Leitsatz (amtlich)

Zum Begriff des Förderungslehrgangs iS von AFG § 58 iVm § 40.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Teilnahme eines Gehörlosen am Einzelunterricht im Mundablesen kann als Förderungslehrgang nach AFG § 40 förderbar sein. AFG § 40 enthält keine Beschränkung auf solche berufsvorbereitenden Maßnahmen, die das Ziel haben, eine nachfolgende Ausbildung zu ermöglichen. Förderungslehrgänge können daher auch dazu bestimmt sein, die Teilnehmer unmittelbar zur Aufnahme einer ungelernten Tätigkeit zu befähigen. Förderungslehrgang kann nur eine Maßnahme sein, die einen Bezug zu einer gegenwärtigen oder künftigen Berufstätigkeit hat; dieser Bezug braucht sich jedenfalls bei Behinderten nicht aus dem Inhalt, er kann sich auch lediglich aus dem Ziel der Maßnahme ergeben. Die Berufstätigkeit, auf die sich die Maßnahme beziehen muß, braucht nicht die erste Berufstätigkeit des Teilnehmers zu sein; die Rechtsprechung des BSG zur Abgrenzung der Ausbildung von Fortbildung und Umschulung ist auf berufsvorbereitende Maßnahmen nicht anzuwenden.

2. Zur Abgrenzung von pädagogischen und medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen.

3. AFG § 53 Abs 1 S 1 Nr 7 umfaßt nicht Leistungen zur Förderung von Maßnahmen, die in der Erteilung von Unterricht und der Vermittlung von Lehrinhalten bestehen (Bildungsmaßnahmen).

 

Normenkette

AFG § 58 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, § 40 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25; RVO § 1237 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; AFG § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 7

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. August 1974 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der 1936 geborene Kläger ist taub. Von 1953 bis 1971 war er als ungelernter Kellereiarbeiter beschäftigt. Er wurde im Januar 1971 beim Arbeitsamt B darüber beraten, welche Berufe für ihn in Betracht kämen. Der Psychologe des Arbeitsamtes Hamm hielt im Gutachten vom 3. Juni 1971 eine Ausbildung zum Buchbinder, zum Farbenlithographen und zB auch zum Dreher für ratsam. Im Dezember 1971 bat der Kläger um Einstellung weiterer Berufsberatung durch das Arbeitsamt. Er hatte damals gerade eine Tätigkeit als ungelernter Arbeiter bei der Firma M AG in G aufgenommen.

Ab Oktober 1972 nahm der Kläger Einzelunterricht im Mundablesen, den er nach seinen Angaben Mitte des Jahres 1973 aus finanziellen Gründen abbrach. Er beantragte hierfür Erstattung der Kosten. Dazu legte er eine Bescheinigung der Firma M vor, in der ausgeführt wird, wenn der Kläger besser die Sprache vom Mund ablesen könnte, wären seine Chancen, an hochwertigere Arbeiten herangeführt zu werden, erheblich größer. Mit dem Antrag hatte er keinen Erfolg (Bescheid vom 2. November 1972, Widerspruchsbescheid vom 27. November 1972). Das Sozialgericht (SG) Detmold hat am 24. Oktober 1973 die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger über den im Oktober 1972 gestellten Antrag auf Übernahme der Kosten für den Ableseunterricht einen neuen Bescheid unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen.

Auf die - zugelassene - Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen am 28. August 1974 das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, der Kläger sei Behinderter im Sinne der § 56 ff des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG).

Bei dem Unterricht im Mundablesen handele es sich nicht um eine Maßnahme der beruflichen Bildung, denn der Unterricht habe keinen zwingenden Bezug zu irgendeiner beruflichen Tätigkeit. Er sei auch keine dem Bereich der Medizin zuzuordnende Heilmaßnahme, denn mit dem Erlernen des Mundablesens werde nicht auf die Funktionsunfähigkeit des Gehörorgans eingewirkt, sondern nur das gesunde Sehorgan befähigt, die Aufgaben des Gehörs teilweise zu übernehmen. Allerdings sei der Unterricht geeignet, eine Arbeits- und Berufsförderung vorzubereiten. Indessen könne der Kläger keine Förderung nach dem AFG beanspruchen, weil sein Unterricht tatsächlich in keinerlei erkennbarem Bezug zu irgendeiner nach Inhalt und Ziel konkret festgestellten Art beruflicher Bildung gestanden habe, und weil der Kläger auch nicht faßbar habe angeben können, zu welchem konkreten beruflichen und arbeitsbezogenen Zweck die Fähigkeit des Mundablesens genutzt werden sollte. Zwar habe er die Absicht gehabt, nach erfolgreicher Beendigung des Unterrichts sich zum Schweißer oder - wie sein Prozeßbevollmächtigter sich zu erinnern meine - zum Dreher ausbilden zu lassen. Weder sein bisheriger Arbeitgeber noch die berufsberatende Stelle des Arbeitsamtes hätten jedoch die Ausbildung für einen solchen Beruf empfohlen. Daß er selbst mehr als die Absicht einer Ausbildung für einen dieser Berufe ins Auge gefaßt habe, sei ebenfalls nicht dargetan. Deshalb fehle der Bezug auf ein konkretes Berufs- oder Ausbildungsziel.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 56 ff AFG i. V. m. §§ 1, 3 und 10 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter (AReha) vom 2. Juli 1970 (ANBA S. 637). Er macht geltend, das LSG laste ihm zu Unrecht an, daß er die Absicht der Ausbildung in einem anerkannten Lehrberuf nur ins Auge gefaßt habe. Als Schwerbehinderter und Rechtsunkundiger habe er nicht wissen können, worauf es für die Realisierung seines Anspruchs ankomme. Die Beklagte selbst habe es entgegen ihrer Pflicht unterlassen, ihn umfassend zu beraten. Durch Vorlage einer Bescheinigung des Betriebsrats der Firma M an das LSG habe er glaubhaft gemacht, daß er nach erfolgreichem Abschluß des Unterrichts in der Firma einen sozialen Aufstieg erreichen könnte. Mit der Rüge einer Verletzung der §§ 106 Abs. 1, 111 und 112 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bringt er ferner vor: Wenn das LSG die vorhandenen Unterlagen und Erklärungen zur Stützung seines Begehrens nicht als ausreichend angesehen habe, hätte es ihn veranlassen müssen, seinen Sachvortrag zu ergänzen.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Detmold vom 24. Oktober 1973 mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt wird, den genommenen und den noch erforderlichen Einzelunterricht zur Erlernung des Mundablesens zu fördern.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie macht geltend, der Unterricht im Mundablesen sei keine medizinische Maßnahme, sondern gehöre zum Bereich der "allgemeinen Ausbildung" im Sinne des § 16 der Verordnung nach § 47 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) idF vom 28. Mai 1971 (BGBl I 731). Diese Maßnahmen seien nach dem AFG nur förderbar, wenn sie einen konkreten Bezug zu bestimmten Maßnahmen der eigentlichen beruflichen Bildung hätten.

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist gemäß § 160 Abs. 1 SGG zulässig.

Soweit der Kläger sein Begehren in Form eines Leistungsantrags stellt, ist die Klage zulässig. Der Kläger hat den Leistungsantrag statt der früheren Verpflichtungsklage erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG gestellt. Da aber die Beklagte sich auf diesen Antrag eingelassen hat, ist er gemäß § 99 Abs. 1 und 2 SGG zulässig.

Die Sache ist, soweit der Kläger eine Förderung des genommenen Einzelunterrichts zur Erlernung des Mundablesens begehrt, nicht entscheidungsreif. Insoweit ist sie zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Der Senat hält es deshalb auch für untunlich, über den Antrag auf Förderung des noch erforderlichen Einzelunterrichts abschließend zu entscheiden, obwohl der Kläger mit diesem Antrag in unzulässiger Weise seine Klage im Revisionsverfahren geändert hat (§ 168 SGG). Insoweit enthält die Klage einen neuen materiell-rechtlichen Antrag, über den die Beklagte noch nicht entschieden hat.

Der Anspruch des Klägers kann nicht auf § 53 Abs. 1 Nr. 7 i. V. m. § 58 Abs. 1 AFG gestützt werden. Danach hat die Bundesanstalt (BA) Arbeitsuchenden zur Förderung der Arbeitsaufnahme "sonstige" Hilfen zu gewähren, die sich zur Erleichterung der Arbeitsaufnahme als notwendig erweisen. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger überhaupt als Arbeitsuchender angesehen werden kann und ob der Unterricht im Mundablesen auf eine Arbeitsaufnahme gerichtet war. Unter die Bestimmung des § 53 Abs. 1 Nr. 7 AFG fallen aber jedenfalls keine Leistungen zur Förderung von Bildungsmaßnahmen, nämlich keine Maßnahmen, die in der Erteilung von Unterricht und der Vermittlung von Lehrinhalten bestehen. Dies ergibt sich aus dem Katalog der ausdrücklich genannten Leistungen gemäß § 53 Abs. 1 Nrn. 1-6 AFG sowie aus einem Vergleich mit den §§ 33 ff AFG. Der geltend gemachte Anspruch kann jedoch nach § 40 AFG begründet sein.

Gemäß § 40 AFG, der beim behinderten Kläger gem. § 58 AFG anzuwenden ist, gewährt die BA Zuschüsse und Darlehen nicht nur zur beruflichen Ausbildung in Betrieben und überbetrieblichen Einrichtungen, sondern auch für die Teilnahme an Grundausbildungs- und Förderungslehrgängen und anderen berufsvorbereitenden Maßnahmen. Der Unterricht eines Tauben im Mundablesen kann - wie auch das LSG angenommen hat - ein Förderungslehrgang in diesem Sinne sein.

Mit dem Begriff des Förderungslehrganges wird auf Schwächen in der Person des Teilnehmers an der Maßnahme hingewiesen, die durch eine pädagogische Maßnahme (Lehrgang) behoben werden sollen. Der Lehrgang ist dazu bestimmt, den Teilnehmer berufsreif zu machen. Dagegen hat die BA als Ziel eines Förderungslehrganges vorgeschrieben, daß die Teilnehmer nach ihrem Abschluß eine Ausbildung aufnehmen sollen (§ 10 Nr. 4 AReha). Dem AFG ist indessen keine Beschränkung auf Maßnahmen mit dem Ziel einer nachfolgenden Ausbildung zu entnehmen. Ein Förderungslehrgang kann vielmehr auch dazu bestimmt sein, den Teilnehmer unmittelbar zur Aufnahme einer ungelernten Tätigkeit zu befähigen (vgl. § 2 Nr. 5 der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Ausbildung - A Ausbildung vom 31. Oktober 1969 - ANBA 1970, 213).

Leistungen der Beklagten für die Teilnahme an einem Förderungslehrgang im Sinne des § 40 AFG sind jedoch nur dann zu gewähren, wenn der Lehrgang einen Bezug zu einer gegenwärtigen oder zukünftigen Berufstätigkeit des Teilnehmers hat. Dies folgt bereits aus dem Inhalt des zweiten Unterabschnittes des 2. Abschnittes des AFG "Förderung der beruflichen Bildung". Auch die Überschrift zu § 40 AFG unterstreicht die Notwendigkeit des Bezuges der Maßnahme zu einer Berufstätigkeit. Dieser Bezug braucht sich allerdings nicht aus dem Inhalt der Maßnahme (hier dem Förderungslehrgang) zu ergeben; denn dem Gesetz kann insoweit keine Beschränkung dahin entnommen werden, daß etwa nur Förderungslehrgänge gemeint sein sollen, die ihrer Art und ihrem Lehrstoff nach beruflich sind und unmittelbar berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln. Der Begriff des Förderungslehrgangs im Sinne des § 40 AFG ist - jedenfalls bei Behinderten - vielmehr dahin auszulegen, daß darunter auch Maßnahmen zur Förderung auf einen Beruf fallen, also solche Maßnahmen, die ihren Bezug zu einem Beruf nur durch ihr Ziel erhalten. Der Gegenstand eines Förderungslehrgangs für noch nicht berufsreife Personen kann nämlich nicht einem bestimmten Beruf oder auch nur Berufsfeld entnommen werden, denn es hätte in der Regel oft keinen vernünftigen Sinn, eine solche Person schon von vornherein auf einen bestimmten Beruf festzulegen. Wie sie am besten auf eine Berufstätigkeit vorbereitet wird, richtet sich nach den Gegebenheiten des Einzelfalles. Die hier vertretene Meinung entspricht im übrigen der Auffassung der Beklagten, nach welcher die Förderungslehrgänge dazu bestimmt sind, Jugendlichen mit vorübergehenden Entwicklungsschwierigkeiten im physischen und psychischen Bereich eine Starthilfe zu geben. Dabei wird ein inhaltlicher Bezug der Maßnahme zum Beruf nicht vorausgesetzt. Allerdings dient die Maßnahme in solchen Fällen "nicht zuletzt" der vertieften und systematischen Berufsfindung (Durchführungsanweisungen des Präsidenten der BA zur A-Ausbildung Nr. 2.06). Damit übereinstimmend wird nach § 10 Nr. 3 AReha die blindentechnische Grundausbildung gefördert, wenn sie für eine Ausbildung in Ausbildungsberufen erforderlich ist. Die blindentechnische Grundausbildung ist an sich inhaltlich grundsätzlich nicht berufsbezogen. Vielmehr dient sie dazu, daß die Behinderung im Bereich der geistigen Kommunikation ausgeglichen wird durch Erlernen des Lesens und Schreibens der Punktschrift und des Maschinenschreibens. Weiter gehört dazu der Gebrauch der blindentechnischen Hilfsmittel, die Vertiefung des Sprachschatzes, die Blindenkunde sowie Hauswirtschaft und Werken (vgl. Grundsätze der beruflichen Rehabilitation Späterblindeter, BABl 1964, 110). Ein Bezug der blindentechnischen Grundausbildung zur Berufsausbildung im Sinne des § 40 AFG ist im Rahmen eines Förderungslehrganges also nur dann und insoweit gegeben, als sie für die später beabsichtigte Ausbildung erforderlich ist. Daraus wird deutlich, daß für die finanzielle Förderung eines Förderungslehrganges das Ziel maßgebend ist, die in dem Lehrgang erlernten Fähigkeiten in einer späteren beruflichen Tätigkeit anzuwenden. Gleiches folgt aus § 11 Abs. 2 Nr. 2 des - hier noch nicht anzuwendenden - Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 (BGBl I 1881), wonach berufsfördernde Leistungen insbesondere auch für die Berufsvorbereitung einschließlich einer wegen der Behinderung erforderlichen Grundausbildung zu gewähren sind. Der Bezug der Maßnahme zum Beruf wird hier ausschließlich durch ihr Ziel bestimmt, nämlich durch die Erforderlichkeit für den Beruf.

Aus Begriff und Zweckbestimmung eines Förderungslehrganges i. S. des § 40 AFG ergibt sich auch keine Beschränkung auf Teilnehmer, die bisher überhaupt nicht erwerbstätig sein oder keinen Beruf ausüben können. Dem Anspruch des Klägers steht daher nicht entgegen, daß er vor dem Unterricht im Mundablesen schon seit vielen Jahren berufstätig war. Ein Förderungslehrgang kann auch bezwecken, die Reife für bestimmte oder für höherwertige Berufe zu erzielen. Allerdings hat der Senat entschieden, daß Ausbildung im Sinne des § 40 AFG stets nur die erste zu einem Abschluß führende Bildungsmaßnahme ist; alle späteren Schritte zur weiteren beruflichen Bildung sind entweder Fortbildung oder Umschulung (BSG SozR 4100 § 41 AFG Nr. 1). Außerdem kommt Ausbildungsförderung grundsätzlich nicht mehr in Betracht, wenn der Bildungswillige vor Eintritt in die Maßnahme in einer bestimmten Berufsrichtung bereits einen Status erlangt hat, der ihn zur verantwortlichen Ausübung des gewählten Berufs befähigt (BSG SozR 4100 § 47 AFG Nr. 14). Ob die vom Kläger als Kellereiarbeiter oder bei der Fa. M ausgeübte Tätigkeit der gewählte Beruf in diesem Sinne war, kann indessen dahingestellt bleiben, denn der Unterricht im Mundablesen kann trotzdem ein zu fördernder Förderungslehrgang im Sinne des § 40 AFG sein. Die oben zitierte Bestimmung des Begriffs der Ausbildung im Sinne des § 40 AFG findet auf den Begriff des Förderungslehrgangs keine Anwendung. Die Entscheidungen des Senates dienten der inhaltlichen Abgrenzung von Ausbildung, Fortbildung und Umschulung, ohne daß damit die in § 40 Abs. 1 AFG besonders aufgeführten Grundausbildungs- und Förderungslehrgänge angesprochen worden sind. Förderungslehrgänge, die im wesentlichen gerade im Rahmen der Rehabilitation Behinderter (§ 58 AFG) anfallen werden, sind - wie oben dargestellt - inhaltlich noch nicht "Ausbildung" im Sinne der Rechtsprechung des Senates und können - wie der vorliegende Fall zeigt - auch dann erforderlich sein, wenn der Teilnehmer bereits eine berufliche Tätigkeit (einen Beruf) ausübt. Wenn auch der Förderungslehrgang, um von der Beklagten finanziell gefördert zu werden, im Ziele berufsbezogen sein muß, so doch nicht in dem Sinne, daß der Teilnehmer an diesem Lehrgang einen "ersten Beruf" erreichen kann.

Hierfür spricht, daß die Vorschrift des § 41 AFG Förderungslehrgänge dieser Art nicht erfaßt. Diese haben nämlich nicht das Ziel, berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten festzustellen, zu erhalten, zu erweitern oder der technischen Entwicklung anzupassen. Auch sollen sie zumindest nicht unmittelbar einen beruflichen Aufstieg im Sinne des § 41 AFG ermöglichen; aus dem Zusammenhang der Bestimmung ergibt sich vielmehr, daß auch bei dieser Alternative das Ziel der Fortbildung unmittelbar durch die Vermittlung beruflicher Kenntnisse erreicht wird; dies ist aber bei einem Förderungslehrgang nicht der Fall. Er kann insbesondere auch dann nicht unter § 41 AFG fallen, wenn sich an den Lehrgang keine weitere Bildungsmaßnahme anschließt. Für einen Förderungslehrgang im Sinne des § 40 AFG ist nicht erforderlich, daß er eine Ausbildung vorbereitet. Auch ein im Beruf stehender behinderter Arbeitnehmer kann zur Vorbereitung auf eine höherwertige Tätigkeit einen Förderungslehrgang benötigen, dem nicht unbedingt eine weitere Bildungsmaßnahme folgen muß. Es kann nicht der Sinn des Gesetzes sein, solche Lehrgänge bei Personen, die einmal eine Bildungsmaßnahme abgeschlossen oder die Fähigkeit zur verantwortlichen Ausübung des gewählten Berufs erlangt haben, von einer für sie notwendigen Förderung durch die BA auszuschließen. Für solche Personen kann ein Förderungslehrgang notwendig sein, weil sie etwa für bestimmte einfachere Tätigkeiten berufsreif sind, nicht aber für einen angestrebten Umschulungsberuf oder für eine höherwertige Tätigkeit im bisherigen Berufsfeld. Auch kann der Förderungslehrgang dazu dienen, den bisherigen Arbeitsplatz zu sichern oder eine unzumutbar schwere Arbeit zu erleichtern.

Wie dargelegt, ergibt sich der Charakter einer Maßnahme als Förderungslehrgang aus seiner Zweckbestimmung. Hinzu kommt die inhaltliche Bestimmung als pädagogische Maßnahme. Daraus folgt bereits die Notwendigkeit der Abgrenzung gegenüber Maßnahmen der Heilbehandlung im Sinne des § 1237 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF. Ihre Förderung ist nicht Sache der BA (vgl. jetzt auch § 6 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation). Der vom Kläger durchgeführte Lehrgang im Mundablesen ist keine medizinische Heilmaßnahme.

Die Heilbehandlung umfaßt nach § 1237 Abs. 2 RVO aF alle erforderlichen medizinischen Maßnahmen. Ob damit nur ärztlich verordnete Leistungen gemeint waren, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls konnte der Begriff nicht dahin verstanden werden, daß etwa alle Maßnahmen darunter fielen, die ihrem Inhalt nach nicht ganz oder in wesentlichen Teilen beruflicher Art waren. Die dem Rentenversicherungsträger obliegenden medizinischen Maßnahmen gingen in ihrem Umfang im wesentlichen nicht über den Katalog der §§ 557 Abs. 1 und 559 Abs. 1 RVO hinaus (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 664 u. 1 ff). Das Bundesversorgungsgesetz (hier in der Fassung des 3. Anpassungsgesetzes KOV vom 16. Dezember 1971 - BGBl I 1985) enthielt in den §§ 10, 11, 11 a und 13 i. V. m. der Verordnung zur Durchführung des § 11 Abs. 3 und des § 13 des Bundesversorgungsgesetzes (idF § 6 der Verordnung zur Durchführung des § 15 des Bundesversorgungsgesetzes vom 31. Januar 1972 - BGBl I 105) im wesentlichen den gleichen Katalog der Maßnahmen der Heilbehandlung. Das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation rechnet neben diesem Katalog in § 10 Nr. 3 zu den Heilmitteln auch Krankengymnastik, Bewegungstherapie, Sprachtherapie und Beschäftigungstherapie. Keinesfalls wurden und werden aber pädagogische Maßnahmen zur Förderung der allgemeinen Kommunikationsfähigkeit - wie hier der Ableseunterricht - zur Heilbehandlung gerechnet. Eine Ausnahme ist insoweit die Sprachtherapie. Sie ist aber erst durch das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation zu den medizinischen Leistungen gerechnet worden. Außerdem unterscheidet sie sich - worauf das LSG zu Recht hinweist - vom Mundableseunterricht dadurch, daß sie unmittelbar das geschädigte Körperorgan heilt bzw. seine verlorene Funktionsfähigkeit wieder herstellt. Der Unterricht im Gebrauch von Körperersatzstücken oder orthopädischen Hilfsmitteln ist nur eine unselbständige Maßnahme neben diesen gesetzlich vorgesehenen medizinischen Leistungen und rechtfertigt es nicht, etwa auch die hier streitigen pädagogischen Maßnahmen zur Förderung der allgemeinen Kommunikationsfähigkeit als Heilbehandlung im Sinne des § 1237 Abs. 2 RVO anzusehen.

Die Erforderlichkeit einer Maßnahme für einen Beruf als Begriffsmerkmal einer Arbeits- und Berufsförderung im oben dargelegten Sinn kann grundsätzlich nur nach dem Beruf bestimmt werden, den der einzelne Behinderte anstrebt. Dazu hat das LSG keine eindeutigen Feststellungen getroffen. Es hat zwar ausgeführt, der Kläger habe nicht angeben können, zu welchem konkreten berufs- oder arbeitsbezogenen Zweck die Fähigkeit des Mundablesens genutzt werden sollte. Im folgenden Absatz des Urteils heißt es aber, der Kläger habe die Absicht gehabt, nach erfolgreicher Beendigung des Ableseunterrichts sich zum Schlosser oder - wie sein Prozeßbevollmächtigter sich zu erinnern meint - zum Dreher ausbilden zu lassen. Nach den weiteren Ausführungen meint das LSG, für den Förderungsanspruch sei mehr erforderlich als die bloße Absicht weiterer beruflicher Bildung, vielmehr müsse die Beratung durch geeignete Stellen hinzukommen. Der Senat kann dieser Meinung nicht folgen. Für den Förderungsanspruch genügt vielmehr die Absicht des Behinderten, die im Förderungslehrgang erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten beruflich - also nicht nur für seine persönlichen und privaten Belange - zu nutzen. Weitere Schritte auf das Berufsziel sind allenfalls ein Indiz für die Ernsthaftigkeit dieser Absicht. Deshalb wird das LSG noch Feststellungen darüber treffen müssen, welche Pläne der Kläger mit dem Unterricht im Mundablesen verfolgte. Berufsbezogen ist die Maßnahme dann, wenn der Kläger mit ihr die Voraussetzungen für eine Ausbildung, Fortbildung oder für die Übernahme einer höherwertigen Tätigkeit schaffen wollte, oder wenn er damit auch nur seinen Arbeitsplatz sichern oder sich eine sonst wegen der Behinderung unzumutbar erschwerte Tätigkeit erleichtern wollte und der Unterricht für das Ziel erforderlich war.

Weiter wird das LSG prüfen müssen, ob die Voraussetzungen der §§ 34 und 36 AFG vorliegen. Ebenso wird es die Vorschrift des § 37 AFG zu beachten haben. Die Bestimmung des § 37 AFG, "soweit nicht andere öffentlich-rechtliche Stellen zur Gewährung solcher Leistungen gesetzlich verpflichtet sind", bewirkt nicht den vollständigen Ausschluß von Leistungen der BA für Teilnehmer an Bildungsmaßnahmen, wenn ein anderer Träger gleiche oder ähnliche Leistungen erbringen muß. Vielmehr ist die Beklagte danach verpflichtet, die ihr nach dem AFG verbliebenen Leistungen unter Berücksichtigung der entsprechenden Leistungen anderer öffentlich-rechtlicher Stellen zu erbringen, diese also aufzustocken (BSG SozR 4100 § 37 AFG Nr. 1). Das LSG wird daher ermitteln müssen, ob und in welchem Umfang der Kläger von einem anderen Rehabilitationsträger Ersatz verlangen kann. Es wird auch über eine Beiladung (§ 75 Abs. 2 SGG) zu entscheiden haben; denn es ist möglich, daß die Beklagte nur nachrangig gegenüber einem Rentenversicherungsträger leistungspflichtig ist.

Da der Kläger taub ist, richten sich die weiteren Voraussetzungen seines Anspruchs nach der AReha. Gemäß § 19 Nr. 1 b) dieser Anordnung werden die Lehrgangsgebühren in Höhe der von der BA als angemessen anerkannten Kosten für den Sach- und Personalaufwand des Trägers einer Maßnahme erstattet, wozu das LSG ebenfalls noch Feststellungen treffen muß (vgl. im übrigen auch § 16 Abs. 2 AReha).

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1649277

BSGE, 70

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