Leitsatz (amtlich)

Die KK, die dem an Tbc erkrankten Kinde ihrer Versicherten Krankenhauspflege gewährt hat (Familienhilfe, RVO § 205), ist nicht berechtigt, von dem Träger der Versorgung deshalb Ersatz ihrer Auslagen zu verlangen, weil das Kind die versorgungsberechtigte Waise eines Kriegsverschollenen ist (BVG § 10 Abs 3 Buchst c und Abs 4 Buchst a idF des 2. NOG vom 1964-02-21, BGBl 1 85 = BVG § 10 Abs 4 Buchst c und Abs 7 Buchst a idF der Bekanntmachung vom 1976-06-22).

 

Normenkette

BVG § 10 Abs. 3 Buchst. c Fassung: 1964-02-21, Abs. 4 Buchst. c Fassung: 1976-06-22, Abs. 7 Buchst. a Fassung: 1976-06-22; RVO § 205 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1970-12-21; BSHG § 2 Abs. 1 Fassung: 1961-06-30, § 48 Abs. 2 Nr. 1 Fassung: 1961-06-30

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. April 1975 aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 12. Januar 1973 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin - eine Allgemeine Ortskrankenkasse - verlangt von dem Beklagten - Träger der Kriegsopferversorgung - Ersatz für Kosten, die sie für die stationäre Behandlung der an Spondylitis und Coxitis-Tbc leidenden Waisen Josef S (St.) in der Zeit vom 29. März bis 31. August 1966 in Höhe von 4.602,- DM aufgebracht hatte. Dazu hatte die Krankenkasse sich veranlaßt gesehen, weil die Mutter des St. bei ihr krankenversichert war (Familienhilfe, § 205 der Reichsversicherungsordnung - RVO - in Verbindung mit der Kassensatzung). Der Vater des St. ist kriegsverschollen. Die Waisenrente war dem St. über das 18. Lebensjahr hinaus bewilligt worden; zur Zeit des Krankenhausaufenthalts war er 35 Jahre alt.

Die Klägerin meint, der Anspruch auf Krankenhausbehandlung nach § 10 Abs. 3 Buchst. c des Bundesversorgungsgesetzes - BVG - (idF des 2. Neuordnungsgesetzes - NOG - vom 21. Februar 1964, BGBl I, 85 = BVG aF) sei vor ihrer Verpflichtung zu erfüllen. Demgegenüber bezieht sich der Beklagte auf § 10 Abs. 4 Buchst. a BVG aF, wonach der versorgungsrechtliche Anspruch auf Heilbehandlung ua durch das Bestehen einer entsprechenden Berechtigung gegenüber einem Sozialversicherungsträger und auf Tuberkulose-Hilfe ausgeschlossen ist.

Die Klage hat das Sozialgericht - SG - (Urteil des SG Würzburg vom 12. Januar 1973) abgewiesen; das Landessozialgericht - LSG - (Urteil des Bayerischen LSG vom 23. April 1975) hat ihr stattgegeben. Für das Berufungsgericht war zunächst wichtig, daß die Familienhilfe eine Pflichtleistung der Krankenversicherung gewesen sei. Deshalb sei ihr gegenüber die Verantwortlichkeit des Trägers der Tbc-Hilfe zurückgetreten (§ 48 Abs. 3 Satz 2 iVm § 2 Abs. 2 Satz 2 des Bundessozialhilfegesetzes - BSHG -). Vor der krankenversicherungsrechtlichen Familienhilfe sei aber der eigene Anspruch der Waisen nach dem BVG zu erfüllen, wie das Bundessozialgericht (BSG) in dem Urteil vom 28. April 1965 (3 RK 48/62 = SozR Nr. 3 zu § 10 BVG) entschieden habe.

Der Beklagte hat die - von dem LSG zugelassene - Revision eingelegt. Er ist der Ansicht, die Rangfolge der Leistungsverpflichtungen, wie sie in dem Berufungsurteil dargestellt werde, widerspreche der Konzeption des § 10 Abs. 4 a BVG aF. An dieser Stelle habe das Gesetz angeordnet, daß ein Träger der Sozialversicherung oder der Träger der Tbc-Hilfe vor dem Versorgungsträger einzutreten hätte. Für diese Aufgabenverteilung sei unerheblich, in welchem Verhältnis die Krankenhilfe zur Tbc-Hilfe stehe.

Der Beklagte beantragt,

das Berufungsurteil aufzuheben und die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist begründet.

Der erhobene Ersatzanspruch wäre nur gerechtfertigt, wenn die Klägerin für die stationäre Heilbehandlung des an Tbc erkrankten St. Kosten getragen hätte, die von der Versorgungsverwaltung zu bestreiten waren. So ist es nicht. Zwar ist nach § 10 Abs. 3 Buchst. c BVG (idF des 2. NOG vom 21. Februar 1964, BGBl I, 85 = BVG aF) versorgungsberechtigten Hinterbliebenen, also auch den Waisen eines Beschädigten, der an den Folgen einer Wehrdienstschädigung gestorben ist (§ 38 Abs. 1, §§ 45, 52 BVG) Krankenbehandlung zu gewähren. Die Berechtigung hierauf ist aber ausgeschlossen, wenn und soweit ein entsprechender Anspruch auf Tbc-Hilfe besteht (§ 10 Abs. 4 Buchst. a BVG aF). Der entsprechende Anspruch, für den nicht der Beklagte zuständig war, ergab sich aus § 49 Abs. 1 und 2 Nr. 1 BSHG. Dieser Anspruch ging der aus § 10 Abs. 3 BVG aF herzuleitenden Forderung vor. In Abs. 4 des § 10 BVG aF ist dies generell und uneingeschränkt ausgesprochen. Auf dem Gebiete der Tbc-Hilfe hat der Gesetzgeber kein Bedürfnis für eine Heil- oder Krankenbehandlung von Angehörigen eines Kriegsbeschädigten gesehen (zu § 10 Abs. 4 BVG idF des 1. NOG vom 27. Juni 1960, BGBl I, 453: BT-Drucks. III/1239). Die Versorgung erschien ihm in diesem Bereich zunächst aufgrund des Gesetzes über die Tbc-Hilfe vom 23. Juli 1959 (BGBl I, 513) und später durch die Tbc-Hilfe nach dem BSHG "sichergestellt". Die Heilbehandlung nach diesen Vorschriften sei - so wurde erklärt - "umfassender" als nach dem BVG. Letzteres sei insoweit gegenüber dem Recht der Tbc-Hilfe subsidiär. Diese Einstellung des Gesetzgebers änderte sich nicht, als er mit dem 2. NOG die ältere Gesetzesfassung abwandelte. Während es vorher geheißen hatte, daß der Anspruch "gegen den Träger der Tbc-Hilfe" die Verpflichtung des Versorgungsträgers ausschalte, wurde diese Rechtsfolge nunmehr dem Anspruch "auf Tbc-Hilfe" beigemessen. Diese neue Formulierung wählte der Gesetzgeber lediglich, weil das inzwischen in Kraft getretene BSHG den Begriff "Träger der Tbc-Hilfe" nicht mehr verwende (BT-Drucks. IV, 1831 S. 2). Als "Träger der Tbc-Hilfe" waren vorher der Landesfürsorgeverband und "andere Träger" bezeichnet worden (§ 7 u. Überschrift des 3. Abschn. des Tbc-Hilfegesetzes). Eine Neuordnung der Kompetenzen wurde aber nicht vorgenommen. Vielmehr sind der Gesetzesgeschichte deutliche Hinweise darauf zu entnehmen, daß mit § 10 Abs. 4 Buchst. a BVG aF die Verantwortlichkeit des Versorgungsträgers im Verhältnis zu den §§ 48 ff BSHG aufgehoben ist (ebenso im Ergebnis: Gottschick/Giese, Das Bundessozialhilfegesetz, Kommentar, 5. Aufl., 1974, Rdnr. 5 zu § 48; Mergler/Zink, BSHG, Kommentar, 2. Aufl., 1975, Erl. 15 zu § 48).

Nur scheinbar widerstreitet die Subsidiarität des § 10 Abs. 4 Buchst. a BVG aF dem Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 iVm § 48 Abs. 2 Satz 2 BSHG). Allerdings erklären beide Vorschriften schlechthin, gegenüber anderen gesetzlichen Bestimmungen bloß hilfsweise zu gelten. Aus dem jeweiligen Zweck der miteinander zu vergleichenden Regelungen ist aber die Lösung des Normenkonflikts zu finden. Der Versorgungsträger hätte die Behandlung der Tbc-kranken Kriegswaisen nur zu besorgen, wenn seine Funktion als Ausformung der allgemeinen Tbc-Hilfe anzusehen wäre, so daß in jener diese notwendig mitenthalten wäre. Dann wäre der Satz maßgebend, daß das spezielle Gesetz das allgemein gehaltene verdrängt (Spezialitätsprinzip). Hier ist es jedoch anders, weil - nach § 10 Abs. 2 bis 4 BVG aF - die Verpflichtung des Versorgungsträgers lediglich als eine letzte ergänzende Auffanghilfe gedacht ist. Die Heil- und Krankenbehandlung für Gesundheitsstörungen, die "nicht Folge einer Schädigung sind" oder unter denen bestimmte den Beschädigten nahestehende Personen leiden, liegt außerhalb des eigentlichen Zieles, das mit einem "Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges" (so die vollständige Überschrift des BVG) verfolgt wird (ähnlich: BMA, Rundschreiben vom 27. November 1959, BVBl 1960, 2; Besch. vom 5. Mai 1962, BKK 1962 Sp. 356). Die zu Gunsten eines weiteren Personenkreises erst nachträglich mehr und mehr in das Versorgungsrecht übernommene Aufgabe ist an das Ende der Zuständigkeiten öffentlich-rechtlicher Krankenbetreuung gerückt. Sie ist, was ihre Stelle in der Pflichtenfolge anbetrifft, der Krankenversorgung für Empfänger der Unterhaltshilfe nach § 276 des Lastenausgleichsgesetzes (LAG) ähnlich. Der Anspruch nach dem BVG ist zwar noch vor der lastenausgleichsrechtlichen Krankenversorgung zu erfüllen (§ 276 Abs. 1 Satz 3 LAG). Vergleichbar sind aber beide Wirkungskreise in ihrem Charakter des Aushilfsweisen. Hier wie dort handelt es sich um ein Tätigwerden von Kriegsfolgeverwaltungen in Bereichen am Rande ihrer Obliegenheiten. Im gegenwärtigen Zusammenhang verdient Beachtung, daß auf dem Gebiete des Lastenausgleichsrechts der Gesetzgeber Versuchen entgegengetreten ist, die Lasten der Heil- und Krankenbehandlung von primär Verpflichteten auf den Träger des Lastenausgleichs (Sozialhilfe) abzuwälzen (§ 276 Abs. 1 Satz 3 LAG idF des 11. Änderungsgesetzes vom 29. Juli 1959 - BGBl I, 545; hierzu BSG 19, 260, 261). Dieser Gesetzgebungsvorgang im Bereich des Lastenausgleichsrechts und eine gewisse Parallelität der gesetzlichen Motivationen und Zielsetzungen dieses Rechtsgebietes und des Rechts der Kriegsopferversorgung legen es nahe, auch das Anwendungsfeld des § 10 Abs. 2 und 3 BVG aF in vergleichbaren Grenzen zu halten. Durch eine Zuständigkeit, wie die in Rede stehende, die dem unmittelbaren Gesetzeszweck fern ist, sollen naturgemäß sonst im sozialen Leistungsgefüge offenbleibende Lücken geschlossen werden. Dagegen ist eine Überlagerung von Kompetenzen nicht gewollt und nicht zu unterstellen. Demgegenüber ist die Tbc-Hilfe auch sachlich im BSHG festgelegt. Sie ist geradezu dazu bestimmt, die Heilung Tuberkulosekranker zu fördern und zu sichern, sowie die Umgebung der Kranken gegen die Übertragung der Tbc zu schützen (§ 48 Abs. 1 BSHG). Die Aufgabenzuweisung und -trennung kommt auch gesetzestechnisch zum Ausdruck. Über die "Tbc-Bekämpfung außerhalb der Sozialhilfe" sind Einzelheiten im BSHG geregelt. Aber die Pflicht dazu ist in diesem Gesetz nicht angeordnet. Vielmehr nimmt das BSHG insoweit auf die in den einschlägigen Gesetzen, zB im BVG, ausgesprochene Verpflichtung "sonstiger Stellen" Bezug (ebenso BSG 31, 112, 116). Deshalb ist im BVG auch diejenige Norm zu suchen, welche die Pflichtgrenzen bestimmt und Kompetenzüberschneidungen verhindert. Dies ist für den hier interessierenden Sachverhalt § 10 Abs. 4 Buchst. a BVG aF. Sonach hat der Versorgungsträger für die Tbc-Bekämpfung der Waisen eines Beschädigten nicht einzustehen.

Daran ändert nichts, daß im gegenwärtigen Streitfalle die Tbc-Behandlung im Auftrage und für Rechnung einer Krankenkasse im Wege der Familienkrankenhilfe (§ 205 RVO) vorgenommen worden ist. Damit hat sich die Klägerin an die durch BSG 31, 112 vorgezeichnete Richtlinie gehalten. In dem an der angeführten Stelle veröffentlichten Urteil ist entschieden worden, daß eine Krankenkasse ihren an Tbc erkrankten Mitgliedern eine medizinisch notwendige Krankenhauspflege zu gewähren hat (§ 184 RVO). Eine Krankenhauspflege, die nach Art und Schwere der Krankheit geboten ist, habe, so ist in dem angeführten Urteil ausgeführt worden, sich zur Pflichtleistung "verdichtet". Als Pflichtleistung gehe sie entsprechenden Leistungen des Trägers der Tbc-Hilfe vor (BSG 31, 114 f). Im gegenwärtigen Streitfalle kommt hinzu, daß die Krankenkasse die stationäre Tbc-Behandlung dem unterhaltsberechtigten Kinde ihrer Versicherten - als Familienhilfe - zukommen ließ. Die Familienhilfe setzt aber voraus, daß das Kind "nicht anderweit einen gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege" hat (§ 205 Abs. 1 RVO). Dieses - negative - Erfordernis ist hier verwirklicht. Denn wegen Tbc hatte die Waise, wie oben unter Hinweis auf § 10 Abs. 4 Buchst. a BVG aF erläutert worden ist, eine Heilbehandlung von dem Versorgungsträger nicht zu verlangen.

Bei dieser Rechtslage kommt es ferner nicht auf das Konkurrenzverhältnis der versorgungsrechtlichen Regelung des § 10 Abs. 2 bis 4 BVG aF und der Familienhilfe gemäß § 205 RVO an. In bezug auf diese Normen, die jede für sich subsidiär ausgestaltet sind, ist in BSG SozR Nr. 3 zu § 10 BVG ausgesprochen worden, daß der versorgungsrechtliche Anspruch auf Heilbehandlung wegen nichtschädigungsbedingter Gesundheitsstörungen nur dann entfalle, wenn der Leistungsempfänger nach anderen Rechtsvorschriften berechtigt sei, für sich selbst entsprechende Krankenbehandlung zu fordern. Nur der andernorts geregelte eigene Anspruch gehe dem versorgungsrechtlichen Anspruch nach § 10 Abs. 2 bis 4 BVG aF vor (zu dieser Rechtsprechung außerdem: BSG SozR Nr. 7 zu § 10 BVG; Rundschreiben BMA vom 9. Dezember 1965, BVBl 66, 3). Auf diese Überlegung ist in dem gegenwärtigen Urteil nicht näher einzugehen; denn die zitierte Rechtsprechung betrifft keinen Fall der Tbc-Hilfe. Überdies würde der erwähnte Gesichtspunkt in dieser Streitsache zu keinem anderen Ergebnis führen. Hier stand der Waisen der eigene Anspruch auf Tbc-Hilfe zu (§§ 48, 49 Abs. 1 und 2 Nr. 1 BSHG).

Nach allem war der Versorgungsträger zur Leistung nicht verpflichtet. Die Klägerin hat mithin nicht an seiner Stelle Heilbehandlung gewährt. Ihre Klage kann keinen Erfolg haben. Das dieser Entscheidung entgegenstehende Berufungsurteil ist aufzuheben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Abs. 1 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648115

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