Leitsatz (redaktionell)
Die Entscheidungen der Beschwerdeausschüsse bei den VersorgA waren Verwaltungsakte.
Der Rechtsschutz des GG Art 19 Abs 4 kann von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts in Ausnahmefällen auch durch einen Insichprozeß verwirklicht werden.
Normenkette
SGG § 54 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 70 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03; GG Art. 19 Abs. 4 Fassung: 1949-05-23
Tenor
Die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. Oktober 1955 und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 9. Juni 1954 werden aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Die Beklagten erhielten von der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz - Außenstelle Wuppertal- Waisenrente nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27. Durch Umanerkennungsbescheid vom 11. Mai 1951 gewährte das Versorgungsamt Wuppertal nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) Waisengrundrente, die Waisenausgleichsrente setzte es auf monatlich 13,-- DM für jede Waise fest; als "sonstiges Einkommen" berücksichtigte es bei der Berechnung der Waisenausgleichsrente neben der Waisenrente aus der Invalidenversicherung von je 20,60 DM monatlich die Zuwendungen in Höhe von je 2,75 DM monatlich, die die Beklagten von dem früheren Arbeitgeber ihres Vaters, den Farbenfabriken Bayer in Leverkusen, seit dem 1. August 1945 freiwillig und jederzeit widerruflich erhielten. Auf den Einspruch der Beklagten änderte der Beschwerdeausschuß des Versorgungsamts am 3. März 1952 den Bescheid vom 11. Mai 1951 bezüglich der Waisenrente dahin ab, daß die freiwilligen Zuwendungen der Farbenfabriken Bayer nicht als sonstiges Einkommen auf die Ausgleichsrente anzurechnen seien. Gegen diese Entscheidung legte das Versorgungsamt bei dem Oberversicherungsamt Düsseldorf Berufung ein. Nachdem die Sache am 1. Januar 1954 als Klage auf das Sozialgericht Düsseldorf übergegangen war, beantragte der Kläger - das Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch das Landesversorgungsamt Nordrhein, -, die Entscheidung des Beschwerdeausschusses vom 3. März 1952 aufzuheben und den Bescheid vom 11. Mai 1951 wieder herzustellen. Die Beklagten beantragten, die Klage abzuweisen. Das Sozialgericht hob durch Urteil vom 9. Juni 1954 die Entscheidung des Beschwerdeausschusses vom 3. März 1952 auf und stellte den Bescheid des Versorgungsamts wieder her. Auf die Zulässigkeit der Klage ging das Sozialgericht nicht ein. Die Berufung der Beklagten wies das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil vom 25. Oktober 1955 zurück: Auch freiwillige Werkszuwendungen seien als sonstiges Einkommen im Sinne von § 33 Abs. 2 Satz 1 BVG a.F. auf die Rente anzurechnen. Die Revision ließ das Landessozialgericht zu. Das Urteil wurde den Beklagten am 9. Dezember 1955 zugestellt. Am 16. Dezember 1955 legten sie Revision ein und beantragten,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. Oktober 1955 und das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 9. Juni 1954 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Revisionsklägern Ausgleichsrente ohne Anrechnung der von den Farbenfabriken Bayer gezahlten Zuwendungen zu gewähren,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Am 24. Januar 1956 begründeten sie die Revision: Freiwillige betriebliche Zuwendungen seien wegen ihres Fürsorgecharakters nicht als sonstiges Einkommen im Sinne von § 33 Abs. 2 BVG a.F. anzusehen und deshalb nicht auf die Ausgleichsrente anzurechnen; es komme nicht darauf an, ob im Einzelfall vor der Gewährung die Bedürftigkeit geprüft werde.
Der Kläger beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft; die Beklagten, die durch die Zurückweisung ihrer Berufung beschwert sind, haben sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Die Revision ist danach zulässig.
Die Revision ist auch begründet; das Landessozialgericht hat nicht beachtet, daß die Klage unzulässig ist. Vor der sachlich-rechtlichen Würdigung eines Streitstoffes ist vom Berufungsgericht zunächst von Amts wegen zu prüfen, ob die allgemeinen Prozeßvoraussetzungen, soweit sie unverzichtbar sind, und die besonderen Prozeßvoraussetzungen des vorausgehenden Verfahrens erfüllt sind (vgl. dazu BSG. 2 S. 225 [227], 3 S. 124 [126], 4 S. 70 [72] und S. 281 [284]. Zu diesen Prozeßvoraussetzungen gehört die Zulässigkeit der Klage.
Nach Art. 9 des Gesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen zur Änderung der SVD Nr. 27 und der hierzu ergangenen Durchführungsvorschriften vom 12. Juli 1949 (GVBl. Nordrhein-Westfalen 1949 S. 229 ff.) ist das Land befugt gewesen, gegen die "Entscheidung" des Beschwerdeausschusses "Berufung" beim Oberversicherungsamt einzulegen. Nach § 215 Abs. 2 SGG ist diese "Berufung" mit dem Inkrafttreten des SGG am 1. Januar 1954 auf das zuständige Sozialgericht übergegangen; nach § 215 Abs. 4 SGG ist sie "als Klage" zu behandeln. Dabei ist zu prüfen, ob die Klage nach der im SGG niedergelegten Verfahrenordnung der Sozialgerichte zulässig ist; die Zulässigkeit folgt nicht allein schon aus dem Übergang der Sache auf das Sozialgericht; die Klage muß sich in das Klagesystem des SGG einfügen; das ist von den Beteiligten zu berücksichtigen, notfalls auch durch Änderung der Klage (vgl. Urteil vom 10.12.1957, 11/9 RV 1250/56, mit Nachweisen).
Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG kann durch Klage die Aufhebung eines Verwaltungsakts (VA.) oder seine Abänderung begehrt werden. Eine solche "Aufhebungsklage" hat der Kläger erhoben. Er hat die Entscheidung des Beschwerdeausschusses vom 3. März 1952 mit Recht als VA. angesehen. Sie enthält die "Regelung" eines Einzelfalles auf dem Gebiete der zum öffentlichen Recht gehörenden Kriegsopferversorgung; der Beschwerdeausschuß, der die angefochtene Entscheidung erlassen hat, ist als eine Verwaltungsbehörde tätig geworden; seine Entscheidung ist deshalb ein VA. im Sinne des § 54 Abs. 1 SGG; sie ist dies ebenso wie dies die Bescheide sind, die heute die Widerspruchsstellen im Vorverfahren erlassen (vgl. Haueisen, NJW. 1958 S. 441 ff. [443]).
Grundsätzlich sind auch die Länder befugt, Klage zu erheben, wenn sie durch einen VA. beschwert sind, den sie selbst nicht wieder aufheben oder dessen Aufhebung sie im Verwaltungswege nicht erreichen können. Der Rechtsschutz, der durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) gewährleistet ist, steht juristischen Personen ebenso zu wie natürlichen Personen; seiner Verwirklichung steht auch nicht entgegen, daß in Ausnahmefällen ein Insichprozeß entsteht, wenn eine juristische Person des öffentlichen Rechts Klage erhebt, weil sie der Meinung ist, durch einen VA. eines weisungsfreien Gremiums zu Unrecht belastet zu sein (vgl. Urteil vom 10.12.1957, 11/9 RV 1250/56, mit weiteren Nachweisen; dazu zustimmend Menger, Verwaltungsarchiv, 1958 S. 184). Nach dem SGG sind aber, wie in dem zitierten Urteil ebenfalls ausgeführt ist, Klagen auf Aufhebung eines VA. nur gegen die Verwaltung (vgl. dazu im einzelnen § 70 SGG), nicht aber gegen Privatpersonen möglich. Auch im vorliegenden Falle können die beklagten Waisen nicht Gegner einer Aufhebungsklage sein. Schon deshalb ist die Klage, über die hier zu entscheiden ist, als unzulässig abzuweisen.
Der Senat braucht unter diesen Umständen nicht zu prüfen und zu entscheiden, ob das klagende Land etwa während der Anhängigkeit der Sache in den Vorinstanzen die Möglichkeit gehabt hat, mit Erfolg zu behaupten, die umstrittene Entscheidung des Beschwerdeausschusses sei ihm selbst "zuzurechnen" (vgl. Urteil des LSG. Celle vom 30.11.1954, Ärztliche Mitteilungen, 1955 S. 284 ff. mit Nachweisen; NJW. 1958 S. 444 Anm. 34 a), und deshalb könne es - und zwar auch noch nach dem ersatzlosen Wegfall des Beschwerdeausschusses am 1. Januar 1954 - im Wege des Insichprozesses und der Klageänderung gegen sich selbst Aufhebungsklage erheben; eine solche Klage ist jedenfalls nicht erhoben worden.
Auch die Frage, ob es während der Anhängigkeit der Sache in den Vorinstanzen möglich gewesen ist, von der Aufhebungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) zur Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG überzugehen, braucht nicht erörtert zu werden. Das klagende Land hat einen solchen Antrag im Verfahren vor dem Sozialgericht und Landessozialgericht nicht gestellt; sein Antrag ist nur auf Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdeausschusses gerichtet; dieser Antrag kann nicht dahin gedeutet werden, daß hilfsweise die Feststellung des Nichtbestehens eines bestimmten Rechtsverhältnisses begehrt werde (vgl. dazu das Urteil vom 10.12.1957, 11/9 RV 1250/56, unter 4); im Revisionsverfahren kann wegen des Verbots der Klageänderung (§ 168 SGG) ein solcher Antrag nicht mehr gestellt werden.
Die Revision der Beklagten ist hiernach begründet; die Urteile des Landessozialgerichts und des Sozialgerichts sind aufzuheben; die Klage ist abzuweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen