Leitsatz (redaktionell)
Freiwillig versicherte Mitglieder einer Ersatzkasse, deren Einkommen die Angestelltenversicherungspflichtgrenze übersteigt, haben keinen Anspruch auf freie vertragsärztliche (vertragszahnärztliche) Behandlung ("Behandlung auf Krankenschein").
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; EKV-Ä; EKV-Z
Tenor
Die Sprungrevision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 29. Mai 1964 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Sein Gesamteinkommen beträgt jährlich mehr als 15.000 DM. Er ist bei der beklagten Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) freiwillig weiterversichert, und zwar in der Gruppe N (nichtversicherungspflichtig) mit der Beitragsklasse 31. Für die Mitglieder dieser Gruppe enthält die Satzung der Beklagten u. a. folgendes:
"Anspruch auf freie vertragsärztliche Behandlung haben
a) die Mitglieder, deren Einkommen die Angestellten-Versicherungspflichtgrenze nicht übersteigt, sowie die bis zum Tode eines anspruchsberechtigten Mitgliedes mitversichert gewesenen Familienangehörigen; ....
Mitglieder, die keinen Anspruch auf freie Behandlung durch Vertragsärzte oder Vertragszahnärzte haben, müssen für die erforderliche Behandlung für sich und ihre mitversicherten Familienangehörigen selbst sorgen. Sie erhalten gegen Aushändigung der nachweislich bezahlten Rechnungen eine Vergütung in Höhe der Vertragssätze, jedoch nicht mehr als die tatsächlichen Kosten ...."
Im Februar 1964 beantragte der Kläger von der Beklagten einen Krankenschein für seine Ehefrau. Die Beklagte lehnte dies ab, obwohl sie vorher nach dem Vorbringen des Klägers bis Ende 1963 in Kenntnis seines Einkommens regelmäßig Krankenscheine ausgestellt hatte. Der Widerspruch des Klägers wurde am 14. Februar 1964 zurückgewiesen. Daraufhin hat sich die Ehefrau des Klägers in privatärztliche Behandlung begeben; die dadurch entstandenen Kosten sind höher als die von der Beklagten nach der Satzung erstatteten Beträge.
Gegen die Versagung des Krankenscheines hat der Kläger Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat diese abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, § 178 der Reichsversicherungsordnung (RVO), wonach die Mitgliedschaft und Versicherung solcher Personen, die der Ersatzkasse nach dem 1. Januar 1936 beigetreten seien, in allen Fällen erlischt, in denen das regelmäßige Jahreseinkommen 7.200 DM übersteige, sei spätestens mit dem Zweiten Einkommensgrenzengesetz vom 27. Juli 1957 (BGBl I 1070) gegenstandslos geworden. Damit sei der Kläger noch freiwillig weiterversichertes Mitglied der Beklagten. Die Versicherung solcher Mitglieder der Ersatzkassen beruhe jedoch nicht auf dem Gesetz, sondern auf der Satzung, wie sich aus § 4 Abs. 2 der 12. Aufbau-Verordnung (Aufbau-VO) ergebe. Die Satzung beschränke den Anspruch auf freie vertragsärztliche Behandlung auf solche Mitglieder, deren Einkommen die Angestellten-Versicherungspflichtgrenze nicht übersteige, sowie deren Familienangehörigen. Zu diesem Personenkreis gehöre der Kläger nicht. Die Beschränkung des Anspruchs auf freie vertragsärztliche Behandlung auf Mitglieder mit einem Einkommen unter der Angestellten-Versicherungspflichtgrenze verstoße nicht gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG), weil hier Ungleiches entsprechend seiner Verschiedenheit behandelt werde. Allein die Tatsache, daß Personen mit einem höheren Einkommen in der Regel in der Lage seien, in anderer Weise für Krankheitsfälle vorzusorgen, als solche mit geringem Einkommen, rechtfertige eine unterschiedliche Behandlung.
Die Beschränkung des Anspruchs auf freie vertragsärztliche Behandlung nach den genannten Grundsätzen verstoße auch nicht gegen § 21 Abs. 1 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG). Nach dieser Vorschrift dürften Mitgliederbeiträge und Vereinsleistungen an die Mitglieder bei gleichen Voraussetzungen nur nach den gleichen Grundsätzen bemessen werden. Das sei aber hier der Fall; denn die Beklagte erstatte auch den Mitgliedern ohne Anspruch auf freie vertragsärztliche Behandlung die gleichen Beträge, die sie für Behandlungsberechtigte nach dem Ersatzkassenvertrag bei Behandlung gegen Krankenschein zu zahlen hätte. Wenn die Beklagte nur einem bestimmten Personenkreis freie vertragsärztliche Behandlung gewähre und ihren übrigen Mitgliedern die Arztkosten in bestimmter Höhe erstatte, so liege darin auch kein Verstoß gegen § 215 RVO. Unter diesen Umständen komme es nicht darauf an, ob die Beklagte berechtigt sei, ihren freiwillig weiterversicherten Mitgliedern ohne Anspruch auf freie vertragsärztliche Behandlung eine Kostenerstattung zu gewähren. Soweit diese Bestimmung gegen zwingende gesetzliche Vorschriften, etwa § 508 RVO, verstoße, habe dies nicht zur Folge, daß die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger freie vertragsärztliche Behandlung zu gewähren, sondern nur die Nichtigkeit der entsprechenden Satzungsbestimmungen.
Schließlich könne der Kläger auch aus der Tatsache, daß ihm die Beklagte bis Ende 1963 in Kenntnis seines Einkommens freiwillig vertragsärztliche Behandlung gewährt habe, keinen Anspruch auf Weitergewährung von Krankenhilfe in dieser Form herleiten. Denn der Kläger habe gegen die Beklagte nur die Ansprüche, die ihm nach Gesetz und Satzung zustünden. Das SG hat die Berufung zugelassen.
Der Kläger hat gegen das Urteil mit Einwilligung der Beklagten Sprungrevision eingelegt.
Er trägt vor, die von ihm beanspruchte ärztliche Behandlung sei eine Forderung, die sich nur gegen den Versicherungsträger richte. Dementsprechend entstehe der Vergütungsanspruch des Arztes nur gegen die Krankenkasse. Satzungsmäßige Regelungen im Rahmen der RVO könnten nicht dazu führen, die Ansprüche in dem Sinn abzuändern, daß Schuldner des Vergütungsanspruchs die Versicherten statt der Kassen würden. Dies würde dem im öffentlich-rechtlichen Charakter begründeten Wesen dieses Anspruchs des Sozialversicherten widersprechen. Es wäre auch ein Verstoß gegen das Versichertenprinzip, wie es für die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, auch für die Ersatzkassen, unabdingbar gelte. Insoweit herrsche auf dem Gebiet der gesetzlichen Krankenversicherung streng das Legalitätsprinzip. Dieser Grundsatz gelte auch gerade für die freiwilligen Kassenmitglieder. Aus der Grundsatzregelung der RVO über den Anspruch auf Krankenpflege als Naturalleistungsanspruch unter Befreiung des Versicherten auf Ansprüche des Arztes gegen ihn selbst folge, daß die Art und Weise der Leistungsgewährung nicht im Ermessen der Krankenkasse liege, weder im Einzelfall noch in der Möglichkeit einer generellen Regelung durch die Satzung (Versicherungsbedingungen). Dies ergebe sich auch aus der Entwicklung des Ersatzkassenrechts.
Zwar hätten die Ersatzkassen nach einer völligen Eingliederung in das System der Versicherungsträger gemäß der RVO im Prinzip auch weiterhin noch trotz ihrer Eigenschaft als Ersatzkassen und Körperschaften des öffentlichen Rechts privatversicherungsrechtliche Geschäfte tätigen können. Der Gesetzgeber habe aber ausdrücklich zu erkennen gegeben, daß er diese bei den Ersatzkassen für die freiwilligen Mitglieder, soweit es sich um die Frage der Möglichkeit einer Kostenerstattung handele, nicht mehr für zulässig halte.
In der 12. Aufbau-VO vom 24. Dezember 1935 (RGBl I 1537) habe der Gesetzgeber die Möglichkeit eingeführt, die bisher privatversicherungsrechtlich betreuten Mitglieder auf andere Versicherungsunternehmen zu übertragen. Er habe damit für die Ersatzkassen als Träger der Krankenversicherung keinen Raum mehr gesehen, nach privatversicherungsrechtlichen Grundsätzen zu arbeiten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Düsseldorf vom 29. Mai 1964 sowie den Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 1964 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger durch Aushändigung eines Krankenscheines (auch für seine Familienangehörigen) freie ärztliche Behandlung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Wie der Senat in seinem Urteil vom 14. September 1966 - 3 RK 18/65 - mit näherer Begründung ausgeführt hat, hat ein freiwillig weiterversichertes Mitglied einer Ersatzkasse, dessen Einkommen die Angestellten-Versicherungs-Pflichtgrenze überschreitet, keinen Anspruch auf freie vertragsärztliche Behandlung ("Behandlung auf Krankenschein"), wenn die Ersatzkasse solchen Mitgliedern nach ihrer Satzung bei Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung Kostenerstattung in bestimmter Höhe gewährt.
Der Kläger gehört zu den Mitgliedern, die aus der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung ausgeschieden sind und sich freiwillig weiterversichert haben. Nach Art. 2 § 4 Abs. 2 der 12. Aufbau-VO gelten für die Versicherung dieses Personenkreises die Bestimmungen der Satzung. Es ist deshalb grundsätzlich dem Ermessen der einzelnen Ersatzkasse überlassen geblieben, die Weiterversicherung zuzulassen, ihre Bedingungen zu regeln sowie die Voraussetzungen und den Umfang der Leistungen festzusetzen. Während die freiwillige Weiterversicherung bei den gesetzlichen Krankenkassen unmittelbar auf den Vorschriften der RVO beruht, werden die nichtversicherungspflichtigen Mitglieder der Ersatzkassen auf Grund Satzungsrechts versichert, dessen Erlaß und Inhalt im Ermessen der einzelnen Ersatzkasse liegt, wenn das Gesetz es nicht einschränkt. Zwar hat der Reichs- und Preußische Arbeitsminister in seinem Erlaß vom 27. Januar 1937 (EuM 40, 502) dem Leiter der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte als der damals zuständigen Aufsichtsbehörde zur Pflicht gemacht, die Ersatzkassen an das Recht der Weiterversicherung nach den Vorschriften der RVO immer näher heranzuführen. Er hat dabei aber ausdrücklich darauf hingewiesen, daß dieses Ziel bei der damaligen Rechtslage nur durch Änderung der Satzung zu erreichen sei, die die Aufsichtsbehörde anzustreben hätte. Das Satzungsrecht der Beklagten hat aber davon abgesehen, das Leistungsrecht für die freiwillig weiterversicherten Mitglieder den entsprechenden Regelungen in der gesetzlichen Krankenversicherung voll anzupassen, und sieht für den Kreis der nichtversicherungspflichtigen Mitglieder, deren Einkommen die Angestellten-Versicherungspflichtgrenze übersteigt, keinen Anspruch auf freie vertragsärztliche Behandlung vor.
Der Anspruch des Klägers könnte deshalb nur begründet sein, wenn die beklagte Krankenkasse kraft Gesetzes verpflichtet wäre, auch den nichtversicherungspflichtigen Mitgliedern dieser Art ärztliche Behandlung als Sachleistung zu gewähren; in diesem Falle wäre es nicht erheblich, daß die Satzung der Beklagten eine entsprechende Vorschrift nicht übernommen hätte. Eine solche Einschränkung des Satzungsrechts liegt aber nicht vor. Da die §§ 507, 507 a RVO im vorliegenden Falle nicht zum Zuge kommen können, könnte der Anspruch des Klägers allenfalls aus § 508 Satz 1 i. V. m. § 179 RVO abgeleitet werden. Hiernach darf die Ersatzkasse ihren Mitgliedern und deren Angehörigen ohne Beschränkung der Dauer und Höhe alle Leistungen gewähren, die § 179 RVO ihrer Art nach bei den Krankenkassen zuläßt. § 508 RVO setzt aber nur eine Schranke, die allenfalls die Freiheit der Ersatzkassen zur Gestaltung ihres Satzungsrechts rechtlich insofern eingrenzt, als sie auch allen ihren weiterversicherten Mitgliedern ärztliche Behandlung nur in Gestalt der Sachleistung gewähren könnte, wenn sie insoweit einen Versicherungsschutz bereitstellen will. Ob die Ersatzkasse aber diese Leistungsverpflichtung auch gegenüber den freiwillig weiterversicherten Mitgliedern mit einem die Angestellten-Versicherungspflichtgrenze übersteigenden Einkommen übernimmt, steht in ihrem freien Ermessen. Dieses müßte erst durch Beschlußfassung ihrer zuständigen Organe - und durch Genehmigung dieser neuen Satzung durch die Aufsichtsbehörde - bestätigt werden, bevor Ansprüche hierauf gestützt werden könnten. An einer solchen Satzungsgrundlage fehlt es aber.
Schließlich kann der Klageanspruch auch ohne Satzungsgrundlage nicht damit begründet werden, daß das Ermessen der beklagten DAK zwangsläufig nur in die Richtung gehen könnte, ärztliche Behandlung als Sachleistung für den bisher davon ausgeschlossenen Mitgliederkreis einzuführen. Von einer Zwangsläufigkeit im Ermessensgebrauch bei der beklagten DAK kann aber keine Rede sein, denn - wie in dem genannten Urteil bereits dargelegt - bedarf es hierzu der Bereitstellung eines umfassenden Systems ärztlicher Versorgung, das Versicherte, Ersatzkassen und ärztliche Vereinigungen umspannt. Während die ärztliche Versorgung der bei den gesetzlichen Krankenkassen Versicherten in Gestalt der Sachleistung kraft Gesetzes durch den an die Kassenärztlichen Vereinigungen erteilten Auftrag (vgl. § 368 n Abs. 1 Sätze 1 bis 3 RVO) sichergestellt ist, sieht § 368 n Abs. 1 Satz 4 RVO für die ärztliche Versorgung der bei den Ersatzkassen Versicherten und ihre mitversicherten Familienangehörigen nur vor, daß die Kassenärztlichen Vereinigungen mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde diese Aufgaben übernehmen können. Das ist im Arzt-Ersatzkassen-Vertrag vom 20. Juli 1963 geschehen; nach dessen § 4 Abs. 2 haben aber die Mitglieder der Vertragskassen sowie deren mitversicherte Familienangehörige keinen Anspruch auf die im Vertrag näher festgelegte freie vertragsärztliche Behandlung, soweit das Bruttoeinkommen des Mitglieds die Angestellten-Versicherungspflichtgrenze übersteigt. Hieraus folgt, daß die beklagte Ersatzkasse zur Zeit gar nicht in der Lage wäre, ihren freiwillig weiterversicherten Mitgliedern, deren Einkommen die Angestellten-Versicherungspflichtgrenze übersteigt, freie ärztliche Behandlung als Sachleistung zu gewähren. Denn Voraussetzung hierfür wäre eine entsprechende Umgestaltung des Ersatzkassenvertrags. Dies ist aber ein Vertrag, auf dessen Gestaltung die beklagte DAK nur indirekt - über ihren Verband - Einfluß nehmen kann.
Mit ihrer Satzungsbestimmung verstößt die beklagte DAK auch weder gegen den versicherungsmäßigen Grundsatz der Gleichbehandlung der Mitglieder noch gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Die besondere Natur dieser Leistung, die nur unter Koordinierung sehr verschiedener Interessen erbracht werden kann, macht die Ersatzkasse von einem Vertragswerk abhängig, das von Dritten gestaltet wird. Die beklagte Krankenkasse handelt daher nicht unsachgemäß, wenn sie in ihrer Satzung darauf Rücksicht nimmt.
Ob der Kläger, wie er behauptet, in früheren Zeiten einen Krankenschein erhalten hat oder nicht, ist unerheblich. Denn eine solche Handhabung, die nicht dem Satzungsrecht entspricht, würde die Beklagte nicht verpflichten, dem Kläger entgegen ihrer Satzung in Zukunft einen Krankenschein zu erteilen.
Die Revision muß daher zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen