Leitsatz (amtlich)

Bei der Berechnung der erhöhten Witwenrente (§ 1268 Abs 2, § 1253 Abs 2 RVO) ist jedenfalls ab 1. Juli 1975 die Zeit der Arbeitsunfähigkeit iS des § 1259 Abs 1 S 1 Nr 1 RVO, solange der Versicherte Krankengeld bezogen hat, als Ausfallzeit anzurechnen, wenn er die Voraussetzungen des § 1247 Abs 3 S 1 Buchst b RVO erfüllt hatte und Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht beantragt worden war.

 

Normenkette

RVO § 1268 Abs. 2, § 1253 Abs. 2, § 1259 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 1247 Abs. 3 S. 1 Buchst. b Fassung: 1975-05-07

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 22.10.1984; Aktenzeichen L 5/Ar 221/83)

SG Augsburg (Entscheidung vom 11.02.1983; Aktenzeichen S 9/Ar 569/81)

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Berücksichtigung einer Ausfallzeit nach § 1259 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO).

Die Klägerin bezieht Witwenrente aus der Versicherung ihres am 3. März 1981 verstorbenen Ehemannes. Dessen Arbeitsverhältnis als Maurer bestand bis zu seinem Tode fort. Ab 16. März 1980 war er arbeitsunfähig krank. Im Wege der Lohnfortzahlung erhielt er Arbeitsentgelt bis zum 15. April 1980 und anschließend Krankengeld bis zum 23. Dezember 1980. Vom Tage danach bis einschließlich 1. Januar 1981 bezog er den ihm tarifvertraglich zustehenden Lohnausgleich im Baugewerbe, dann erneut Krankengeld. Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 29. Juni 1981 ab 3. März 1981 Witwenrente gem § 1268 Abs 2 RVO, ohne die Zeit der Arbeitsunfähigkeit ab 16. April 1980 als Ausfallzeit anzurechnen.

Die dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen (Urteil vom 11. Februar 1983) und das Landessozialgericht (LSG) die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 22. Oktober 1984). Ab Mai 1980 sei der Versicherte erwerbsunfähig gewesen und habe bei rückschauender Betrachtung damit seine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit nicht unterbrochen, sondern beendet. Deshalb könne von da ab eine Ausfallzeit wegen Arbeitsunfähigkeit bei der Berechnung der Witwenrente nicht berücksichtigt werden.

Die Klägerin hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Sie rügt eine Verletzung der §§ 1258, 1259 Abs 1 Nr 1, 1247 Abs 3 RVO sowie der §§ 56, 59 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB 1). Während des Bezuges von Krankengeld habe der Versicherte seine Beschäftigung nicht beendet, sondern nur unterbrochen, so lange ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis bestanden habe, Krankengeld gezahlt und keine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gewährt worden sei.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Urteils des SG Augsburg vom 11. Februar 1983 und des Urteils des Bayerischen LSG vom 22. Oktober 1984 die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 29. Juni 1981 zu verurteilen, bei der Witwenrente die Monate Mai bis November 1980 sowie den Monat Februar 1981 rentensteigernd als Ausfallzeit nach § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO zu berücksichtigen; hilfsweise, zumindest die Monate Mai bis November 1980 zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung des LSG für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung gem § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Die streitigen Ausfallzeiten vom 1. Mai bis zum 30. November 1980 sowie vom 1. bis zum 28. Februar 1981 sind zu berücksichtigen.

Die der Klägerin aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes gewährte Witwenrente beträgt nach § 1268 Abs 2 RVO 6/10 der nach § 1253 Abs 2 RVO berechneten Versichertenrente ohne Kinderzuschuß. Zu den anrechnungsfähigen Versicherungsjahren im Sinne der zuletzt genannten Vorschrift gehören gem § 1258 Abs 1 RVO die Ausfallzeiten des § 1259 RVO. Unter dessen Abs 1 Nr 1 fallen Zeiten in denen eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit durch eine infolge Krankheit bedingte Arbeitsunfähigkeit unterbrochen worden ist. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) war der Versicherte ab 16. März 1980 arbeitsunfähig krank. Das ergibt sich schon daraus, daß er von diesem Zeitpunkt an zunächst Arbeitsentgelt im Wege der Lohnfortzahlung und sodann Krankengeld erhalten hat. Ab Mai 1980 hat das LSG ihn als dauernd erwerbsunfähig angesehen.

Die Anrechnung der Ausfallzeit hängt hier davon ab, ob durch die Arbeitsunfähigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen worden ist. Die nunmehr einheitliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) geht davon aus, daß in rückschauender Betrachtungsweise zu entscheiden ist, ob während einer - vorübergehenden - Erwerbsunfähigkeit auch Arbeitsunfähigkeit bestanden habe (vgl BSGE 52, 234 f = SozR 2200 § 1259 Nr 57 und Urteil vom 13. Mai 1982 - 5a RKn 17/80 -). Der 1. Senat des BSG hat in seiner Entscheidung vom 12. Dezember 1979 (BSGE 49, 202, 209 f = SozR 2200 § 1247 Nr 28 mwN) ausgeführt, wenn die Zeit der Arbeitsunfähigkeit nicht von versicherungspflichtigen Beschäftigungen umrahmt, sondern lediglich eine solche Beschäftigung vorausgegangen sei, so müsse geprüft werden, ob es sich nicht nur um eine Unterbrechung, sondern um eine Beendigung der Beschäftigung handele. Es entspreche einhelliger und unangefochtener Rechtsauffassung, daß trotz des Vorliegens von Erwerbsunfähigkeit die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Versicherten seine versicherungspflichtige Beschäftigung so lange nur unterbreche und nicht beende wie ihm Krankengeld gezahlt werde. Ebenso hat sich der 4. Senat des BSG in seinen Urteilen vom 28. Februar und 19. April 1978 (SozR 2200 § 1259 Nrn 27 und 28) geäußert. Demgegenüber hat der 11. Senat am 25. Februar 1976 (SozR aaO Nr 15) in einem Fall für eine Zeit des Bezuges von Krankengeld entschieden, die daneben fortwährend bis zum Versicherungsfall des Alters bestehende Erwerbsunfähigkeit beende die versicherungspflichtige Beschäftigung. Nicht entscheidend sei dabei, ob der Versicherte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezogen habe. Diesem Urteil hat sich der 4. Senat am 26. Mai 1976 angeschlossen (SozR aaO Nr 16). Nach Auffassung des 12. Senats (Urteil vom 13. März 1975 in SozR aaO Nr 6) gibt die Gewährung von Krankengeld allein keinen entscheidenden Grund dafür ab, ob eine Zeit als Ausfallzeit nach § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO zu behandeln ist.

Die zuletzt erwähnten Entscheidungen des 4., 11. und 12. Senats betreffen Zeiten krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit mit Bezug von Krankengeld vor dem 1. Juli 1975. Mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an sind jedoch die Vorschriften der §§ 1247, 1253, 1255 und 1258 RVO durch das Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter vom 7. Mai 1975 (BGBl I, 1061 - SVBehindertenG-) geändert worden. Nach § 1247 Abs 3 Satz 1 RVO ist die Wartezeit für die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nunmehr erfüllt, wenn a) vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten oder b) vor der Antragstellung insgesamt eine Versicherungszeit von 240 Kalendermonaten zurückgelegt ist.

Dabei tritt im Falle b) der Versicherungsfall am Tag der Antragstellung ein, sofern bis dahin die erforderlichen 240 Kalendermonate erfüllt sind. Verfügt der erwerbsunfähige Versicherte sowohl über die Wartezeit von 60 als auch über diejenige von 240 Kalendermonaten, so kann er bestimmen, ob die Rente nach Buchstabe a) oder b) des § 1247 Abs 3 Satz 1 RVO gewährt werden soll (vgl Urteil des 1. Senats vom 12. Dezember 1979 aaO). Im letzteren Fall werden bei der Rentenberechnung auch die nach Beginn der Erwerbsunfähigkeit aber vor der Antragstellung zurückgelegten Ausfallzeiten berücksichtigt (§ 1258 Abs 4 Satz 2 RVO).

Diese neue gesetzliche Regelung zeigt, daß es grundsätzlich möglich ist, auch nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit noch anrechnungsfähige Ausfallzeiten zurückzulegen. Deshalb folgt der Senat für die Zeit ab 1. Juli 1975 jedenfalls bei einem Versicherten, der die Voraussetzungen des § 1247 Abs 3 Satz 1 Buchst b) RVO erfüllt hat, der bereits erwähnten Rechtsprechung des 1. und 4. Senats in den Urteilen vom 12. Dezember 1979, 28. Februar 1978 und 19. April 1978 (aaO), wonach eine Arbeitsunfähigkeit während des Bezuges von Krankengeld die versicherungspflichtige Beschäftigung nur unterbricht und nicht beendet. Damit weicht der Senat nicht von der zitierten älteren Rechtsprechung zu Ausfallzeiten vor dem 1. Juli 1975 ab, weil diese eine andere rechtliche Ausgangslage betrifft.

Der Ehemann der Klägerin hat Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht beantragt. Er hatte aber eine Versicherungszeit von mehr als 240 Kalendermonaten zurückgelegt. Somit konnte er nach § 1247 Abs 3 Satz 2 RVO selbst bestimmen, wann der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit eintreten sollte. Die erhöhte Witwenrente basiert aber bezüglich der Berechnung auf der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Demzufolge hat die Beklagte die Monate Dezember 1980 und Januar 1981 als Beitragsmonate angerechnet, während der Versicherte den ihm tarifvertraglich zustehenden Lohnausgleich im Baugewerbe erhalten hat (vgl BSGE 41, 41 = SozR 2200 § 1259 Nr 13). Das ist aber nur über § 1247 Abs 3 Satz 1 Buchst b) iVm § 1258 Abs 4 Satz 2 RVO möglich. Beim Eintritt der Erwerbsunfähigkeit nach Buchst a) dieser Vorschrift werden nämlich gem § 1258 Abs 4 Satz 1 RVO nur die bis dahin zurückgelegten Versicherungszeiten berücksichtigt. Konsequenterweise müssen daher die noch streitigen Monate Mai bis einschließlich November 1980 und Februar 1981 als Ausfallzeit gem § 1259 Abs 1 Satz 1 RVO angerechnet werden, weil der Versicherte infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit mit Bezug von Krankengeld eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit lediglich unterbrochen hat.

Auf die demnach begründete Revision der Klägerin waren folglich die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte mußte verurteilt werden, die streitigen Ausfallzeiten bei der Berechnung der erhöhten Witwenrente zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 94

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