Leitsatz (redaktionell)

1. Die Versorgungsbehörde kann die Schuldfrage bei Scheidung der Ehe nicht nachprüfen. Enthält das Scheidungsurteil keinen Ausspruch über die alleinige oder überwiegende Schuld der Ehefrau, so sind damit grundsätzlich die Voraussetzungen des Wiederauflebens der Witwenrente nach BVG § 44 Abs 2 gegeben.

2. Zum Begriff des "verständigen Grundes" nach BVG § 44 Abs 5 wird die bisherige Rechtsprechung bestätigt.

 

Orientierungssatz

Die Versorgungsverwaltung ist grundsätzlich berechtigt, auf die wiederaufgelebte Witwenrente (BVG § 44 Abs 2) auch deren fiktive Unterhaltsbeiträge des geschiedenen Ehemannes anzurechnen (BVG § 44 Abs 5). Der gesetzliche Unterhaltsanspruch richtet sich nach dem Schuldausspruch des Scheidungsurteils (EheG §§ 58 ff). Eine von der gesetzlichen Regelung abweichende Unterhaltsvereinbarung der Ehepartner, insbesondere ein Unterhaltsverzicht, ist versorgungsrechtlich nur dann zu beachten, wenn der Verzicht aus einem objektiv verständigen Grund erklärt worden ist. Das kann jedoch nicht angenommen werden, wenn der Verzicht den Zweck verfolgt, den Inhalt des Schuldausspruchs und damit die unterhaltsrechtlichen Folgen zu beeinflussen.

 

Normenkette

BVG § 44 Abs. 2 Fassung: 1966-12-28, Abs. 5 Fassung: 1966-12-28; EheG § 58 Fassung: 1946-02-20, § 59 Fassung: 1946-02-20, § 60 Fassung: 1946-02-20

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. März 1968 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Gründe

Die im Jahre 1923 geborene Klägerin war in erster Ehe mit dem kaufmännischen Angestellten K L. verheiratet. Dieser wurde seit November 1944 an der Ostfront vermißt und ist durch Beschluß des Amtsgerichts Oberhausen für tot erklärt worden. Die Klägerin erhielt Witwenversorgung nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 und nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) - Umanerkennungsbescheid vom 12. Dezember 1952 -. Am 2. März 1954 ging die Klägerin eine neue Ehe ein mit dem Polizeibeamten S K.. Aus dieser Ehe stammt eine Tochter, geboren am 17. Dezember 1954. Die Ehe wurde durch Urteil des Landgerichts Duisburg vom 17. Oktober 1956 (Az.: 6 R 27/55) auf Klage und Widerklage rechtskräftig geschieden; beide Parteien tragen die Schuld an der Scheidung. Unmittelbar vor der Scheidung, am 15. Oktober 1956, hatten die Parteien vor dem Einzelrichter einen Vergleich geschlossen. Darin verzichteten beide Parteien auf die Feststellung der überwiegenden Schuld der anderen Partei und - für den Fall der Scheidung aus beiderseits gleicher Schuld - ab 1. November 1956 wechselseitig auf Unterhalt und Unterhaltsbeitragsleistungen. Die Klägerin gab in diesem Termin zu, daß sie ihrem Ehemann mehrfach Rattengift in den Kaffee getan habe. Der Ehemann bestätigte, daß er während einer Krankenhausbehandlung im Jahre 1955 Küsse und Zärtlichkeiten mit einer anderen Frau getauscht habe.

Der Antrag der Klägerin auf Witwenbeihilfe wurde zunächst abgelehnt (Bescheid vom 2. Juli 1958), durch weiteren Bescheid vom 12. Dezember 1958 jedoch anerkannt. Durch Bescheid vom 7. November 1961 wurde an Stelle der Witwenbeihilfe die Witwenrente gewährt. Bei der Berechnung brachte die Versorgungsverwaltung in den Bescheiden vom 8. November 1961, 26. September 1962 und 14. Oktober 1963 jeweils einen angenommenen Unterhaltsbeitrag des geschiedenen Ehemannes in Höhe von 50,- DM in Abzug. Diese Bescheide sind bindend geworden.

Durch den angefochtenen Bescheid vom 15. Oktober 1963 wurde für die Berechnung der Witwenrente die Höhe des anzurechnenden Unterhaltsbeitrages des geschiedenen Ehemannes vom 1. September 1963 an auf 70,- DM festgesetzt. Nach den Ermittlungen des Beklagten hatte der geschiedene Ehemann ab 1. August 1963 ein monatliches Nettogehalt von 952,30 DM; die Klägerin war arbeitsunfähig krank. Der Widerspruch der Klägerin war erfolglos (Bescheid des Landesversorgungsamtes - LVersorgA - Nordrhein vom 24. Februar 1964). Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten durch Urteil vom 21. April 1965 verurteilt, der Klägerin die Witwenrente ab 1. September 1963 ohne Abzug der 70,- DM zu gewähren; es hat ausgeführt, die Klägerin habe den Unterhaltsverzicht aus einem verständigen Grund ausgesprochen, denn sie habe mit Wahrscheinlichkeit damit rechnen müssen, daß sie die überwiegende Schuld aufgebürdet bekommen hätte. Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 7. März 1968 die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und ausgeführt, streitig sei die Anrechnung eines Unterhaltsbeitrages überhaupt, und nicht nur die von dem Beklagten durch den angefochtenen Bescheid vorgenommene Erhöhung des Unterhaltsbeitrages von 50,- DM auf 70,- DM für einen begrenzten Zeitraum. Die Bestimmung in § 44 Abs. 5 BVG idF des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG) "infolge der Ehescheidung erworbene Ansprüche" umfasse alle Unterhaltsansprüche, also auch solche, die wegen eines Verzichts der Witwe zwar nicht erworben worden seien, ohne den Verzicht aber erworben worden wären. Es beständen jedoch bereits erhebliche Zweifel, ob hier ein Unterhaltsanspruch, der bei beiderseitiger Schuld an der Scheidung allein auf § 60 des Ehegesetzes (EheG) gestützt werden könnte, überhaupt hätte durchgesetzt werden können. Selbst wenn man jedoch davon ausgehe, dann lasse sich ein Unterhaltsbeitrag, der auf die Witwenrente i. S. des § 44 Abs. 5 BVG anzurechnen sei, nicht begründen. Nach § 44 Abs. 5 BVG idF des 2. NOG sei davon auszugehen, daß ein Verzicht auf Unterhalt nur dann versorgungsrechtlich schädlich sei, wenn die Witwe "ohne verständigen Grund" auf einen Unterhaltsanspruch aus der neuen Ehe verzichtet habe. Die gleichen Erwägungen müßten auch nach den bis zum 2. NOG geltenden Vorschriften zum Zuge kommen, wenn es sich - wie hier - um Unterhaltsbeiträge handele, die unter dem Betrag der vollen Ausgleichsrente lägen. Somit komme es für die gesamte Zeit vom 1. September 1963 an darauf an, ob die Klägerin "ohne verständigen Grund" auf einen Anspruch aus der zweiten (neuen) Ehe verzichtet habe. Diese Frage sei zu verneinen. Die Klägerin habe ohne Rücksicht auf versorgungsrechtliche Folgen, allein aus Gründen des Scheidungsprozesses, den Unterhaltsverzicht am 15. Oktober 1956 erklärt. Offensichtlich hätten die Parteien vermeiden wollen, daß nochmals wieder ihre strafrechtlich erheblichen und sonstigen Verfehlungen Gegenstand von Zeugenvernehmungen und der Verhandlung auch des Scheidungsprozesses würden. Auf eine Absicht der Parteien, der Klägerin wieder eine Witwenversorgung nach ihrem ersten Ehemann zu verschaffen, sei nicht zu schließen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Dieses Urteil wurde dem Beklagten am 25. April 1968 zugestellt, der dagegen mit Schriftsatz vom 7. Mai 1968, beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen am 8. Mai 1968, Revision eingelegt und diese nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 25. Juli 1968 mit Schriftsatz vom 22. Juli 1968, der am gleichen Tage beim BSG eingegangen ist, begründet hat.

Der Beklagte beantragt zu erkennen:

1) Auf die Revision des Beklagten wird unter Änderung der Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 7. März 1968 und des SG Duisburg vom 21. April 1965 die Klage abgewiesen.

2) Außergerichtliche Kosten sind in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.

Der Beklagte trägt zur Begründung vor, das angefochtene Urteil beruhe auf einer Verletzung des § 44 Abs. 5 BVG. Schon § 44 Abs. 5 BVG idF des 1. NOG umfasse trotz des einengenden Wortlauts alle Unterhaltsansprüche, die wegen eines Verzichts der Witwe zwar nicht erworben wurden, ohne den Verzicht aber erworben worden wären. Der Zeitpunkt des Verzichts - ob vor oder nach Rechtskraft des Scheidungsurteils - sei unerheblich. Entgegen den Ausführungen des LSG lasse sich sehr wohl feststellen, daß die Klägerin ohne den Verzicht einen Unterhaltsanspruch gemäß § 60 EheG gegen ihren geschiedenen Ehemann erworben hätte und einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von monatlich 70,- DM tatsächlich auch hätte durchsetzen können. Die Versorgungsakten wiesen nämlich aus, daß das Einkommen des geschiedenen Ehemannes laufend gestiegen sei und zur Zeit der Bescheiderteilung am 15. Oktober 1963 1042,50 DM brutto und 952,30 DM netto betragen habe. Demgegenüber habe die Klägerin zu diesem Zeitpunkt über keine eigenen Einkünfte verfügt. Wegen der Betreuung ihrer damals 9-jährigen Tochter aus zweiter Ehe sei ihr eine Erwerbstätigkeit nicht zumutbar gewesen, ganz abgesehen davon, daß sie dazu infolge ihres Gesundheitszustandes offenbar auch nicht in der Lage sei. Im Rahmen des § 44 Abs. 5 BVG sei auch ein Unterhaltsanspruch nach § 60 EheG zu berücksichtigen. Die Klägerin habe auch nicht aus einem "verständigen Grund" auf Unterhalt verzichtet. Zwar habe sie im vorliegenden Fall nicht in der ausdrücklichen Erwartung verzichtet, daß zum Ausgleich für die Unterhaltsansprüche die Witwenrente gemäß § 44 Abs. 2 BVG wiedergewährt werden würde. Dieser vom LSG als wesentlich erachtete, jedoch mehr oder weniger zufällige Umstand könne den Verzicht der Klägerin jedoch noch nicht als "verständig" erscheinen lassen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG müsse es sich um einen objektiv verständigen Grund handeln. Soweit die Klägerin mit Hilfe des Unterhaltsverzichts verhindern wollte, daß ihr im Scheidungsverfahren die überwiegende Schuld aufgebürdet werde, möge ein solches Verhalten subjektiv, vom Standpunkt der Klägerin aus betrachtet, verständlich sein. Objektiv müsse jedoch entgegengehalten werden, daß die Klägerin erst durch ihren Verzicht die Anspruchsberechtigung für das Wiederaufleben der Witwenrente geschaffen habe, die sonst - wegen ihrer überwiegenden Schuld - nicht gegeben gewesen wäre. Der gesetzgeberische Zweck, die Rente nur solchen Witwen wiederzugewähren, die keine überwiegende Schuld an der Scheidung treffe, würde durch ein solches Verhalten vereitelt werden. Privatrechtlichen Willenserklärungen könne eine derartige Drittwirkung auf öffentlich-rechtliche Leistungen nicht zugebilligt werden.

Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten und hat auch keine Anträge gestellt.

Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist von dem Beklagten form- und fristgerecht eingelegt und auch rechtzeitig begründet worden (§§ 164, 166 SGG); sie ist daher zulässig. Die Revision ist auch begründet.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte berechtigt ist, auf die wiederaufgelebte Witwenrente der Klägerin (§ 44 Abs. 2 BVG) einen fiktiven Unterhaltsanspruch gegen ihren geschiedenen Ehemann in Höhe von 70,- DM vom 1. September 1963 an anzurechnen. Eine derartige Anrechnung ist - entgegen der Auffassung der Vorinstanzen - im vorliegenden Falle grundsätzlich nicht ausgeschlossen.

Das LSG ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß die Berufung zulässig ist. Sie betraf weder - wie es nach dem Bescheid vom 15. Oktober 1963 scheinen könnte - nur Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume noch allein die Höhe der Ausgleichsrente noch die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse (vgl. § 148 Nr. 2, 3 und 4 SGG). Die Vorinstanzen hatten auch nicht nur darüber zu entscheiden, ob die Versorgungsverwaltung berechtigt ist, den Anrechnungsbetrag wegen eines angenommenen Unterhaltsbeitrages des geschiedenen Ehemannes der Klägerin von 50,- DM auf 70,- DM zu erhöhen. Im Streit ist vielmehr die Frage der Anrechnung eines Unterhaltsanspruches überhaupt und für unbegrenzte Zeit. Eine Bindung zugunsten des Beklagten in Höhe eines Betrages von 50,- DM, die das Gericht gehindert hätte, über den Anrechnungsbetrag insgesamt, d. h. in seiner vollen Höhe von 70,- DM zu entscheiden, lag entgegen der Auffassung des Beklagten nicht vor. Eine Bindungswirkung für unbestimmte Zeit kam nur dem Bescheid vom 7. November 1961 zu, durch den der Anspruch der Klägerin auf wiederaufgelebte Witwenrente nach dem 1. NOG vom 1. Juni 1960 an anerkannt worden ist. In diesem Bescheid ist jedoch ein Anrechnungsbetrag nicht enthalten, sondern ausdrücklich auf den Rentenänderungsbescheid vom gleichen Tage verwiesen. In diesem Rentenänderungsbescheid und in den späteren Änderungsbescheiden sind jeweils die Versorgungsleistungen für einen begrenzten Zeitraum zunächst vorläufig (vgl. § 60 a BVG) und dann endgültig festgesetzt worden (vgl. BSG in SozR BVG § 60 a Nr. 1 und 2). Dieser Zeitraum ging jedoch, wie sich insbesondere aus den Bescheiden vom 26. September 1962 (vorläufige Festsetzung vom 1. August 1962 an) und vom 14. Oktober 1963 (endgültige Festsetzung für die Zeit vom 1. August 1962 bis 31. August 1963) ergibt, über den 31. August 1963 nicht hinaus. In Bindung erwuchs überdies nur der Ausspruch (Tenor) dieser Bescheide, nicht jedoch die Berechnungsfaktoren, zu denen auch die Höhe des jeweils anzurechnenden Unterhaltsanspruchs gehört. Eine Bindungswirkung hinsichtlich der Höhe des Anrechnungsbetrages über den 31. August 1963 hinaus lag somit nicht vor (s. auch BSG 29, 200).

Die Klägerin hatte allerdings bei der Klagerhebung zunächst beantragt, den Beklagten zu verurteilen, "weiterhin eine Witwenrente von 170,- DM zu zahlen", womit sie offenbar erreichen wollte, daß es bei dem bisher festgesetzten Anrechnungsbetrag von 50,- DM verbleiben sollte. Sie hatte jedoch gleichzeitig beantragt, "den Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 1964 aufzuheben", die Neuregelung also insgesamt angegriffen. Dem Antrag der Klägerin kann daher nicht entnommen werden, daß der Bescheid vom 15. Oktober 1963/Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 1964 hinsichtlich des früheren Anrechnungsbetrages von 50,- DM bindend geworden ist (vgl. §§ 24 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VerwVG -, 77 SGG). Noch im erstinstanzlichen Verfahren hat die Klägerin alsdann ihren Antrag dahin erweitert, daß der Beklagte verurteilt werden sollte, "keinen anrechenbaren Unterhaltsbeitrag in Ansatz zu bringen". Diese Erweiterung des ursprünglich gestellten Zahlungsantrages muß jedenfalls als zulässig gemäß § 99 SGG angesehen werden. Im vorliegenden Fall ist daher über die Anrechnung eines Unterhaltsbeitrages überhaupt zu entscheiden.

Die Frage der Anrechnung eines Unterhaltsanspruches auf eine wiederaufgelebte Witwenrente ist für die Zeit bis zum 31. Dezember 1963 nach § 44 Abs. 5 BVG idF des 1. NOG vom 27. Juni 1960, für die Zeit vom 1. Januar 1964 bis 31. Dezember 1966 nach § 44 Abs. 5 BVG idF des 2. NOG vom 21. Februar 1964 und für die Zeit vom 1. Januar 1967 an nach § 44 Abs. 5 BVG idF des 3. NOG vom 28. Dezember 1966 zu beurteilen. Nach § 44 Abs. 2 BVG lebt der Anspruch auf Witwenrente (so 1. und 2. NOG) bzw. Witwenversorgung (so 3. NOG) wieder auf, wenn die neue Ehe ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden der Witwe aufgelöst oder für nichtig erklärt worden ist; jedoch sind nach § 44 Abs. 5 BVG infolge Auflösung oder Nichtigerklärung der neuen Ehe erworbene ... Unterhaltsansprüche geltend zu machen; die Leistungen sind auf die Witwenrente anzurechnen. Hinsichtlich der Frage, ob die Ehe "ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden" der Witwe aufgelöst worden ist, sind die Versorgungsverwaltung und die Sozialgerichte an den Schuldausspruch des Scheidungsurteils gebunden. Das gilt grundsätzlich auch in den Fällen, in denen das Scheidungsgericht zu der Frage, ob das Verschulden eines Ehegatten das des anderen überwiegt, keine Feststellungen treffen konnte, weil die Parteien - wie zulässig (vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, EheG, § 52 Anm. 4 am Ende) - auf eine solche Feststellung verzichtet haben (vgl. BSG 27, 256; 29, 81). Wortlaut und Sinn der Einschränkungsregelung des § 44 Abs. 2 BVG lassen erkennen, daß es dem Gesetzgeber - ebenso wie bei den entsprechenden Regelungen des § 1291 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und des § 83 Abs. 3 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) - für das Wiederaufleben der Witwenrente auf das im Scheidungsurteil ausgesprochene Verschulden ankommt. Da im geltenden Eherecht die Schuldfrage untrennbar mit der Frage der Eheauflösung selbst verbunden ist, wäre es sinnwidrig, wenn die Versorgungsverwaltung die Auflösung der Ehe als bindende Tatsache anerkennen, die Schuldfrage aber in eigener Zuständigkeit zu prüfen und gegebenenfalls anders als der Scheidungsrichter zu entscheiden hätte. Diese Auslegung des § 44 Abs. 2 BVG ist auch aus praktischen Gründen geboten. Das Leistungsrecht der gesetzlichen Kriegsopferversorgung (KOV) erfordert klare objektive Tatbestände, die sich regelmäßig aus den vorliegenden schriftlichen Urkunden und Unterlagen ergeben. Sollte die Versorgungsbehörde den Schuldausspruch in eigener Zuständigkeit nachprüfen müssen, so würde sie oftmals vor unüberwindlichen Aufklärungsschwierigkeiten stehen, ganz abgesehen davon, daß sie unter Umständen Sachverhalte nachprüfen müßte, die aus der Intimsphäre der Ehepartner stammen und die diese im Rahmen ihrer Gestaltungsfreiheit der gerichtlichen Nachprüfung gerade entziehen wollten. Auch müßten moralisch wertende Beurteilungen getroffen werden, die nach geltendem Recht nur die Scheidungsgerichte zu treffen haben (vgl. BSG aaO). Haben demnach die Ehepartner auf die Feststellung der überwiegenden Schuld (vgl. § 52 Abs. 2 Satz 2 EheG) verzichtet und ist die Ehe von dem Scheidungsgericht aus beiderseitigem (gleichwertigem) Verschulden geschieden worden, enthält also das Scheidungsurteil keinen Ausspruch über die alleinige oder überwiegende Schuld der Ehefrau, so sind damit grundsätzlich die Voraussetzungen des Wiederauflebens der Witwenrente nach § 44 Abs. 2 BVG gegeben. Ob im Einzelfall das Berufen der Witwe auf den fehlenden Ausspruch ihres überwiegenden Verschuldens als rechtsmißbräuchlich angesehen werden kann (vgl. BSG 29, 81, 84), braucht hier schon deshalb nicht näher untersucht zu werden, weil der Beklagte den Anspruch der Klägerin auf das Wiederaufleben ihrer Witwenrente grundsätzlich anerkannt und nur einen - fiktiven - Unterhaltsbeitrag nach § 44 Abs. 5 BVG in Abzug gebracht hat. Ihren Unterhaltsanspruch hat die Klägerin im vorliegenden Fall, da die Ehe aus beiderseitigem (gleichwertigem) Verschulden und ohne einen überwiegenden Schuldausspruch geschieden worden ist, auf § 60 EheG (Beitrag zum Unterhalt aus Billigkeitsgründen) stützen können.

Mit Recht hat das LSG auch die Vorschrift des § 44 Abs. 5 BVG dahin ausgelegt, daß darunter alle Unterhaltsansprüche fallen, also auch solche, die die Witwe infolge eines von ihr ausgesprochenen Verzichts zwar nicht "erworben" hat, aber ohne diesen Verzicht erworben hätte. Diese Auslegung entspricht der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Urteil vom 8. März 1966 in BVBl 1966 S. 119 = KOV 1966, 228; Urteil vom 19. März 1969 - 10 RV 450/66 -; s. auch Urteil des 11. Senats in BSG 21, 279) und der übrigen Kriegsopfersenate des BSG. Der 8. Senat hat seine frühere abweichende Meinung (vgl. Urteil vom 29. Oktober 1964 - 8 RV 53/62 -) in seinem Urteil vom 30. Januar 1969 (8 RV 125/68) ausdrücklich aufgegeben und sich der Auffassung des 10. und 11. Senats angeschlossen. Die Entscheidung des 9. Senats vom 31. Januar 1963 (BSG 18, 263) betraf, worauf der erkennende Senat bereits in seiner Entscheidung vom 19. März 1969 (aaO) hingewiesen hat, einen anders gelagerten Fall, der dadurch gekennzeichnet war, daß der Unterhaltsvergleich (Verzicht) bereits im August 1950, also noch vor der Verkündung und dem Inkrafttreten des BVG in seiner ersten Fassung geschlossen war, so daß die Klägerin "dem späteren Gesetzesbefehl auf Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen noch nicht Rechnung tragen konnte" (vgl. BSG 18, 264). Die Anrechenbarkeit des Unterhaltsanspruchs hängt auch nicht davon ab, ob der Unterhaltsverzicht im Rahmen einer vom Gesetz ausdrücklich gebilligten Unterhaltsvereinbarung nach § 72 EheG, also noch vor der Scheidung und möglicherweise zur Erleichterung der Scheidung (vgl. § 72 Satz 2 EheG), oder erst nach der Rechtskraft des Scheidungsurteils ausgesprochen worden ist. Nach der ausdrücklichen gesetzlichen Vorschrift (§ 44 Abs. 5 BVG idF des 1. NOG) sind die "infolge" der Auflösung der neuen Ehe erworbenen Unterhaltsansprüche geltend zu machen und die Leistungen auf die Witwenrente anzurechnen. Damit ist klar zum Ausdruck gebracht, daß alle Unterhaltsansprüche anzurechnen sind, die sich aus der Auflösung der Ehe ergeben konnten, und daß der Betrag anzurechnen ist, den der geschiedene Ehemann bei Geltendmachung dieser Unterhaltsansprüche und ohne Berücksichtigung des - vor oder nach der Scheidung - ausgesprochenen Verzichts zu leisten gehabt hätte (vgl. BSG in BVBl 1966, 119; Urteil des 8. Senats vom 30. Januar 1969 aaO). Die Witwe soll nicht, wie dies der 8. Senat in dieser Entscheidung ausgedrückt hat, selbst eine "Versorgungslücke" schaffen können, die ohne den Unterhaltsverzicht nicht bestehen würde.

Ist somit schon für die Zeit der Geltungsdauer des 1. NOG - also bis zum 31. Dezember 1963 - davon auszugehen, daß der von der Klägerin abgegebene Unterhaltsverzicht die Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsbeitrages auf die wiederaufgelebte Witwenrente gemäß § 44 Abs. 5 BVG grundsätzlich nicht ausschließt, so bestätigt die Neufassung, die § 44 Abs. 5 BVG durch das 2. NOG erfahren hat - "Unterhaltsansprüche, die sich aus der neuen Ehe herleiten, sind auf die Witwenrente (Abs. 2) anzurechnen, soweit sie zu verwirklichen sind" -, die bisherige Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des § 44 Abs. 5 BVG idF des 1. NOG und ergibt nunmehr eindeutig, daß auch diejenigen Unterhaltsansprüche aus der geschiedenen Ehe erfaßt werden, auf die die Ehepartner - vor oder nach Rechtskraft der Scheidung - verzichtet haben. Unterhaltsansprüche, die sich aus der neuen Ehe herleiten, sind nämlich diejenigen, die sich aufgrund des Eherechts kraft Gesetzes ergeben, ohne Rücksicht darauf, ob der Berechtigte sie geltend macht oder auf sie verzichtet hat (vgl. Urteil des 8. Senats vom 30. Januar 1969 aaO; Urteil des erkennenden Senats vom 19. März 1969). Auch für die Zeit nach dem 31. Dezember 1966 ist durch § 44 Abs. 5 BVG idF des 3. NOG hinsichtlich der Frage, ob bei einem Unterhaltsverzicht der Witwe gegenüber ihrem geschiedenen zweiten Ehemann der Betrag auf die wiederaufgelebte Witwenrente anzurechnen ist, den der frühere Ehemann ohne den Verzicht zu leisten hätte, keine Änderung eingetreten, denn § 44 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 BVG idF des 3. NOG stimmt wörtlich mit § 44 Abs. 5 Satz 1 BVG idF des 2. NOG überein. Der Halbsatz 2 des § 44 Abs. 5 Satz 1 BVG idF des 3. NOG schränkt die Anrechnung der sich aus der neuen Ehe herleitenden Ansprüche gegenüber der Regelung des 2. NOG lediglich noch insoweit ein, als sie nicht schon zur Kürzung anderer wiederaufgelebter öffentlich-rechtlicher Leistungen geführt haben. Ob diese Voraussetzung im vorliegenden Fall gegeben ist, muß zunächst offen bleiben, da das LSG insoweit keine Feststellungen getroffen hat, weil es der Auffassung gewesen ist, daß in jedem Fall - auch unter der Geltungsdauer des 3. NOG - eine Anrechnung auf die wiederaufgelebte Witwenrente nach dem BVG deshalb unterbleiben müsse, weil der von der Klägerin gegenüber ihrem zweiten Ehemann ausgesprochene Unterhaltsverzicht aus "verständigem Grund" erfolgt sei, was die Anrechnung ausschließe.

Der § 44 Abs. 5 BVG idF des 1. NOG enthält noch keine Bestimmung darüber, ob unter bestimmten Voraussetzungen, nämlich dann, wenn die Witwe aus einem "verständigen Grund" auf einen Unterhaltsanspruch gegen ihren geschiedenen Ehemann verzichtet hat, die Anrechnung eines ihr ohne den Verzicht aus der neuen Ehe zustehenden Unterhaltsanspruchs auf die wiederaufgelebte Witwenrente ausgeschlossen ist; eine solche Vorschrift besteht erst seit dem Inkrafttreten des 2. NOG - dem 1. Januar 1964 - gemäß § 44 Abs. 5 Satz 2 BVG; sie ist alsdann in das 3. NOG unverändert übernommen worden. Nach dieser Vorschrift ist, wenn die Witwe "ohne verständigen Grund" auf ihren Unterhaltsanspruch verzichtet hat, der Betrag auf die wiederaufgelebte Witwenrente anzurechnen, den der frühere Ehemann ohne den Verzicht zu leisten hätte. Das LSG meint, daß auch für den Geltungsbereich des § 44 Abs. 5 BVG idF des 1. NOG, also vor dem 1. Januar 1964, die Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsbeitrages auf die wiederaufgelebte Witwenrente ausgeschlossen sei, wenn die Witwe auf ihren Unterhaltsanspruch aus "verständigem Grund" verzichtet hat, weil während der zeitlichen Geltungsdauer des 1. NOG der § 1 Abs. 2 der DVO zu § 33 BVG vom 11. Januar 1961 (BGBl I S. 19) Anwendung finde, der inhaltlich dem § 44 Abs. 5 Satz 2 BVG idF des 2. und 3. NOG entspreche. Der erkennende Senat hat zwar in seiner Entscheidung vom 8. März 1966 (KOV 1966 S. 228) eine von der Auffassung des LSG abweichende Rechtsauffassung vertreten und ausgesprochen, daß es nicht darauf ankomme, welche Gründe für den Verzicht maßgebend gewesen seien; insbesondere komme es jedenfalls nach den bis zum 2. NOG geltenden Vorschriften nicht darauf an, ob der Verzicht aus einem "verständigen Grund" erklärt worden sei. Für den vorliegenden Fall kann diese Frage jedoch dahinstehen, denn die Klägerin hat nicht aus einem "verständigen Grund" auf ihren Unterhaltsanspruch aus der zweiten Ehe verzichtet. Der erkennende Senat hat in seinen Urteilen vom 8. März 1966 (aaO) und vom 11. November 1966 (BSG 25, 262, 266; s. dazu auch Urteil des 8. Senats vom 30. Januar 1969, aaO; Urteil des 11. Senats in BSG 21, 279; Urteil des 5. Senats in BSG 29, 81) ausgesprochen, daß als "verständiger Grund" nicht ein Grund angesehen werden kann, der allein aus der Lage und aus den Zielen der Witwe her verständlich erscheint. Die Witwe wird immer, wenn sie auf Ansprüche verzichtet, dafür - allein von ihrer Person aus gesehen - einen "verständigen Grund" haben. Als "verständiger Grund" i. S. des § 44 Abs. 5 Satz 2 BVG kann daher nur ein solcher Grund angesehen werden, der auch unter Abwägung der Interessen des Beklagten, der die Allgemeinheit vertritt, und insbesondere unter Berücksichtigung des mit der wiederaufgelebten Witwenrente verfolgten Zweckes verständlich erscheint. Ein "verständiger Grund" i. S. dieser Vorschrift läge etwa dann vor, wenn die Ehefrau auf ihren Unterhalt verzichtet hat, um die Unterhaltsansprüche der Kinder nicht zu gefährden; er kann aber nicht angenommen werden, wenn der Verzicht den Zweck verfolgt, die Art des Schuldausspruchs, von dem auch der Anspruch auf Versorgung abhängt, zu beeinflussen. Der 11. Senat des BSG hat es in seiner Entscheidung vom 2. September 1964 (BSG 21, 279, 281) als einen "Widerspruch in sich" bezeichnet, bei der Anspruchsentstehung den wirklichen Prozeßausgang - nämlich Scheidung der Ehe ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden der Witwe -, bei der Anrechnung von Unterhaltsansprüchen dagegen einen gedachten Prozeßausgang - nämlich Scheidung der Ehe aus alleinigem oder überwiegendem Verschulden der Witwe mit der Folge, daß ein Unterhaltsanspruch gegen den geschiedenen Mann weder nach § 58 noch nach § 60 EheG besteht -, zugrunde zu legen. Nichts anderes aber wird bei einem Unterhaltsverzicht erreicht, durch den die Ehefrau - trotz anderslautenden Schuldausspruchs - auf die ihr nach dem Gesetz zustehenden Unterhaltsansprüche (vgl. §§ 58 ff, insbesondere § 60 EheG) verzichtet.

Werden diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall angewandt, dann zeigt sich, daß das LSG bei der Beurteilung des von der Klägerin am 15. Oktober 1956 ausgesprochenen Unterhaltsverzichts gegenüber ihrem früheren Ehemann den unbestimmten Rechtsbegriff des "verständigen Grundes" verkannt hat. Zunächst kann aus der Tatsache, daß hier - im Gegensatz zu dem Sachverhalt, der der Entscheidung des erkennenden Senats vom 8. März 1966 (aaO) zugrunde lag - der gerichtlich festgelegten Unterhaltsvereinbarung nicht ausdrücklich zu entnehmen ist, daß der Unterhaltsverzicht gerade mit Rücksicht auf das Wiederaufleben der Witwenrente ausgesprochen ist, nichts dafür hergeleitet werden, daß ein "verständiger Grund" für den Unterhaltsverzicht vorgelegen hat. Das LSG verkennt insoweit bei seinen Überlegungen, daß die ausdrückliche Erwähnung des Wiederauflebens des Versorgungsanspruchs im Unterhaltsvergleich zwar einen wesentlichen Anhaltspunkt dafür bilden kann, welcher Grund für den Unterhaltsverzicht der Ehepartner maßgebend gewesen ist, daß aber aus der Nichterwähnung der Versorgungs- bzw. Sozialversicherungsansprüche bei der Unterhaltsvereinbarung ein entsprechender Gegenschluß nicht gezogen werden kann. Das LSG hat es alsdann als entscheidend angesehen (vgl. Seite 13 der Urteilsdurchschrift), daß die Parteien mit ihrem Unterhaltsverzicht offensichtlich vermeiden wollten, daß nochmals wieder ihre strafrechtlich erheblichen und sonstigen Verfehlungen Gegenstand von Zeugenvernehmungen und der Verhandlung auch des Scheidungsprozesses - ebenso wie Gegenstand des gegen die Klägerin wegen Verbrechens gemäß § 229 des Strafgesetzbuches (StGB) durchgeführten Strafverfahrens - würden. Hierbei hat das LSG jedoch verkannt, daß zwischen der Vereinbarung der Parteien, "auf die Feststellung der überwiegenden Schuld der anderen Partei zu verzichten" (vgl. Ziff. 2 der Vereinbarung, die noch vor dem Vergleich protokolliert ist), und dem wechselseitigen Verzicht auf "Unterhalt und Unterhaltsbeitragsleistungen" (vgl. Ziff. 1 des gerichtlichen Vergleichs) unterschieden werden muß. Den Ehepartnern stand es, wie oben dargelegt, frei, auf die Feststellung der überwiegenden Schuld einer Partei zu verzichten. Dabei mögen die Erwägungen, die das LSG angeführt hat, mitgewirkt haben oder sogar entscheidend gewesen sein. Wird jedoch - aus welchem Grunde auch immer - auf die Feststellung des überwiegenden Verschuldens verzichtet, dann ergibt sich daraus die zwangsläufige gesetzliche Folge, daß der Ehegatte, der sich nicht selbst unterhalten kann, unter bestimmten Voraussetzungen einen Beitrag zu seinem Unterhalt zugebilligt bekommen kann (vgl. § 60 EheG). Da der Ehemann der Klägerin als Polizeibeamter tätig und die Klägerin bereits damals krank und möglicherweise erwerbsunfähig war, sprach alles dafür, daß dieser Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag jedenfalls nicht dem Ehemann, sondern allein der Klägerin zustehen würde. Verzichtete die Klägerin trotz ihrer Notlage auf diesen Unterhaltsanspruch und wollte sie durch ihren Verzicht die Art des Schuldausspruchs beeinflussen und möglicherweise - das SG hat diese Erwägung sogar als wahrscheinlichen Beweggrund angesehen - einen Scheidungsausgang verhindern, der nicht zur Feststellung geführt hätte, daß die Ehe "ohne ihr alleiniges oder überwiegendes Verschulden" aufgelöst wird, einen Scheidungsausgang also, bei dem es zu einem Wiederaufleben des Anspruchs auf Witwenrente überhaupt nicht gekommen wäre, dann ist ein objektiv verständiger Grund für diesen Verzicht nicht ersichtlich. Das - mögliche oder wahrscheinliche - Bestreben der Klägerin, einen Schuldausspruch mit ihrem alleinigen oder überwiegenden Verschulden zu vermeiden, kann, wie oben dargelegt, nicht als ein solcher Grund angesehen werden, da er zwar aus der Lage und aus den Zielen der Klägerin her verständlich wäre, aber das Interesse des Beklagten und die vom Gesetzgeber mit dem Rechtsinstitut der wiederaufgelebten Witwenrente verfolgte Zwecksetzung völlig außer acht lassen würde.

Das LSG hat daher § 44 Abs. 5 BVG in seiner jeweils geltenden Fassung verletzt, so daß die Revision des Beklagten begründet ist. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben. Der Senat konnte jedoch nicht in der Sache selbst entscheiden (vgl. § 170 Abs. 2 Satz 1 SGG). Das LSG hat wegen seiner anderweitigen Rechtsauffassung keine Feststellungen darüber getroffen, in welcher Höhe der Klägerin für die Zeit vom 1. September 1963 an - dem Beginn des hier streitigen Zeitraumes - ein Unterhaltsanspruch gemäß § 60 EheG gegen ihren geschiedenen Ehemann zustehen würde, ob dieser Anspruch zu verwirklichen wäre und ob die von dem Beklagten vorgenommene Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsbeitrages von 70,- DM den tatsächlichen Verhältnissen entspricht. Das LSG hat lediglich "erhebliche Zweifel" geäußert, ob ein Unterhaltsanspruch "... überhaupt hätte durchgesetzt werden können" (vgl. Seite 9 der Urteilsdurchschrift), ohne jedoch die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des geschiedenen Ehegatten und der nach § 63 EheG unterhaltspflichtigen Verwandten der Klägerin (vgl. § 60 EheG) näher zu klären. Die Sache mußte daher an das LSG zurückverwiesen werden. Bei der erneuten Prüfung wird das LSG zu beachten haben, daß die Auskünfte des geschiedenen Ehemannes - der seine Aussage offenbar verweigern will - nicht das einzige Beweismittel sind, um seine Einkommensverhältnisse zu klären. In den Versorgungsakten befinden sich u. a. die Arbeitgeberauskünfte über das Brutto- und Nettogehalt des geschiedenen Ehemannes. Auch gibt das Urteil des Amtsgerichts Oberhausen vom 20. Juni 1958 aus dem Unterhaltsrechtsstreit der minderjährigen Tochter B wesentliche Aufschlüsse über die damaligen Belastungen des Ehemannes, die zum Teil nur von vorübergehender Dauer waren. Das LSG wird nunmehr auch zu prüfen haben, ob - wie es das 3. NOG in § 44 Abs. 5 Satz 1 BVG vorschreibt - die Anrechnung eines der Klägerin zustehenden und zu verwirklichenden Unterhaltsanspruchs auf die wiederaufgelebte Witwenrente deshalb nicht oder nicht in voller Höhe in Betracht kommt, weil er schon zur Kürzung anderer wiederaufgelebter öffentlich-rechtlicher Leistungen geführt hat.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670439

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