Orientierungssatz

Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch - Verjährung nach analoger Anwendung bürgerlich-rechtlicher Vorschriften.

 

Normenkette

G131 § 72 Abs. 11; BGBAG BY Art. 125; BGB § 197 Fassung: 1896-08-18, § 198 Fassung: 1896-08-18, § 201 Fassung: 1896-08-18

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 29.05.1974; Aktenzeichen L 13 An 19/73)

SG Landshut (Entscheidung vom 04.09.1972; Aktenzeichen S 9 So 6/71)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Mai 1974 aufgehoben.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 4. September 1972 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte - Freistaat Bayern - der Klägerin - Bundesversicherungsanstalt für Angestellte - aufgrund des § 72 Abs. 11 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen (G 131) einen Betrag von 4 712,84 DM zu erstatten hat.

Durch die Bescheide vom 12. Februar und 2. November 1962 bewilligte die Klägerin dem Versicherten rückwirkend vom 1. September 1959 an eine Rente aus der Angestelltenversicherung, die teilweise auf einer Nachversicherung gemäß § 72 G 131 beruht. Mit der Sammelanforderung vom 15. April 1965 verlangte die Klägerin unter Hinweis auf § 72 Abs. 11 G 131 die anteilige Erstattung ihrer Leistungen. Die Bezirksfinanzdirektion Landshut überwies der Klägerin am 23. September 1966 eine Abschlagszahlung mit dem Vermerk, die endgültige Abrechnung erfolge erst nach Eingang einer angeforderten Entscheidung des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen, dem sie wegen einer Rechtsfrage zu den Erstattungsforderungen berichtet habe. Später teilte die Bezirksfinanzdirektion der Klägerin mit, daß von der Anforderung für Dr. Müller die Zeit vom 22. Dezember 1960 bis 31. Dezember 1961 in Höhe von 4.712,84 DM abgesetzt werde, weil der Erstattungsanspruch insoweit gemäß Art. 125 Abs. 1 des Bayerischen Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 9. Juni 1899 (AGBGB) erloschen sei.

Auf die deswegen im Dezember 1967 erhobene Klage verpflichtete des Sozialgericht (SG) den Beklagten, an die Klägerin 4.712,84 DM zu zahlen (Urteil vom 4. September 1972). Auf die Berufung des Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG) die erstinstanzliche Entscheidung auf und wies die Klage ab. Es war der Auffassung, daß die Voraussetzungen für das Erlöschen des streitigen Erstattungsanspruchs hier gemäß Art. 125 Abs. 1 AGBGB erfüllt seien. Dabei könne dahinstehen, ob der Anspruch - wie der Beklagte meine - sofort fällig geworden sei, oder ob - entsprechend der Auffassung der Klägerin - der Erstattungsanspruch nach Nr. 14 Abs. 8 Satz 3 der zu § 72 Abs. 11 G 131 erlassenen Verwaltungsvorschriften (VV) für jedes Kalenderjahr in einem Betrag zum Ende des folgenden anzumelden gewesen sei. Folge man der Ansicht der Klägerin, so habe sie die zur Erstattung begehrten Versicherungsleistungen erst nach der Bewilligung in den Rentenbescheiden, also 1962 bewirken können. Die Leistungen seien sonach gemäß den genannten VV 1963 anzumelden gewesen mit der Folge, daß die Frist des Art. 125 Abs. 1 AGBGB am 1. Januar 1964 begonnen habe und am 31. Dezember 1966 abgelaufen sei. Die erst im Dezember 1967 erhobene Klage habe somit nicht mehr im Sinne von Art. 125 Abs. 1 Satz 3 AGBGB i. V. m. § 209 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) den Lauf der Frist unterbrechen können. Dies habe auch die noch innerhalb der Frist am 23. September 1966 erfolgte Abschlagszahlung nicht bewirken können. Eine solche könne nur dann als ein Anerkenntnis im Sinne des § 208 BGB angesehen werden, wenn die Umstände der Abschlagszahlung eindeutig das Bewußtsein des Schuldners von dem Bestehen des Anspruchs ergeben würden. Daran habe es aber aufgrund des mit der Abschlagszahlung verbundenen Vorbehaltes der Bezirksfinanzdirektion L gefehlt. Das Erlöschen des Erstattungsanspruchs sei schließlich auch nicht bereits durch die Anmeldung mit der Sammelanforderung vom 15. April 1965 im Sinne von Art. 125 Abs. 2 AGBGB ausgeschlossen gewesen, weil der Anspruch im Zeitpunkt der Geltendmachung mit der Sammelanforderung noch nicht zur Zahlung sachlich festgestellt worden sei (Urteil vom 29. Mai 1974).

Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt Verletzungen des materiellen Rechts durch das Berufungsgericht.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Landshut vom 4. September 1972 zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die von der Klägerin eingelegte Revision ist infolge ihrer Zulassung durch das Berufungsgericht gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes in der bis zum 31. Dezember 1974 gültigen und hier maßgeblichen Fassung (= SGG aF; vgl. Art. III und VI des Gesetzes zur Änderung des SGG vom 30.7.1974, BGBl I 1625) statthaft. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist die Revision schon deswegen nicht nach § 162 Abs. 2 SGG aF unzulässig, weil Art. 125 AGBGB in den ehemaligen bayerischen Gebieten von Rheinland-Pfalz auch jetzt noch weitergilt (vgl. Zweites Landesgesetz zur Bereinigung des Rechts im Lande Rheinland-Pfalz vom 22.7.1965 - GVBl S. 157 - Anl. Nr. 15), der Geltungsbereich dieser Vorschrift sich somit über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt (ebenso BSG 3, 180, 187 und BSG in SozR Nr. 25 zu § 47 VerwVG).

Die Revision ist auch begründet. Das LSG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß die gegen den Beklagten zu richtenden Erstattungsansprüche im Sinne des § 72 Abs. 11 G 131 nach Art. 125 Abs. 1 Satz 1 AGBGB "mit dem Ablauf von drei Jahren" erlöschen. Wie der erkennende Senat mit Urteil vom heutigen Tage in der Sache 1 RA 11/74 entschieden hat, ist vielmehr auf den hier streitigen Erstattungsanspruch die vierjährige Verjährungsfrist des § 197 BGB entsprechend anzuwenden. Dem steht auch das Urteil des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27. Januar 1972 (SozR Nr. 8 zu § 72 G 131) nicht entgegen, weil der 4. Senat in jenem Urteil über die analoge Anwendung des § 197 BGB nicht ausdrücklich entschieden und auf Anfrage erklärt hat, keine Einwendungen gegen eine derartige Entscheidung zu erheben.

Unter Zugrundelegung der somit hier geltenden vierjährigen Verjährungsfrist ist indes die Zahlungspflicht des Beklagten bezüglich des - der Höhe nach zwischen den Beteiligten unstreitigen - Erstattungsbetrages für die Zeit vom 22. Dezember 1960 bis 31. Dezember 1961 zu bejahen. Da der Erstattungsanspruch frühestens nach dem Beginn der Leistungen der Klägerin an den Versicherten im Jahre 1962 entstehen konnte, die Klägerin aber nach der auf der Ermächtigung des § 72 Abs. 11 Satz 2 G 131 beruhenden und damit für die Beteiligten verbindlichen Regelung in Nr. 14 Abs. 8 der VV in der hier maßgeblichen Fassung vom 5. Januar 1961 (CMBl 1961, 62) die Erstattung ihrer im Jahre 1962 erbrachten Leistungen erst innerhalb von drei Monaten des Folgejahres verlangen konnte, begann die Verjährung gemäß den §§ 198, 201 Satz 2 BGB mit dem Ablauf des Kalenderjahres 1963 am 1. Januar 1964. Die vierjährige Verjährung des § 197 BGB ist somit durch die Klageerhebung im Dezember 1967 noch rechtzeitig unterbrochen worden (§ 209 Abs. 1 BGB).

Das Urteil des SG erweist sich deshalb im Ergebnis als richtig, ohne daß noch zu entscheiden ist, ob die Verjährung bereits vorher durch die Abschlagszahlung der Beklagten vom 23. September 1966 gemäß § 208 BGB rechtzeitig unterbrochen worden war. Entsprechend dem Begehren der Klägerin ist sonach das Urteil des SG wiederherzustellen (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1646707

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