Leitsatz (amtlich)
Das Ziel des § 56 Abs 1 S 1 AFG, die Behinderten möglichst auf Dauer beruflich einzugliedern, macht ein der Erlangung der staatlichen Anerkennung zur Berufsausübung dienendes Praktikum nicht entgegen § 34 Abs 2 S 2 AFG förderungsfähig (Weiterentwicklung von BSG vom 17.3.1988 - 11 RAr 10/87 = SozR 4100 § 34 Nr 13).
Normenkette
AFG § 34 Abs 2 S 2 Fassung: 1975-12-18, § 56 Abs 1 S 1, § 58 Abs 1 S 1 Fassung: 1982-12-20
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 11.03.1988; Aktenzeichen L 6 Ar 69/87) |
SG Trier (Entscheidung vom 18.05.1987; Aktenzeichen S 1 Ar 29/86) |
Tatbestand
Streitig ist im Rahmen der beruflichen Rehabilitation, ob ein nach Abschluß der zweijährigen Fachschulausbildung als Erzieher zur Erlangung der staatlichen Anerkennung abzuleistendes einjähriges Berufspraktikum von der Beklagten zu fördern ist.
Der 1961 geborene Kläger kann wegen der Folgen einer Handverletzung seinen Beruf als Werkzeugmacher nicht mehr ausüben. Von Juni 1983 bis Juni 1985 besuchte er daher die Fachschule für Erzieher - Fachrichtung Jugend- und Heimerziehung - des Berufsförderungswerkes H. und legte die staatliche Abschlußprüfung ab. Den Schulbesuch förderte die Beklagte durch Übergangsgeld (Übg) und Übernahme der notwendigen Kosten. Dagegen lehnte sie es ab, das von August 1985 bis August 1986 bei einem DRK-Behindertenzentrum geleistete Anerkennungspraktikum zu fördern (Bescheid vom 16. Juli 1985, Widerspruchsbescheid vom 15. Januar 1986).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger für das Anerkennungspraktikum berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation zu gewähren. Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteile vom 18. Mai 1987 und 11. März 1988). Es hat das Praktikum zur beruflichen Eingliederung des Klägers für erforderlich gehalten, da er ohne es die staatliche Anerkennung als Erzieher nicht erhalte und ohne Anerkennung keinen Arbeitsplatz finde. § 34 Abs 2 Satz 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG), wonach Zeiten einer der beruflichen Bildungsmaßnahme folgenden Beschäftigung, die der Erlangung der staatlichen Anerkennung dienen, nicht Bestandteil der Maßnahme seien, treffe auf das hier in Rede stehende Praktikum nicht zu. Dieses sei nach den einschlägigen Verwaltungsvorschriften des Landes Baden-Württemberg Bestandteil der beruflichen Bildungsmaßnahme.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 34 Abs 2 Satz 2 iVm § 58 Abs 1 Satz 1 AFG. Das Praktikum gehöre nicht mehr zur Ausbildung, sondern diene der staatlichen Berufsanerkennung nach Beendigung der Abschlußprüfung. Deshalb könne es nach § 34 Abs 2 AFG nicht gefördert werden.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet; dem Kläger steht kein Anspruch auf Förderungsleistungen für das nach Ablegung der Fachschulabschlußprüfung geleistete Praktikum zu.
Der Senat geht mit dem LSG von der Zulässigkeit der Berufung (§ 143 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) aus, die bei einer zugelassenen Revision von Amts wegen zu prüfen ist (SozR 1500 § 150 Nrn 11 und 18 mwN). Dabei faßt er die allgemein auf Förderung gerichtete Klage als eine Feststellungsklage auf, welche die Feststellung des Vorhandenseins der gemeinsamen Voraussetzungen für die einzelnen Förderungsleistungen, dh die Feststellung der "Förderungsfähigkeit" der Maßnahme zum Gegenstand hat; eine solche Klage ist auch bei inzwischen schon durchgeführter Maßnahme zulässig und die Entscheidung hierüber berufungsfähig (SozR 4460 § 5 Nr 3 mwN).
Voraussetzung für die Gewährung von Förderungsleistungen ist die Teilnahme an einer berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation, hier an einer Umschulungsmaßnahme für den Beruf des Erziehers - Fachrichtung Jugend- und Heimerziehung -. Die rechtliche Grundlage dafür bildet § 58 Abs 1 Satz 1 AFG. Danach gelten für die berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation die Vorschriften des Zweiten bis Fünften Unterabschnitts des Gesetzes mit näher bestimmten Ausnahmen entsprechend. Zu den Ausnahmen gehörte bis zu dem am 1. Januar 1983 erfolgten Inkrafttreten des Haushaltsbegleitgesetzes (HBegleitG) 1983 vom 20. Dezember 1982 (BGBl I S 1857) auch § 34 Abs 2 AFG idF des Haushaltsstrukturgesetzes-AFG (HStruktG-AFG) vom 18. Dezember 1975 (BGBl I S 3113). Ab Januar 1983 ist diese - den Kläger begünstigende - Ausnahme entfallen, sofern nicht die Übergangsvorschrift des § 242a AFG eingreift. Hierfür bietet der vom LSG festgestellte Sachverhalt indes keine Stütze.
Der ab Januar 1983 auch für die berufliche Förderung der Rehabilitanden anzuwendende § 34 Abs 2 AFG bestimmt in seinem Satz 1, daß Zeiten eines Vor- oder Zwischenpraktikums, dessen Dauer und Inhalt in Ausbildungs- oder Prüfungsbestimmungen festgelegt ist, Bestandteil der beruflichen Bildungsmaßnahme sind. Zeiten einer der beruflichen Bildungsmaßnahme folgenden Beschäftigung, die der Erlangung der staatlichen Anerkennung oder der staatlichen Erlaubnis zur Ausübung des Berufes dienen, sind hingegen nach Satz 2 nicht Bestandteil der Maßnahme. Diese Regelung trifft nach ihrem Wortlaut, der Systematik des Gesetzes sowie nach dem mit ihr verfolgten Zweck auf das Praktikum zu, dessen Förderung der Kläger begehrt.
Mit dem Rechtsproblem des "Nachpraktikums" im Rahmen der Berufsförderung nach dem AFG hatte sich der 7. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) bereits mehrfach zu befassen. Dabei hat er im Urteil vom 3. Juni 1975 (SozR 4100 § 47 Nr 12) aus § 34 AFG in der vor dem HStruktG-AFG geltenden Fassung entnommen, daß ein bei der Ausbildung zum Masseur und medizinischen Bademeister vorgesehenes Nachpraktikum nicht von der Umschulungsförderung ausgeschlossen sei. Nach erfolgter Änderung des Gesetzes durch Anfügung des - oben aufgeführten - Abs 2 Satz 1 und 2 sowie nach Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darüber, daß diese ab 1976 geltende neue Fassung nicht gegen Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes verstoße, soweit bei der Förderung die Leistung auf den theoretisch geprägten Ausbildungsteil beschränkt sei (BVerfGE 61, 138 = SozR 4100 § 34 Nr 10), hat er mit Urteilen vom 16. Februar und 16. März 1983 (AuB 282, 283) ein solches Nachpraktikum für nicht - mehr - förderungsfähig erkannt. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 34 Abs 2 Satz 2 AFG sei es nicht Bestandteil der beruflichen Bildungsmaßnahme, da es der Erlangung der staatlichen Erlaubnis zur Berufsausübung diene.
Dieser Beurteilung hat sich der erkennende Senat für ein Nachpraktikum, das Arbeitserzieher zum Zwecke der staatlichen Anerkennung zu leisten haben, in seinem zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil vom 17. März 1988 - 11 RAr 10/87 - angeschlossen. Der vorliegende Fall gibt keinen Anlaß zu einer abweichenden Entscheidung.
Beim Kläger steht ein Praktikum in Rede, dessen Ableistung erst die Voraussetzung für die staatliche Berufsanerkennung schafft. Die einschlägige Verwaltungsvorschrift des Landes Baden-Württemberg vom 22. September 1981 belegt dies. Sie ist laut ihrer Überschrift als Regelung "über die staatliche Anerkennung" von Erziehern erlassen worden und setzt für die Anerkennung in § 1 Nr 3 die Bewährung in einem Berufspraktikum voraus, das nach der mit der staatlichen Prüfung abgeschlossenen Schulausbildung abzuleisten ist. Die Ausgestaltung dieses Praktikums unter gewisser Mitwirkung der Schule läßt es nicht zu einer weiteren schulischen Ausbildung werden, die einen unabdingbaren Bestandteil einer Umschulungsmaßnahme zur Rehabilitation darstellt. Denn nach § 16 Abs 4 iVm § 17 letzter Satz der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter vom 31. Juli 1975 idF der 8. Änderungsanordnung vom 15. März 1983 sind Zeiten eines Praktikums nur dann Bestandteil einer derartigen Maßnahme, wenn sie qualifizierende berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln und zum Erreichen des Maßnahmeziels vorgeschrieben sind. Hierzu hat der 7. Senat des BSG im Urteil vom 3. Juni 1975 (SozR 4100 § 47 Nr 12) verlangt, daß die Praktikumzeiten ihr Gepräge durch die Vermittlung theoretischer Kenntnisse und praktischer Unterweisung durch Lehrkräfte erhalten. Nach den Bestimmungen des Landes Baden-Württemberg hängt indes weder das Maßnahmeziel - die Ausbildung zum Erzieher - von der Beschäftigung im Berufspraktikum ab, noch wird die Beschäftigung "geprägt" durch theoretischen Unterricht. Das geschieht, wie der 7. Senat in den Entscheidungen vom 16. Februar und 16. März 1983 (aaO) hervorgehoben hat, nach der Systematik des Gesetzes durch die Teilnahme an Unterrichtsmaßnahmen iS des § 34 Abs 1 Satz 1 AFG. Ein Praktikum hingegen dient der Sammlung praktischer Erfahrungen. Deshalb ist es nach § 34 Abs 2 Satz 1 AFG nur noch ausnahmsweise förderungsfähig, wenn es sich um ein Vor- oder Zwischenpraktikum handelt.
Das von der Landesregelung vorgeschriebene Kolloquium vermag den Charakter des in Rede stehenden "Nachpraktikums" als eines nicht förderungsfähigen Praktikums nicht zu verändern. Entscheidend bleibt, daß es erforderlich ist, um die staatliche Anerkennung erlangen zu können, mag es gegenüber anderen Anerkennungspraktika - gleich, unter welcher Bezeichnung sie durchgeführt werden (s hierzu BT-Drucks 7/4243 S 8) - wegen des Kolloquiums auch als ein "qualifiziertes" Anerkennungspraktikum zu bezeichnen sein. In keinem Falle kann es hinweggedacht werden, ohne daß der Erfolg - die staatliche Anerkennung- entfiele.
An dem Ergebnis ändert auch nichts, daß die mit der staatlichen Prüfung abgeschlossene Fachschulausbildung allein im Regelfalle noch nicht zu einem auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren Beruf zu führen pflegt. In seiner Entscheidung vom 17. März 1988 hatte der erkennende Senat hierzu noch nicht Stellung zu nehmen. Dies ist hier nachzuholen.
Mit den Vorinstanzen ist von § 56 Abs 1 Satz 1 AFG auszugehen. Danach werden als berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation die Hilfen gewährt, die erforderlich sind, um die Behinderten möglichst auf Dauer beruflich einzugliedern. Dieses Grundziel der Rehabilitation würde an sich für die Förderung auch des Anerkennungspraktikums nach vorangegangener zweijähriger Förderungsleistung sprechen. Es ist jedoch seit Inkrafttreten des HBegleitG 1983 begrenzt durch die Entscheidung des Gesetzgebers, die sogenannten Nachpraktika (§ 34 Abs 2 Satz 2 AFG) für Nichtbehinderte und Behinderte in gleicher Weise von der Förderung auszuschließen und sie deshalb aus dem Ausnahmekatalog des § 58 Abs 1 Satz 1 AFG herauszunehmen. Damit ist die Privilegierung der Behinderten in dieser Hinsicht entfallen. Entsprechendes hat der 7. Senat des BSG in den Urteilen vom 16. Februar und 16. März 1983 (aaO) bereits zu der Frage ausgeführt, ob bei Nichtbehinderten nach dem Sinngehalt von § 47 Abs 1 AFG das Nachpraktikum auch nach Einführung des § 34 Abs 2 Satz 2 AFG zu fördern ist. Welche Teile eines Bildungsganges Bestandteil der beruflichen Bildungsmaßnahme sind, kann (seit Januar 1983) nur einheitlich für die verschiedenen Zweige der beruflichen Förderung beantwortet werden. Das folgt aus der auch auf Rehabilitanden anzuwendenden Regelung in § 34 Abs 2 Satz 2 AFG. Mit der Vorschrift sollte der finanziellen Besserstellung der vom AFG geförderten Berufspraktikanten gegenüber den übrigen begegnet werden. In diese Vorstellung hat der Gesetzgeber die Rehabilitanden einbezogen. Der Kläger, der im übrigen eine - zu 80 vH durch Eingliederungshilfe der Beklagten abgedeckte - Praktikantenvergütung von monatlich 700,-- DM bezogen hat, wird davon erfaßt.
Nach alledem waren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen