Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachentrichtete Beiträge keine Pflichtbeiträge
Leitsatz (amtlich)
Die gemäß AnVNG Art 2 § 44a Abs 3, nachentrichteten Beiträge sind freiwillige Beiträge, auch wenn das Gesetz sie nicht ausdrücklich als solche bezeichnet.
Leitsatz (redaktionell)
Es gibt keine Gesetzessystematik in dem Sinn, daß stets dann, wenn nicht ausdrücklich von freiwilligen Beiträgen gesprochen wird, Pflichtbeiträge gemeint sind.
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 44a Abs. 3 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 46 Abs. 3 Fassung: 1972-10-16
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. Juni 1975 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt ein höheres Altersruhegeld; er studierte ab April 1924 - im Anschluß an seine Reifeprüfung - an der Technischen Hochschule in M Maschinen-Ingenieur und legte am 18. März 1929 die Diplom-Hauptprüfung ab. Danach war er zunächst wissenschaftlicher Hilfsarbeiter, dann außerordentlicher und schließlich ordentlicher wissenschaftlicher Assistent am Hydraulischen Institut der Technischen Hochschule. Im Dezember 1934 promovierte er. Der erste Pflichtversicherungsbeitrag wurde für Juli 1935 entrichtet.
Die Beklagte gewährte dem Kläger ab 1. September 1970 Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres (Bescheid vom 3. November 1971). Ein Rechtsstreit über die Anrechnung von Ausfallzeiten schloß sich an. Im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens berechnete die Beklagte durch Bescheid vom 29. November 1972 - um den es jetzt allein noch geht - die Rente neu; sie lehnte jedoch nach wie vor die Anrechnung einer Schul- und Hochschulausbildung als Ausfallzeit ab, weil der Kläger innerhalb des für ihn noch maßgeblichen Fünfjahreszeitraumes nach Vollendung seiner Hochschulausbildung (März 1929) keine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen habe. Inzwischen ließ die Beklagte durch Bescheid vom 16. Juli 1973 für die Zeit von Mai 1929 bis Dezember 1931 die Nachentrichtung von Beiträgen gemäß Art. 2 § 44 a Abs. 3 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) zu. Der Kläger meint nun, diese Nachentrichtungsbeiträge seien als Pflichtbeiträge anzusehen und somit wäre auch die Anschlußfrist des § 36 Abs. 1 Nr. 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) a. F. gewahrt. Das Landessozialgericht (LSG) hat das verneint. Die Nachentrichtungsbeiträge hätten jedenfalls nicht die Wirkung von rechtzeitig entrichteten Pflichtbeiträgen, sondern seien wie freiwillige Beiträge zu behandeln; sie seien Pflichtbeiträgen nicht gleichgestellt. Das LSG hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieser Frage die Revision zugelassen.
Der Kläger beantragt mit seiner Revision,
unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile die Beklagte zu verurteilen, die Zeit vom 22. August 1921 bis 30. April 1929 als Ausfallzeit anzurechnen.
Er rügt die Verletzung des Art. 2 § 44 a Abs. 3 AnVNG. Da in dieser Vorschrift die Beiträge nicht ausdrücklich als freiwillige bezeichnet würden - wie in Art. 2 § 50 b und § 50 c AnVNG -, ergebe sich der zwingende Schluß, daß die hier genannten Beiträge Pflichtbeiträge seien. Die Gegenargumente des LSG seien nicht überzeugend.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet; er hat keinen Anspruch auf Anrechnung weiterer Ausfallzeiten.
Das LSG hat auf den bereits im August 1970 eingetretenen Versicherungsfall zutreffend § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG in der bis zum 19. Oktober 1972 (Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes - RRG -) geltenden Fassung angewandt (vgl. SozR Nr. 68 und 71 zu § 1251 RVO). Hiernach setzt die Anrechnung der begehrten Zeiten als Ausfallzeit u. a. voraus, daß der Kläger nach Beendigung seines Hochschulstudiums innerhalb von fünf Jahren eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen hat. Allerdings wird ein Versicherungsverhältnis - jedenfalls in der Rentenversicherung - nicht schon mit der Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, sondern erst mit der tatsächlichen Beitragsentrichtung begründet. Es müssen deshalb für die versicherungspflichtige Beschäftigung außerdem auch Pflichtbeiträge entrichtet worden sein (oder als entrichtet gelten). Daß eine Beitragsleistung zu fordern ist, kann zwar nicht dem Gesetzeswortlaut entnommen werden, ergibt sich jedoch aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift (vgl. SozR Nr. 6 und 71 zu § 1251 RVO).
Das LSG hat es dahingestellt sein lassen, ob der Kläger in den fünf Jahren nach März 1929 überhaupt eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat. Die Zulassung der Nachentrichtung von Beiträgen nach Art. 2 § 44 a Abs. 3 AnVNG setzt freilich voraus, daß der Begünstigte während der wissenschaftlichen Ausbildung für seinen künftigen Beruf nicht pflichtversichert gewesen ist. Aber selbst wenn man unterstellte, daß die Beschäftigung während der streitigen Zeit versicherungspflichtig gewesen war, sind jedenfalls - und das wird auch vom Kläger nicht bestritten - während dieser Zeit keine Pflichtbeiträge entrichtet worden. Solche sind auch nicht nachentrichtet worden. Als Pflichtbeiträge kommen nur Beiträge in Betracht, die - regelmäßig aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung (oder einer versicherungspflichtigen Tätigkeit) - entrichtet werden müssen (Zwangsbeiträge). Andere Beiträge sind freiwillige Beiträge. Dazu gehören auch die nach Art. 2 § 44 a Abs. 3 AnVNG nachentrichteten Beiträge, bei denen ein Zwang zur Entrichtung nicht besteht. Daß sie nicht ausdrücklich als freiwillige Beiträge bezeichnet werden, ist ohne Bedeutung. Das hat das LSG zutreffend ausgeführt (S. 15 und 16 des angefochtenen Urteils). Entgegen der Ansicht der Revision gibt es keine Gesetzessystematik in dem Sinne, daß stets dann, wenn nicht ausdrücklich von freiwilligen Beiträgen gesprochen wird, Pflichtbeiträge gemeint seien (vgl. zum Gesetzeswortlaut auch Art. 2 § 49 a Abs. 1 und § 50 b Abs. 1, wo es einmal heißt: "können freiwillig Beiträge nachentrichten" und ein andermal: "können freiwillig e Beiträge nachentrichten").
Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn die nachentrichteten Beiträge - obwohl sie freiwillige Beiträge sind - kraft ausdrücklicher Vorschrift den Pflichtbeiträgen gleichgestellt werden. Das ist in beschränktem Umfang in Art. 2 § 54 a Abs. 1 AnVNG und in weitergehendem Umfang in den §§ 8 Abs. 1 und 10 Abs. 1 des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) geschehen. In den letztgenannten Vorschriften heißt es z. B., daß diese nachentrichteten Beiträge als rechtzeitig entrichtete Beiträge für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit gelten. An einer derartigen Vorschrift fehlt es bei den nach Art. 2 § 44 a Abs. 3 AnVNG nachentrichteten Beiträgen. Hieraus läßt sich nur folgern, daß ihre Gleichstellung mit Pflichtbeiträgen vom Gesetzgeber nicht gewollt war. Das wird mittelbar bestätigt durch § 44 a Abs. 7 und 8 AnVNG; denn es wäre sonst wenig verständlich - worauf die Beklagte zutreffend hinweist -, daß die Entrichtung der Beiträge beträchtliche weitere Versicherungszeiten voraussetzt (Abs. 7) und - vor allem - die Erreichung des Krankenversicherungsschutzes der Rentner nicht ermöglicht (Abs. 8).
Auch der Hinweis darauf, daß Art. 2 § 44 a Abs. 3 AnVNG dem dort genannten Personenkreis eine besondere Vergünstigung gewährt, kann eine so weitgehende Folgerung, wie sie der Kläger für richtig hält, nicht rechtfertigen. Diese Bestimmung hat eben, wie aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Gleichstellungs-Vorschrift zu entnehmen ist, nur eine beschränkte Vergünstigung geschaffen.
Nach alledem fehlt es beim Kläger an der nach § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG a. F. notwendigen Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit innerhalb der Anschlußfrist von fünf Jahren. Seine Revision konnte deshalb keinen Erfolg haben, sondern mußte zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen