Verfahrensgang
SG Nürnberg (Urteil vom 28.05.1974) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 28. Mai 1974 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Krankenkasse der arbeitsunfähigen Klägerin für die Zeit eines unbezahlten Urlaubs Krankengeld zu gewähren hat.
Die Klägerin war auf Grund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung Mitglied der beklagten Krankenkasse. Der Arbeitgeber der Klägerin meldete der Beklagten, daß die Klägerin, eine Gastarbeiterin, vom 21. Dezember 1972 bis zum 31. Januar 1973 bezahlten sowie vom 1. Februar bis zum 28. Februar 1975 unbezahlten Urlaub erhalte und das Arbeitsverhältnis fortbestehe. Während ihres Urlaubsaufenthalts in ihrem Heimatland erkrankte die Klägerin und war in der Zeit vom 2. Januar 1973 bis zum 15. März 1973 arbeitsunfähig. Sie meldete dies ordnungsgemäß über die spanische Verbindungsstelle nach dem deutsch-spanischen Sozialversicherungsabkommen. Der Arbeitgeber gewährte der Klägerin Lohnfortzahlung vom 2. Januar bis zum 31. Januar und vom 1. März bis zum 12. März 1973. Die Beklagte zahlte ihr sodann Krankengeld für den 13. und 14. März 1973. Den Anspruch der Klägerin, ihr auch Krankengeld für die Zeit des unbezahlten Urlaubs vom 1. Februar bis zum 28. Februar 1973 zu gewähren, lehnte sie hingegen ab. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos.
Das Sozialgericht (SG) Nürnberg hat der Klägerin Krankengeld für den Monat Februar 1973 zugesprochen und die Berufung gegen seine Entscheidung zugelassen (Urteil vom 28. Mai 1974): Da die Klägerin während ihres Tarifurlaubs arbeitsunfähig geworden sei, habe ihre Mitgliedschaft für die weitere Zeit der Arbeitsunfähigkeit fortbestanden. Daraus folge ihr Anspruch auf Krankengeld. Die Vereinbarung eines unbezahlten Urlaubs stehe diesem Anspruch nicht entgegen. Die Lohnersatzfunktion des Krankengeldes führe im Bereich der Krankenversicherung nicht zu den gleichen Folgen wie im Arbeitsrecht, zumal § 182 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfall und über Änderungen des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung (LFZG) vom 27. Juli 1969 – BGBl I 946 – unterschiedliche Wortfassungen aufwiesen. Es sei unerheblich, aus welchem Grund der unbezahlte Urlaub vereinbart worden sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Sprungrevision der Beklagten, der die Klägerin zugestimmt hat. Sie hält §§ 165, 182 und 311 RVO für verletzt. Die Lohnersatzfunktion des Krankengelds bedinge die Ablehnung des Anspruchs für die Zeit des unbezahlten Urlaubs, zumal er für länger als drei Wochen vereinbart gewesen sei. Diese Vereinbarung sei durch die Erkrankung nicht hinfällig geworden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Nürnberg vom 28. Mai 1974 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist darauf, daß in bestimmten Fällen das Gesetz dem Krankengeld keine Lohnersatzfunktion zumesse. Es diene zum Ausgleich der durch die Krankheit entstehenden erhöhten Bedürfnisse. Diese träten aber auch während des unbezahlten Urlaubs ein.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist begründet. Die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) ist nicht verpflichtet, der Klägerin für die Zeit des unbezahlten Urlaubs Krankengeld zu gewähren.
Die Ansprüche der Klägerin auf Gewährung von Krankengeld sind nach den im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland geltenden Rechtsvorschriften zu beurteilen, denn sie hat ein Beschäftigungsverhältnis in diesem Gebiet ausgeübt und ist auf Grund dessen bei der beklagten AOK pflichtversichert gewesen. Der Umstand, daß sie die spanische Staatsangehörigkeit besitzt und der Versicherungsfall der Krankheit mit der dadurch bedingten Arbeitsunfähigkeit im Gebiet des Spanischen Staates eingetreten ist, ändert an der Anwendbarkeit der RVO nichts, weil der Aufenthalt im Hoheitsgebiet des Spanischen Staates dem Inlandsaufenthalt gleichsteht (Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 a, Art. 3 Nr. 1, Art. 4 und Art. 5 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über Soziale Sicherheit vom 29. Oktober 1959 – BGBl 1961 II 599 – i.d.F. des Zweiten Abkommens zur Änderung des Abkommens vom 20. März 1968 – BGBl 1969 II 783 –).
Die Klägerin ist während ihres (bezahlten) Erholungsurlaubs, in dieser Zeit war sie Pflichtmitglied der Beklagten, erkrankt und arbeitsunfähig geworden. Wie der Senat bereits in der Entscheidung vom 20. September 1974 (BSGE 38, 130) dargelegt hat, wird der bezahlte Erholungsurlaub durch den Eintritt einer Arbeitsunfähigkeit unterbrochen. Das folgt aus § 9 des Mindesturlaubsgesetzes für Arbeitnehmer (Bundesurlaubsgesetz) vom 8. Januar 1963 (BGBl I 2). Die Klägerin hatte ihre Arbeitsunfähigkeit auch durch ärztliches Zeugnis ordnungsgemäß nachgewiesen. Vom 2. Januar 1973 an, dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit, befand sich die Klägerin mithin nicht mehr im Erholungsurlaub; da ihr Beschäftigungsverhältnis, wie die Meldung des Arbeitgebers an die Beklagte deutlich macht, über die Urlaubszeit hinaus andauerte, standen ihr nunmehr die aus dem Beschäftigungsverhältnis erwachsenden Ansprüche zu, und der Arbeitgeber erfüllte diese auch, indem er ihr vom 2. Januar bis zum 31. Januar 1973 Lohnfortzahlung gewährte (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 LFZG).
Für die darauffolgende Zeit vom 1. Februar bis zum 28. Februar 1973 hatte die Klägerin mit ihrem Arbeitgeber einen unbezahlten Urlaub vereinbart. Diese Vereinbarung wurde durch den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nicht berührt. Zwar kann in bestimmten Fällen die Abrede, an einen tariflichen Erholungsurlaub einen unbezahlten Urlaub anzuschließen, hinfällig werden, allein ein solcher Sachverhalt, wie er auch der Entscheidung des Senats vom 20. September 1974 zugrunde lag, ist hier nicht gegeben. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat angenommen, daß eine derartige Abrede dann hinfällig werde, wenn die beiden Arten des Urlaubs durch eine einheitliche Zielrichtung zu einem Gesamturlaub verbunden seien, der einheitlich Erholungszwecken dienen solle (BAG, Urteil vom 23. Dezember 1971 – 1 AZR 217/71 – in Entscheidungen des BAG, Bd. 24, S. 95; Urteil vom 3. Oktober 1972 – 5 AZR 209/72 – in Die Leistungen 1974, S. 185). Diese Voraussetzungen hat es jedoch schon dann nicht mehr als erfüllt angesehen, wenn nicht ausdrücklich der Erholungszweck als Grund für die Gewährung des unbezahlten Urlaubs angegeben worden sei; die bloße zeitliche Aufeinanderfolge der beiden Urlaube reiche dazu noch nicht aus, weil Sonderurlaub aus den unterschiedlichsten Gründen vereinbart werden könne (BAG, Urteil vom 10. Februar 1972 – 5 AZR 330/71 – in Arbeitsrechtliche Praxis, Nr. 15, zu § 1 LFZG). Schließlich hat das BAG im Hinblick auf eine Stellungnahme von Thiele/Weschenfelder zu dem angeführten Urteil erläuternd dargelegt, daß ein einheitlicher Gesamt (Erholungs-)Urlaub nur dann angenommen werden könne, wenn er auch zeitlich in dem Rahmen bleibe, der für Arbeitnehmer mit entsprechender Tätigkeit als erforderlich und ausreichend anzusehen sei (BAG, Urteil vom 1. Juli 1974 – 5 AZR 600/73 – in BB 1974, 1398). Der Senat trägt keine Bedenken, diese Grundsätze, die das BAG für die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer entwickelt hat, insoweit auch für den Bereich der Sozialversicherung zu übernehmen, wie Sozialversicherungsverhältnisse durch arbeitsrechtliche Beziehungen maßgebend bestimmt werden. Danach muß es für die krankenversicherungsrechtlichen Folgen einer Arbeitsunfähigkeit, die während eines Erholungsurlaubs eingetreten ist, darauf ankommen, ob die Abrede eines daran anschließenden unbezahlten Urlaubs aufrechterhalten bleibt oder ob sie hinfällig wird (vgl. BSGE 38, 130, 132).
Im vorliegenden Fall muß schon fraglich sein, ob der unbezahlte Urlaub nicht überwiegend auf wirtschaftlichen Gründen beruht, denn das SG hat festgestellt, daß er „wegen der beabsichtigten Heimreise nach Spanien” vereinbart worden sei. Zweifellos nimmt diese Hin- und Rückreise nicht einen Monat in Anspruch, vielmehr könnten die nicht unerheblichen Reisekosten das Motiv dafür gewesen sein, den Heimataufenthalt zeitlich zu verlängern. Indes bedarf diese Frage keiner weiteren Aufklärung, weil die Klägerin bereits durch den vom 21. Dezember 1972 bis zum 31. Januar 1973 dauernden regulären Urlaub den zeitlichen Rahmen eines tariflichen Erholungsurlaubs voll ausgefüllt hat. Die Verlängerung um einen weiteren Monat kann somit nicht mehr auf den Grund des berechtigten Erholungsbedürfnisses gestützt werden. Damit blieb unter Anlegung arbeitsrechtlicher Grundsätze die Vereinbarung zwischen der Klägerin und ihrem Arbeitgeber über den unbezahlten Urlaub bestehen; er hat der Klägerin auch für die Zeit vom 1. Februar bis zum 28. Februar 1973 keinen Lohn fortgezahlt, sondern mit der Lohnfortzahlung erst wieder am 1. März 1973 eingesetzt, und die Klägerin hat sich damit beschieden (vgl. auch BAG, Urteil vom 14. Juni 1974 – 5 AZR 467/73; Urteil vom 15. Mai 1975 – 5 AZR 293/74).
Diese Regelung, wie sie sich nach den Vorschriften des LFZG ergibt (so auch Kehrmann/Pelikan, LFZG, 2. Aufl. 1973, § 1, Rd.Nr. 42 a), hat entgegen der Auffassung des SG auch Bedeutung für das Krankenversicherungsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten, selbst wenn, worauf das SG zutreffend hinweist, der Wortlaut des § 182 Abs. 1 Nr. 2 RVO und des § 1 Abs. 1 LFZG voneinander abweichen. Zwar hängt der Anspruch auf Krankengeld nicht davon ab, aus welchen Gründen ein Arbeitnehmer unbezahlten Urlaub erhält. Das SG übersieht aber, daß aus dem Beschäftigungsverhältnis krankenversicherungsrechtliche Folgen erwachsen und daß es deshalb darauf ankommt, wie sich der Ablauf des Beschäftigungsverhältnisses gestaltet. Veränderungen des Beschäftigungsverhältnisses ziehen in der Regel Sekundärfolgen im Krankenversicherungsverhältnis nach sich. Insbesondere gilt das für Veränderungen, die das Arbeitsentgelt betreffen, weil sich danach die Beitragspflicht des Versicherten bestimmt (vgl. § 381 Abs. 1, § 385 Abs. 1 RVO) und damit eine der Hauptpflichten des Versicherten aus dem Versicherungsverhältnis konkretisiert wird. Weiterhin beeinflußt das Arbeitsentgelt aber auch die Leistung, um die es in diesem Rechtsstreit geht, denn das Krankengeld bestimmt sieh danach, welches berücksichtigungsfähige Entgelt der Beschäftigte erhält (vgl. § 182 Abs. 4 bis 6 RVO). Alle diese rechtlichen Beziehungen sind jedoch nur von Bedeutung, wenn überhaupt ein Beschäftigungsverhältnis gegen Entgelt besteht, weil nur dieses zur Versicherungspflicht in der Krankenversicherung führt (§ 165 Abs. 2 RVO). Besteht ein Beschäftigungsverhältnis, ohne daß Entgelt zu zahlen wäre, so ist dieses, soweit das Gesetz nicht ausdrücklich besondere Regelungen trifft (vgl. § 311 RVO), für die gesetzliche Krankenversicherung ohne Bedeutung.
Im vorliegenden Fall ist durch die – wirksame – Vereinbarung zwischen der Klägerin und ihrem Arbeitgeber das Beschäftigungsverhältnis insofern verändert worden, als sich zwischen Zeiten einer entgeltlichen Beschäftigung ein unbezahlter Zeitraum von einem Monat (das Arbeitsverhältnis ist von beiden Beteiligten als weiterbestehend angesehen worden). eingeschoben hat. Da die Lohnänderungen innerhalb der Grenzen der Versicherungspflicht, seien es Erhöhungen oder Verminderungen, in jedem Fall beitrags- und leistungsrechtliche Auswirkungen zeitigen, muß auch der vertraglich vereinbarte Lohnwegfall als stärkste Form einer Lohnänderung Auswirkungen auf das Krankengeld nach sich ziehen. Kann der Versicherte einerseits den Wegfall des Arbeitsentgelts frei vereinbaren und damit versicherungsmäßig den Erfolg erreichen, daß er nicht mehr zur Zahlung von Beiträgen verpflichtet ist, so muß er – dementsprechend – auf der Leistungsseite des Versicherungsverhältnisses auch den Wegfall des Krankengelds im Umfang der von ihm getroffenen Vereinbarung in Kauf nehmen; das Versicherungsverhältnis ist nur dann ausgewogen, wenn Verpflichtungen und Berechtigungen einander korrespondieren, und das Krankengeld kann schon wegen seines versicherungsrechtlichen Lohnersatzcharakters seine Funktion nur dort ausüben, wo ein Lohnausfall eingetreten ist. Der Senat übersieht nicht, daß das Gesetz Ausnahmen von diesem Grundsatz kennt, aber auch bei diesen bleibt entscheidend, daß die Krankenversicherung die Schäden ausgleichen soll, die durch Krankheit verursacht sind. Beim unbezahlten Urlaub tritt der Ausfall des Arbeitsentgelts jedoch ein, weil der Arbeitnehmer in seinem Verantwortungsbereich eine dahingehende Vereinbarung getroffen hat, er muß sich demgemäß die Folgen dieser Handlungsweise zurechnen lassen. Die Grenze der Zurechenbarkeit wird dadurch gezogen, daß, wie bereits dargelegt, die Vereinbarung unter gewissen Voraussetzungen hinfällig werden kann. Geschieht das nicht und ist sie also arbeitsrechtlich der Verantwortungssphäre des Arbeitnehmers zuzurechnen, so besteht keine Veranlassung, sie versicherungsrechtlich anders zu bewerten. Würde sie ihm versicherungsrechtlich nicht zugerechnet, so bedeutete das, daß die Solidargemeinschaft der anderen Versicherten mit ihren Beiträgen die Folgen der Urlaubsabrede ausgleichen müßte. Damit würden jedoch die der Krankenversicherung immanenten Grenzen überschritten.
Diese vom Senat hier vertretene Rechtsauffassung steht nicht im Widerspruch zu dem Urteil des Senats vom 15. Dezember 1971 (BSGE 33, 254), in dem über einen Krankengeldanspruch im Zusammenhang mit kollektiven Arbeitskampfmaßnahmen zu entscheiden war. Auch in jener Entscheidung hat der Senat die Auswirkungen erwogen, die durch den Wegfall des Arbeitsentgelts und damit der Beitragsfreiheit in dem Versicherungsverhältnis hervorgerufen werden (vgl. BSGE 33, 254, 260, 261). Der Senat hat es in jener Entscheidung für vertretbar gehalten, das Risiko der Krankengeldzahlung (ohne entsprechende Beitragseingänge) der Solidargemeinschaft der Kasse zuzumuten, weil dieses Risiko auf eine legitime Arbeitskampfmaßnahme zurückging. Diese kollektive Maßnahme kann durch den einzelnen Arbeitnehmer nicht beeinflußt werden, ihr Ablauf muß von ihm – auch wenn er Mitwirkungsrechte besitzt – hingenommen werden. Sie läßt sich demgemäß auch nicht seinem Verantwortungsbereich zuordnen. Die vereinbarte Veränderung des Arbeitsentgelts für die Dauer des Sonderurlaubs hingegen ist für ihn frei vereinbar, und das daraus erwachsende Risiko kann daher nicht auf die Versichertengemeinschaft abgewälzt werden.
Damit ergibt sich, daß der Klägerin für die Zeit, für die sie einen unbezahlten Urlaub vereinbart hatte, kein Krankengeld zusteht. Das entgegenstehende Urteil des SG war mithin aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen