Dachau auf Grund des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 zum Tode verurteilt, weil er Mitglied einer verbrecherischen Organisation gewesen und der Verletzung der Kriegsgesetze im allgemeinen und der Tötung von amerikanischen Fliegern im besonderen für schuldig befunden worden sei. Das Urteil wurde am 22. Oktober 1948 in Landsberg vollstreckt. Durch Spruch der Zentralen Spruchkammer Württemberg-Baden vom 19. März 1952 wurde Tr. nach Art. 5 und 7 des Gesetzes Nr. 104 vom 5. März 1946 (RegBl 71) als Hauptschuldiger und Aktivist angesehen, 10 % seines Nachlasses wurden eingezogen.

Am 17. September 1951 beantragten die Kläger bei dem Versorgungsamt (VersorgA) Karlsruhe die Gewährung von Hinterbliebenenversorgung. Das VersorgA lehnte den Antrag durch Bescheid vom 19. Februar 1954 ab, das LandesversorgA Baden-Württemberg wies den Widerspruch durch Bescheid vom 28. Juni 1954 zurück, weil Tr. während des zweiten Weltkrieges keinen militärischen oder militärähnlichen Dienst geleistet habe. Das Sozialgericht (SG) Karlsruhe wies die Klage durch Urteil vom 24. Januar 1957 ab, weil die Verurteilung des Tr. auf nationalsozialistischer Betätigung und strafbaren Handlungen beruht habe, die nach den im Bundesgebiet geltenden Strafgesetzen ein Verbrechen oder ein Vergehen seien. Die Kläger legten Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg ein. Durch Urteil vom 29. Januar 1959 hob das LSG das Urteil des SG Karlsruhe vom 24. Januar 1957 sowie den Bescheid des VersorgA Karlsruhe vom 19. Februar 1954 auf und verurteilte den Beklagten, den Klägern ab 1. September 1951 Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. Es könne dahingestellt bleiben, ob Tr. militärischen oder militärähnlichen Dienst geleistet habe, denn der Anspruch sei nach § 5 Abs. 1 Buchst. d Bundesversorgungsgesetz (BVG) begründet; danach seien als unmittelbare Kriegseinwirkung ua schädigende Vorgänge anzusehen, die infolge einer mit der militärischen Besetzung deutschen Gebiets zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten seien; eine Schädigung in diesem Sinne könne auch in einer Verurteilung durch ein alliiertes Militärgericht liegen. Es sei allgemein anerkannt, daß das Kontrollratsgesetz Nr. 10, auf Grund dessen Tr. verurteilt worden sei, fundamentale Rechtsgrundsätze, die in allen Kulturstaaten gelten, verletze; bei den sogenannten Kriegsverbrecherprozessen müsse in jedem einzelnen Fall geprüft werden, ob die Strafe vermutlich auch nach deutschem Recht verhängt worden wäre; nach den schriftlichen Erklärungen des Rechtsanwalts Dr. D der Tr. ... vor dem Militärgericht verteidigt habe, habe Tr. nicht selbst getötet, sondern nur den ihm von höherer Stelle (Kaltenbrunner) erteilten Befehl zur Tötung abgeschossener feindlicher Flieger an Untergebene weitergeleitet; wegen Mordes (§ 211 Strafgesetzbuch.- StGB -) hätte Tr. nicht bestraft werden können, weil es sich um eine von höchster Stelle befohlene Kriegsmaßnahme in einer Zeit gehandelt habe, als auf beiden Seiten das völkerrechtliche Rechtsbewußtsein erheblich getrübt gewesen sei; es bestehe kein Grund zu der Annahme, daß Tr. sich über die Unrechtmäßigkeit seiner Handlungsweise voll im klaren gewesen sei und aus jener verbrecherischen Gesinnung heraus gehandelt habe, die für die Tatbestände in § 211 StGB charakteristisch seien; allenfalls käme Totschlag (§ 212 StGB) bzw. Anstiftung hierzu (§ 48 StGB) in Betracht; für Totschlag hätte aber nicht die Todesstrafe verhängt werden dürfen; der Tod des Tr. beruhe daher auf einer typischen Besatzungsgefahr; dem stehe auch die Verwaltungsvorschrift Nr. 5 Satz 2 zu § 5 BVG in Verbindung mit der Verwaltungsvorschrift Nr. 7 Abs. 2 zu § 1 BVG nicht entgegen. Die Revision ließ das LSG zu.

Das Urteil wurde dem Beklagten am 9. März 1959 zugestellt. Am 26. März 1959 legte der Beklagte Revision ein und beantragte,

das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 29. Januar 1959 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG Karlsruhe vom 24. Januar 1957 zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Sache zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Am 22. Mai 1959 - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 9. Juni 1959 - begründete er die Revision; das LSG habe die §§ 1, 5 Abs. 1 Buchst. d, 38 BVG, 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - verletzt; die Tötung abgeschossener feindlicher Flieger erfülle die Tatbestandsmerkmale des Mordes (§ 211 StGB); Tr. sei sich auch der Unrechtmäßigkeit seines Handelns bewußt gewesen; soweit das LSG dies verneint habe, leide das Verfahren an einem wesentlichen Mangel; das LSG habe insoweit die Grenzen seines Rechts, die Beweise frei zu würdigen (§ 128 SGG), überschritten und seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 103 SGG) verletzt, es habe sich zur Feststellung des strafrechtlich zu würdigenden Sachverhalts nicht mit den schriftlichen Erklärungen des Verteidigers des Tr. begnügen dürfen, es habe vielmehr weitere Ermittlungen anstellen und auch die Personalakte des Tr. verwerten müssen; es sei unerheblich, welche Ziele mit der Tötung verfolgt worden seien; unabhängig von der umstrittenen Rechtsgrundlage des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 habe ein Verbrechen vorgelegen, das auch nach deutschem Recht damals mit dem Tode zu bestrafen gewesen wäre; Tr. sei auch im Entnazifizierungsverfahren als Hauptschuldiger und Aktivist eingestuft worden; für diesen Personenkreis habe das Bundessozialgericht (BSG), wenn auch nur für den Fall der Internierung. das Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Buchst, d BVG verneint (BSG 4, 234).

Die Kläger beantragten,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft. Der Beklagte hat die Revision frist- und formgerecht eingelegt und begründet, die Revision ist danach zulässig. Die Revision ist auch begründet.

Das LSG hat den Anspruch der Kläger auf Hinterbliebenenversorgung bejaht, weil der Tod des Tr. auf eine unmittelbare Kriegseinwirkung (§§ 1, 5 BVG) zurückzuführen sei; es hat angenommen, die Hinrichtung des Tr. auf Grund des Todesurteils des amerikanischen Militärgerichts vom 21. März 1947 wegen Kriegsverbrechen nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 habe auf einem schädigenden Vorgang beruht, der infolge einer mit der militärischen Besetzung zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten sei (§ 5 Abs. 1 Buchst. d BVG).

Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß es das Urteil des amerikanischen Militärgerichts gegen Tr. nicht als zu Recht ergangen hat hinnehmen müssen. Die auf Grund des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 ergangenen Urteile der Gerichte der Besatzungsmächte wegen Kriegsverbrechen worden von deutscher Seite nicht anerkannt, es besteht daher auch keine Bindung der deutschen Gerichte an sie. Dies ergibt sich aus Art. 6 Abs. 11 des zwischen den Besatzungsmächten und der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen Überleitungsvertrags vom 30. März 1955 (BGBl II, 405). Die Bundesrepublik hat wohl die besatzungsgerichtlichen Urteile allgemeiner Art anerkannt, sie hat aber von dieser Anerkennung ausdrücklich die Urteile ausgenommen, die wegen Kriegsverbrechen auf Grund des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 ergangen sind. Gegen diese Urteile haben auf deutscher Seite Bedenken bestanden, hauptsächlich wegen der Art, in der ein großer Teil von ihnen zustande gekommen ist, und wegen des sachlichen Rechts, auf dem sie beruht haben; aus diesen Gründen hat sich die Bundesrepublik nicht dazu bereit gefunden, jene Urteile als nach deutschem Recht wirksam anzuerkennen. Dies bedeutet nicht nur, daß die Bundesrepublik nicht verpflichtet ist, die Vollstreckung solcher Urteile zu "übernehmen", sie legt sie auch nicht ihren eigenen Entscheidungen zugrunde.

Diese Auslegung des Überleitungsvertrags deckt sich mit den amtlichen Äußerungen deutscher Stellen (vgl. hierzu die Begründung zum Überleitungsvertrag - Anlage 4 zur BT-Drucks. 3500 der I. WP und Verh. d. Dt. Bundestags, I. WP Sten. Ber. Bd. 12 S. 9827; Erl. d. BMJ vom 5. März 1956 - Az. 4240 - 123891/55 - in dem es heißt, "die Bundesregierung erkennt ausländische Verurteilungen wegen angeblicher Kriegsverbrechen aus grundsätzlichen Erwägungen nicht an"); auch die früheren Besatzungsmächte haben dieser Auslegung nicht widersprochen (vgl. hierzu Urteil des BGH vom 9. September 1958, veröffentlicht in "Der Versorgungsbeamte" 1958, 142 mit weiteren Hinweisen; ferner Wohlfahrt, Zur Rechtswirkung besatzungsgerichtlicher Urteile, JZ 1955 S. 526; Bünger, Die Versorgung der Hinterbliebenen von sogenannten Kriegsverbrechern, Der Versorgungsbeamte 1957, 95 ff; Göhring, Die Versorgungsansprüche von Kriegsverbrechern sowie deren Hinterbliebenen nach dem BVG, Sgb, 1958, 241 ff; Wilke, BVG, Komm., 1960, zu § 5 IV 5c, 69).

Wenn das Urteil des Besatzungsgerichts, durch das Tr. wegen Kriegsverbrechen zum Tode verurteilt worden ist, nach deutschem Recht ohne "Bestandskraft" ist, so besagt dies noch nicht, daß aus der Vollstreckung dieses Urteils durch die Besatzungsmacht Ansprüche nach § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG hergeleitet werden können. Zu den schädigenden Vorgängen, die infolge einer mit der militärischen Besetzung deutschen Gebiets zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten sind (§ 5 Abs. 1 Buchst. d BVG), ist eine Strafe, die von einem Gericht der Besatzungsmacht verhängt worden ist, nur dann zu rechnen, wenn sie dem Unrechtsgehalt des Verhaltens unverkennbar nicht entsprochen hat. Nur insoweit, als die Besatzungsmächte als Siegermächte von ihrer damaligen Strafgewalt gegenüber Deutschen in einer Weise Gebrauch gemacht haben, der nach deutscher Rechtsauffassung keinesfalls zugestimmt werden kann, hat es sich um eine besondere Gefahr gehandelt, die der militärischen Besetzung eigentümlich gewesen ist. Nach dem Sinn des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG ist den Opfern dieser besonderen, mit der militärischen Besetzung zusammenhängenden Gefahr Versorgung zu gewähren; zu diesen Opfern gehört aber nicht der, dem durch die Besatzungsmacht kein offensichtliches Unrecht zugefügt worden ist; wer wegen seines Verhaltens auch nach deutschem Recht nicht wesentlich geringer bestraft worden wäre, ist nicht ein Opfer schädigender Vorgänge im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG, sondern seines eigenen Verhaltens. Ein Unrecht der Besatzungsmacht kann allerdings darin bestehen, daß zwischen Art und Höhe der von dem Besatzungsgericht verhängten Strafe und der Strafe, auf die vermutlich ein deutsches Gericht erkannt hätte, ein grobes Mißverhältnis besteht; auch ein solches Mißverhältnis kann den versorgungsrechtlich geschützten Tatbestand des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG erfüllen (vgl. auch Wilke aaO; Bünger aaO). Ist ein Deutscher wegen Kriegsverbrechens von einem Besatzungsgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet worden, so liegt darin in der Regel dann ein schädigender Vorgang im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG, wenn sein Verhalten nach deutschem Strafrecht keinen Straftatbestand erfüllt hat, für den das Gesetz (damals) die Todesstrafe bestimmt hat und deshalb ein deutsches Gericht auch nicht auf die Todesstrafe hätte erkennen dürfen. Kein schädigender Vorgang im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG liegt aber jedenfalls dann vor, wenn ein Verhalten den Straftatbestand des Mordes erfüllt, also den Straftatbestand, für den im Regelfall auch das deutsche Strafgesetz (§ 211 StGB in der damals geltenden Fassung des Gesetzes vom 4. September 1941 - vgl. auch BGHSt vom 21. November 1950, NJW 1951, 120) die Todesstrafe als gerechte Sühne angesehen hat; dann kann nicht davon gesprochen werden, daß das Urteil der Besatzungsmacht und die Vollstreckung dieses Urteils ein offensichtliches Unrecht darstellen; der Tod des Betroffenen ist in diesem Falle nicht der typischen Besatzungsgefahr zuzurechnen; dabei ist es unerheblich, ob ein deutsches Gericht in einem Einzelfall möglicherweise nicht auf die Todesstrafe als Regelstrafe (§ 211 Abs. 1 StGB aF), sondern nur auf lebenslanges Zuchthaus erkannt hätte, weil es einen besonderen Ausnahmefall im Sinne des § 211 Abs. 3 StGB aF angenommen hätte, oder daß deutsche Stellen möglicherweise die Todesstrafe im Wege eines Gnadenerweises in eine Freiheitsstrafe umgewandelt hätten.

Insoweit hat das LSG die Rechtslage zutreffend beurteilt, insoweit hat auch die Revision die Rechtsausführungen des LSG nicht angegriffen.

Mit Recht wendet sich die Revision jedoch gegen die Annahme des LSG, Tr. wäre von einem deutschen Gericht nicht mit den Tode bestraft worden, weil nach deutschem Strafrecht nur wegen Mordes die Todesstrafe habe verhängt werden dürfen, Tr. aber keinen Mord begangen habe und ein deutsches Gericht deshalb gegen Tr. allenfalls wegen Totschlags (§ 212 StGB) auf eine Freiheitsstrafe erkannt hätte. Für diese Schlußfolgerung reichen die tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht aus, auch die allgemeinen Erwägungen des LSG vermögen diese Schlußfolgerung nicht zu rechtfertigen.

Um das Verhalten des Tr. strafrechtlich würdigen zu können, hat das LSG den Geschehensablauf, aus dem sich die Straftat des Tr. ergeben hat, im einzelnen ermitteln und feststellen müssen; es hat sich nicht mit der summarischen Feststellung begnügen dürfen, "nach den (schriftlichen) Erklärungen des Zeugen Dr. B... der den Verstorbenen bei der Verhandlung vor dem Militärgericht verteidigte, hat dieser nicht selbst getötet, sondern nur den ihm von höherer Stelle (Kaltenbrunner) erteilten Befehl zur Tötung abgeschossener feindlicher Flieger in zwei Fällen an Untergebene weitergeleitet". Das LSG hat den Hergang der Straftat, die Umstände, die zu der Straftat geführt haben und die Begleitumstände, unter denen sie begangen worden ist, im einzelnen darlegen und würdigen müssen; es hat deshalb ermitteln müssen, wie es zu der Tötung der feindlichen Flieger gekommen ist, unter welchen Umständen diese Tötung erfolgt ist und welchen Tatbeitrag Tr. dabei geleistet hat; es hat dabei auch der Behauptung des Beklagten nachgehen müssen, Tr. habe den Befehl, feindliche Flieger zu erschießen, nicht nur allgemein an Untergebene weitergegeben, er habe vielmehr auch in einzelnen Fällen selbst eingegriffen und die Erschießung von festgenommenen Fliegern befohlen. Nur unter Würdigung aller den Einzelfall betreffenden Umstände hat das LSG feststellen können, ob der objektive und der subjektive Straftatbestand des Mordes erfüllt gewesen ist oder nicht, insbesondere, ob die besonderen Tatbestandsmerkmale vorgelegen haben, die den Straftatbestand des Mordes (§ 211 StGB) gegenüber dem des Totschlags (§ 212 StGB) kennzeichnen oder ob diese besonderen Tatbestandsmerkmale (§ 211 Abs 2 StGB) nicht gegeben gewesen sind. Der Sachverhalt hat insbesondere zu der Prüfung gezwungen, ob der Tatbestand des Mordes dadurch erfüllt gewesen ist, daß die Flieger "heimtückisch", d.h. unter Ausnutzung ihrer Arg- und Wehrlosigkeit (vgl. BGHSt 9, 385) getötet worden sind und inwieweit dies Tr. als Anstifter oder Mittäter zu verantworten hat; dabei hat das LSG auch beachten müssen, daß § 211 Abs. 2 StGB die Tatbestände der vorsätzlichen Tötung, die der Gesetzgeber als Mord beurteilt, dergestalt abschließend und zwingend normiert, daß bei ihrer Verwirklichung für den Richter keine Möglichkeit besteht, im einzelnen Falle Mord deshalb zu verneinen, weil die Tötung wegen der besonderen Umstände nicht so verwerflich gewesen sei, daß sie diese Beurteilung rechtfertige (vgl. Beschluß des BGHSt, Großer Senat vom 2. Dezember 1957, NJW 1958, 309; über die strafrechtliche Würdigung der Tötung von Feindfliegern vgl. auch BGHSt 6, 120). Soweit das Gesetz die Formen des Mordes nach der Begehungsweise kennzeichnet ("heimtückisch"), sind der Würdigung der Persönlichkeit des Täters Grenzen gesetzt; es kommt nur darauf an, ob Kenntnis und Willen des Täters die Tatbestandsmerkmale umfaßt haben (BGHSt 3, 330).

Die Erwägungen allgemeiner Art, die das LSG angestellt hat, schließen den Tatbestand des Mordes nicht aus; aus ihnen ergibt sich auch nicht, daß ein Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgrund vorgelegen hat. Der Hinweis des LSG, daß es sich bei der Tötung feindlicher Flieger um eine von höchster Stelle befohlene Kriegsmaßnahme in einer Zeit gehandelt hat, als auf beiden Seiten "das völkerrechtliche Rechtsbewußtsein" erheblich getrübt gewesen sei, ist jedenfalls für den Straftatbestand nicht erheblich. Aus dem im Völkerrecht vertretenen Gesichtspunkt der Nichtvorwerfbarkeit beiderseitigen völkerrechtswidrigen Verhaltens (Grundsatz des " tu quoque" ), etwa im Hinblick auf die feindlichen Luftangriffe auf deutsche Städte, kann die vorsätzliche Tötung gefangener Flieger ohne gerichtliches Verfahren in aller Regel nicht gerechtfertigt werden (vgl. dazu BGHSt 15, 215). Ein solcher Rechtfertigungsgrund ist weder völkerrechtlich allgemein anerkannt noch ... zugunsten des einzelnen Staatsangehörigen normiert (vgl. BGHSt 15, 214). Tr. hat sich auch nicht darauf berufen können, daß er auf Grund eines Befehls einer höheren Stelle gehandelt habe; er ist von der strafrechtlichen Verantwortung für seine Tat nicht entbunden gewesen, wenn er einen Befehl ausgeführt hat, den er als verbrecherisch erkannt hat. Das LSG hat zwar ausgeführt, es bestehe kein Grund zur Annahme, Tr. sei sich über die Unrechtmäßigkeit seiner Handlungsweise völlig im klaren gewesen; es hat aber nicht dargelegt, welche Umstände diese Feststellung rechtfertigen. Das LSG hat dabei offenbar auch übersehen, daß der Täter, der die Merkmale einer strafbaren Handlung mit Wissen und Willen verwirklicht hat, in den Fällen, in denen - wie beim Mord - die Rechtswidrigkeit allgemeines Verbrechensmerkmal ist, nicht nur dann wegen eines vorsätzlichen Verbrechens zu bestrafen ist, wenn er das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit gehabt hat, sondern auch dann, wenn er bei gehöriger Anspannung des Gewissens, das Bewußtsein, Unrecht zu tun, hätte, haben können (BGHSt 2, 194, 209; 3, 273). Wer einen verbrecherischen Befehl ausführt, weil er ihn innerlich gutheißt, oder auch nur, weil er aus blindem Gehorsam sich über Recht oder Unrecht keine Gedanken macht, kann nicht geltend machen, er habe nicht schuldhaft gehandelt (BGHSt 2, 194; 3, 271). Zu dieser Frage hat das LSG nicht Stellung nehmen können, ohne die Persönlichkeit des Tr., insbesondere seinen Bildungsgrad (abgeschlossenes Studium der Staatswissenschaften) und seine Einstellung zum Nationalsozialismus (NSDAP seit 1928, Chef des SA-Hochschulamts, hoher Dienstrang in der SS und im SD) zu würdigen; es hat dabei auch der Entscheidung der Spruchkammer Württemberg-Baden vom 19. März 1952 nachgehen müssen, in der es heißt: "Tr. hat einen rohen und brutalen Charakter gezeigt, er ist ein williges Werkzeug in den Händen der NS-Machthaber gewesen und hat deren Befehle skrupellos ausgeführt".

Im übrigen sind wesentliche Feststellungen, auf die das LSG die Annahme stützt, der Tatbestand des Mordes habe nicht vorgelegen, nicht verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen. Dies gilt insbesondere für die "Feststellung", Tr. habe nur den von höherer Dienststelle erteilten Befehl zur Tötung abgeschossener feindlicher Flieger in zwei Fällen weitergeleitet, und für die "Feststellung", Tr. sei sich über die Unrechtmäßigkeit seines Handelns nicht völlig im klaren gewesen. Das LSG hat diese Feststellungen ausschließlich auf die schriftliche Äußerung gestützt, die der Verteidiger des Tr. in dem Kriegsverbrecherprozeß, Rechtsanwalt Dr. ... abgegeben hat. Dieses Beweismittel ist nicht ausreichend gewesen. Zwar kann das Gericht Auskünfte jeder Art nach § 106 Abs. 3 Nr. 3 SGG von Privatpersonen - schriftlich und unter eidesstattlicher Versicherung der Richtigkeit - einholen, wenn die Voraussetzungen des § 377 Abs. 3 und 4 der Zivilprozeßordnung nicht erfüllt sind. Eine solche Auskunft darf aber bei der Urteilsfindung nur dann anstelle einer mündlichen Zeugenaussage verwertet werden, wenn sie nach den besonderen Umständen des Einzelfalles ein geeignetes Mittel zur Erforschung des Sachverhalts darstellt (BSG, Urteil vom 25, Oktober 1956, BSG 4, 60 ff.). Diese Voraussetzungen haben hier nicht vorgelegen, da es auf eine besonders erschöpfende Sachdarstellung und auf die Besonderheiten des Einzelfalles angekommen ist, auf Umstände also, die, soweit das irgend möglich ist, durch eingehende und sorgfältige Vernehmung des Zeugen zu klären sind. Das LSG hat nicht nur Rechtsanwalt Dr. B ... persönlich vernehmen müssen, es hat auch ermitteln müssen, ob nicht noch weitere Möglichkeiten bestanden, den strafrechtlich zu würdigenden Sachverhalt aufzuklären; es hat ermitteln müssen, ob nicht noch andere Personen über die damaligen Vorgänge Bekundungen machen können; es hat gegebenenfalls auch diese Personen als Zeugen hören müssen; es hat auch die Unterlagen des amerikanischen Militärgerichts eingehend auswerten müssen (über Art und Umfang der Aufklärung des Sachverhalts in einem solchen Falle, vgl. auch das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 6. Juli 1961 - L 14 KB 350/55 -). Die Revisionsrügen, das LSG habe die §§ 128 und 103 SGG verletzt, greifen danach durch. Die Feststellungen des LSG sind für das BSG nicht bindend; Das Urteil ist unter diesen Umständen aufzuheben; da der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen nicht selbst entscheiden kann, ist die Sache zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

BSGE, 182

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