Orientierungssatz
Bei einer Auslandsleistung nach FAG SV § 9 sind nach FAG SV § 9 Steigerungsbeträge nach 1. DV FAG SV § 7 Abs 2 (iVm UmsiedlerV SV 1943 § 4 Abs 3 Nr 2) auch zur Abgeltung solcher Beschäftigungszeiten zu gewähren, die Umsiedler iS der UmsiedlerV SV 1943 vor der Umsiedlung zurückgelegt haben.
Normenkette
FRG § 9 Fassung: 1953-08-07; SVFAGDV 1 § 7 Abs. 2 Fassung: 1954-07-31; SVUmsiedlV 1943 § 4 Abs. 3 Nr. 2 Fassung: 1943-06-19
Tenor
Auf die Sprungrevision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Dezember 1963 aufgehoben, soweit das Sozialgericht über die Versichertenrente von Dezember 1958 bis März 1959 entschieden hat; insoweit wird der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
Die Klägerin ist die Witwe und Rechtsnachfolgerin (§ 65 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -) des im Juli 1959 in Uruguay verstorbenen E F. Dieser hatte im Dezember 1958 bei der Beklagten eine Rente beantragt. Die Beklagte bewilligte nach seinem Tode durch Bescheid vom 18. August 1959 ab April 1959 nach § 9 Abs. 1 Buchst. a des Fremd- und Auslandsrentengesetzes (FAG) vom 7. August 1953 ein Altersruhegeld als Kannleistung - der Bescheid ging der Klägerin im Februar 1960 zu -, durch einen weiteren Bescheid vom 31. August 1960 "verlegte" sie den Rentenbeginn auf Dezember 1958. Nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 1960) und nach Klageerhebung durch die Klägerin berechnete sie die Versichertenrente durch die Bescheide vom 27. März 1961 und 17. August 1962 unter Festsetzung höherer Beträge neu. Sie behandelte die Rente von Dezember 1958 bis März 1959 als Rente wegen Berufsunfähigkeit und setzte sie für Dezember 1958 unter Anwendung des FAG auf 200,20 DM (Bescheid vom 27. März 1961) und für Januar bis März 1959 unter Anwendung des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) vom 25. Februar 1960 (Artikel 6 § 6 Abs. 1) auf 257,10 DM (Bescheid vom 17. August 1962) fest.
Das Sozialgericht (SG) Berlin wies die von der Klägerin gegen die Berechnung der Versichertenrente und die von ihr und ihren Kindern gegen die Berechnung der Hinterbliebenenrenten erhobenen Klagen durch Urteil vom 16. Dezember 1963 ab. Es ließ die Berufung hinsichtlich der Versichertenrente aufgrund des § 150 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu.
Die Klägerin legte mit Einverständnis der Beklagten für sich und ihre Kinder Sprungrevision ein, hielt die Revision aber nur hinsichtlich der Versichertenrente für die Zeit von Dezember 1958 bis März 1959 aufrecht. Insoweit beantragte sie,
das Urteil des SG aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung entgegenstehender Bescheide zu verurteilen, bei der Rentenberechnung die Verordnung über die Eingliederung von Umsiedlern in die Reichsversicherung - Umsiedler-VO - vom 19. Juni 1943 (RGBl I, S. 375) i. d. F. des § 7 Abs. 2 der 1. Durchführungsverordnung zum FAG vom 31. Juli 1954, BGBl I 245, anzuwenden und die entsprechenden Steigerungsbeträge zusätzlich zu berücksichtigen.
Nach der Meinung der Klägerin ergäbe sich alsdann für Dezember 1958 eine Rente von 264,60 DM und für Januar bis März 1959 - infolge "Verdrängung" der FANG-Rente durch die höhere FAG-Rente - ein Monatsbetrag von 280,10 DM.
Die Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen.
Das SG nahm in seinem Urteil ohne nähere Feststellung an, der Ehemann der Klägerin sei Umsiedler im Sinne der Umsiedler-VO gewesen. In tatsächlicher Hinsicht stellte es im wesentlichen nur fest, daß der zuletzt in Uruguay wohnende Ehemann Beiträge zur polnischen Rentenversicherung, zur Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA) und zur Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) leistete und daß die in Polen entrichteten Beiträge von der Beklagten rentensteigernd berücksichtigt wurden. In rechtlicher Hinsicht war das SG der Ansicht, die Umsiedler-VO sei auf Auslandsleistungen nicht anwendbar, weil das FAG Auslandsleistungen ausschließlich aus Versicherungszeiten und auf Grund von Versicherungsverhältnissen vorsehe; die erstrebten Steigerungsbeträge seien jedoch nach § 4 Abs. 3 Umsiedler-VO Abgeltungsbeträge für die vor der Umsiedlung zurückgelegten Beschäftigungszeiten; eine Überführung dieser Zeiten auf die deutsche Rentenversicherung habe nicht stattgefunden; die Umsiedler-VO und das FAG enthielten auch keine Regelung, nach der diese Zeiten den Beitragszeiten gleichgestellt seien.
Demgegenüber hält die Klägerin ihr Verlangen gemäß § 3 Abs. 6 FAG für berechtigt; die Abgeltung der früheren Beschäftigungszeiten sei eine Folge der Umsiedlung und der anschließend zur reichsgesetzlichen Rentenversicherung erbrachten Pflichtbeiträge; als besondere Vergünstigung für die mit der Umsiedlung verbundenen Opfer müsse sie auch bei Auslandsleistungen nach den §§ 8 und 9 FAG stattfinden, zumal die Beschäftigungszeiten nach der früheren Struktur der Rentenversicherung am ehesten den Ersatzzeiten verwandt seien.
Im übrigen weist die Klägerin darauf hin, daß ihr "eigentliches Revisionsinteresse" durch die Vorschrift des Art. 6 § 14 FANG bestimmt werde; sie erhofft bei einer Anwendung der Umsiedler-VO höhere Hinterbliebenenrenten (ua durch Anrechnung von 89 Monaten früherer beruflicher Selbständigkeit ihres Mannes).
II.
Die Sprungrevision ist in dem noch aufrecht erhaltenen Umfang zulässig (§§ 161 Abs. 1, 164 SGG) und auch begründet.
Aufgrund der wenigen tatsächlichen Feststellungen des SG ist der Senat allerdings nicht in der Lage, alle Voraussetzungen des im Revisionsverfahren noch streitigen Anspruchs zu prüfen; er muß sich vielmehr auf die Frage beschränken, ob bei einer Auslandsleistung nach § 9 FAG auch Steigerungsbeträge nach § 7 Abs. 2 der 1. DVO zum FAG (i. V. m. § 4 Abs. 3 Nr. 2 Umsiedler-VO) zur Abgeltung solcher Beschäftigungszeiten zu gewähren sind, die Umsiedler im Sinne der Umsiedler-VO vor der Umsiedlung zurückgelegt haben. Diese Frage ist entgegen der Ansicht des SG zu bejahen.
§ 9 Abs. 1 FAG gestattet - unter weiteren Voraussetzungen - Auslandsleistungen an Deutsche und frühere Deutsche, die "in den gesetzlichen Rentenversicherungen nach Reichsrecht, Bundesrecht ... versichert waren ... zur vorläufigen Regelung ihrer aus den genannten Versicherungsverhältnissen stammenden Ansprüche ..., falls der verpflichtete Versicherungsträger ... stillgelegt ist". Nach den Feststellungen des SG war der Ehemann der Klägerin sowohl nach Reichsrecht (Beiträge zur RfA) als auch nach Bundesrecht (Beiträge zur BfA) versichert. Für die hier vorzunehmende Betrachtung mag die Versicherung nach Bundesrecht auf sich beruhen; zur Beurteilung des Revisionsbegehrens genügt jedenfalls die Versicherung bei der RfA, die nach dem Kriegsende stillgelegt worden ist. Demnach ist zu prüfen, ob die Klägerin hier einen aus dem Versicherungsverhältnis bei der RfA stammenden Anspruch geltend macht. Auch das trifft zu.
Nach § 4 Abs. 1 Umsiedler-VO i. d. F. des § 3 Abs. 6 Nr. 3 FAG galten (die Umsiedler-VO ist durch Art. 7 § 3 Abs. 1 Buchst. g FANG mit Wirkung vom 1. Januar 1959 aufgehoben worden) "für Umsiedler, die nach der Umsiedlung bis zum 31. Dezember 1946 eine der reichsgesetzlichen Rentenversicherungspflicht unterliegende Beschäftigung während mindestens 26 Wochen (6 Monaten) ausgeübt haben" - diese Voraussetzung hält das SG, wenn auch ohne nähere Feststellungen, offenbar für gegeben - "für die Leistungsgewährung bei Eintritt des Versicherungsfalles nach Reichsrecht die reichsrechtlichen Vorschriften mit ... Besonderheiten"; zu diesen Besonderheiten gehört - unter den hier offenbar nicht streitigen weiteren Voraussetzungen des § 4 Abs. 3, 1. Halbsatz - die Gewährung von Steigerungsbeträgen "zur Abgeltung sämtlicher vor der Umsiedlung zurückgelegten Beschäftigungszeiten ohne Rücksicht auf die Zugehörigkeit zu einer Sozialversicherung im Herkunftsstaat". Ihre Höhe war ursprünglich in § 4 Abs. 3 Nr. 2 Umsiedler-VO pauschal bestimmt und ist später in § 7 der 1. DVO zum FAG, getrennt nach Versicherungs- und Beschäftigungszeiten, neu festgelegt worden. Hiernach ist dem SG zwar zuzustimmen - was auch die Klägerin einräumt -, daß die vor der Umsiedlung zurückgelegten Beschäftigungszeiten durch § 4 der Umsiedler-VO keine reichsgesetzlichen Versicherungszeiten geworden sind und daß sie auch kein Versicherungsverhältnis bei einem deutschen Rentenversicherungsträger begründet haben (ausgenommen wohl den hier nicht gegebenen Sonderfall des § 4 Abs. 4). Desgleichen trifft es zu, daß durch § 4 Umsiedler-VO weder "Verpflichtungen (Anwartschaften) eines nichtdeutschen Versicherungsträgers nach Reichsrecht auf den deutschen Versicherungsträger" (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 FAG) noch "Versicherungszeiten aus einer ausländischen Versicherung auf die reichsgesetzliche Rentenversicherung" (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b FAG) "übergegangen sind". Diese Erkenntnis schließt jedoch Leistungen für die Beschäftigungszeiten nach dem FAG - nach § 1 oder nach den §§ 8 und 9 - nicht aus. Denn die Steigerungsbeträge für die Beschäftigungszeiten sind keine unmittelbare Rechtsfolge dieser Zeiten (vgl. demgegenüber § 16 Fremdrentengesetz vom 25. Februar 1960), sondern eine Folge (Nebenfolge) der nach der Umsiedlung erbrachten Pflichtbeiträge; sie verkörpern einen zusätzlichen Anspruch aus dem durch jene Pflichtbeiträge begründeten Versicherungsverhältnis. Demzufolge gelten die Steigerungsbeträge auch als Bestandteil der für jene Beiträge zu gewährenden Renten (vgl. § 4 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. c). Infolgedessen sind die Steigerungsbeträge aber nach dem FAG immer dann mitzugewähren, wenn die einzelnen Vorschriften dieses Gesetzes Leistungen für jene Pflichtbeiträge vorsehen.
Bei einer anderen Betrachtungsweise wäre die Gewährung von Steigerungsbeträgen für die vor der Umsiedlung zurückgelegten Beschäftigungszeiten im Rahmen des FAG weder nach § 9 noch nach den §§ 1 und 8 möglich. Das würde im Widerspruch zu den §§ 2 und 3 Abs. 6 FAG stehen, weil danach die Umsiedler-VO auch bei Leistungen nach dem FAG anwendbar sein muß; die Auslandsleistungen bilden hiervon keine Ausnahme, zumal die §§ 8 und 9 FAG die "entsprechende Anwendung" bzw. "die Berücksichtigung" der §§ 2 bis 6 FAG gebieten.
Das Ergebnis erscheint nicht unbillig, wenn man bedenkt, daß die Umsiedler-VO durch ihre Vorschriften die Umsiedler in die Reichsversicherung "eingliedern" wollte, wie es sich aus dem Titel der Verordnung und aus § 1 Abs. 2 ergibt. Ein solches Eingliederungsmittel war die Abgeltung der früheren Beschäftigungszeiten, ein weiteres (ua) die Übernahme von Fremdrenten des Herkunftsstaates durch einen deutschen Versicherungsträger (§ 6). Ähnlich wie diese Fremdrenten übernommen wurden, bedeutet aber auch die Abgeltung der früheren Beschäftigungszeiten im praktischen Ergebnis nichts anderes als eine "Übernahme" auf die Reichsversicherung (vgl. auch den durch das FAG aufgehobenen § 10 Abs. 1 Buchst. e und Abs. 2). Es ist deshalb gerechtfertigt, die vor der Umsiedlung zurückgelegten Beschäftigungszeiten auch bei Auslandsleistungen nach dem FAG nach wie vor "abzugelten", soweit sie nicht schon als Versicherungszeiten berücksichtigt worden sind.
Da die Revision hiernach begründet ist und das Bundessozialgericht mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen in der Sache selbst nicht entscheiden kann, muß das Urteil des SG hinsichtlich der Versichertenrente für die Zeit von Dezember 1958 bis März 1959 aufgehoben und der Rechtsstreit insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden, wobei hier die Zurückverweisung an das SG und nicht an das Landessozialgericht angezeigt ist (§ 170 Abs. 3 SGG).
Die Anwendbarkeit des Art. 6 § 14 FANG auf die Hinterbliebenenrenten ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens; dem Senat ist deshalb eine Stellungnahme hierzu verwehrt.
Bei der neuen Entscheidung hat das SG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden.
Fundstellen