Entscheidungsstichwort (Thema)
Zielsetzung des § 8 Abs 1 BKGG
Leitsatz (amtlich)
Die neben der US-Invaliditätsrente bezogene US-Kinderrente ist eine dem Kinderzuschuß aus der deutschen Rentenversicherung vergleichbare Leistung.
Orientierungssatz
Aus der Zielsetzung des § 8 Abs 1 BKGG folgt, daß die Vergleichbarkeit mehrerer kindbezogener Leistungen sich nicht nach der rechtlichen Ausgestaltung des Anspruches richtet, sondern nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten abzugrenzen ist. Im Hinblick auf die zahlreichen Möglichkeiten der rechtlichen Ausgestaltung einer dem Familienlastenausgleich dienenden Leistung kommt es für die Vermeidung von Doppelleistungen und zur Begründung des Nachranges der Leistungen aus dem Kindergeldgesetz lediglich darauf an, ob die zu vergleichende Leistung wirtschaftlich die gleiche Zielrichtung verfolgt wie das Kindergeld.
Normenkette
BKGG § 8 Abs 1 Nr 2
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 19.05.1982; Aktenzeichen L 4 Kg 14/80) |
SG München (Entscheidung vom 18.07.1980; Aktenzeichen S 6 Kg 58/79) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Zahlung einer USA-Kinderrente die Gewährung von Kindergeld ausschließt.
Die Klägerin ist sorgeberechtigt für den aus ihrer im Jahre 1975 geschiedenen Ehe mit dem amerikanischen Staatsangehörigen F. C.D. stammenden, 1969 geborenen Sohn R. . In dem Beschluß des Bezirksgerichtes des Staates Oregon (USA) für den Verwaltungsbezirk Multnomah vom 20. März 1975 über die Auflösung der Ehe ist ua bestimmt, daß der Ehemann keine Beiträge zum Unterhalt von zu leisten hat, "weil das Kind aus der Sozialversicherung monatlich einen Betrag von 150 Dollar aufgrund der Invalidität (des Ehemanns) erhält".
Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 3. Juli 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 1979 die Gewährung von Kindergeld für R. D. mit der Begründung ab, bei den Kinderrenten, die den Kindern der Empfänger einer Alters- oder Invalidenrente in den USA gezahlt werden, handele es sich um Leistungen, die dem Kindergeld vergleichbar seien und deshalb den Anspruch auf Kindergeld ausschlössen.
Das Sozialgericht (SG) München hat durch Urteil vom 18. Juli 1980 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für ihren Sohn R. Kindergeld zu gewähren. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat es in seinem die Berufung zurückweisenden Urteil vom 19. Mai 1982 dahinstehen lassen, ob die USA-Kinderrente eine dem Kindergeld, der Kinderzulage oder den Kinderzuschüssen vergleichbare Leistung darstellt und die Vergleichbarkeit iS von § 8 Abs 1 Nr 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) allein deshalb verneint, weil die USA-Kinderrente dem Kind und damit nicht einer Person zustehe, bei der es gemäß § 2 Abs 1 BKGG berücksichtigt werde. Daran ändere nichts, daß die Leistung derzeit noch an die sorgeberechtigte Klägerin ausgezahlt werde. Auch die analoge Anwendung von § 8 Abs 1 Nr 2 BKGG sei ausgeschlossen, weil es sich nicht um eine Regelungslücke im Gesetz handele. Das ergebe sich aus Art 8 Nr 5 b des am 1. Dezember 1979 in Kraft getretenen Sozialversicherungsabkommens zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland vom 2. August 1976 (BGBl 1976 II 1358; BGBl 1979 II, 1283). Hiernach sei der Kinderzuschuß, der nach deutschen Rechtsvorschriften gewährt werde, lediglich um die Hälfte zu kürzen, wenn daneben nach amerikanischen Vorschriften Kinderrente gezahlt werde.
Mit ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 8 Abs 1 Nr 2 BKGG: Regelungsziel dieser Vorschrift sei es, zur Vermeidung von Doppelzahlungen zum Familienlastenausgleich das Kindergeld bei Erhalt entsprechender kindbezogener Leistungen auszuschließen. Bei systemimmanenter Auslegung des § 8 Abs 1 Nr 2 BKGG sei die USA-Kinderrente eine der Invalidenrente des geschiedenen Ehemannes der Klägerin akzessorische # # Leistung. Sie entbinde diesen von der Unterhaltsleistung für seinen Sohn, so daß er insoweit einem unterhaltspflichtigen deutschen Rentner gleichstehe, der Kinderzulage oder Kinderzuschuß als Rentenbestandteil zu seiner Stammrente erhält. Die Antikumulierungsvorschrift des Art 8 Nr 5 b des Sozialversicherungsabkommens zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland rechtfertige keine abweichende Beurteilung. Sie regele nur die Fälle des Zusammentreffens von Ansprüchen nach nationalem deutschen und amerikanischen Recht, die jeweils dem Grunde nach auf Beitragsleistungen des Anspruchsinhabers beruhen.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. Mai 1982 und das Urteil des Sozialgerichts München vom 18. Juli 1980 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und macht ergänzend geltend, der Ausschlußtatbestand des § 8 Abs 1 BKGG sei auch deshalb nicht anwendbar, weil der geschiedene Ehemann der Klägerin sich nicht gewöhnlich im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhalte (§ 1 Nr 1 BKGG).
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die kraft Zulassung statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und begründete und daher zulässige Revision der Beklagten hat Erfolg. Der Klägerin steht für ihren Sohn . kein Kindergeld zu. Der Kindergeldanspruch, für den die Klägerin zwar die Voraussetzungen des § 1 Nr 1 BKGG iVm Art 1 § 30 Abs 3 Satz 1 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB I) und § 2 Abs 1, 2 und 5 BKGG erfüllt, ist durch § 8 Abs 1 Nr 2 BKGG ausgeschlossen, weil die dem Kind . zustehende USA-Kinderrente eine außerhalb des Geltungsbereiches des BKGG erbrachte Leistung ist, die dem Kinderzuschuß aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbar ist.
Die USA-Kinderrente ist eine Leistung aus der Familienversicherung der USA, in der alle beschäftigten Personen, die für sich selbst und ihre Familienangehörigen Arbeitseinkommen beziehen, versicherungspflichtig sind (vgl Schiefer, Das System der sozialen Sicherheit in den Vereinigten Staaten, Frankfurt am Main 1952, Kapitel X 1, S 113). Der Versicherungspflichtige leistet seine Beiträge für die Familienversicherung, aus der später jedes einzelne Familienmitglied, also auch ein Kind, anspruchsberechtigt wird (vgl zum amerikanischen Sozialversicherungssystem: The Social Security Act and Related Laws, November 1980 Edition, Committee on Finance, United States Senat, Russell B. Long, Washington 1980, Sec. 202 (d); Social Security Handbook, 1980, Herausgeber: US-Ministerium für Gesundheit, Erziehung und Wohlfahrt, S 51). Damit entspricht die USA-Kinderrente in ihrer rechtlichen Ausgestaltung nicht dem deutschen Kindergeld, das eine besondere Form des Familienlastenausgleichs darstellt, wie sie im Recht der USA nicht vorgesehen ist (Doberschütz, Die soziale Sicherung des amerikanischen Bürgers, in: Sozialpolitische Schriften, Heft 19, Berlin 1966, S 121).
Der Zielsetzung des Kindergeldgesetzes entspricht es jedoch nicht, das Kindergeld auch dann zu zahlen, wenn zugleich andere Leistungen mit derselben Zielrichtung beansprucht werden können. Da das Kindergeld nicht aus Beiträgen, sondern aus Steuermitteln finanziert wird, hat der Gesetzgeber die unerwünschte Doppelberechtigung dadurch ausgeschlossen, daß nach § 8 BKGG das Kindergeld in den in dieser Vorschrift genannten Fällen nicht gewährt wird. Das gilt insbesondere für das Zusammentreffen des Kindergeldanspruches mit Kinderzuschüssen zu einer Rente aus den gesetzlichen Rentenversicherungen (§ 8 Abs 1 Nr 1 BKGG) und für die außerhalb des Geltungsbereiches des Kindergeldgesetzes gewährten Leistungen, die mit den Kinderzuschüssen oder dem Kindergeld vergleichbar sind (§ 8 Abs 1 Nr 2 BKGG).
Bereits aus dem weitgefaßten Wortlaut des § 8 Abs 1 Nr 2 BKGG, vor allem aber auch aus der Zielsetzung des gesamten § 8 Abs 1 BKGG folgt, daß die Vergleichbarkeit mehrerer kindbezogener Leitungen sich nicht nach der rechtlichen Ausgestaltung des Anspruches richtet, sondern nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten abzugrenzen ist. Im Hinblick auf die zahlreichen Möglichkeiten der rechtlichen Ausgestaltung einer dem Familienlastenausgleich dienenden Leistung kommt es für die Vermeidung von Doppelleistungen und zur Begründung des Nachranges der Leistungen aus dem Kindergeldgesetz lediglich darauf an, ob die zu vergleichende Leistung wirtschaftlich die gleiche Zielrichtung verfolgt wie das Kindergeld. Dementsprechend steht der Anwendung des § 8 Abs 1 Nr 2 BKGG nicht entgegen, daß die USA-Kinderrente rechtlich nicht als Bestandteil der Invaliditätsrente des Versicherten, sondern als eine eigenständige Leistung, auf welche das Kind selbst einen Anspruch hat, ausgestaltet ist. In gleicher Weise ist es deshalb nicht entscheidungserheblich, daß der Vater des Kindes R. seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Geltungsbereich des BKGG hat.
Die USA-Kinderrente entspricht wirtschaftlich jedenfalls dann den Kinderzuschüssen aus den innerdeutschen gesetzlichen Rentenversicherungen, wenn sie wegen der Invalidität des Versicherten gewährt wird. Kompensiert wird damit allein der völlige oder teilweise Wegfall der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Versicherten als Ernährer (vgl Doberschütz, aaO, S 48, 52). Daß diese Zielsetzung der USA-Kinderrente im Falle des Kindes R. auch erreicht wird, ergibt sich deutlich aus dem Scheidungsbeschluß des Bezirksgerichts des Staates Oregon vom 20. März 1975, in dem der geschiedene Ehemann der Klägerin nur deshalb nicht zur Unterhaltsleistung gegenüber seinem Sohn R. verpflichtet worden ist, weil diesem die Kinderrente gezahlt wird. Damit entspricht die USA-Kinderrente der wirtschaftlichen Zielsetzung des Kinderzuschusses zur deutschen Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Zweck des Kinderzuschusses zur deutschen Rentenleistung ist es, dem Unterhaltspflichtigen wenigstens teilweise zu ermöglichen, dem Kind Unterhalt zu leisten. Denselben wirtschaftlichen Zweck der Unterhaltssicherung verfolgt auch die USA-Kinderrente. Das ergibt sich gerade aus der Akzessorietät dieser Rente zur Invalidität des geschiedenen Ehemannes der Klägerin. Schließlich spricht für die wirtschaftliche Vergleichbarkeit dieser Leistung auch der Umstand, daß die Klägerin als Sorgeberechtigte für den Sohn R. Empfängerin der USA-Kinderrente ist; auch hieraus folgt, daß die USA-Kinderrente in ähnlicher Weise Unterhaltsersatzfunktionen erfüllt, wie der Kinderzuschuß zu einer Rente aus einer deutschen Rentenversicherung. Dient danach die USA-Kinderrente wirtschaftlich dem Familienlastenausgleich, so handelt es sich damit um eine Leistung, die nach der Zielsetzung des § 8 Abs 1 Nr 2 BKGG den Kindergeldanspruch nach dem BKGG jedenfalls solange ausschließt, wie sie neben der Invaliditätsrente des sonst unterhaltspflichtigen Vaters des Kindes gezahlt wird.
Ob die Rechtslage anders zu beurteilen ist, insbesondere, ob die USA-Kinderrente dann nur der deutschen Waisenrente vergleichbar ist, wenn der an sich unterhaltspflichtige Vater verstirbt, ist in diesem Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich. Die Waisenrenten haben zwar ebenfalls Unterhaltsersatzfunktion, sie verfolgen im übrigen aber eine andere Zielrichtung als Kinderzuschüsse zu Versichertenrenten und sind auch dem Umfang nach anders ausgestaltet. Auch aus dem Umstand, daß das deutsch-amerikanische Sozialversicherungsabkommen die teilweise Anrechnung von Kinderzuschüssen und Waisenrenten vorsieht, ist nicht zu schließen, daß die USA-Kinderrente, jedenfalls soweit sie zu Lebzeiten des Vaters gezahlt wird, in wirtschaftlicher Hinsicht nur der deutschen Waisenrente und nicht dem Kinderzuschuß zur deutschen Rentenversicherung vergleichbar ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen