Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragsnachentrichtung. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. sozialrechtlicher Schadensersatzanspruch
Leitsatz (amtlich)
Die Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen gemäß ArVNG Art 2 § 51a Abs 1 Buchst b (= AnVNG Art 2 § 49a Abs 1 Buchst b) für die Zeit vom 1956-01-01 bis zum 1972-11-30 war im Jahre 1973 nur nach den 1973 im Zeitpunkt der Zahlung geltenden Sätzen und Beitragsklassen möglich (RVO § 1419 Abs 3 = AVG § 141 Abs 3).
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Bereiterklärung hat Auswirkungen auf den Fristablauf, bewirkt aber nicht die Beibehaltung der Beitragshöhe.
2. Aus einem fehlerhaften Verwaltungshandeln des Versicherungsträgers im Einzelfall kann kein Anspruch auf Gleichbehandlung abgeleitet werden.
Orientierungssatz
1. Gegen die Versäumung der in AVG § 141 Abs 3 festgelegten Fristen für die Beitragsentrichtung zu bestimmten Beitragssätzen kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt werden. Das Jahresende hat für die Beitragsentrichtung zu den alten Sätzen den Charakter einer Ausschlußfrist, gegen die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich ist.
2. Zur Frage des sozialrechtlichen Schadensersatzanspruches, wenn infolge Pflichtverletzung der Antrag auf Beitragsnachentrichtung so verzögert bearbeitet wurde, daß die Entrichtung von Beiträgen im selben Jahr zu alten Beitragssätzen nicht mehr möglich ist.
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 49a Abs. 1 Buchst. b Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 51a Abs. 1 Buchst. b Fassung: 1972-10-16; AVG § 141 Abs. 3 Fassung: 1967-12-21; RVO § 1419 Abs. 3 Fassung: 1967-12-21; RRG Art. 6 § 4 Fassung: 1972-10-16; AVG § 142 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1420 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1957-02-23; AVG § 112 Abs. 1 Fassung: 1978-07-25; RVO § 1385 Abs. 1 Fassung: 1978-07-25
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 06.08.1976; Aktenzeichen L 1 An 56/76) |
SG Hannover (Entscheidung vom 17.12.1975; Aktenzeichen S 16 An 239/74) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 6. August 1976 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger noch im Jahre 1973 die Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 49 a Abs 1 Buchst b des Angestelltenversicherungsneuregelungsgesetzes (AnVNG) in den für das Jahr 1972 geltenden Beitragsklassen zu den Beitragssätzen dieses Jahres vornehmen durfte.
Der Kläger (geboren am 25. August 1909) ist selbständiger Rechtsanwalt und Notar. Mit Antrag vom 23. Dezember 1972 (eingegangen bei der Beklagten am 27. Dezember 1972) beantragte er, ihm die Nachentrichtung von Beiträgen für die Zeit vom 1. Januar 1956 bis 31. Dezember 1972 in der höchstzulässigen Beitragsklasse zu gestatten. Gleichzeitig beantragte er die Aufnahme in die Pflichtversicherung. In diesem Schreiben führte er weiter aus, daß ihm nicht bekannt sei, in welcher Form und Höhe er die Beiträge zu entrichten habe und dies auch nicht von den Beratungsstellen erfahren könne, da diese z.Zt. völlig überlaufen seien. Er bitte deshalb um Mitteilung über die Zahlungsweise. Wenn dies nicht rechtzeitig möglich sei, bitte er, den Antrag als Bereiterklärung iS des § 142 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) anzusehen, damit ihm die Möglichkeit der Beitragsentrichtung zu den Sätzen des Jahres 1972 erhalten bleibe.
Die Beklagte sandte ihm daraufhin mit Schreiben vom 30. Januar 1973 einen Antragsvordruck. Dieser ging mit dem Antrag auf Nachentrichtung eines Gesamtbetrages von 40.800,- DM am 2. März 1973 bei der Beklagten ein.
Die Beklagte erteilte dem Kläger unter dem 8. August 1973 einen Bescheid, daß er auf seinen Antrag hin ab 1. Dezember 1972 der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung unterliege. In einem weiteren Bescheid vom gleichen Tage entschied sie, daß der Kläger zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge für die Zeit von Januar 1956 bis November 1972 in Höhe von insgesamt 41.976,- DM berechtigt sei. Dabei legte sie die für das Jahr 1973 gültigen Beitragssätze zugrunde.
Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 1973). Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide die Beklagte verurteilt, die Beitragsnachentrichtung für die Zeit von Januar 1956 bis Dezember 1972 nach den Beitragsklassen und den Beitragssätzen des Jahres 1972 zuzulassen (Urteil vom 17. Dezember 1975). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 6. August 1976). Es hat die Auffassung vertreten, daß nach § 141 Abs 3 AVG Beiträge stets zu den Beitragssätzen zu entrichten seien, die im Zeitpunkt der Entrichtung gelten. Auf die Gründe, weshalb die Beiträge nicht früher entrichtet wurden, komme es nicht an. Die in § 141 Abs 2 AVG vorgesehene Bereiterklärung habe nur eine Bedeutung für die Zeiträume, für die nachentrichtet werden könne. Auf die Beitragshöhe und die Wahl der Beitragsklassen habe sie keinen Einfluß. Dies zeige auch deutlich Art 6 § 4 des Rentenreformgesetzes (RRG). Dort sei ausdrücklich den Versicherten, die noch im Jahre 1972 zu den dann geltenden Sätzen Beiträge aufgrund der Nachentrichtungsmöglichkeiten des RRG entrichten wollten, der Weg eröffnet worden, vor der Entscheidung des Rentenversicherungsträgers und ohne vorherige Antragstellung Beiträge bargeldlos auf den bei den Postämtern vorliegenden Vordrucken zu überweisen. Wer hiervon keinen Gebrauch gemacht habe und erst 1973 Beiträge nachentrichtete, habe dies nur zu den 1973 geltenden Beitragssätzen tun können. Eine Ausnahme könne nur dann gelten, wenn der Versicherte die Beiträge nach den bisherigen Beitragssätzen zur sofortigen Entrichtung anbiete und an der Entrichtung lediglich dadurch gehindert werde, daß der Versicherungsträger für die Bearbeitung zu viel Zeit benötige. Ein derartiger Fall liege hier aber nicht vor. Der Kläger habe unstreitig erst Ende Dezember 1972 den Antrag auf Nachentrichtung gestellt und erst 1973 den Nachentrichtungsbetrag gezahlt. Verzögerungen im Organisationsbereich der Beklagten, die als Ursache hierfür in Betracht kommen könnten, lägen nicht vor. Insbesondere könne er sich auf außergewöhnliche Umstände in den ersten Wochen nach Inkrafttreten des RRG nicht berufen. Er habe die Möglichkeit gehabt, selbst das Gesetz einzusehen oder den Antrag schon einige Zeit früher stellen können. Auf die Handhabung in ähnlich gelagerten Fällen könne sich der Kläger nicht berufen; denn auf jeden Fall werde durch eine rechtswidrige Handhabung in anderen Fällen kein Anspruch des Klägers begründet. In den von ihm genannten Vergleichsfällen Stamer und Rammath seien die Anträge früher (18. Dezember 1972 und November 1972) gestellt worden, so daß anders als beim Kläger noch eine rechtzeitige Bearbeitung durch die Beklagte denkbar gewesen sei.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, daß Art 6 § 4 RRG nur für solche Personen anwendbar sei, die zumindest oberflächlich über Art, Umfang und Wirkung der Beitragsentrichtung aufgeklärt gewesen seien. Das sei bei ihm aber nicht der Fall gewesen. Er sei sich über Umfang und Auswirkungen der Beitragsentrichtung nicht im klaren gewesen. Die notwendigen Auskünfte habe er wegen der Überlastung der Beratungsstellen nicht erhalten können. Er habe auch nicht irgendeinen Betrag entrichten können, weil damit sein Nachentrichtungsrecht verbraucht und spätere Aufstockungen nicht mehr möglich gewesen wären. Die Auffassung des LSG, daß eine Bereiterklärung nach § 142 AVG nur für die Wirksamkeit der Beiträge und die Nachentrichtungsfristen des § 140 AVG Bedeutung habe, könne deshalb nicht für die Notsituation des Jahres 1972 gelten. Dem habe auch der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger Rechnung getragen, indem er eine verbindliche Empfehlung gegeben habe, in besonders gelagerten Fällen den Beitragssatz von 17 % auch noch bei einer Nachentrichtung im Jahre 1973 zuzulassen. Die Auffassung des LSG widerspräche auch der Praxis der Rentenversicherungsträger bei der Nachentrichtung im Wege der Teilzahlung. Bei Teilzahlungen werde der Beitragssatz des Antragsjahres zugrunde gelegt. Ab 1. Januar 1977 seien außerdem die Beitragsklassen überhaupt weggefallen und damit sei die Auffassung des LSG überholt. Im übrigen weist der Kläger noch einmal auf die vom LSG aufgeführten Vergleichsfälle hin und vertritt die Auffassung, daß dort auch keine Bearbeitung durch den Rentenversicherungsträger mehr möglich gewesen sei und dennoch die Sätze des Jahres 1972 zugrunde gelegt worden seien. Dementsprechend müsse er auch so behandelt werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligte haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden wird (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Beklagte hat zu Recht die Nachentrichtung von Beiträgen durch den Kläger im Jahre 1973 nur zu den in diesem Jahre geltenden Beitragssätzen zugelassen.
Der Kläger war nach Art 2 § 49 a Abs 1 Buchstabe b AnVNG auf seinen im Dezember 1972 gestellten Antrag hin berechtigt, freiwillig Beiträge für die Zeit vom 1. Januar 1956 bis 30. November 1972 (Beginn der Pflichtversicherung Dezember 1972) nachzuentrichten. Eine besondere Vorschrift, in welchen Beitragsklassen diese freiwilligen Beiträge zu entrichten sind, enthält Art 2 § 49 a AnVNG nicht. Es gilt dementsprechend § 141 Abs 3 AVG, der bestimmt, daß die Beiträge nach den im Zeitpunkt der Zahlung geltenden Sätzen und Beitragsklassen zu entrichten sind. Ausnahmeregelungen bestehen nicht. Auch gibt der vorliegende Fall keinen Anlaß, aus allgemeinen Rechtserwägungen eine Ausnahme zuzulassen.
Das LSG hat zu Recht entschieden, daß auch die Bereiterklärung des Klägers in seinem Antragsschreiben vom 23. Dezember 1972 nicht die Möglichkeit eröffnet, noch im Jahre 1973 nach den Beitragssätzen und Beitragsklassen des Jahres 1972 Beiträge nachzuentrichten. Die Vorschrift des § 141 Abs 2 AVG, die eine solche Bereiterklärung vorsieht, bezieht sich nicht auf § 141 Abs 3 AVG. Wie bereits der Wortlaut erkennen läßt, wird durch diese Bereiterklärung nur die Möglichkeit erhalten, für zurückliegende Zeiten auch später noch Beiträge zu entrichten. Eine Ausnahme hinsichtlich der Beitragshöhe ist nicht vorgesehen.
Auch aus der in Art 2 § 49 a Abs 3 Satz 3 AnVNG zugelassenen Möglichkeit der Teilzahlung läßt sich nichts anderes ableiten. Es kann hier dahinstehen, ob aus der Zulassung von Teilzahlungen gefolgert werden kann, daß in diesen Fällen für die Teilzahlungen die Beitragssätze des Antragsjahres zugrunde zu legen sind. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, so handelt es sich jedenfalls um eine Sonderregelung für Teilzahlungen, die § 141 Abs 3 AVG nicht allgemein außer Kraft setzt.
Gegen die Versäumung der in § 141 Abs 3 AVG festgelegten Fristen für die Beitragsentrichtung zu bestimmten Beitragssätzen kann dem Kläger auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt werden. Das Jahresende hat für die Beitragsentrichtung zu den alten Sätzen den Charakter einer Ausschlußfrist, gegen die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich ist. Dabei kann dahinstehen, ob möglicherweise eine Wiedereinsetzung dann in Betracht käme, wenn durch Gesetzgebung und Verwaltung keine hinreichende Vorsorge getroffen worden ist, daß der einzelne Bürger von den ihm gesetzlich eingeräumten Möglichkeiten Gebrauch machen kann (vgl. dazu BSG, Urteil vom 1. März 1974 - 12 RJ 200/73 - BSGE 37, 149, 152); denn der Gesetzgeber hat in Art 6 § 4 RRG eine vereinfachte Nachentrichtungsmöglichkeit für diejenigen Personen vorgesehen, die noch zu den Beitragssätzen des Jahres 1972 Beiträge nachentrichten wollten und hat darüber hinaus in Art 2 § 49 a Abs 3 Satz 3 AnVNG die Möglichkeit der Teilzahlung eröffnet. Soweit der Kläger geltend macht, daß diese Möglichkeiten nicht ausgereicht hätten, die von ihm zu überwindenden Schwierigkeiten auszugleichen, kann ihm nicht gefolgt werden. Das LSG hat zu Recht darauf hingewiesen, daß sich der Kläger, wie aus seinem Antragsschreiben hervorgeht, lediglich über Form und genaue Höhe der zu entrichtenden Beiträge nicht im klaren war. Er hat dort bereits erklärt, daß er in der höchstmöglichen Beitragsklasse Beiträge nachentrichten will und er hat auch schon den Antrag auf Pflichtversicherung gestellt. Es ging also nur noch darum, den genauen Betrag zu erfahren, sowie um die Art der Übermittlung. Diese beiden Fragen waren aber durch Art 6 § 4 RRG in einer für die Versicherten leicht zugänglichen Weise geklärt und konnten im übrigen von einem Rechtskundigen durch Einblick in das Gesetz ermittelt werden (zur Höhe: § 115 AVG iVm den Rentenversicherungsbezugsgrößenverordnungen; zur Art und Weise der Übermittlung: Art 6 § 4 RRG). Im übrigen konnte unter Hinweis auf diese Schwierigkeiten ein bestimmter Betrag gezahlt werden, verbunden mit einem Teilzahlungsantrag (Art 2 § 49 a Abs 3 Satz 3 AnVNG).
Das Recht, Beiträge zu den Sätzen des Jahres 1972 nachzuentrichten, steht dem Kläger auch nicht aufgrund eines sozialrechtlichen Schadensersatzanspruchs (BSGE 41, 126; 41, 260) zu. Ein solcher würde eine Pflichtverletzung der Beklagten im Rahmen des Sozialrechtsverhältnisses voraussetzen. Eine solche Pflichtverletzung könnte vorliegen, wenn der Antrag auf Beitragsnachentrichtung so verzögert bearbeitet worden wäre, daß die Entrichtung von Beiträgen noch im Jahre 1972 nicht mehr möglich war. Der Vorwurf der Verzögerung kann jedoch nur erhoben werden, wenn der Antrag so rechtzeitig eingegangen ist, daß er noch vor Jahresende bearbeitet werden konnte. Diese Voraussetzungen liegen bei dem erst am 27. Dezember 1972 bei der Beklagten eingegangenen Antrag des Klägers nicht vor.
Der Kläger kann sich ferner nicht darauf stützen, daß die Beklagte und andere Rentenversicherungsträger in ähnlich gelagerten Fällen die Beitragsnachentrichtung noch zu den Sätzen des Jahres 1972 zugelassen haben. Selbst wenn es sich bei den vom Kläger genannten Fällen letztlich um gleiche oder ähnlich gelagerte Fälle handeln sollte, kann der Kläger keine Gleichbehandlung beanspruchen, weil eine Verwaltungsübung, die dem Gesetz nicht entspricht, keinen Anspruch auf Gleichbehandlung begründet (BSG, Urteile vom 7. August 1974 - 7 RAr 30/73 - BSGE 38, 63, 68 mwN; vom 30. September 1975 - 7 RAr 88/74 - SozR 4100 § 41 Nr 21 S 45; vom 15. Juni 1976 - 7 RAr 11/75 - AuB 77, 94).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen