Leitsatz (amtlich)
Bei der Anpassung der nach AVG §§ 30 ff berechneten Renten aufgrund des 6. und 7. RAG ist der Versicherungsträger an eindeutig falsch ermittelte bisherige Berechnungsfaktoren nicht gebunden. Er kann die falschen durch die richtigen Berechnungsfaktoren ersetzen, muß jedoch in jedem Falle mindestens den bisherigen Zahlbetrag der Rente weitergewähren.
Normenkette
SGG § 77 Fassung: 1953-09-03; AVG § 30; RVO § 1253; RAG 7 § 2 Fassung: 1964-12-23; RAG 6 Art. 1 § 2 Fassung: 1963-12-21
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 9. Juli 1965 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 27. Oktober 1964 wird zurückgewiesen und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 4. Mai 1965 abgewiesen.
2. Kosten sind im Rechtsstreit nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beklagte bewilligte dem 1893 geborenen Kläger durch Bescheid vom 9. März 1959 ab August 1958 ein nach § 31 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) berechnetes Altersruhegeld in Höhe von monatlich 477,80 DM. Diese Rente wurde später mehrfach den Änderungen der allgemeinen Bemessungsgrundlage angepaßt; sie betrug im Jahre 1963 auf Grund des 5. Rentenanpassungsgesetzes (RAG) 603,70 DM.
Am 2. Dezember 1963 erteilte die Beklagte dem Kläger, nachdem sie ihn schon in einem Schreiben vom 19. Januar 1962 auf die Unrichtigkeit ihrer Rentenberechnung hingewiesen hatte, folgenden mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen Bescheid:
"Eine Überprüfung hat ergeben, daß Ihre Rente nicht richtig berechnet worden ist, weil statt 110 Beiträgen der Klasse II irrtümlich 190 Wochenbeiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter angerechnet worden sind (s. Schreiben vom 19. Januar 1962).
Danach dürfte Ihre Rente anstatt 603,70 DM nur 582,50 DM monatlich betragen. Hierzu verweisen wir auf die beigefügten Berechnungsunterlagen.
Da der derzeitige monatliche Zahlbetrag jedoch besitzgeschützt ist, wird die Rente in der bisherigen Höhe weitergezahlt. Wir behalten uns aber vor, Ihre Rente in Zukunft erst dann anzupassen, wenn die richtig berechnete und richtig angepaßte Rente den derzeitigen zu hohen monatlichen Zahlbetrag übersteigt. Die überzahlten Beträge fordern wir nicht zurück."
Der Kläger erhob Klage zum Sozialgericht (SG) Hamburg. Während des Verfahrens vor dem SG paßte die Beklagte die Rente nach dem 6. RAG vom 21. Dezember 1963 (BGBl I 1008) in der von ihr angekündigten Weise, also auf der Grundlage von nur 110 - statt bisher 190 - Wochenbeiträgen, der Änderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage an. Sie setzte den monatlichen Rentenbetrag für das Jahr 1964 durch Bescheid vom 13. April 1964 auf 612,80 DM fest.
Das SG wies die Klage durch Urteil vom 27. Oktober 1964 ab. Der Kläger legte Berufung ein. Während des Verfahrens vor dem Landessozialgericht (LSG) paßte die Beklagte die Rente nach dem 7. RAG vom 23. Dezember 1964 (BGBl I 1085) an und setzte sie für das Jahr 1965 durch Bescheid vom 4. Mai 1965 auf 673,60 DM fest. Im Berufungsverfahren beantragte der Kläger, das Urteil sowie den Bescheid vom 2. Dezember 1963 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung der beiden Anpassungsbescheide zu verurteilen, das Altersruhegeld nach dem 6. und 7. RAG auf der Berechnungsgrundlage des Bescheides vom 9. März 1959 anzupassen. Mit Urteil vom 9. Juli 1965 gab das LSG Hamburg dem Antrag des Klägers statt. Zur Begründung führte es aus: Der Bescheid vom 2. Dezember 1963 und die gemäß § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ebenfalls Verfahrensgegenstand gewordenen Anpassungsbescheide vom 13. April 1964 und 4. Mai 1965 seien rechtswidrig, weil die Beklagte den fehlerhaften Feststellungsbescheid vom 9. März 1959 nicht über die 6. und 7. Rentenanpassung berichtigen dürfe. Hierzu fehle die Rechtsgrundlage. Die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts seien nicht anwendbar, weil das Sozialversicherungsrecht die Beseitigung fehlerhafter Verwaltungsakte abschließend regele. Ein Anwendungsfall des § 1744 der Reichsversicherungsordnung (RVO) i. V. m. § 204 AVG liege nicht vor. Eine Berichtigung in entsprechender Anwendung des § 138 SGG sei nicht möglich, weil der "vorliegende Übertragungsfehler" nicht zu den offenbaren Unrichtigkeiten gehöre. Die Berichtigungsvorschriften der einzelnen Anpassungsgesetze ließen sich nur bei reinen Anpassungsfehlern anwenden. Zu Unrecht berufe sich die Beklagte auf die Ausführungen in BSG 14, 154, 159, daß die Gründe eines Bescheides, die für die Rentenhöhe maßgebend seien, nicht bindend würden. Anders als die damals zu beurteilende Neufeststellung nach § 1300 RVO fuße die Rentenanpassung auf dem "bisher Festgestellten", sie lasse also die bisherige Rente als Grundlage unberührt und erhöhe sie lediglich in einem bestimmten Verhältnis. Zu diesem Zweck knüpfe das 1. bis 3. RAG an den Rentenzahlbetrag eines bestimmten Monats an, dieser Zahlbetrag sei in der Regel bindend festgestellt. Nach den späteren Anpassungsgesetzen (vgl. Art. 1 § 2 des 6. RAG und § 2 des 7. RAG) sei die Rente des Klägers so anzupassen, "daß sich eine Rente ergibt, wie sie sich ... ergeben würde, wenn die Rente ohne Änderung der übrigen Berechnungsfaktoren unter Zugrundelegung der allgemeinen Bemessungsgrundlage für das Jahr 1963 bzw. 1964 und der Beitragsbemessungsgrenze für dieses Jahr berechnet würde". Auch diese Methode stelle ein reines Anpassungsverfahren dar und beruhe wiederum - weitgehend - auf den bisherigen Feststellungen. Den Bescheiden über diese Feststellungen könne keine unterschiedliche Bindungswirkung je nach dem einzelnen Anpassungsverfahren zukommen; eine solche Unterscheidung sei auch sachlich nicht berechtigt und würde eine Verletzung des Gleichheitssatzes darstellen.
In dem darauf erlassenen Ausführungsbescheid berechnete die Beklagte die Rente nach dem 6. RAG auf 635,20 DM (22,40 DM mehr als im Bescheid vom 13. April 1964) und nach dem 7. RAG auf 698,20 DM (24,60 DM mehr als im Bescheid vom 4. Mai 1965).
Mit der zugelassenen Revision beantragte die Beklagte,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Sie rügte Verstöße gegen die §§ 77 und 138 SGG und gegen das 6. und 7. RAG und führte dazu aus, die Gründe einer Rentenfeststellung seien nach § 77 SGG nicht bindend, sie habe deshalb ohne Verletzung dieser Vorschrift in dem Bescheid vom 2. Dezember 1963 die falschen Berechnungsfaktoren durch die richtigen ersetzen dürfen, so daß seitdem nur noch die richtigen Faktoren die Grundlage des Altersruhegeldes bildeten und demnach auch nur sie der Anpassung nach dem 6. und 7. RAG zugrunde zu legen seien. Davon abgesehen habe es sich bei dem Übertragungsfehler um eine offenbare Unrichtigkeit (falsche Ablochung wegen undeutlicher Schreibweise) gehandelt, so daß auch deshalb die Berichtigung möglich sei. Schließlich stütze sie sich hilfsweise noch auf die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts über die Rücknahme fehlerhafter begünstigender Verwaltungsakte; wenn die Bindung des Rentenbescheides sich auch auf die Berechnungsfaktoren erstrecke, sei sie nach § 77 SGG, letzter Halbsatz, in Verbindung mit den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts berechtigt, diese Bindung zu beseitigen; hierfür bestehe gerade im vorliegenden Fall ein Bedürfnis; es sei nämlich unbefriedigend, wenn sich eine ohnehin schon zu hohe Rente durch laufende Rentenanpassungen sogar noch progressiv erhöhe.
Der Kläger ließ sich im Revisionsverfahren nicht vertreten.
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG) und auch begründet.
Der Anfechtungsklage gegen den "Bescheid" der Beklagten vom 2. Dezember 1963 (§ 54 Abs. 1 SGG) kann schon deshalb nicht stattgegeben werden, weil diese Klage unzulässig ist. Der "Bescheid" vom 2. Dezember 1963 stellt nur der äußeren Form nach einen Verwaltungsakt dar; in Wahrheit ist er kein Verwaltungsakt. Die Beklagte hat in dem "Bescheid" die Rente des Klägers nicht neu festgestellt, sondern nur mitgeteilt, daß die Rente falsch berechnet worden ist und wie sie richtigerweise zu berechnen wäre; außerdem hat sich die Beklagte ein bestimmtes Verhalten bei künftigen Rentenanpassungen vorbehalten. Mit diesen Erklärungen hat aber die Beklagte ihr Rechtsverhältnis zum Kläger nicht geregelt; auch nach ihrer eigenen Vorstellung haben sich daraus keine unmittelbaren Rechtswirkungen ergeben sollen. Da dem "Bescheid" vom 2. Dezember 1963 somit die Eigenschaft eines Verwaltungsaktes fehlt, ist eine Maßnahme, die dem Kläger gegenüber verbindlich (wirksam) und deshalb Gegenstand eines Aufhebungsantrags sein kann, hier nicht gegeben. Das LSG hat diesen "Bescheid" zu Unrecht aufgehoben.
Zu Unrecht hat das LSG auch die Anpassungsbescheide vom 13. April 1964 und 4. Mai 1965 aufgehoben. Sie sind zwar nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden, obwohl der "Bescheid" vom 2. Dezember 1963 keinen Verwaltungsakt darstellt und sie deshalb diesen "Bescheid" weder haben "abändern" noch "ersetzen" können. Die Vorschrift des § 96 SGG ist nach Zweck und Entstehungsgeschichte weit auszulegen (SozR Nr. 14 und 19 zu § 96 SGG); sie muß daher auch dann anwendbar sein, wenn eine Verwaltungsbehörde in einem angefochtenen "Bescheid" in scheinbar verbindlicher Weise ein bestimmtes künftiges Verhalten ankündigt und später entsprechende Verwaltungsakte erläßt. Entgegen der Auffassung des LSG sind indes die Anpassungsbescheide nicht rechtswidrige, sondern rechtmäßige Verwaltungsakte.
Für die Rentenanpassung gibt es seit dem 4. RAG drei verschiedene Verfahren, je nachdem, ob es sich um
a) nach der neuen Rentenformel berechnete Renten,
b) nach Art. 2 §§ 32 bis 35 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG), Art. 2 § 31 bis 34 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) umgestellte Renten oder
c) sonstige Renten (insbesondere Vergleichs- und Besitzstandsrenten)
handelt.
Die Anpassung der letzten Rentengruppe (c) entspricht dem im 1. bis 3. RAG noch für alle Renten vorgesehenen Anpassungsverfahren. Danach ist im Prinzip stets ein Anpassungsbetrag mit einem bestimmten Anpassungsfaktor zu vervielfältigen. Anpassungsbetrag ist regelmäßig der Rentenzahlbetrag im Januar des Anpassungsjahres (vgl. §§ 4 und 5 im ersten Artikel bzw. Abschnitt des 6. und 7. RAG). Ist dieser Zahlbetrag bindend festgestellt, dann bildet der festgestellte Betrag nach der Entscheidung des 12. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. Dezember 1964, SozR Nr. 1 zu § 3 des 1. RAG, selbst dann den Anpassungsbetrag, wenn er fälschlich zu hoch festgestellt worden ist. Das folgt aus der Bindungswirkung des Feststellungsbescheides, die sich gerade auf die Rentenhöhe bezieht, und dem Umstand, daß in den Anpassungsgesetzen Vorschriften über den Wegfall der Bindungswirkung bei der Rentenanpassung fehlen.
Für die ersten beiden Rentengruppen (a und b) ist demgegenüber seit dem 4. RAG nur das Ergebnis vorgeschrieben, das die Anpassung zu erreichen hat. Es müssen sich hier im Prinzip Renten ergeben, wie sie sich bei einer neuen Berechnung oder erneuten Umstellung ergeben würden (vgl. §§ 2 und 3 im ersten Artikel bzw. Abschnitt des 6. und 7. RAG), wenn die erste Rentengruppe (a) ohne Änderung der übrigen Berechnungsfaktoren unter Zugrundelegung der für das Jahr vor dem Anpassungsjahr geltenden allgemeinen Bemessungsgrundlage und Beitragsbemessungsgrenze neu berechnet und wenn bei der zweiten Rentengruppe (b) - im wesentlichen - der sich bei der Umstellung ergebende Rentenbetrag nochmals mit einem Faktor vervielfältigt würde. Das Gesetz stellt den Versicherungsträgern dabei frei, wie sie das vorgeschriebene Anpassungsziel erreichen. Sie können in den dazu geeigneten Fällen zur Vereinfachung rechnerisch auch so vorgehen wie bei der letzten Rentengruppe (c), d. h. den Rentenzahlbetrag im Januar des Anpassungsjahres mit dem Anpassungsfaktor für jene Renten (c) vervielfältigen; diese Rechenmethode billigt das Gesetz dadurch, daß es "Abweichungen infolge Abrundungen", wie sie sich hierbei ergeben können, für zulässig erklärt (vgl. zB § 2 Abs. 1 Satz 1, letzter Halbsatz des 7. RAG).
Gleichwohl folgt aus dem Vorstehenden, daß sich bei der Anpassung der ersten beiden Rentengruppen (a und b) nicht mehr die Frage stellt, ob eine schon vor der Anpassung vorhandene Bindung an den Rentenzahlbetrag auch bei der Anpassung zu wahren ist. Die Berechnungsfaktoren von Renten sind nicht bindend (BSG 14, 154, 158; Urteil des Senats vom 13.8.1965, 11/1 RA 366/62, DAngVers. 1965, 298). Deshalb kann jetzt die Frage nur lauten, ob etwa die Anpassungsgesetze bei der Anpassung der nach der neuen Rentenformel berechneten (und der umgestellten) Renten eine Bindung an bisherige Berechnungsfaktoren für das Anpassungsverfahren positiv vorschreiben. Eine solche Bindung könnte sich entweder aus dem Gesetzeswortlaut oder aus dem Wesen der Anpassung ergeben. Das LSG hat das angenommen (vgl. auch Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 23.7.1965, Breithaupt 1965 S. 1010); der Senat vermag dem indessen nicht zu folgen.
In § 2 Abs. 1 Satz 1 des ersten Artikels bzw. Abschnitts des 6. und 7. RAG (ebenso in den entsprechenden Vorschriften des 4., 5. und 8. RAG) heißt es zwar, die das Anpassungsergebnis bestimmende Neuberechnung solle, abgesehen von der allgemeinen Bemessungsgrundlage und der Beitragsbemessungsgrenze, "ohne Änderung der übrigen Berechnungsfaktoren" erfolgen. Daraus muß aber nicht geschlossen werden, daß die "übrigen Berechnungsfaktoren" in jedem Einzelfall der (hypothetischen) Neuberechnung selbst dann unverändert zugrunde zu legen seien, wenn sie falsch ermittelt gewesen sind. Daß das Gesetz über die allgemeine Festlegung des Berechnungsvorganges hinaus zugleich für diese vom Regelfall abweichenden Fälle ein absolutes Änderungsverbot aufgestellt habe, läßt sich aus den Worten "ohne Änderung" allein nicht folgern, zumal gleiche oder ähnliche Wendungen sich in den Vorschriften der beiden anderen Anpassungsverfahren (vgl. §§ 3 bis 5 des 6. und 7. RAG) nicht finden, obwohl auch dort die Frage nach der Bindung an bisherige Berechnungselemente auftauchen kann (etwa bei den Berechnungsfaktoren der Umstellung und den Rententeilen, die der Anpassung nicht unterliegen wie Sonderzuschuß und Steigerungsbeträge der Höherversicherung). Es kommt daher entscheidend auf das Wesen der Anpassung an.
Nach der Ansicht des LSG ist es der Anpassung eigentümlich, daß sie die bisherige Rente lediglich nach einem bestimmten Modus erhöht und ganz oder doch weitgehend an die bisherigen Feststellungen anknüpft. Das ist richtig, genügt aber nicht zur Beantwortung der Frage, ob die Anpassung ihrem Wesen nach eine Bindung selbst an früher falsch ermittelte Berechnungsfaktoren verlangt. Gemäß § 49 Abs. 1 AVG werden die Renten bei Veränderungen der allgemeinen Bemessungsgrundlage, also bei Änderungen des durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgeltes der Versicherten (§ 32 Abs. 2 AVG), dem Gesetz angepaßt.
Nach § 49 Abs. 2 hat die Anpassung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie den Veränderungen des Volkseinkommens je Erwerbstätigen Rechnung zu tragen. Diese gesetzliche Umschreibung von Anlaß und Ziel der Anpassung zeigt, daß die Anpassung die Beteiligung der Rentner an der wirtschaftlichen Entwicklung ermöglichen soll. Dazu gehört bei einer Aufwärtsentwicklung die (mögliche) Teilnahme an dem gehobenen Lebensstandard der erwerbstätigen Versicherten, die sich mit der bloßen Erhaltung der Rentenkaufkraft nicht deckt. Die Beteiligung der Rentner an der wirtschaftlichen Entwicklung hat ihren Grund in der früheren Beteiligung der Rentner am Arbeits- und Wirtschaftsleben, wie sie sich in ihrer Arbeitsleistung verkörpert und in der Beitragsleistung niedergeschlagen hat. Bei diesem Verständnis der Anpassung findet sich aber kein einleuchtender Grund, einen Rentner an der wirtschaftlichen Entwicklung auch nach Maßgabe falsch ermittelter Berechnungsfaktoren zu beteiligen. Das Wesen der Anpassung verlangt im Gegenteil, daß die Rentner nur insoweit an der wirtschaftlichen Entwicklung teilnehmen, als dies ihrer wirklich erbrachten Arbeits- und Beitragsleistung entspricht.
Eine Bindung an falsch ermittelte Berechnungsfaktoren bei der Anpassung fordern auch nicht Erwägungen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Vertrauensschutz wird dadurch ausreichend gewährt, daß der früher falsch festgestellte Rentenbetrag sich auch durch die Anpassung nicht mindern kann (vgl. Art. III § 1 des 6. RAG, § 12 des 7. RAG). Für eine Mehrung oder gar progressive Erhöhung eines fälschlicherweise zu hoch festgestellten Betrages (hier: Steigerung des Unterschiedsbetrags in 2 Jahren von 21,20 DM auf 24,60 DM), kann kein Vertrauensschutz beansprucht werden. Das ist um so weniger möglich, als es keine "automatische Anpassung" gibt und als der Vertrauensschutz im Recht der Rentenversicherung im Vergleich zu anderen Bereichen des Sozialrechts (vgl. § 41 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung) ohnedies schon sehr weit reicht (vgl. auch Urteil des BSG vom 19.1.1966, 11/1 RA 344/62). Zu beachten ist auch, daß die Gründe eines Verwaltungsaktes nicht bindend werden und insoweit "Rechtssicherheit" nicht erwartet werden darf; allerdings darf der Versicherungsträger die Berechnungsfaktoren nicht ohne weiteres bei jeder Anpassung in Frage stellen; falsche Berechnungsfaktoren darf er bei der Rentenanpassung durch richtige Faktoren vielmehr nur dann ersetzen, wenn die früher ermittelten Berechnungsfaktoren ohne Zweifel unrichtig sind.
Im Gegensatz zu dem LSG kommt der erkennende Senat sonach zu dem Ergebnis, daß der Versicherungsträger bei der Rentenanpassung auf Grund des § 2 des 1. Art. bzw. Abschnitts des 6. und 7. RAG an eindeutig falsch ermittelte bisherige Berechnungsfaktoren nicht gebunden ist, sie vielmehr durch die richtigen Berechnungsfaktoren ersetzen kann, daß er jedoch in jedem Fall mindestens den bisherigen Zahlbetrag weitergewähren muß. Auf den vorliegenden Fall angewandt bedeutet dies, daß die Beklagte befugt gewesen ist, die Anpassung auf der Grundlage von 110 anstelle von 190 Wochenbeiträgen der Klasse II der Arbeiterrentenversicherung durchzuführen.
Dem LSG ist zuzugeben, daß damit seit dem 4. RAG Berechnungsfehler früherer Bescheide (nicht dagegen die Anspruchsvoraussetzungen) zwar bei der Anpassung der ersten beiden Rentengruppen (a und b), wohl aber nicht bei der Anpassung der letzten, der Zahl nach geringeren Rentengruppe (Vergleichs- und Besitzstandsrenten) mit Wirkung vom Anpassungsjahr an im Ergebnis "korrigiert" werden können. Dieser Unterschied hat jedoch seinen Grund in den verschiedenen Ausgangspunkten des Gesetzes (Zahlbetrag oder Berechnungsfaktoren) und in dem unterschiedlichen Anpassungsverfahren; eine Verletzung des Gleichheitssatzes liegt darin nicht. Im übrigen ließe sich von den Gerichten eine "Gleichheit" durch Einführung einer Bindung an die Berechnungsfaktoren auch deshalb nicht herstellen, weil nicht feststeht, daß der Gesetzgeber eindeutig falsch berechnete Renten in jedem Fall an den Rentenerhöhungen der laufenden Anpassungsgesetze teilnehmen lassen will.
Die Anfechtungsklage gegen die beiden Anpassungsbescheide ist daher unbegründet. Die gleichen Erwägungen ergeben die Unbegründetheit der noch erhobenen Verpflichtungsklage.
Demnach ist die Revision begründet; das Urteil des LSG ist aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen. Da dieses Urteil die Klage gegen den erst während des Berufungsverfahrens erlassenen zweiten Anpassungsbescheid nicht erfaßt hat, ist außerdem die Klage gegen diesen Bescheid vom 4. Mai 1965 abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen