Leitsatz (amtlich)

Einen Beitragszuschuß nach RVO § 381 Abs 4 "erhält" bei Inkrafttreten des FinÄndG 1967 auch ein Rentner, dem dieser Zuschuß rückwirkend bis zu diesem Zeitpunkt bewilligt worden ist. Er gilt demgemäß nach FinÄndG Art 3 § 3 als von der Versicherungspflicht befreit und ist weiterhin beitragszuschußberechtigt.

 

Normenkette

RVO § 381 Abs. 4 Fassung: 1967-12-21; FinÄndG 1967 Art. 3 § 3 Fassung: 1967-12-21

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. Januar 1973 und des Sozialgerichts Itzehoe vom 14. Juli 1971 sowie der Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 1970 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger den Beitragszuschuß nach § 381 Abs. 4 Reichsversicherungsordnung über den 31. Dezember 1967 hinaus zu zahlen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger, der seit 1966 Rente wegen Berufsunfähigkeit von der Beklagten bezieht, begehrt den Beitragszuschuß zu seiner privaten Krankenversicherung (Postbeamtenkrankenkasse) nach § 381 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO), den ihm die Beklagte nur bis Ende 1967 gewährt hat.

Auf seinen erst im Oktober 1970 gestellten Antrag gewährte die Beklagte dem Kläger durch Bescheid vom 4. Dezember 1970 den Beitragszuschuß vom Rentenbeginn bis zum 31. Dezember 1967. Den weitergehenden Antrag lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, der Kläger sei nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO idF des Finanzänderungsgesetzes vom 21. Dezember 1967 (FinÄndG 1967, BGBl I 1259) ab 1. Januar 1968 versicherungspflichtig, so daß die Voraussetzungen des § 381 Abs. 4 RVO von dieser Zeit an nicht mehr erfüllt seien. Klage (Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 14. Juli 1971) und Berufung (Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts - LSG - vom 10. Januar 1973) hatten keinen Erfolg. Das LSG hat ausgeführt, die den Beitragszuschuß ausschließende Versicherungspflicht sei 1968 kraft Gesetzes eingetreten und nicht erst durch die Feststellung der Mitgliedschaft, die die beigeladene Bundespostbetriebskrankenkasse nach Art. 3 § 2 FinÄndG 1967 zum 12. November 1970 getroffen hat. Auch eine Befreiung nach Art. 3 § 3 des FinÄndG 1967 sei nicht möglich. Diese Befreiung sei nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes von dem tatsächlichen Bezug des Zuschusses am 1. Januar 1968 abhängig gemacht worden; der Anspruch auf den Zuschuß und die rückwirkende Bewilligung reiche nicht aus. Die Befreiung auf Antrag scheide aus, weil die Monatsfrist des § 173 a RVO versäumt sei, die eine Ausschlußfrist darstelle, bei der es auf die Gründe der verspäteten Antragstellung nicht ankomme.

Der Kläger beantragt mit der zugelassenen Revision, unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und des Bescheids der Beklagten, diese zu verurteilen, ihm den Beitragszuschuß nach § 381 Abs. 4 RVO über den 31. Dezember 1967 hinaus zu gewähren.

Der Hinweis des § 381 Abs. 4 RVO auf § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO sei nur in Verbindung mit Art. 3 § 2 FinÄndG 1967 verständlich. Denn dadurch werde klargestellt, daß nicht die theoretische Versicherungspflicht, sondern erst die Mitgliedschaft bei der gesetzlichen Krankenversicherung den Anspruch auf Beitragszuschuß ausschließe. In seinem Fall habe aber auch die Feststellung der Mitgliedschaft zum 11. Dezember 1970 keine Änderung der Rechtslage bewirkt, denn er gelte nach Art. 3 § 3 FinÄndG 1967 als befreit. Diese Vorschrift besage nicht, daß eine Zahlung tatsächlich zur Zeit des Inkrafttretens des FinÄndG erfolgt sein müsse; der Leistungsanspruch müsse ausreichen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

II

Die Revision ist begründet.

Dem Kläger steht der Anspruch auf Beitragszuschuß auch über den 31. Dezember 1967 hinaus zu; denn die Voraussetzungen des § 381 Abs. 4 RVO sind auch nach Inkrafttreten des FinÄndG 1967 erfüllt. Der Kläger gehört - was § 381 Abs. 4 RVO verlangt - "nicht zu den in § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO bezeichneten Personen". Allerdings beruht seine Nichtzugehörigkeit zu dem hier genannten Personenkreis auf anderen Gründen als vor dem Inkrafttreten des FinÄndG 1967. Vorher war der Kläger versicherungsfrei, weil er die nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO aF vorausgesetzte Vorversicherungszeit nicht aufweisen konnte. Seit 1968 trifft der Wortlaut des § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO auf ihn an sich zu. Für den großen Kreis der Rentner - und Rentenantragsteller -, der durch die Neufassung des § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO nF versicherungspflichtig wurde, sind aber Übergangsregelungen getroffen worden, die sowohl dem Interesse an einer praktikablen verwaltungsmäßigen Erfassung als auch dem unterschiedlichen Interesse der Rentner an der sozialen Krankenversicherung Rechnung tragen sollen. Einerseits war der Gesetzgeber - schon wegen der allgemeinen Einführung des Rentnerbeitrags - gehalten, allen Rentnern einen vollen Versicherungsschutz zu bieten, andererseits mußte berücksichtigt werden, daß viele Rentner, die einen hinreichenden privaten Krankenversicherungsschutz hatten, diesen nicht aufgeben wollten. Aus dieser Interessenlage erklären sich die hier entscheidenden Übergangsvorschriften des Art. 3 §§ 2 und 3 FinÄndG 1967.

Diese Vorschriften teilen den Kreis der von der Erweiterung der Versicherungspflicht betroffenen Rentner in zwei Gruppen ein: Die Nichtbezieher von Beitragszuschuß, deren Versicherungspflicht durch das Handeln der zuständigen Krankenkassen praktisch wirksam wird (§ 2), und die Bezieher, die als befreit gelten, aber binnen einer Frist von einem halben Jahr durch eigene Erklärung die Versicherungspflicht wirksam werden lassen konnten. Fraglich ist, zu welcher Gruppe die Rentner gehören, die bei Inkrafttreten des neuen Rechts einen Anspruch auf Beitragszuschuß hatten, den nach § 381 Abs. 4 RVO erforderlichen Antrag auf diesen Zuschuß aber nicht gestellt hatten oder über deren Antrag noch nicht entschieden war.

Diese Frage wird im Einzelfall durch den Rentenversicherungsträger dadurch entschieden, daß er den - nicht fristgebundenen - Antrag ablehnt (§ 2) oder ihm stattgibt (§ 3). Es besteht kein überzeugender Grund dafür, daß für alle diese Rentner nur Art. 3 § 2 FinÄndG 1967 gilt, was das Ergebnis der von den Beteiligten und den Vorinstanzen vertretenen Rechtsauffassung wäre. Art. 3 § 2 FinÄndG 1967 beruht auf der Vorstellung, daß die hier bezeichneten Rentner keine ausreichende Sicherheit für den Krankheitsfall haben. Sie sollen deshalb zwangsweise versichert werden. Leistungsansprüche sollen allerdings nicht unmittelbar mit der kraft Gesetzes eintretenden Versicherungspflicht, sondern erst dann geltend gemacht werden können, wenn der betreffende Rentner verwaltungsmäßig erfaßt ist und für ihn auch Beiträge von dem Rentenversicherungsträger verlangt werden können.

Art. 3 § 3 FinÄndG 1967 hingegen handelt von den Rentnern, für die eine solche zwangsweise Fürsorgemaßnahme nicht erforderlich ist. Das sind die Rentner, die privat voll krankenversichert sind, die also des Schutzes der gesetzlichen Krankenversicherung nicht bedürfen, und für die anstelle dieses Schutzes der Beitragszuschuß nach § 381 Abs. 4 RVO gedacht ist. Ihnen wurde der Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung nur - befristet bis zum 30. Juni 1968 - angeboten. Im übrigen gelten diese Rentner als befreit.

Für die Auffassung, diese Befreiungsfiktion gelte nur für die Rentner, denen damals bereits der Beitragzuschuß gezahlt worden ist, kann allenfalls der Wortlaut des Art. 3 § 3 FinÄndG 1967 angeführt werden. Zwingend spricht dieser Wortlaut aber nicht dagegen, daß ein später rückwirkend bewilligter Beitragszuschuß ausreichen könnte. Daß bei einem auf eine tatsächliche Leistung hinweisenden Wortlaut auch der Anspruch auf diese Leistung gemeint sein kann, hat das Bundessozialgericht (BSG) schon mehrfach entschieden (vgl. SozR Nr. 10 zu § 1244 a RVO mit Hinweisen). Entscheidend ist immer der erkennbare Sinn.

Die Formulierung des Art. 3 § 3 FinÄndG 1967: "einen Betrag nach § 381 Abs. 4 der RVO erhält" statt: "einen Anspruch auf einen Betrag nach § 381 Abs. 4 RVO hat" erklärt sich aus dem Bedürfnis, die Krankenkasse nicht zu zwingen, von Amts wegen eine Frage zu prüfen, die - nach § 381 Abs. 4 RVO - nur auf Antrag von dem Rentenversicherungsträger zu entscheiden ist. Es wird durch die gewählte Formulierung deutlich, daß der Anspruch an sich nicht ausreicht. Er muß auch geltend gemacht und erfüllt werden, weil nur dann ohne weitere Prüfung durch die Krankenkasse davon ausgegangen werden kann, daß eine ausreichende anderweitige Versicherung vorliegt und eine Erfassung des Rentners als Mitglieds - nach Art. 3 § 2 FinÄndG 1967 - nicht in Betracht kommt. Es besteht kein - auch kein verwaltungstechnischer - Grund dafür, die Befreiung nach Art. 3 § 3 FinÄndG 1967 auch dann von der tatsächlichen Zahlung des Beitragszuschusses zur Zeit des Inkrafttretens des FinÄndG 1967 abhängig zu machen, wenn sich der Rentenversicherungsträger - wie hier aufgrund eines später gestellten Antrags für verpflichtet gehalten hat, die damalige Rechtslage klarzustellen.

Da der Kläger somit nach Art. 3 § 3 FinÄndG 1967 von der Versicherungspflicht als befreit gilt, war die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Entscheidungen antragsgemäß zu verurteilen (§ 170 Abs. 2 Satz 1, § 193 des Sozialgerichtsgesetzes).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1646632

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