Leitsatz (amtlich)

1. Ist die Gewährung einer Rente auf Grund eines vor dem 1959-01-01 eingetretenen Versicherungsfalles, durch einen vor Erlaß des FANG erteilten, noch nicht bindend gewordenen Bescheides abgelehnt worden, so liegt darin keine Rentenfeststellung iS des FANG Art 6 § 8.

2. Hat ein Umsiedler, der bei seinem nach der Umsiedlung erfolgten Eintritt in die Reichsversicherung bereits das 25. Lebensjahr vollendet hatte, zwischen dem 1945-06-30 und dem 1946-12-31 auf Grund versicherungspflichtiger Beschäftigung Beiträge zu einem sowjetzonalen Rentenversicherungsträger gezahlt so sind diese Zeiten sowohl nach FAG SV § 1 Abs 2 wie nach FRG § 15 auf die 26 Wochen anzurechnen, mit denen nach UmsiedlerV SV 1943 § 4 die Wartezeit als erfüllt gilt.

 

Normenkette

SVFAG § 1 Abs. 2 Fassung: 1953-08-07; FANG Art. 6 § 8 Fassung: 1960-02-25; FRG § 15 Fassung: 1960-02-25; SVUmsiedlV 1943 § 4 Fassung: 1943-06-19

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. August 1959 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Die am ... 1943 geborene Klägerin begehrt von der Beklagten Waisenrente aus der Invalidenversicherung ihres im Jahre 1913 geborenen und im Jahre 1947 verstorbenen Vaters. Dieser war bis zu seiner Umsiedlung im Jahre 1940 selbständiger Landwirt in Wo. Er verbrachte dann einige Zeit in verschiedenen Lagern, u. a. in W in Bayern, wo er vom 24. Juni bis 28. August 1940 eine invalidenversicherungspflichtige Arbeit in einer Ziegelei verrichtete. Ohne noch eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit aufgenommen zu haben, erhielt er im Frühjahr 1941 eine Siedlerstelle im damaligen Wa. Vom 1. Juli 1943 bis 5. Mai 1945 war er Soldat. Nach seiner Vertreibung hat er vom 10. Mai 1945 bis 31. März 1947 in der sowjetischen Besatzungszone als landwirtschaftlicher Arbeiter, Transportarbeiter und Gespannführer gearbeitet und 91 Wochenbeiträge zur Invalidenversicherung entrichtet. Am 5. April 1947 starb er.

Durch Bescheid vom 1. Juni 1954 gewährte die Kreisgeschäftsstelle E der dortigen Sozialversicherungsanstalt der Klägerin zunächst die Halbwaisenrente und nach dem Tode der Mutter durch Bescheid vom 15. November 1954 die Vollwaisenrente.

Den nach Übersiedlung der Klägerin in die Bundesrepublik im Februar 1955 gestellten Antrag auf Gewährung der Waisenrente aus der Invalidenversicherung ihres verstorbenen Vaters lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 25. Juni 1957 ab. Die zum sowjetzonalen Versicherungsträger geleisteten Beiträge seien in diesem Zusammenhang nicht anzurechnen, dann jedoch fehlten dem Vater der Klägerin auch unter Einschluß der Kriegsdienstzeit an der vorgeschriebenen Wartezeit noch 12 Monate. Andererseits sei er zwar, wie sich aus dem Rückkehrerausweis ergebe, als Umsiedler anzusehen, habe jedoch nach der Umsiedlung bis zum 31. Dezember 1946 nicht die nach § 4 der Umsiedler-Verordnung (Umsiedler-VO) vom 19. Juni 1943 erforderlichen 26 Wochen eine der reichsgesetzlichen Versicherungspflicht unterliegende Beschäftigung ausgeübt.

Im wesentlichen aus denselben Gründen wies das Sozialgericht (SG) Düsseldorf am 30. April 1958 die gegen diesen Bescheid erhobene Klage ab. Im Berufungsverfahren verurteilte das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen dagegen durch Urteil vom 19. August 1959 die Beklagte, der Klägerin vom 1. März 1955 an Waisenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Vaters zu gewähren.

Die Wartezeit sei zwar nicht erfüllt, gelte aber nach § 4 der Umsiedler-VO als erfüllt. Auch eine Beschäftigung in der Sowjetzone falle unter diese Bestimmung. Wenn in der Sowjetzone bis zum 31. Dezember 1946 auch nicht mehr Renten nach Reichsrecht festgestellt worden seien, so besage dies für die hier zu entscheidende Frage nichts. Es komme vielmehr nach der Fassung der Umsiedler-VO darauf an, ob eine Versicherungspflicht bei Zugrundelegung des Reichsrechts bestanden hätte. Jedenfalls bestünden keine zwingenden Gründe für die Annahme, daß auf die in § 4 Abs. 1 Umsiedler-VO idF des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FAG) geforderten 26 Wochen nur solche Beiträge anzurechnen seien, die vor dem Zusammenbruch im Reichsgebiet und danach in den westlichen Besatzungszonen entrichtet wurden. Für die Auslegung müsse der Grundgedanke des Gesetzes beachtet werden. Dieser sei in § 90 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge enthalten, wonach die Vertriebenen und Sowjetzonenflüchtlinge den Berechtigten im Geltungsbereich des Grundgesetzes (GG) gleichzustellen seien. Demgemäß müßten die in der Sowjetzone zurückgelegten Zeiten in gleicher Weise angerechnet werden wie Beiträge, die in der gleichen Zeit im Bundesgebiet entrichtet worden sind. Da die übrigen Voraussetzungen des Waisenrentenanspruchs erfüllt seien, habe der Berufung stattgegeben werden müssen.

Die Beklagte legte gegen das ihr am 15. Oktober 1959 zugestellte Urteil am 10. November 1959 unter Stellung eines bestimmten Antrags die vom LSG zugelassene Revision ein und begründete sie gleichzeitig.

§ 4 der Umsiedler-VO spreche eindeutig davon, daß als Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift eine der reichsgesetzlichen Versicherungspflicht unterliegende Beschäftigung ausgeübt worden sein müsse. Für eine Auslegung, wie sie das LSG vorgenommen habe, sei daher kein Raum. Die Beschäftigung müsse im Geltungsbereich der reichsversicherungsrechtlichen Vorschriften, seit dem 1. Juli 1945 also im Gebiet der heutigen Bundesrepublik verrichtet worden sein. Im übrigen müßte die Beschäftigung nach den Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung (RVO) versicherungspflichtig und für sie Beiträge an die Rentenversicherung abgeführt worden sein.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 19. August 1959 aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie stützt sich im wesentlichen auf die Gründe des angefochtenen Urteils, das sie für zutreffend hält.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist statthaft, da das LSG sie zugelassen hat, sie ist auch frist- und formgerecht unter Antragstellung eingelegt und begründet worden.

Die Revision ist jedoch sachlich nicht begründet.

Der Anspruch der Klägerin ist sowohl nach dem FAG vom 7. August 1953 als auch nach dem Fremdrentengesetz (FRG) vom 25. Februar 1960 begründet.

Gemäß Art. 6 § 5 des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) findet dieses Gesetz nach Maßgabe der §§ 6 ff auch auf Versicherungsfälle Anwendung, die vor seinem Inkrafttreten eingetreten sind. Art. 6 § 6 Abs. 1 FANG ist zwar unmittelbar nicht anwendbar, denn er betrifft - abgesehen von Leistungen aus der hier nicht in Frage kommenden knappschaftlichen Rentenversicherung - nur Versicherungsfälle, die vor dem 1. Januar 1959, aber nach dem 31. Dezember 1956 eingetreten sind. Nach Art. 6 § 8 FANG gelten jedoch die §§ 6 und 7 dieses Artikels in den Fällen entsprechend, in denen der Versicherungsfall - und zwar ohne zeitliche Begrenzung in der Vergangenheit - vor dem 1. Januar 1959 eingetreten und die Rente vor der Verkündung des FANG nicht festgestellt worden ist. Im vorliegenden Fall ist die Rente vor der Verkündung des FANG auch nicht festgestellt worden, da kein gewährender Bescheid ergangen ist und ein eine Rentenleistung ablehnender Bescheid, zum mindesten, wenn er noch nicht bindend geworden ist, nicht als eine Rentenfeststellung im Sinne des § 8 aaO betrachtet werden kann (vgl. auch Jantz/Zweng/Eicher, Art. 6 § 8 Anm. 4). Nach § 8 aaO gelten die §§ 6 und 7 daher entsprechend.

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 aaO sind die Renten für Bezugszeiten vom Rentenbeginn an nach Maßgabe der Vorschriften der §§ 14 bis 31 FRG nach dem für Versicherungsfälle nach dem 31. Dezember 1956 geltenden Recht festzustellen. Festzustellen bedeutet dabei nicht nur neu zu berechnen, sondern auch den Anspruch dem Grunde nach neu zu prüfen (Jantz/Zweng/Eicher, Art. 6 § 6 Anm. 8). Der Anspruch der Klägerin ist also anhand der §§ 14 bis 31 FRG und der Vorschriften der Reichsversicherungsordnung in der jetzt geltenden Fassung in vollem Umfange abermals zu überprüfen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin unter den in § 1 FRG beschriebenen Personenkreis fällt, wofür zwar der Sachverhalt spricht, jedoch die positive Feststellung des LSG über die Anerkennung der Klägerin als Vertriebene durch Vorlage des Vertriebenenausweises fehlt. Jedenfalls ist aber auf die Klägerin § 17 FRG anwendbar, denn es sind Beiträge an einen außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes befindlichen deutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt worden. Gemäß § 17 Abs. 1 Buchst. a FRG findet daher § 15 FRG Anwendung. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift stehen Beitragszeiten, die nach dem 30. Juni 1945 bei einem außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes befindlichen deutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich. Dies gilt demnach auch für die nach den Feststellungen des LSG vom Vater der Klägerin in der Zeit vom 10. Mai 1945 bis 31. März 1947 entrichteten 91 Wochenbeiträge, soweit sie nach dem 30. Juni 1945 gezahlt worden sind.

Nach §§ 1263 Abs. 2, 1267 RVO nF ist aber Voraussetzung für die Gewährung der Waisenrente an die Kinder eines verstorbenen Versicherten, daß dieser - wenn nicht die hier nicht in Frage kommende Wartezeitfiktion des § 1256 RVO durchgreift - zur Zeit seines Todes eine Wartezeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt haben muß. Da nach den bindenden Feststellungen des LSG einschließlich der nach dem 30. Juni 1945 in der sowjetischen Besatzungszone entrichteten Beiträge nur 48 Monate durch Beiträge oder anrechenbare Ersatzzeiten (Kriegsdienst) belegt sind, nur 48 Beitragsmonate zurückgelegt sind, ist diese 60-monatige Wartezeit auch unter Einrechnung aller erörterten Zeiträume nicht erfüllt.

Es bleibt jedoch noch zu prüfen, ob die Wartezeit nicht nach § 4 der Umsiedler-VO vom 19. Juni 1943 idF des § 3 Abs. 6 FAG als erfüllt gilt. Obwohl die Umsiedler-VO durch Art. 7 § 3 Abs. 1 Buchst. q FANG mit Wirkung vom 1. Januar 1959 außer Kraft getreten ist, ist sie noch auf alle Versicherungsfälle anzuwenden, die vor Verkündung des FANG am 3. März 1960 eingetreten sind (Jantz/Zweng/Eicher, Anm. zu Art. 7 § 3). Hierfür spricht auch § 14 FANG, der die hier vertretene Auffassung offenbar voraussetzt.

Nach § 4 der Umsiedler-VO gilt die Wartezeit bei Umsiedlern, die bei ihrem nach der Umsiedlung erfolgten Eintritt in die Reichsversicherung das 25. Lebensjahr vollendet hatten, als erfüllt, wenn sie nach der Umsiedlung bis zum 31. Dezember 1946 eine der reichsgesetzlichen Rentenversicherungspflicht unterliegende Beschäftigung während mindestens 26 Wochen ausgeübt haben. Der Vater der Klägerin hatte im Jahre 1940 bei seinem Eintritt in die Reichsversicherung sein 25. Lebensjahr vollendet. Er hatte jedoch bis zum 31. Dezember 1946 weniger als 26 Wochen eine der reichsgesetzlichen Rentenversicherungspflicht unterliegende Beschäftigung ausgeübt, da die Tätigkeit in der sowjetischen Besatzungszone nicht mehr nach den Bestimmungen der reichsgesetzlichen Rentenversicherung durchgeführt worden ist und daher keine derartige Beschäftigung darstellt (vgl. Haensel/Lippert, Komm. z. FANG, § 15 FRG Anm. 2 b).

Nach § 15 FRG stehen aber die nach dem 30. Juni 1945 bei einem außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes befindlichen deutschen Versicherungsträger zurückgelegten Beitragszeiten den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich. Die nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten richten sich nach der Reichsversicherungsordnung, also nach reichsrechtlichen, wenn auch zu Bundesrecht gewordenen Vorschriften. Aus § 15 FRG folgt mithin, daß die sowjetzonalen Beitragszeiten den auf Grund reichsrechtlicher Vorschriften zurückgelegten Beitragszeiten gleichzustellen sind. Nun spricht § 4 der Umsiedler-VO allerdings nicht von Beitragszeiten, sondern von der reichsgesetzlichen Rentenversicherungspflicht unterliegenden Beschäftigungszeiten. Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 30.1.1958 (SozR Umsiedler-VO v. 19. 6.1943 § 4 Nr. 1 Aa 2) dargelegt hat, kommt es für die Möglichkeit der Anwendung von § 4 entscheidend darauf an, daß in der fraglichen Zeit versicherungspflichtiger Beschäftigung auch tatsächlich Beiträge gezahlt sind. Dann jedoch müssen auch im vorliegenden Fall die sowjetzonalen beitragsbelegten Beschäftigungszeiten nach Bundes- bzw. früherem Reichsrecht versicherungspflichtig gewesenen Beschäftigungszeiten, für die Beiträge gezahlt wurden, gleichgestellt werden. Die vom Vater der Klägerin nach dem 30. Juni 1945 in der sowjetischen Besatzungszone zurückgelegten Beschäftigungszeiten, für die Beiträge entrichtet worden sind, sind demnach im vorliegenden Falle anrechenbar, so daß der Vater der Klägerin bis zum 31. Dezember 1946 mehr als 26 Wochen eine der reichsgesetzlichen Versicherungspflicht unterliegende Beschäftigung ausgeübt hatte. Die Wartezeit nach § 4 der Umsiedler-VO gilt daher auf diesem Wege als erfüllt. Da die übrigen Voraussetzungen der §§ 1262, 1263 RVO gegeben sind, hat die Klägerin Anspruch auf Waisenrente.

Der Anspruch auf Waisenrente würde, wenn er erst durch das FANG begründet wäre, nach Art. 7 § 24 FANG erst vom 1. Januar 1959 an gegeben sein. Ein früherer Rentenbeginn ergibt sich jedoch daraus, daß die Klägerin auch schon nach dem FAG einen Anspruch auf Waisenrente hatte. § 4 FAG bestimmte, ähnlich wie später § 15 FRG, daß in der Rentenversicherung die bei einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung i. S. des § 1 Abs. 2 zurückgelegten Versicherungszeiten für die Wartezeit wie die in den Rentenversicherungen im Bundesgebiet zurückgelegten Versicherungszeiten angerechnet werden. Zu den Rentenversicherungsträgern i. S. des § 1 Abs. 2 FAG zählen auch die Versicherungsträger in der sowjetischen Besatzungszone. Damit werden für die Erfüllung der Wartezeit die sowjetzonalen Versicherungszeiten gleichgestellt. Diese Gleichstellung bewirkt aber, wie oben im Zusammenhang mit § 15 FRG bereits ausgeführt, daß auch hier die Beschäftigungszeit des Vaters der Klägerin in der Sowjetzone so zu behandeln ist, als wenn sie der reichsgesetzlichen Rentenversicherungspflicht unterlegen hätte. Auch nach dem Rechtszustand vor Inkrafttreten des FRG galt daher die Wartezeit als erfüllt. Da, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, die übrigen Voraussetzungen des Waisenrentenanspruchs gegeben sind, ist der Anspruch der Klägerin nicht erst durch das FRG begründet worden.

Damit erweist sich die Revision in vollem Umfang als unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324219

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