Verfahrensgang
LSG Berlin (Urteil vom 23.11.1962) |
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 23. November 1962 wird aufgehoben, soweit die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen ist; insoweit wird die Sache zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
I
Der am 7. März 1890 geborene Ehemann der Klägerin, Prof. Dr.med. G. (G.), Facharzt für innere Krankheiten, beantragte im August 1952, ihm wegen seines Herzleidens Versorgung zu gewähren; er führte dieses Leiden im wesentlichen auf die Überanstrengungen zurück, denen er in seiner Tätigkeit als Sanitätsoffizier der Reserve und Kampfstoffachmann bei militärärztlichen Dienststellen während des Krieges ausgesetzt gewesen sei; er sei im Jahre 1941 wegen seines Herzleidens zwei Monate im Reservelazarett in Altheide behandelt worden und sei seitdem laufend in ärztlicher Behandlung gewesen.
Das Versorgungsamt I (VersorgA) Berlin lehnte den Antrag nach versorgungsärztlicher Stellungnahme mit Bescheid vom 30. April 1954 ab. Das Landesversorgungsamt (LVersorgA) wies den Widerspruch mit Bescheid vom 26. Juli 1955 zurück. G. erhob Klage beim Sozialgericht (SG) Berlin. Das SG holte u. a. auf Antrag des G. nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gutachten des Chefarztes der Inneren Abteilung des Lazarus-Krankenhauses, Dr. P.; und des Chefarztes der I. Medizinischen Klinik des Städtischen Krankenhauses Berlin-Westend, Prof. Dr. F. v. K. ein. Der Beklagte legte zu diesen Gutachten eine Stellungnahme des Obermedizinalrats und Facharztes für innere Krankheiten Dr. P. vor. Das SG holte darauf ein weiteres Gutachten des Chefarztes der I. Inneren Abteilung des Städtischen Krankenhauses Berlin-Neukölln, Prof. Dr. H. ein. Dr. P. führte aus, die Belastungen des Kriegsdienstes seit 1939 hätten die entscheidende richtunggebende Verschlimmerung eines in der Anlage vielleicht schon vorhandenen Herzleidens des G. ursächlich herbeigeführt; die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für dieses Versorgungsleiden betrage 70 v.H. Prof. Dr. F. v. K. empfahl „für das heute bestehende Krankheitsbild in seiner Gesamtheit, ungeachtet der Tatsache, daß die Überzeugung bestehe, daß der besonders geartete Wehrdienst in dem vorliegenden ganz speziellen Fall das in der Anlage gegebene Hochdruckleiden richtunggebend verschlimmert habe, eine abgrenzbare Verschlimmerung anzuerkennen und die MdE auf 40 v.H. zu bemessen”. Dr. P. sah den Nachweis dafür, daß das während des Wehrdienstes 1941 festgestellte Bluthochdruckleiden durch die von G. angeschuldigten Belastungen eine Progredienz erfahren habe, nicht als erbracht an. Prof. Dr. H. führte aus, die Leiden des G. ständen hinsichtlich ihrer Ätiologie nach den heutigen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft in keinem beweisbaren ursächlichen Zusammenhang mit den behaupteten körperlichen und seelischen Belastungen des G. während des Krieges; es bleibe die Frage offen, ob sich die von G. angeschuldigten Belastungen während des Krieges nach Qualität und Quantität von den Belastungen der Durchschnittsbevölkerung im allgemeinen und vergleichbaren Berufsgruppen im Speziellen so deutlich abhöben, daß sie mit Recht als „kriegsbedingte zusätzliche Überförderungskomponente” gewertet werden könnten; diese Frage sei vom Gericht zu entscheiden.
Der praktische Arzt Dr. R. ein früherer Mitarbeiter des G., teilte dem SG am 14. Mai 1960 mit, die Tätigkeit des G. habe in der Auswertung erbeuteten feindlichen Materials über Kampfstoffragen bestanden; G. sei arbeitsmäßig stark überlastet gewesen; die körperliche und die seelische Belastung habe weit über der vergleichbaren Belastung des Durchschnitts der Bevölkerung gestanden.
G. starb am 31. Januar 1959; die Klägerin, seine Ehefrau und alleinige Erbin, setzte den Rechtsstreit fort. Das SG entschied mit Urteil vom 13. September 1961 nach dem Antrag der Klägerin: „Unter Aufhebung des Bescheides des VersorgA I Berlin vom 30. April 1954 und des Widerspruchsbescheids des LVersorgA Berlin vom 26. Juli 1955 wird der Beklagte verurteilt, „Hypertonie mit Auswirkung auf Herz und Kreislaufsystem” als Schädigungsfolge (des G.) i. S. der richtunggebenden Verschlimmerung anzuerkennen und der Klägerin eine Beschädigtenrente nach einer MdE von 70 v.H. für die Zeit vom 1. August 1952 bis zum 31. Januar 1959 zu zahlen”.
Der Beklagte legte mit Schreiben vom 24. Oktober 1961 Berufung ein mit dem Antrag: „Unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen, soweit mit ihr die Anerkennung von Schädigungsfolgen i. S. einer richtunggebenden Verschlimmerung und die Bewertung des Grades der MdE für die anzuerkennenden Leiden auf mehr als 40 v.H. begehrt wird”. In der Berufungsschrift heißt es weiter; „Dieser Entscheidung (dem Urteil des SG) kann von Seiten der Verwaltungsbehörde bezüglich der Anerkennung einer richtunggebenden Verschlimmerung und der Höhe der MdE nicht gefolgt werden. Zur Begründung der Berufung verweisen wir in vollem Umfang auf die beigefügte fachärztliche Stellungnahme der Versorgungsärztlichen Untersuchungsstelle. Beim verstorbenen Ehemann der Klägerin kann lediglich eine abgrenzbare Verschlimmerung als Schädigungsfolge anerkannt werden. Der Grad der MdE für diese Schädigungsfolge würde dann aber nicht mehr als 40 v.H. betragen, so daß die Berufung gerechtfertigt ist”. In der versorgungsärztlichen Stellungnahme äußerte sich Dr. P. dahin, daß man den Verhältnissen bei Berücksichtigung der vom Gericht als gegeben erachteten kriegsbedingten zusätzlichen Überforderungskomponente am ehesten gerecht werde, wenn man eine begrenzte Verschlimmerung des Hochdruckleidens durch wehrdienstliche Belastungen annehme und den versorgungspflichtigen Anteil des Hochdruckleidens in Übereinstimmung mit den Vorgutachtern auf 40 v.H. bemesse. Einer Anerkennung des Bluthochdruckleidens als Versorgungsleiden i. S. der richtunggebenden Verschlimmerung könne nicht zugestimmt werden, da die wehrdienstlichen Belastungen nicht den weiteren Verlauf des Hochdruckleidens bestimmt hätten.
Das Landessozialgericht (LSG) hörte den praktischen Arzt Dr. R. und Prof. Dr. Dr. W. als Zeugen über die Tätigkeit des G. während des Krieges. Dr. R. bekundete am 18. Dezember 1961, die Arbeit des G. habe hauptsächlich in der Auswertung von Literatur bestanden, es habe sich im wesentlichen um „Schreibtischarbeit” gehandelt, G. sei über die normale Arbeitszeit hinaus belastet gewesen. Prof. Dr. Dr. W. bekundete am 20. Februar 1962 und am 4. April 1962, G. sei in dem von Prof. Dr. Dr. W. geleiteten Pharmakologischen und Toxikologischen Institut der Militärärztlichen Akademie als Sanitätsoffizier der Reserve tätig gewesen, er habe sich – anders als die übrigen Mitarbeiter des Instituts – nicht experimentellen, sondern ausschließlich literarischen Arbeiten, speziell auf dem Kampf Stoffgebiet, gewidmet, er habe auch Monographien als Privatarbeiten verfaßt; G, sei körperlich durch seinen Militärdienst nicht in Anspruch genommen worden; in der Akte werde „die Kriegstätigkeit” des G. in der Militärärztlichen Akademie „stark überschätzt”. Der Beklagte legte darauf die weitere ärztliche Stellungnahme des Dr. P. vom 15. August 1962 vor; darin wurde gesagt, bei kritischer Betrachtung der jetzt beigebrachten Unterlagen könne man nicht die Überzeugung gewinnen, daß eine kriegsbedingte zusätzliche Überforderungskomponente bei G. vorhanden gewesen sei. In der mündlichen Verhandlung vom 23. November 1962 beantragte der Beklagte, unter Abänderung des Urteils des SG Berlin vom 13. September 1961 die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragte, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, die Berufung zurückzuweisen.
Das LSG entschied mit Urteil vom 23. November 1962: „Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Berlin vom 13. September 1961 wird als unzulässig verworfen, soweit sie den Anspruch der Klägerin auf Anerkennung einer Hypertonie mit Auswirkung auf Herz und Kreislaufsystem als Versorgungsleiden ihres verstorbenen Ehemannes i. S. der Verschlimmerung und auf Gewährung einer Beschädigtenversorgung wegen dieses Leidens nach einem Grad der MdE von 40 v.H. für die Zeit vom 1. August 1952 bis zum 31. Januar 1959 betrifft. – Im übrigen wird auf die Berufung unter Abänderung des Urteils des SG die über diesen Anspruch hinausgehende Klage abgewiesen”.
Das LSG führte aus, die Berufung sei unzulässig, soweit sie den Anspruch der Klägerin auf Anerkennung einer Hypertonie mit Auswirkung auf Herz und Kreislaufsystem als Versorgungsleiden i. S. der Verschlimmerung und auf Gewährung von Versorgung wegen dieses Leidens nach einem Grad der MdE von 40 v.H. betreffe. Insoweit habe der Beklagte auf das Rechtsmittel der Berufung verzichtet. Der Rechtsmittelverzicht sei darin zu erblicken, daß der Beklagte in dem Berufungsschriftsatz vom 24. Oktober 1961 den Antrag gestellte habe 9 die Klage nur insoweit abzuweisen, als mit ihr die Anerkennung von Schädigungsfolgen i. S. der richtunggebenden Verschlimmerung und die Bewertung des Grades der MdE auf mehr als 40 v.H. begehrt worden sei und daß er außerdem durch weitere Erklärungen eindeutig zum Ausdruck gebracht habe, daß er sich in dem gekennzeichneten Umfang nicht gegen das angefochtene Urteil wenden wolle. Infolge des – teilweisen – Rechtsmittelverzichts sei das angefochtene Urteil insoweit rechtskräftig geworden; die diesen Teil betreffende, nachträglich vorgenommene Erweiterung des Berufungsantrages sei unzulässig. Im übrigen – d.h., soweit die Klägerin Anerkennung i. S. der richtunggebenden Verschlimmerung und Gewährung einer Rente nach einer MdE von über 40 v.H. begehre – sei aber die Berufung des Beklagten begründet. Es habe nicht festgestellt werden können, daß G. in einem besonderen Maße durch den Militärdienst, den er im wesentlichen am Schreibtisch durch Beschäftigung mit literarischen Arbeiten auf dem Kampfstoffgebiet ausgeübt habe, belastet gewesen sei. Wenn schon eine Schädigung des G. durch den Militärdienst erfolgt sei und wenn diese die bei G. aufgetretene Hypertonie mit Auswirkung auf Herz und Kreislaufsystem beeinflußt habe, so könne jedenfalls dieser Einfluß nur als gering bewertet werden, eine höhere MdE als 40 v.H. sei dadurch nicht herbeigeführt worden. Das LSG ließ die Revision zu.
Das Urteil des LSG wurde dem Beklagten am 8. Januar 1963 zugestellt. Der Beklagte legte am 15. Januar 1963 Revision ein. Er beantragte,
unter Abänderung der Urteile des LSG und des SG die Klage in vollem Umfange abzuweisen.
Der Beklagte begründete die Revision – nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist – am 13. März 1963; er machte geltend, das LSG habe in dem Berufungsschriftsatz vom 24. Oktober 1961 zu Unrecht einen teilweisen Rechtsmittelverzicht erblickt; es sei nicht darauf angekommen, daß der Beklagte seinen Antrag in der Berufungsschrift vorläufig beschränkt habe; in dem allein „konstitutiv wirkenden” Antrag in der mündlichen Verhandlung habe der Beklagte Klageabweisung in vollem Umfange beantragt. Das LSG habe nicht annehmen dürfen, daß der Beklagte seinen Willen, das Recht auf Anfechtung des Urteils in vollem Umfange aufzugeben, unzweideutig zum Ausdruck gebracht habe.
Die Klägerin beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
Sie trug vor, die Auslegung des Inhalts der Berufungsschrift des Beklagten als eines – teilweisen – Rechtsmittelverzichts sei eine Frage der Beweiswürdigung, die der Nachprüfung im Revisionsrechtzuge entzogen sei; im übrigen sei die Auslegung des LSG auch zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft; der Beklagte hat sie auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet; die Revision ist somit zulässig; sie ist auch begründet.
Streitig ist, ob das LSG die Berufung des Beklagten zu Unrecht als unzulässig verworfen hat, „soweit sie den Anspruch der Klägerin auf Anerkennung einer Hypertonie mit Auswirkungen auf Herz und Kreislaufsystem als Schädigungsfolge ihres Ehemannes (G.) i. S. der Verschlimmerung und auf Gewährung einer Beschädigtenrente nach einer MdE um 40 v.H. für die Zeit vom 1. August 1952 bis zum 31. Januar 1959 (von der Antragstellung bis zum Tod des G.) betrifft”.
Das SG hat den Beklagten nach dem Klageantrag verurteilt, „die Hypertonie des G, als Schädigungsfolge i. S. der richtunggebenden Verschlimmerung anzuerkennen und der Klägerin die Beschädigtenrente (nach G.) nach einer MdE um 70 v.H. zu gewähren”. Das LSG hat angenommen, der Beklagte habe hinsichtlich eines Teils des Klageanspruchs, nämlich insoweit, als der Beklagte verurteilt worden ist, das Leiden des G. als Schädigungsfolge i. S. der Verschlimmerung anzuerkennen und eine Rente nach einer MdE um 40 v.H. zu gewähren, auf die Berufung verzichtet, die Berufung sei deshalb insoweit unzulässig; dem kann nicht gefolgt werden.
Das SGG enthält keine Vorschriften über den Rechtsmittelverzicht. Das LSG ist jedoch zu Recht davon ausgegangen, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung (ZPO) über den Rechtsmittelverzicht (§§ 514, 566 ZPO) seien nach § 202 SGG entsprechend anzuwenden (so auch Peters/Sautter/Wolff, Komm. zum SGG, 3. Aufl., Anm. 1 b zu § 143; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1963, Bd 1, S. 250). Der Rechtsmittelverzicht ist eine Erklärung, durch die das Recht auf Nachprüfung und Abänderung der ungünstigen Entscheidung aufgegeben wird; er kann sich auch auf einen abtrennbaren Teil des Anspruchs beschränken; er ist eine Prozeßhandlung; die einseitige Erklärung, aus der sich diese Prozeßhandlung ergibt, kann auch dem Prozeßgericht gegenüber abgegeben werden (vgl. RGZ 1961, 355; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 80 Aufl., S. 633). Zu Unrecht hat aber das LSG in der Berufungsschrift des Beklagten vom 24. Oktober 1961 einen teilweisen Berufungsverzicht des Beklagten i. S. des § 514 ZPO i.V.m. § 202 SGG gesehen. Zwar bestehen keine Bedenken, die Anerkennung des Leidens des G. i. S. der Verschlimmerung und die Gewährung einer Rente nach einer MdE um 40 v.H. als einen – für einen Rechtsmittelverzicht geeigneten – abtrennbaren Teil des Klageanspruchs anzusehen; der Rechtsmittelverzicht hat auch nicht, wie der Beklagte meint, in der mündlichen Verhandlung erklärt und in die Sitzungsniederschrift aufgenommen werden müssen; es genügt für einen Rechtsmittelverzicht die schriftliche Erklärung gegenüber dem Gericht; im vorliegenden Fall liegt indes eine solche Verzichtserklärung weder wörtlich noch dem Sinne nach vor. In der Frage 9 ob ein Verzicht erklärt worden ist, ist das Bundessozialgericht (BSG) als Revisionsgericht nicht an die Feststellung des LSG gebunden; entgegen der Ansicht der Klägerin unterliegt die Erklärung als Prozeßhandlung der freien Nachprüfung und Auslegung des Revisionsgerichts (vgl. Rosenberg aaO; Stein/Jonas, 18. Aufl., Anm. II 1 d zu § 514; BGHZ 7, 143, 145; RGZ in JW 1930, 3549). Der Umstand, daß die Berufungsschrift den Antrag enthält, „die Klage abzuweisen, soweit mit ihr die Anerkennung von Schädigungsfolgen und die Bewertung des Grades der MdE für die anzuerkennenden Leiden auf mehr als 40 v.H. begehrt wird”, kann nicht als – teilweiser – Rechtsmittelverzicht gewertet werden, denn eine derartige „Beschränkung” des Berufungsantrags enthält regelmäßig keinen – teilweisen – Rechtsmittelverzicht (vgl. Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 27. Aufl., Anm. 2 A zu § 514). Das hat auch das LSG nicht verkannt; es hat nicht schon aufgrund dieses „eingeschränkten” Antrags in der Berufungsschrift einen – teilweisen – Rechtsmittelverzicht angenommen, sondern deshalb, weil neben der Beschränkung des Antrags die Berufungsschrift weitere Ausführungen enthalte, durch die der Beklagte eindeutig zum Ausdruck gebracht habe, daß er sich „in dem gekennzeichneten Umfang nicht gegen das angefochtene Urteil wenden wolle”. Die Berufungsschrift enthält zwar auch den Satz: „Dem Urteil des SG kann bezüglich der Anerkennung einer richtunggebenden Verschlimmerung und der Höhe der MdE nicht gefolgt werden; bei G. kann lediglich eine abgrenzbare Verschlimmerung als Schädigungsfolge anerkannt werden; der Grad der Höhe der MdE für diese Schädigungsfolge würde dann aber nur 40 v.H. betragen, so daß die Berufung gerechtfertigt ist”. Der Beklagte hat auch auf die der Berufungsschrift beigefügte Stellungnahme des Versorgungsarztes verwiesen, „deren Inhalt der Beklagte zu seinem Vortrag machte”; in dieser Stellungnahme heißt es u.a.: „Man wird den Verhältnissen bei Berücksichtigung der vom SG (bei G.) als gegeben erachteten kriegsbedingten Überforderungskomponente am ehesten gerecht, wenn man eine begrenzte Verschlimmerung des Hochdruckleidens durch wehrdienstliche Belastung annimmt und den versorgungspflichtigen Anteil auf 40 v.H. bemißt”. Diese Ausführungen rechtfertigen indes nicht den Schluß, daß „im gekennzeichneten Umfang” ein Verzicht des Beklagten auf das Rechtsmittel der Berufung vorliegt. Ein Rechtsmittelverzicht muß zwar nicht ausdrücklich erklärt sein, er kann auch vorliegen, wenn die Verwendung dieses Ausdrucks unterblieben ist; in diesem Falle ist jedoch ein Rechtsmittelverzicht nur dann anzunehmen, wenn sich aus den Gesamtumständen völlig klar und eindeutig der Verzichtswille ergibt, nämlich der Wille des Erklärenden, sein Recht auf Anfechtung der Entscheidung „schlechtweg” aufzugeben (vgl. BGH in LM Nr. 4, 6 und 8 zu § 514 ZPO; BGHZ 2, 112, 117; RG in JW 1930, 3549; RGZ 161, 355; Rosenberg aaO; Stein/Jonas aaO, Anm. II 1 b zu § 514). Eine diesen Anforderungen genügende Erklärung eines teilweisen Berufungsverzichts ist dem Gesamtinhalt der Berufungsschrift des Beklagten nicht zu entnehmen. Der Beklagte hat zwar in der Berufungsschrift, zum Ausdruck gebracht, daß dem Urteil des SG (nur) „zum Teil nicht gefolgt werden könne”; er hat damit wohl erkennen lassen, daß er – im Zeitpunkt der Einlegung der Berufung – das Urteil des SG nur zum Teil für unrichtig gehalten hat; er hat aber nicht seinen Willen erkennen lassen, hieraus – schon jetzt, d. h. ohne das Ergebnis des Berufungsverfahrens abzuwarten – Folgerungen zu ziehen, die den Rechtsstreit – teilweise – endgültig erledigten. Ebenso wie im Verfahren nach der ZPO (vgl. hierzu Rosenberg aaO, S. 678, 679) können auch im sozialgerichtlichen Verfahren Anträge und Berufungsgründe jederzeit geändert oder erweitert werden; auch im sozialgerichtlichen Verfahren hat der Berufungskläger, der zunächst einen eingeschränkten Berufungsantrag gestellt hat, die Möglichkeit, in der späteren mündlichen Verhandlung die nur gegen einen abtrennbaren Teil des Urteils eingelegte Berufung auf den ganzen Streitgegenstand auszudehnen. Im vorliegenden Falle schließt der Gesamtinhalt der Berufungsschrift jedenfalls nicht zweifelsfrei die Auslegung aus, daß der Beklagte nur zum Ausdruck gebracht hat, daß – in Anbetracht des bisherigen Ergebnisses seiner eigenen Überprüfung der Sach- und Rechtslage im Anschluß an das angefochtene Urteil – eine nur teilweise Anfechtung des Urteils erwogen werde, daß er sich aber – für den Fall neuer erheblicher Beweisergebnisse im Berufungsverfahren – die Möglichkeit, das Urteil im vollen Umfange nachprüfen zu lassen, (zunächst) noch offengehalten hat. Der Beklagte hat auch nicht eindeutig zu erkennen gegeben, daß er entschlossen sei, das Urteil des SG, soweit es von dem eingeschränkten Antrag der Berufungsschrift nicht erfaßt wird, ohne weiteres als endgültig hinzunehmen und daß er deshalb bereit sei 9 das Urteil insoweit auszuführen, d. h. insoweit schon jetzt Versorgung zu gewähren; er hat auch keine anderen Erklärungen abgegeben, aus denen sich zweifelsfrei ergibt, daß er insoweit das Verfahren als abgeschlossen betrachtet hat. Die Gesamtumstände zwingen danach nicht zu dem Schluß, der Beklagte habe schon durch seine Erklärungen in der Berufungsschrift das Recht auf Nachprüfung, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eine wehrdienstbedingte Verschlimmerung das Leiden des G. beeinflußt hat, endgültig aufgegeben.
Die Annahme des LSG, es liege ein teilweiser Berufungsverzicht des Beklagten vor, der insoweit die Berufung des Beklagten unzulässig gemacht habe, ist daher nicht gerechtfertigt; das LSG hat in vollem Umfang eine Sachentscheidung treffen müssen. Die Revision des Beklagten ist somit begründet. Das Urteil des LSG ist, soweit die Berufung als unzulässig verworfen ist, aufzuheben; die Sache ist insoweit an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Unterschriften
Dr. Haueisen, Dr. Schwarz, Sonnenberg
Fundstellen