Leitsatz (amtlich)
Die Anerkennung des Todes als Folge einer Schädigung nach dem BVG in einem Bescheid über das Bestattungsgeld ist nicht bindend für die Entscheidung über den Anspruch auf Hinterbliebenenrente.
Normenkette
BVG § 36 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1950-12-20, § 38 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1950-12-20; SGG § 77 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 12. November 1954 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin begehrt Hinterbliebenenversorgung. Ihr Ehemann war bis April 1948 in russischer Kriegsgefangenschaft. Als Schädigungsfolge wurde Lungen-Tbc mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 50 v.H. nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) 27 und dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) anerkannt. Am 29. April 1951 ist der Ehemann gestorben. Im Sterbebuch ist als Todesursache "Herzschlag, Tod trat ein nach Alkoholgenuß" eingetragen. Der praktische Arzt Dr. W, der nach dem Tod des Ehemannes gerufen wurde, ihn aber nicht vorher behandelt hatte, nahm einen Zusammenhang des Todes mit den in Kriegsgefangenschaft erworbenen Leiden an. Das Versorgungsamt (VersorgA.) gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 11. Februar 1952 ein Bestattungsgeld in Höhe von 240,- DM. In dem Bescheid ist u.a. ausgeführt: "Der Tod ist die Folge einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG. Es wird daher ein Bestattungsgeld bewilligt von 240,- DM. Dieser Betrag wird an Sie ausgezahlt, da Sie die Kosten der Bestattung bestritten und mit dem Verstorbenen zur Zeit des Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben."
Nach versorgungsärztlicher Begutachtung lehnte das VersorgA. mit Bescheid vom 1. August 1952 Hinterbliebenenversorgung nach dem BVG ab, da der Tod nicht Folge einer anerkannten Wehrdienstschädigung sei. Der Beschwerdeausschuß wies nach weiterer ärztlicher Begutachtung den Einspruch der Klägerin zurück.
Das Sozialgericht (SG.), auf das die Berufung alten Rechts übergegangen ist, hörte Dr. S als ärztlichen Sachverständigen und wies die Klage mit Urteil vom 10. April 1954 ab. Vor dem Landessozialgericht (LSG.) erstattete der Facharzt für innere Medizin, Prof. Dr. C, ein Gutachten. Mit Urteil vom 12. November 1954 hat das LSG. die Berufung zurückgewiesen. Revision wurde zugelassen.
Das LSG. hat ausgeführt, der Beklagte sei im Verfahren über Hinterbliebenenrente nicht an den Bescheid über die Gewährung des erhöhten Bestattungsgeldes gebunden, in dem der Tod des Ehemannes als Schädigungsfolge anerkannt wurde. Eine Bindung an eine frühere Entscheidung bestehe wie im Zivilprozeßrecht, wenn zwischen den selben Parteien über den selben Streitgegenstand bereits entschieden wurde. Bestattungsgeld und Hinterbliebenenrente seien nach der Systematik des BVG selbständige, nebeneinanderstehende Leistungen (§ 9 BVG). Auch der Personenkreis sei bei diesen beiden Ansprüchen nicht identisch (§ 36 und § 38 BVG). Durch § 38 Abs. 1 Satz 2 werde allerdings die Bindungswirkung auf ein anderes Verfahren mit anderen Parteien und einem anderen Streitgegenstand ausgedehnt. Doch sei dies eine Ausnahme von dem Grundsatz der Beschränkung der Bindungswirkung auf Verfahren mit personengleichen Parteien und dem nämlichen Streitgegenstand. Sie könne nicht auf eine Bindung im Hinterbliebenenrentenverfahren an eine Entscheidung im Verfahren über das Bestattungsgeld ausgedehnt werden. Es sei daher sachlich zu prüfen, ob der Tod auf eine Schädigung im Sinne des BVG zurückzuführen sei. Das müßte verneint werden. Die Lungen-Tbc sei inaktiv gewesen. Eine mechanische Beeinträchtigung des Lungen- und des Gesamtkreislaufs durch Brustfellverwachsungen habe nicht vorgelegen. Es habe sich nicht um eine schwer toxische, terminale Phthise gehandelt. Die für beide Fälle typischen Symptome (Zyanose, Asthma bzw. Senkungsbeschleunigung, Herabsetzung der Vitalkapazität) hätten nicht bestanden. Der Tod könne auch nicht unmittelbar auf Einflüsse des Wehrdienstes und der Kriegsgefangenschaft zurückgeführt werden. Eine Dystrophie hinterlasse keine Herzschäden. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, löse eine auf Dystrophie beruhende Herzschädigung keinen akuten Herztod aus.
Die Klägerin hat Revision eingelegt und beantragt, die Urteile des LSG. und SG., die Entscheidung des Beschwerdeausschusses und den Bescheid vom 1. August 1952 aufzuheben sowie den Beklagten zur Gewährung der Kriegerwitwenrente ab 1. Mai 1951 zu verurteilen.
Die Revision rügt fehlerhafte Beweiswürdigung. Das LSG. habe zu Unrecht die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs abgelehnt. Auf dem Entlassungsschein aus der Kriegsgefangenschaft seien chronische Bronchitis und Herzschwäche bescheinigt gewesen. Sie weist auf das dem SG. vorgelegte Zeugnis des Dr. B hin. Das Gericht habe auch die durch das Wehrdienstleiden begründete Verminderung der Widerstandskraft des Ehemannes nicht genügend gewürdigt. Die Revision rügt ferner eine Verletzung des § 38 BVG. Die Feststellung des Todes als Schädigungsfolge im Bescheid vom 11. Februar 1952 binde den Beklagten auch für das Witwenrentenverfahren; denn es sei mit dem Charakter des BVG und dem Willen des Gesetzgebers unvereinbar, daß der ursächliche Zusammenhang des Todes mit einer Schädigung anerkannt und später wieder abgelehnt werde.
Der Beklagte hat beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 Abs. 1, § 166 SGG). Sie ist infolge Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Sachlich ist sie nicht begründet.
Der Senat hatte zu entscheiden, ob das VersorgA. bei Erlaß des Bescheids über die Hinterbliebenenrente durch die im Bescheid über Gewährung des höheren Bestattungsgeldes ausgesprochene Anerkennung des ursächlichen Zusammenhangs des Todes mit einer Schädigung im Sinne des BVG gebunden war, oder ob es den Zusammenhang neu prüfen durfte, ferner ob es die Kausalität zu Recht verneint hat.
Für das Verfahren bei Erlaß der Bescheide über das Bestattungsgeld und die Hinterbliebenenrente waren nach § 84 Abs. 3 BVG die bisherigen Vorschriften maßgebend; denn die beiden Bescheide sind vor Inkrafttreten des SGG und des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) vom 2. Mai 1955 (BGBl. I S. 202) ergangen. Nach Nr. 43 Sozialversicherungsanordnung (SVA) 11 waren dies die die gesetzliche Unfallversicherung betreffenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), weil die Leistungen der SVD 27 nach den Grundsätzen der Unfallversicherung gewährt wurden (§ 1 SVD 27).
Das Bundessozialgericht (BSG.) hat bereits in anderem Zusammenhang ausgesprochen, daß auch den vor Erlaß des SGG (§ 77) und des VerwVG (§ 24) ergangenen Bescheiden eine der materiellen Rechtskraft von Urteilen entsprechende, bindende Wirkung zukommt (BSG. 3 S. 251 (254/55), 5 S. 96 (98) und 6 S. 283 (285)). Es hat dabei auf die Rechtsprechung des früheren Reichsversicherungsamts (RVA.) verwiesen (BSG. 5 S. 98). Auf diese ist auch hier zurückzugreifen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des RVA. waren Wirkung und Umfang der materiellen Rechtskraft in der RVO grundsätzlich keine anderen, als für das Verfahren vor den Zivilgerichten durch § 322 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) vorgeschrieben ist. Nur die den Anspruch selbst betreffende Entscheidung, nicht ihre Begründung, geht in Rechtskraft über. Die Anwendung dieses Grundsatzes gestaltete sich jedoch in den beiden Verfahren mit Rücksicht auf die voneinander abweichenden sonstigen Vorschriften verschieden (Amtliche Nachrichten des RVA. - AN 23 S. 190 (191) GE 3133). Weil die RVO im Gegensatz zur ZPO eine Feststellungsklage nicht kannte, aber bei Entscheidungen über Vergangenheitsrente künftige widersprechende Entscheidungen über den Grund des Anspruchs vermieden werden sollten, hat das RVA. ausgesprochen, daß die Urteile auch eine rechtskräftige Feststellung dem Grunde nach für die Zukunft enthalten, und zwar im Falle des Obsiegens schlechthin und im Falle des Unterliegens dann, wenn die Entscheidung auf eine den Grund des Anspruchs betreffende Begründung aufgebaut ist. Das RVA. hat diese Wirkung der Rechtskraft aber nur innerhalb des selben Anspruchs angenommen. Der Entscheidung über den Grund des Anspruchs hat es keine Bindung für die Entscheidung über andere Ansprüche zuerkannt, zu deren Tatbestandsmerkmalen dieser Grund mit gehört. Das RVA. hat zum Verhältnis der Ansprüche auf Sterbegeld und auf Hinterbliebenenrente nach der Unfallversicherung entschieden, daß durch eine rechtskräftige Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen des Anspruchs auf Sterbegeld der Entscheidung über den Rentenanspruch der Hinterbliebenen nicht vorgegriffen wird (AN. 20 S.344 (346) und AN. 23 S. 190 (193)). Diese Entscheidung ist damit begründet, daß Sterbegeld und Hinterbliebenenrente ihrem Wesen nach von einander verschiedene Ansprüche seien und daß für beide verschiedene materiell-rechtliche Voraussetzungen bestünden. Das RVA. hat dies durch einen Vergleich des § 586 Nr. 1 in Verbindung mit § 203 und der §§ 586 ff. RVO näher ausgeführt (vgl. auch Mitglieder-Kommentar, Anm. 5 i zu § 1583 RVO). Auch nach der Rechtsprechung des früheren Reichsversorgungsgerichts (RVGer.) zu §§ 34, 36 Reichsversorgungsgesetz (RVG) war die Anerkennung des Todes als Folge einer Dienstbeschädigung in einem Bescheid über Sterbegeld nicht bindend für die Entscheidung über den Anspruch auf Hinterbliebenenrente (RVGer. 7 S. 225).
Die Rechtslage ist hier, wo der Bescheid über die Bewilligung des höheren Bestattungsgeldes und der Hinterbliebenenrentenbescheid vor Erlaß des SGG und des VerwVG ergangen sind, verfahrensrechtlich die gleiche, wie zur Zeit der Entscheidungen des RVA. Materiell-rechtlich sind die Ansprüche auf Bestattungsgeld und Hinterbliebenenrente wie nach der gesetzlichen Unfallversicherung und dem RVG auch nach dem BVG verschieden. Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 BVG hat die Witwe Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn der Beschädigte an den Folgen einer Schädigung gestorben ist. Nach § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG gilt der Tod stets dann als Folge einer Schädigung, wenn ein Beschädigter an einem Leiden stirbt, das als Folge einer Schädigung anerkannt und für das ihm im Zeitpunkt des Todes Rente zuerkannt war. Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BVG wird beim Tod eines rentenberechtigten Beschädigten Bestattungsgeld gewährt. Es betrug zur Zeit des Todes des Ehemannes 240,- DM, wenn der Tod die Folge einer Schädigung war, sonst die Hälfte dieses Betrages. Auch nach § 36 Abs. 1 Satz 3 BVG gilt der Tod stets dann als Folge einer Schädigung, wenn ein Beschädigter an einem Leiden stirbt, das als Folge einer Schädigung anerkannt und für das ihm im Zeitpunkt des Todes Rente zuerkannt war. Nach § 36 Abs. 2 BVG werden vom Bestattungsgeld zunächst die Kosten der Bestattung bestritten und an den gezahlt, der die Bestattung besorgt hat. Für einen Überschuß sind die im Gesetz bestimmten Personen bezugsberechtigt, wenn sie mit dem Verstorbenen im Zeitpunkt des Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben. Fehlen solche Berechtigten, so wird der Überschuß nicht ausgezahlt. Daß der Tod des Beschädigten die Folge einer Wehrdienstschädigung ist, ist Voraussetzung für die Hinterbliebenenrente. Beim Bestattungsgeld ist dies nicht Voraussetzung schlechthin, sondern nur Voraussetzung für die Gewährung des höheren Betrages.
Nach diesen Vorschriften sind demnach Bestattungsgeld und Hinterbliebenenrente Leistungen, die nach Zweck, Voraussetzung und dem berechtigten Personenkreis verschieden sind (siehe auch § 9 BVG).
Die Feststellung im Bescheid über das Bestattungsgeld, der Tod des Ehemannes sei eine Schädigungsfolge, enthält die Begründung für die Höhe des zugesprochenen Bestattungsgeldes. Sie beschränkt sich auf die Entscheidung über das Bestattungsgeld. Die Rechtskraftwirkung kommt nur der Entscheidung, daß ein Bestattungsgeld von 240,- DM gewährt wird, zu. Sie stände nur einer neuen, anderslautenden Entscheidung über das Bestattungsgeld entgegen, berührt aber die Entscheidung im Verfahren über die Hinterbliebenenrente nicht.
Aus der in § 36 Abs. 1 Satz 3 und § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG ausgesprochenen Rechtsvermutung kann nichts Gegenteiliges für das Verhältnis der Ansprüche auf Bestattungsgeld und Hinterbliebenenrente entnommen werden. Die Rechtsvermutung schafft nur eine Beziehung zwischen der Anerkennung der Schädigung und des Rentenanspruchs zu Gunsten des Verstorbenen einerseits und dem Anspruch auf Bestattungsgeld, bzw. dem Rentenanspruch der Hinterbliebenen andererseits. Sie begründet keine Beziehung zwischen den Ansprüchen auf Bestattungsgeld und Hinterbliebenenrente.
Das VersorgA. hatte demnach auf den Rentenanspruch der Klägerin hin neu zu prüfen, ob der Ehemann an den Folgen einer Wehrdienstschädigung gestorben ist. Das LSG. hat daher mit Recht diese Frage geprüft und entschieden.
Das LSG. hat zunächst festgestellt, daß der Herztod des Ehemannes mit der Lungen-Tbc nicht zusammenhänge, d.h. daß der Ehemann nicht an der anerkannt gewesenen Lungen-Tbc gestorben ist. Die Revision greift die Beweiswürdigung, die zu dieser Feststellung geführt hat, nicht an. Das LSG. hat weiter geprüft, ob der Herztod auf Einflüsse des Wehrdienstes und der Kriegsgefangenschaft zurückgeführt werden kann. Seine Ablehnung eines ursächlichen Zusammenhangs stimmt mit den Gutachten der ärztlichen Sachverständigen Prof. Dr. C, Dr. S, des Termingutachters des Beschwerdeausschusses und der Versorgungsärzte, die im Hinterbliebenenrentenverfahren gehört wurden, überein. Diese Gutachten weisen keine Fehler auf, die sie für die Überzeugungsbildung des Gerichts ungeeignet machen würden. Das LSG. hat sich auch mit der Auffassung auseinander gesetzt, der Herztod sei Folge der Dystrophie. Die Revision wiederholt hierzu nur das Vorbringen in den Vorinstanzen. Soweit sie das Zeugnis des Dr. B erwähnt, wird damit kein Verfahrensmangel des LSG. aufgezeigt. Dr. B hat nur bestätigt, daß er den Ehemann bis November 1948 behandelt und daß dieser ein ausgesprochenes Bild der Herzmuskelschwäche gezeigt habe. Zu dem weiteren Verlauf der Leiden des Ehemannes hat Dr. B nichts ausgesagt. Auch der Hinweis der Revision auf das Zeugnis des Dr. Wellein ist nicht geeignet, die Beweiswürdigung des LSG. als gesetzwidrig darzustellen. Dr. W hat mit seinen Ausführungen, es sei anzunehmen, daß durch die jahrelange Unterernährung eine Endo-Myocardose des Herzmuskels vorlag, und er glaube annehmen zu müssen, daß der frühere Tod in ursächlichem Zusammenhang mit den in russischer Kriegsgefangenschaft erworbenen Leiden stehe, nur eine Vermutung ausgesprochen. Wenn das LSG. sich durch diesen Hinweis, der im Gegensatz steht zu den Gutachten der anderen ärztlichen Sachverständigen, nicht vom Zusammenhang des Todes mit einer Wehrdienstschädigung überzeugen ließ, hat es die gesetzlichen Grenzen seines Rechts der freien Beweiswürdigung nicht überschritten.
Die Revision ist somit nicht begründet. Sie war daher nach § 170 Abs. 1 Satz 1 SGG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen