Leitsatz (amtlich)

1. Zum Fehlen des Anspruchs auf Witwenrentenabfindung, weil die Rente der Witwe wegen Aufenthalts außerhalb des Geltungsbereichs der RVO ruhte (Anschluß an BSG 1964-11-17 5 RKn 110/63 = SozR Nr 1 zu § 83 RKG).

2. Der Anspruch auf Witwenrentenabfindung entsteht auch dann nicht, wenn die Witwe noch in demselben Monat, in dem sie ihren ständigen Aufenthalt in Ost-Berlin genommen hat, wieder heiratet und für diesen Monat von dem Versicherungsträger in der Bundesrepublik Witwenrente erhalten hat.

 

Normenkette

RVO § 1302 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, § 1317 Fassung: 1960-02-25

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 29. Oktober 1969 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin begehrt die Abfindung einer Witwenrente nach § 1302 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Ihr war von der Beklagten eine Witwenrente aus der Rentenversicherung ihres verschollenen Ehemannes bewilligt worden, die ihr letztmalig für Dezember 1962 gezahlt wurde. Am 6. Dezember 1962 verlegte sie ihren ständigen Aufenthalt von West-Berlin nach Ost-Berlin. Dort ging sie am 29. Dezember 1962 eine neue Ehe ein. Ihr Antrag auf Zahlung der Witwenrentenabfindung wurde abschlägig beschieden (Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 1963, Urteil des Sozialgerichts - SG - Berlin vom 9. Juni 1965 und Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Berlin vom 26. Mai 1966). Diese Entscheidung ist rechtskräftig.

Im November 1966 kehrte die Klägerin nach West-Berlin zurück. Ihr erneut gestellter Antrag auf Witwenrentenabfindung wurde von der Beklagten abgewiesen, weil die Voraussetzungen des § 1302 RVO nicht erfüllt seien (Bescheid vom 2. Februar 1968).

Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteile des SG Berlin und des LSG Berlin vom 3. Dezember 1968 und vom 29. Oktober 1969). Das LSG hat seine Entscheidung damit begründet, daß einer neuen Sachentscheidung das rechtskräftige Urteil des LSG Berlin vom 26. Mai 1966 entgegenstehe (§ 141 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Gegen diese Entscheidung richtet sich die zugelassene Revision der Klägerin. Sie ist der Auffassung, daß nach ihrer Rückkehr nach West-Berlin und der erneuten Antragstellung eine neue Entscheidung in der Sache selbst zulässig und geboten sei. Die Rechtskraft der Vorentscheidung stehe nicht entgegen; sie beziehe sich im Hinblick auf ihren - der Klägerin - damaligen Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereichs der RVO auf einen anderen Sachverhalt. Hiernach müsse erneut geprüft werden, ob die Voraussetzungen des § 1302 RVO gegeben seien. Diese Frage sei zu bejahen. Wenn auch der Rentenanspruch durch den Umzug nach Ost-Berlin zum Ruhen gekommen sei, so bedeute dies nicht, daß sie den durch die Wiederverheiratung entstandenen Anspruch auf Witwenrentenabfindung endgültig verloren habe. Der Hinderungsgrund, der allein der Zahlung entgegengestanden habe - der Aufenthalt in Ost-Berlin -, sei nach ihrer Rückkehr in den Geltungsbereich der RVO beseitigt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die vorinstanzlichen Urteile sowie den Bescheid vom 2. Februar 1968 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die Witwenrentenabfindung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Revision hat keinen Erfolg.

Der Auffassung des Berufungsgerichts, das rechtskräftige Urteil des LSG Berlin vom 26. Mai 1966 stehe einer neuen Entscheidung in der Sache selbst im Wege, kann allerdings nicht gefolgt werden. Rechtskräftige Urteile binden die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist (§ 141 Abs. 1 SGG). Eine solche Entscheidung liegt in Bezug auf den von der Klägerin nunmehr geltend gemachten Anspruch noch nicht vor. Die Zahlung der Abfindung ist - rechtskräftig - abgelehnt worden, weil sich die Klägerin damals ständig in Ost-Berlin aufhielt. Die Ablehnung einer in ein Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs der RVO zu zahlenden Leistung beinhaltet nicht notwendig die Verneinung des Anspruchs schlechthin. Die Rückkehr der Klägerin nach West-Berlin ist eine neue Tatsache, die für die Begründung des Anspruchs bedeutsam sein könnte. Damit hat sich auch der Streitgegenstand verändert; das gebietet eine erneute sachliche Entscheidung.

Diese führt jedoch nicht zu dem von der Klägerin erstrebten Ergebnis. In diesem Zusammenhang kann offenbleiben, ob der Anspruch auf Witwenrentenabfindung schon deshalb nicht entstanden ist, weil die Klägerin sich im Zeitpunkt der Wiederverheiratung außerhalb des Geltungsbereichs der RVO aufgehalten hat (so für den Fall, daß die Witwe sich im Ausland aufhält BSG 24, 227 sowie Urteil des erkennenden Senats vom 14. Oktober 1970 - 4 RJ 201/70 -). Schon aus anderen Gründen ist der Anspruch zu verneinen. Eine Witwenrentenabfindung wird nach § 1302 Abs. 1 RVO in Höhe des Fünffachen des Jahresbetrages der bisher bezogenen Rente gewährt. Hiernach ist Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs, daß bis zum Zeitpunkt der Wiederverheiratung eine Rente "bezogen" wurde. An dieser Voraussetzung fehlt es auch dann, wenn der Rentenanspruch zwar durch die Wiederverheiratung entfallen, zuvor jedoch durch die Verlegung des ständigen Aufenthalts in ein Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs der RVO zum Ruhen gekommen ist. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden (vgl. BSG in SozR Nr. 1 zu § 83 des Reichsknappschaftsgesetzes - RKG -). Die vorbezeichnete Entscheidung ist zwar zu § 83 Abs. 2 RKG ergangen, diese Vorschrift stimmt jedoch mit dem Wortlaut des § 1302 Abs. 1 RVO überein, für eine abweichende Auslegung ist daher kein Raum. Nach eigener Prüfung sieht der erkennende Senat keinen Anlaß, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Hiernach hat das mit der Verlegung des ständigen Aufenthalts eingetretene Ruhen des Rentenanspruchs nicht etwa das Ruhen des Abfindungsanspruchs zur Folge. Es bedeutet vielmehr, daß dieser Anspruch nicht mehr zur Entstehung gelangen kann, weil vom Eintritt des Ruhens der Rente an diese nicht mehr "bezogen" wurde. Wenn hiernach die spätere Wiederverheiratung den Anspruch nicht auszulösen vermag, so kann er auch dann nicht aufleben, wenn die Witwe später wieder in die Bundesrepublik Deutschland oder nach West-Berlin zurückkehrt. Auch insoweit folgt der Senat der bisherigen Rechtsprechung des BSG (vgl. SozR aaO).

Im Falle der Klägerin ist mit ihrem Umzug nach Ost-Berlin am 6. Dezember 1962 das Ruhen der Rente eingetreten (vgl. § 1317 RVO). Die Entscheidung hängt daher nur noch davon ab, ob sich dadurch, daß die Wiederverheiratung noch in demselben Monat - nämlich am 29. Dezember 1962 - erfolgt ist, eine Abweichung von der vorbezeichneten Rechtsprechung ergeben kann. Die Klägerin hat nämlich nicht nur bis zum 6. Dezember, sondern für den gesamten Monat die Witwenrente erhalten. Diese Folge ergab sich aus § 1294 RVO. Dort heißt es, daß für den Monat, in dem das Ruhen der Rente eintritt, die Rente für den ganzen Monat gezahlt werde. Dieser Umstand vermag sich jedoch nicht zu Gunsten der Klägerin auszuwirken; ein Rentenbezug im Sinne des § 1302 Abs. 1 RVO bis zur Wiederverheiratung hat gleichwohl nicht vorgelegen. Diese Voraussetzung ist nur dann erfüllt, wenn die Wiederverheiratung kausal ist für den Wegfall der weiteren Rentenzahlung; diese muß wegen der neuen Eheschließung entfallen. Auch dies hat das BSG in der bereits zitierten Entscheidung im einzelnen dargelegt und begründet. Dem schließt sich der erkennende Senat an. Ebenso wie in dem dort entschiedenen Fall ist aber auch hier der Wegfall der Rentenzahlung nicht durch die Wiederverheiratung, sondern durch das zuvor eingetretene Ruhen ausgelöst worden. Von diesem Zeitpunkt an hat ein Anspruch auf Rentenzahlung nicht mehr bestanden. Die Vorschrift des § 1294 RVO verlegt den Eintritt des Ruhens nicht auf das Ende des Monats, sie enthält vielmehr eine - vereinfachende - Auszahlungsregelung, die an den bereits aufgrund anderer Vorschriften bewirkten Ruhenstatbestand anknüpft. Für Fälle der vorliegenden Art bedeutet dies, daß es dann, wenn das Ruhen der Rente eingetreten ist, nicht darauf ankommen kann, in welchem Monat die spätere Wiederverheiratung stattgefunden hat.

Die Klägerin hatte hiernach von Anfang an die Witwenrentenabfindung nicht zu beanspruchen. Die Rückkehr nach West-Berlin vermag für sich allein daran nichts zu ändern.

Ihre Revision muß daher zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669654

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