Verfahrensgang
SG Berlin (Urteil vom 19.02.1986) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Februar 1986 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt eine Neufeststellung der ihrem verstorbenen Ehemann gewährten Renten wegen Berufsunfähigkeit (BU) und wegen Erwerbsunfähigkeit (EU).
Die Klägerin ist die Witwe des am 4. Mai 1914 in Stuttgart geborenen und am 21. Februar 1982 in Israel verstorbenen Heinrich (E.) D. (im folgenden: Versicherter). Der Versicherte war als Verfolgter iS des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) anerkannt. Für ihn wurden bis September 1930 Pflichtbeiträge zur Arbeiterrentenversicherung (ArV) sowie für die anschließende Zeit ausweislich der bei der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) befindlichen Versicherungskarte Nr. 1 der früheren Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA) Pflichtbeiträge zur Angestelltenversicherung (AV) entrichtet. Im Herbst 1933 wurde der Versicherte aus verfolgungsbedingten Gründen arbeitslos. Er wanderte im Jahre 1936 nach Israel aus.
Im Februar 1963 beantragte er bei der Beklagten die Bewilligung einer BU-Rente. Der Antrag wurde in der Annahme, daß der letzte Pflichtbeitrag zur ArV entrichtet worden sei, an die Landesversicherungsanstalt (LVA) Württemberg weitergeleitet. Diese bewilligte dem Versicherten wegen eines im Februar 1963 eingetretenen Versicherungsfalles für die Zeit ab 1. Februar 1963 BU-Rente (Bescheid vom 26. August 1963) und wandelte diese vom 1. Mai 1970 an (Eintritt des Versicherungsfalls am 15. März 1970) in eine EU-Rente um (Bescheid vom 16. Juni 1970). Bei der Berechnung beider Renten wurde die Zeit vom Eintritt des Versicherungsfalles der BU bis zur Vollendung des 55. Lebensjahres des Versicherten mit einer Zurechnungszeit von 76 Monaten berücksichtigt. Nach dem Inkrafttreten des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit vom 17. Dezember 1973 (BGBl II 1975 S 443) übernahm die LVA Rheinprovinz die Weiterzahlung der EU-Rente des Versicherten (Bescheid vom 3. Februar 1976) und berechnete diese unter Berücksichtigung weiterer Versicherungszeiten für die Zeit ab Rentenbeginn neu (Bescheid vom 8. Januar 1979). Dabei wurde wie bisher eine Zurechnungszeit von 76 Monaten angerechnet.
Nach Auffinden der Versicherungskarte Nr. 1 der früheren RfA hob die LVA Rheinprovinz ihre Bescheide vom 3. Februar 1976 und 8. Januar 1979 auf (Bescheid vom 20. Juni 1979). Die Beklagte erkannte ihre Leistungszuständigkeit an und erließ drei Bescheide vom 16. Januar 1980. Mit dem ersten dieser Bescheide (im folgenden: Bescheid 1/1980) nahm sie für die gesamte Bezugszeit vom 1. Februar 1963 bis 30. April 1970 eine Neuberechnung der BU-Rente des Versicherten vor. Mit dem zweiten Bescheid vom 16. Januar 1980 (im folgenden: Bescheid 2/1980) berechnete sie die EU-Rente für die Bezugszeit vom 1. Mai 1970 bis 31. Mai 1979 neu. Mit dem dritten Bescheid vom 16. Januar 1980 (im folgenden: Bescheid 3/1980) bewilligte sie dem Versicherten für die Zeit ab 1. Juni 1979 Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. In allen drei Bescheiden wurde eine Zurechnungszeit von 76 Monaten nicht mehr berücksichtigt. Der Versicherte erhob deswegen beim Sozialgericht (SG) Berlin Klagen.
Das SG verband die Klagen wegen der Bescheide 1/1980 und 2/1980 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung und wies sie mit Urteil vom 20. Januar 1981 (S 10 An 162/80) ab. Dagegen legte der Versicherte Berufung ein. Während der Anhängigkeit des Berufungsverfahrens entrichtete er im Jahre 1981 gemäß § 10 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) Beiträge für Zeiträume zwischen 1955 und 1959 nach. Unter Berücksichtigung dieser nachentrichteten Beiträge stellte die Beklagte mit Bescheid vom 1. Februar 1982 (im folgenden: Bescheid 1/1982) die EU-Rente des Versicherten rückwirkend für die Zeit ab 1. März 1971 neu fest. Dabei blieb eine Zurechnungszeit wiederum außer Betracht. Der Bescheid 1/1982 wurde Gegenstand des beim Landessozialgericht (LSG) Berlin anhängigen Berufungsverfahrens.
Mit Urteil vom 14. Juni 1983 (L 2 An 9/81) wies das LSG die Berufung der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des Versicherten gegen das Urteil des SG Berlin vom 20. Januar 1981 zurück und die Klage wegen des Bescheides 1/1982 ab. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, ein Anspruch auf Berücksichtigung von Zurechnungszeiten bei der BU-Rente und der EU-Rente des Versicherten bestehe nicht. Die hierfür erforderlichen Voraussetzungen des § 37 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) seien nicht erfüllt. Zwar seien nach § 12 WGSVG Verfolgungszeiten bei Anwendung des § 37 Abs. 1 AVG den Zeiten mit Beiträgen für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit hinzuzuzählen. Die Verfolgtenersatzzeit dürfe somit aus der Gesamtzahl der Kalendermonate vom Versicherungseintritt bis zum Versicherungsfall nicht ausgeklammert werden. § 12 WGSVG sei gemäß Art. 4 § 1 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Vorschriften über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung vom 22. Dezember 1970 (BGBl I S 1846; = WGSVÄndG) auch für Versicherungsfälle vor seinem Inkrafttreten (1. Februar 1971) anzuwenden. Gleichwohl könne eine Zurechnungszeit bei der BU-Rente des Versicherten nicht berücksichtigt werden. Nach Art. 4 § 2 Abs. 2 WGSVÄndG sei die Rente oder höhere Rente in den Fällen der §§ 8 und 10 WGSVG frühestens vom Ersten des auf die Beitragsnachentrichtung folgenden Monats und im übrigen frühestens vom Inkrafttreten des Gesetzes an zu zahlen. Somit hätte ein Anspruch auf Berücksichtigung einer Zurechnungszeit frühestens vom 1. Februar 1971 an bestehen können. In diesem Zeitpunkt sei der Versicherte jedoch nicht mehr berufsunfähig, sondern bereits erwerbsunfähig gewesen. Bei der EU-Rente komme die Berücksichtigung einer Zurechnungszeit nicht in Betracht, weil der Versicherungsfall der EU am 15. März 1970 und damit erst nach Vollendung des 55. Lebensjahres des Versicherten eingetreten sei. Die Zurechnungszeit könne auch nicht nach § 30 Abs. 2 AVG berücksichtigt werden, weil die vorher gewährte BU-Rente eine Zurechnungszeit nicht enthalten habe. An die unrichtige Berücksichtigung einer Zurechnungszeit durch die LVA Württemberg sei die Beklagte nicht gebunden. Aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Weitergeltung des § 4 Abs. 4 des Gesetzes über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung vom 22. August 1949 (WiGBl S 263; = NVG) könne die Klägerin eine für sie günstigere Beurteilung nicht herleiten. Das LSG ließ die Revision nicht zu. Die deswegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wurde als unzulässig verworfen (Beschluß des BSG vom 10. November 1983 – 11 BA 119/83 –).
Wegen der vom Versicherten nach § 10 WGSVG nachentrichteten Beiträge nahm die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides 3/1980 mit Bescheid vom 1. Februar 1982 (im folgenden: Bescheid 2/1982) auch eine Neuberechnung des dem Versicherten bewilligten Altersruhegeldes vor. Dabei wurde eine Zurechnungszeit nicht berücksichtigt. Der Neufeststellungsbescheid wurde Gegenstand des beim SG Berlin wegen des Bescheides 3/1980 anhängigen Klageverfahrens. In diesem wies das SG mit Urteil vom 23. Juni 1982 (S 1 An 179/80) die Klage mit der Begründung ab, daß eine Zurechnungszeit bislang bei der BU-Rente und der EU-Rente des Versicherten nicht berücksichtigt worden sei und deshalb auch bei der Feststellung des Altersruhegeldes nicht berücksichtigt werden könne. Die Berufung der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des Versicherten wurde als unzulässig verworfen (Urteil des LSG Berlin vom 1. Februar 1984 – L 15 An 17/82 –) und ihre Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen (Beschluß des BSG vom 21. Februar 1985 – 11 BA 44/84 –).
Bereits vorher hatte die Klägerin mit Schriftsatz vom 17. Mai 1984 bei der Beklagten unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 27. September 1979 – 4 RJ 131/78 – (BSG SozR 2200 § 1253 Nr. 10) eine Rücknahme der Bescheide 1/1980 und 2/1980 gemäß § 44 des Sozialgesetzbuchs, Zehntes Buch, Verwaltungsverfahren (SGB 10) vom 18. August 1980 (BGBl I S 1469) mit der Begründung beantragt, die nach § 10 WGSVG nachentrichteten Beiträge müßten entsprechend den Zeiten, für welche sie entrichtet worden seien, chronologisch eingeordnet werden, so daß damit die Halbbelegung als Voraussetzung der Berücksichtigung einer Zurechnungszeit erfüllt worden sei. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 25. Juli 1984 eine Neufeststellung ab. Der Widerspruch der Klägerin wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 29. März 1985).
Das SG Berlin hat mit Urteil vom 19. Februar 1985 (S 8 An 1351/85) die Klage abgewiesen und die Sprungrevision zugelassen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:
Die Klägerin habe keinen Anspruch darauf, daß die Beklagte die Bescheide 1/1980 und 2/1980 im Wege des § 44 SGB 10 aufhebe und 76 Monate Zurechnungszeit bei den Renten des Versicherten berücksichtige. Zweifelhaft sei schon, ob § 44 SGB 10 von der Klägerin überhaupt in Anspruch genommen werden und die Wirkung haben könne, auch die materielle Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen zu durchbrechen, nachdem unter Ausschöpfung des möglichen Instanzenzuges mit Bindungswirkung für die Beteiligten bereits entschieden worden sei, daß Zurechnungszeiten bei der BU-Rente und der EU-Rente des Versicherten nicht anzurechnen seien. Aber selbst wenn § 44 SGB 10 anwendbar sei, lägen jedenfalls die sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB 10 hinsichtlich der Bescheide 1/1980 und 2/1980 nicht vor. Die bindend gewordenen Bescheide seien nicht rechtswidrig. Entsprechend den Ausführungen in den Urteilen des SG Berlin vom 20. Januar 1981 und des LSG Berlin vom 14. Juni 1983 sowie im Beschluß des BSG vom 10. November 1983 sei nach wie vor davon auszugehen, daß hinsichtlich der mit Bescheid 1/1980 gewährten BU-Rente die nach § 37 Abs. 1 AVG erforderliche Halbbelegung für die Anrechnung einer Zurechnungszeit nicht erfüllt gewesen sei und auch in den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt des Versicherungsfalles am 4. Februar 1963 nicht mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen belegt gewesen seien. Bei der Neuberechnung der BU-Rente habe die Beklagte zwar das am 1. Februar 1971 in Kraft getretene WGSVG berücksichtigen müssen. § 12 WGSVG sei auch für Versicherungsfälle vor dem Inkrafttreten des WGSVG anzuwenden. Gleichwohl habe dies nicht zu einer Erhöhung der auf der Grundlage des Bescheides 1/1980 gewährten Rentenleistungen führen können. Denn nach Art. 4 § 2 Abs. 2 WGSVÄndG hätte eine unter Berücksichtigung der nachentrichteten Beiträge erhöhte BU-Rente unter Anwendung des § 37 AVG frühestens vom 1. Februar 1971 an ausgezahlt werden können. In diesem Zeitpunkt habe ein Versicherungsfall der BU nicht mehr vorgelegen. Der Versicherte sei ab dem 15. März 1970 erwerbsunfähig gewesen. Bei der mit dem Bescheid 2/1980 gleichfalls neu berechneten EU-Rente habe die Zurechnungszeit nicht mehr berücksichtigt werden können, weil der Versicherte bei Eintritt des Versicherungsfalles der EU bereits das 55. Lebensjahr vollendet gehabt habe. Die Berechnung der BU-Rente und der EU-Rente in den Bescheiden vom 16. Januar 1980 sei daher zutreffend gewesen. Demgegenüber seien die vorangegangenen Bescheide der LVAen rechtswidrig gewesen. Vor dem Inkrafttreten des WGSVG habe eine dem § 12 WGSVG entsprechende Rechtsgrundlage für die Anrechnung von Verfolgungszeiten bei der Ermittlung der Halbdeckung nicht bestanden. Auf das Urteil des BSG vom 27. September 1979 (a.a.O.) könne sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen. Jenes Urteil enthalte lediglich Ausführungen zur Bewertung einer unstreitig anrechenbaren Zurechnungszeit, nicht aber dazu, inwieweit überhaupt die Voraussetzungen für die Berücksichtigung der Zurechnungszeit erfüllt worden seien. Schließlich könne es der Klage nicht zum Erfolg verhelfen, wenn die Klägerin zum Verhältnis des § 12 WGSVG und des Art. 4 § 1 Satz 2 WGSVÄndG ausführe, es müsse zwischen der Anrechenbarkeit und der Zahlbarkeit von Zurechnungszeiten unterschieden werden. Die Bescheide 1/1980 und 2/1980 seien Grundlage einer Rentenauszahlung gewesen. Die Anfechtung der Bescheide sei auch lediglich für die Frage der Zahlung weiterer Rentenleistungen noch heute bedeutsam. Gehe es aber in der Sache um die Auszahlung bzw die Vorbereitung der Auszahlung weiterer Rentenleistungen, so könne stets auch nur entscheidend sein, ob die Berücksichtigung des § 12 WGSVG tatsächlich zu einer höheren Rentenzahlung führe. Das sei nicht der Fall.
Die Klägerin hat unter Beifügung einer schriftlichen Zustimmungserklärung der Beklagten Sprungrevision eingelegt und trägt zu deren Begründung vor: Die Bescheide der LVAen Württemberg und Rheinprovinz, daß bei der BU-Rente und der EU-Rente des Versicherten Zurechnungszeiten anzurechnen seien, seien bindend bzw rechtskräftig geworden. Die Beklagte habe deshalb in den Bescheiden 1/1980 und 2/1980 nicht davon abrücken dürfen, daß Zurechnungszeiten vorlägen und zu berücksichtigen seien. Gegen diese Bescheide könne entgegen der Auffassung des SG trotz der früher ergangenen gerichtlichen Entscheidungen unter Bezugnahme auf § 44 SGB 10 angegangen werden. Zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles der BU im Februar 1963 bei dem damals noch nicht 55 Jahre alten Versicherten sei sowohl unter Berücksichtigung als auch unter Außerachtlassung der nach dem WGSVG vorgenommenen Beitragsnachentrichtung die sog Halbbelegung erfüllt. Die nachentrichteten Beiträge seien als für die Zeiten, für welche sie hätten gelten sollen, und damit für Zeiten bis Dezember 1959 (vor Eintritt des Versicherungsfalles) gezahlt zu behandeln. Würden sie außer Acht gelassen, so müßten nach § 12 WGSVG, welcher nach Art. 4 § 1 Satz 2 WGSVÄndG auch für Versicherungsfälle vor Inkrafttreten des WGSVG gelte, die Ersatzzeiten wegen nationalsozialistischer Verfolgung den Beiträgen für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit hinzugezählt werden. Es müsse unterschieden werden, ob höhere BU-Renten unter Berücksichtigung von Zurechnungszeiten zu zahlen gewesen seien oder ob nur ein latenter Anspruch auf Bewilligung höherer BU-Renten unter Berücksichtigung von Zurechnungszeiten bestanden habe. Selbst wenn in der Zeit bis zum 31. Januar 1971 ein Anspruch auf Zahlung höherer BU-Rente nicht anzuerkennen sei, bleibe doch bestehen, daß latent die Berücksichtigung von Zurechnungszeiten vorhanden gewesen sei und deswegen zumindest eine Neufestsetzung, wenn auch nicht die Zahlung der BU-Rente aufgrund der Vorschriften des WGSVG hätte erfolgen müssen, so daß die dabei anzurechnenden Zurechnungszeiten bei den späteren Renten zu übernehmen seien. Dieses seit langem bekannte Problem latenter Rechte sei im angefochtenen Urteil nicht erkannt und daher unzutreffend auf die Frage abgestellt worden, ob höhere BU-Renten tatsächlich zu zahlen seien.
Die Klägerin beantragt nach dem Sinn ihres Vorbringens, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Februar 1986 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 25. Juli 1984 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. März 1985 zu verurteilen, ihre Bescheide vom 15. Januar 1980 zurückzunehmen und die Renten des Versicherten wegen Berufsunfähigkeit und wegen Erwerbsunfähigkeit unter Berücksichtigung einer Zurechnungszeit von 76 Monaten neu festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie räumt ein, daß die Rechtskraft des Urteils des LSG Berlin vom 14. Juni 1983 eine Anwendung des § 44 SGB 10 nicht ausschließe, hält jedoch in der Sache das angefochtene Urteil für zutreffend. Das Urteil des BSG vom 27. September 1979 gelte auch für die Bewertung anrechenbarer Zurechnungszeiten nur, wenn der Versicherte vor Inkrafttreten des WGSVG verstorben sei, ohne selbst zu seinen Lebzeiten eine Beitragsnachentrichtung nach §§ 9, 10 WGSVG beantragt zu haben. Anders seien aber die Fälle zu sehen, in denen die Versicherten die Vornahme einer Nachentrichtung nach dem WGSVG selbst in der Hand hätten. Werde die Nachentrichtung erst zu einem Zeitpunkt beantragt, in dem eine bisher gewährte Rente wegen eines höherwertigen Versicherungsfalles nicht mehr gezahlt werde, so könnten sich die nachentrichteten Beiträge auch nicht auf die bereits abgelaufene Rente auswirken.
Entscheidungsgründe
II
Die statthafte und zulässige Sprungrevision der Klägerin ist nicht begründet.
Das SG hat im Ergebnis zutreffend die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 25. Juli 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 1985 ist nicht rechtswidrig. Die Beklagte hat eine Rücknahme bzw Aufhebung der Bescheide 1/1980 und 2/1980 sowie eine Neufeststellung der dem Versicherten wegen BU und wegen EU gewährten Renten unter Einrechnung einer Zurechnungszeit von 76 Kalendermonaten zu Recht abgelehnt.
Die Klägerin stützt ihr Begehren auf § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB 10. Hiernach ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, daß bei Erlaß eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des verstorbenen Versicherten iS des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuchs, Erstes Buch, Allgemeiner Teil (SGB 1) vom 11. Dezember 1975 (BGBl I S 3015) ist an der Stellung eines Antrages (§ 44 Abs. 4 Satz 3 SGB 10) auf Rücknahme der Bescheide 1/1980 und 2/1980 nicht gehindert. Dem steht insbesondere § 59 Satz 2 SGB 1 nicht entgegen. Hiernach erlöschen mit dem Tode des Berechtigten Ansprüche auf Geldleistungen, wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten weder festgestellt sind noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig ist. Das durch den Rücknahmeantrag der Klägerin vom 17. Mai 1984 eingeleitete Verwaltungsverfahren ist erst nach dem Tode des Versicherten anhängig geworden. Es gilt jedoch als im Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide 1/1980 und 2/1980 und damit schon vor dem Tode des Versicherten anhängig gewesen. Ergibt eine Prüfung nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB 10 die Unrichtigkeit des beanstandeten nicht begünstigenden Verwaltungsaktes, so ist der Leistungsträger zu seiner Rücknahme „mit Wirkung für die Vergangenheit” und damit ab dem Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes verpflichtet. Diese gesetzlich angeordnete Rückwirkung des Verwaltungsverfahrens ist der „Anhängigkeit” eines Verwaltungsverfahrens iS des § 59 Satz 2 SGB 1 gleichzustellen. Wirkt demnach das von der Sonderrechtsnachfolgerin eingeleitete Verwaltungsverfahren auf den Zeitpunkt des noch zu Lebzeiten des Versicherten erfolgten Erlasses des (angeblich) unrichtigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes zurück, so hat es als schon vor dem Tode des Versicherten anhängig gewesen zu gelten (vgl BSGE 55, 220, 221 ff = SozR 1200 § 59 Nr. 4 S 4 ff; BSG SozR a.a.O. Nr. 5 S 9 ff; BSG SozR 1300 § 44 Nr. 15 S 25 f). Das trifft auch im vorliegenden Fall zu.
Soweit § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB 10 als Rechtsgrundlage einer erneuten sachlichen Überprüfung der Bescheide 1/1980 und 2/1980 geltend gemacht wird und – was, wie noch darzulegen sein wird, nicht ausnahmslos gilt – in Betracht kommt, steht einer solchen Überprüfung nicht entgegen, daß ua die Bescheide 1/1980 und 2/1980 bereits Gegenstand des durch das rechtskräftige Urteil des LSG Berlin vom 14. Juni 1983 abgeschlossenen Rechtsstreits gewesen sind. Nach § 141 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Der Begriff des „Streitgegenstandes” deckt sich mit demjenigen des „erhobenen Anspruchs”. Die Rechtskraft eines Urteils steht damit der Zulässigkeit einer erneuten Klage wegen desselben Streitgegenstandes (Anspruchs) jedenfalls dann entgegen, wenn nicht aus besonderen Gründen ein Rechtsschutzinteresse für die neue Klage besteht. Voraussetzung ist jedoch eine Identität der Streitgegenstände. Hierfür ist eine Deckungsgleichheit des in dem früheren und in dem erneut anhängig gemachten Rechtsstreit erhobenen Anspruchs erforderlich (BSGE 58, 119, 125 = SozR 1300 § 104 Nr. 7 S 23 mwN).
Die Streitgegenstände des vorliegenden und des durch das Urteil des LSG Berlin vom 14. Juni 1983 abgeschlossenen Rechtsstreits sind nicht deckungsgleich. Zwar leitet die Klägerin die von ihr im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemachte Unrichtigkeit der Bescheide 1/1980 und 2/1980 im wesentlichen aus denselben Erwägungen her, mit denen sie und ihr Rechtsvorgänger die Bescheide in dem durch das Urteil des LSG Berlin vom 14. Juni 1983 beendeten Verfahren angefochten haben. Indes ist eine Identität der Begründung im damaligen und im nunmehr zu entscheidenden Rechtsstreit nicht gleichbedeutend mit einer Identität der Streitgegenstände. In dem durch das Urteil des LSG Berlin vom 14. Juni 1983 abgeschlossenen Rechtsstreit haben der Versicherte und die Klägerin als seine Rechtsnachfolgerin im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) die Abänderung der Bescheide 1/1980 und 2/1980 sowie die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung höherer Renten wegen BU und wegen EU begehrt. Im vorliegenden Fall beansprucht die Klägerin eine Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 25. Juli 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 1985 sowie eine (Teil-) Rücknahme der Bescheide 1/1980 und 2/1980. Zwar ist auch diese Klage wie jene in dem durch das Urteil des LSG vom 14. Juni 1983 abgeschlossenen Rechtsstreit im Ergebnis auf die Gewährung höherer Renten wegen BU und wegen EU gerichtet. Die mit diesem Ziel erhobenen prozessualen Ansprüche sind jedoch voneinander verschieden und verbieten die Annahme einer Identität der Streitgegenstände. Damit steht die Rechtskraft des Urteils des LSG Berlin vom 14. Juni 1983 einer Sachentscheidung über das neuerliche Begehren der Klägerin auf der Grundlage des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB 10 nicht entgegen (vgl hierzu auch BSGE 51, 139, 141 = SozR 3900 § 40 Nr. 15 S 39 f; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29 S 94; BSGE 60, 251, 255 = SozR 1500 § 141 Nr. 15 S 25). Ob etwas anderes dann zu gelten hätte, wenn Gegenstand auch schon des früheren gerichtlichen Verfahrens die Anfechtung der Ablehnung einer nach § 44 SGB 10 beantragten Rücknahme gewesen ist, bedarf hier nicht der Entscheidung und bleibt ausdrücklich offen.
Soweit – worauf an anderer Stelle einzugehen sein wird – § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB 10 überhaupt einschlägig ist, sind seine tatbestandsmäßigen Voraussetzungen nicht erfüllt. Die Beklagte hat bei Erlaß der Bescheide 1/1980 und 2/1980 weder einen unzutreffenden Sachverhalt zugrundegelegt – das macht die Klägerin selbst nicht geltend – noch das Recht unrichtig angewandt.
Eine unrichtige Rechtsanwendung liegt entgegen der Ansicht der Klägerin zunächst nicht darin, daß die Beklagte die Bindungswirkung früherer Rentenbescheide der LVAen Württemberg und Rheinprovinz, in welchen als Faktor der Rentenberechnung eine Zurechnungszeit von 76 Monaten berücksichtigt worden ist, nicht beachtet hat. Allerdings ist in den Rentenbescheiden der LVA Württemberg vom 26. August 1963 und vom 16. Juni 1970 eine Zurechnungszeit von 76 Monaten berücksichtigt worden. Die LVA Rheinprovinz hat mit Bescheid vom 3. Februar 1976 die Zahlung der so errechneten EU-Rente übernommen und ihrerseits im Neufeststellungsbescheid vom 8. Januar 1979 eine Zurechnungszeit von 76 Monaten berücksichtigt. Das ist indes für die Beklagte bei Erlaß der Bescheide 1/1980 und 2/1980 nicht bindend gewesen. Eine Bindung an die Bescheide der LVA Rheinprovinz vom 3. Februar 1976 und 8. Januar 1979 besteht schon aus formellen Gründen nicht. Sie sind durch den weiteren Bescheid der LVA Rheinprovinz vom 20. Juni 1979 ausdrücklich und förmlich aufgehoben worden. Dieser Bescheid ist, nachdem der Versicherte die dagegen beim SG Düsseldorf erhobene Klage mit Schriftsatz vom 11. September 1979 als in der Hauptsache erledigt erklärt hat, bindend geworden. Damit sind die Bescheide der LVA Rheinprovinz vom 3. Februar 1976 und vom 8. Januar 1979 im Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide 1/1980 und 2/1980 nicht mehr existent gewesen. Allein deswegen haben sie die Beklagte nicht binden können.
Im Ergebnis dasselbe gilt für die Bescheide der LVA Württemberg vom 21. August 1963 und vom 16. Juni 1970. Sie sind allerdings nicht förmlich und ausdrücklich aufgehoben worden. Welche Bedeutung dem Umstand zukommt, daß sie gleichwohl infolge Übernahme der Rentenzahlung seitens der LVA Rheinprovinz gegenstandslos geworden sind, kann auf sich beruhen. Selbst wenn entsprechend der Meinung der Klägerin entscheidendes Kriterium für eine mögliche Bindung der Beklagten allein der förmliche Fortbestand der Bescheide des LVA Württemberg wäre, haben diese Bescheide dennoch eine Verpflichtung der Beklagten zur Berücksichtigung einer Zurechnungszeit von 76 Monaten bei der Feststellung der Versichertenrenten durch die Bescheide 1/1980 und 2/1980 nicht begründen können. Nach § 77 SGG ist, wenn der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt wird, der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Ob die Beklagte angesichts dessen, daß sie die Rentenzahlung an den Versicherten von der LVA Rheinprovinz und nicht unmittelbar von der LVA Württemberg übernommen hat, bezüglich der von dieser erlassenen Rentenbescheide als „Beteiligte” iS des § 77 SGG anzusehen ist, bedarf nicht der Erörterung (zum Begriff des „Beteiligten” vgl Urteil des erkennenden Senats in BSG SozR 1500 § 77 Nr. 61 S 55 f mwN). Selbst als mögliche Beteiligte ist die Beklagte nicht an die Berücksichtigung einer Zurechnungszeit in den Bescheiden der LVA Württemberg gebunden. Nach feststehender Rechtsprechung des BSG erfaßt bei dem Rentenbescheid eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung die Bindungswirkung lediglich den Verfügungssatz, dh die Entscheidung über die Höhe, die Dauer und die Art der Rente. Die Begründung des Bescheides nimmt an der Bindungswirkung nicht teil. Zur Begründung gehören die rechtliche Beurteilung von Vortragen sowie die dem Bescheid zugrundegelegten Erwägungen und insbesondere die Berechnungsfaktoren. Demnach ist die Entscheidung über die Anerkennung von Versicherungszeiten in einem Rentenbescheid nicht der Bindung iS des § 77 SGG fähig (vgl Urteil des erkennenden Senats in BSG SozR 1500 § 77 Nr. 56 S 46 f mit eingehenden Nachweisen). Dementsprechend zwingt im Rahmen der Wanderversicherung die Übernahme der zuvor von einem unzuständigen Träger erfüllten Leistungspflicht durch den zuständigen Träger diesen selbst dann, wenn die bis dahin gezahlte Rente fehlerhaft festgestellt worden ist, lediglich zur Fortzahlung der Rente in bisheriger Höhe, nicht aber notwendigerweise zugleich zur Anerkennung der bisherigen Berechnungsfaktoren (vgl BSG SozR Nrn 7 und 9 zu § 1311 RVO). Jedenfalls aus diesen Gründen ist die Beklagte zur Übernahme einer Zurechnungszeit von 76 Monaten nicht verpflichtet gewesen. Insoweit hat sie bei Erlaß der Bescheide 1/1980 und 2/1980 nicht das Recht unrichtig angewendet.
Dasselbe gilt, soweit die Klägerin ihr Begehren damit begründet, die Beklagte habe bei Erlaß der Bescheide § 12 WGSVG fehlerhaft angewendet. Nach dieser Vorschrift in ihrem für den vorliegenden Rechtsstreit erheblichen Umfang sind, wenn der Verfolgte ua eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat, die durch Verfolgungszeiten unterbrochen oder beendet worden ist, die Verfolgungszeiten bei der Anwendung des § 37 Abs. 1 AVG den Zeiten mit Beiträgen für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit hinzuzuzählen. § 37 Abs. 1 Satz 3 AVG findet insoweit keine Anwendung. § 12 WGSVG ist wie das gesamte Gesetz am 1. Februar 1971 in Kraft getreten (Art. 4 § 5 Abs. 1 WGSVÄndG). Die Vorschrift gilt auch für Versicherungsfälle vor Inkrafttreten des WGSVG (Art. 4 § 1 Satz 2 WGSVÄndG). Entsteht aufgrund des WGSVG ein Anspruch auf Rente oder wird durch dieses Gesetz ein Anspruch auf eine höhere Rente begründet oder die Zahlung einer Rente zugelassen, so ist auf Antrag die Rente festzustellen oder neu festzustellen; eine Feststellung oder Neufeststellung von Amts wegen ist nicht ausgeschlossen (Art. 4 § 2 Abs. 1 WGSVÄndG). Die Rente oder höhere Rente ist in den Fällen der §§ 8 und 10 WGSVG frühestens vom Ersten des Monats an, der auf die Beitragsnachentrichtung folgt, im übrigen frühestens vom Inkrafttreten des Gesetzes an zu zahlen (Art. 4 § 2 Abs. 2 WGSVÄndG). Nach § 37 Abs. 1 AVG in seiner hier maßgebenden Fassung vor der Änderung durch Art. 2 Nr. 13 des Gesetzes zur Neuordnung der Hinterbliebenenrenten sowie zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung (Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz –HEZG–) vom 11. Juli 1985 (BGBl I S 1450) ist bei Versicherten, die vor Vollendung des 55. Lebensjahres berufsunfähig oder erwerbsunfähig geworden sind, bei der Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre die Zeit vom Kalendermonat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist, bis zum Kalendermonat der Vollendung des 55. Lebensjahres den zurückgelegten Versicherungs- und Ausfallzeiten hinzuzurechnen (Zurechnungszeit). Voraussetzung für die Anrechnung der Zurechnungszeit ist, daß entweder von den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt des Versicherungsfalles mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind oder die Zeit vom Kalendermonat des Eintritts in die Versicherung bis zum Kalendermonat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist, mindestens zur Hälfte mit Beiträgen für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt ist … Bei der Ermittlung der Anzahl der Kalendermonate vom Eintritt in die Versicherung bis zum Eintritt des Versicherungsfalles bleiben die auf die Zeit nach Eintritt in die Versicherung entfallenden Ersatzzeiten, Ausfallzeiten nach § 36 Abs. 1 Nrn 1 bis 4 AVG, die gesamte Ausfallzeit nach Art. 2 § 14 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) und Zeiten eines Rentenbezuges unberücksichtigt, auch wenn die Voraussetzungen des § 36 Abs. 3 AVG nicht erfüllt sind.
Die Beklagte hat bei der Feststellung der dem Versicherten mit dem Bescheid 1/1980 bewilligten BU-Rente auch unter Berücksichtigung des § 12 WGSVG eine Zurechnungszeit nicht anrechnen dürfen. Zwar hat der Versicherte im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles der BU im Februar 1963 sein 55. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt. Er hat jedoch in jenem Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 37 Abs. 1 Satz 2 AVG für die Anrechnung einer Zurechnungszeit nicht erfüllt. Insbesondere ist die Zeit vom Kalendermonat des Eintritts in die Versicherung bis zum Kalendermonat des Eintritts des Versicherungsfalles nicht mindestens zur Hälfte mit Beiträgen für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt. § 12 WGSVG erlaubt nicht die Einbeziehung der Verfolgungszeiten des Versicherten in die Zeit der Halbbelegung. Die am 1. Februar 1971 in Kraft getretene Vorschrift ist auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar. Zwar gilt sie auch für vor dem Inkrafttreten des WGSVG eingetretene Versicherungsfälle (Art. 4 § 1 Satz 1 WGSVÄndG). Jedoch ist eine sich aus ihrer Anwendung ergebende Rente oder höhere Rente frühestens vom Inkrafttreten des WGSVG an zu zahlen (Art. 4 § 2 Abs. 2 WGSVÄndG). Das bedeutet, daß auch für vor dem 1. Februar 1971 eingetretene Versicherungsfälle aufgrund der Vorschriften des WGSVG eine Rente oder höhere Rente lediglich für Bezugszeiten nach dem 31. Januar 1971 festzustellen und zu zahlen ist. Das wiederum setzt begriffsnotwendig voraus, daß der vor dem 1. Februar 1971 eingetretene Versicherungsfall über den 31. Januar 1971 hinaus fortbestanden hat. Ist er vor diesem Zeitpunkt etwa infolge des Todes des Versicherten oder Eintritts eines höherwertigen Versicherungsfalles fortgefallen, so sind aufgrund des Inkrafttretens des WGSVG bezüglich dieses erloschenen Versicherungsfalles weder die erstmalige Zahlung einer Rente oder die Zahlung einer höheren Rente noch eine nach Meinung der Klägerin gebotene „latente” (Neu-) Feststellung einer (höheren) Rente zulässig. Dies widerspräche dem in Art. 4 § 1 Satz 2 iVm § 2 Abs. 2 WGSVÄndG hinreichend deutlich zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers, die Verbesserungen durch das WGSVG zwar auch zugunsten der vor seinem Inkrafttreten eingetretenen Versicherungsfälle, aber nur für die Zeit ab Inkrafttreten des Gesetzes einzuführen. Beim Versicherten hat im Zeitpunkt des Inkrafttretens des WGSVG eine BU nicht mehr bestanden. Schon vorher (15. März 1970) ist der Versicherungsfall der EU eingetreten und mit Bescheid der LVA Württemberg vom 16. Juni 1970 EU-Rente bewilligt worden. BU und EU sind nach der Konzeption des Gesetzes selbständige Versicherungsfälle und nicht – wie die Klägerin anzunehmen scheint – Stufen eines einheitlichen Versicherungsfalles. Die Beklagte hat demzufolge bei der Neufeststellung der BU-Rente des Versicherten durch den Bescheid 1/1980 eine Zurechnungszeit nicht anrechnen dürfen und müssen.
Dasselbe gilt hinsichtlich der Neufeststellung der EU-Rente durch den Bescheid 2/1980. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage der Anwendung und Auslegung des § 12 WGSVG nicht. Schon die Voraussetzungen des § 37 Abs. 1 Satz 1 AVG für die Anrechnung einer Zurechnungszeit sind nicht erfüllt. Der Versicherte ist nicht vor Vollendung seines 55. Lebensjahres erwerbsunfähig geworden. Er hat bei Eintritt des Versicherungsfalles der EU am 15. März 1970 kurz vor Vollendung seines 56. Lebensjahres gestanden.
Soweit die Klägerin eine Unrichtigkeit der Bescheide 1/1980 und 2/1980 durch Nichtanrechnung einer Zurechnungszeit von 76 Monaten schließlich mit der Begründung geltend macht, die nach § 37 Abs. 1 Satz 2 AVG erforderliche Halbbelegung sei unter Berücksichtigung der vom Versicherten gemäß § 10 WGSVG nachentrichteten Beiträge erfüllt, ist § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB 10 als Rechtsgrundlage einer Neufeststellung der Renten wegen BU und wegen EU nicht einschlägig. Die Vorschrift ermöglicht und gebietet die Rücknahme allein eines von Anbeginn an rechtswidrigen Verwaltungsaktes. Bereits bei Erlaß des Verwaltungsaktes muß das Recht unrichtig angewandt oder von einem sich später als unrichtig erweisenden Sachverhalt ausgegangen worden sein (BSG SozR 5755 Art. 2 § 1 Nr. 5 S 13, 16; BSGE 57, 209, 210 = SozR 1300 § 44 Nr. 13 S 21; BSGE 60, 158, 166 = SozR a.a.O. Nr. 23 S 59). Ist ein Verwaltungsakt übereinstimmend mit der im Zeitpunkt seines Erlasses gegebenen Rechtslage und auf der Grundlage eines zutreffenden Sachverhaltes ergangen, und hat sich erst nachträglich die damals maßgebende Rechts- oder Sachlage geändert, so ist dies jedenfalls bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung ein Anwendungsfall nicht des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB 10, sondern des § 48 Abs. 1 SGB 10 oder ihm vorgehender Spezialnormen über die Aufhebung von Verwaltungsakten wegen einer nachträglichen Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse (vgl Urteil des BSG vom 4. Februar 1987 – 5a RKn 8/86 –).
Demnach kann die vom Versicherten gemäß § 10 WGSVG durchgeführte Beitragsnachentrichtung mit der sich nach Meinung der Klägerin ergebenden Rechtsfolge, daß nunmehr die Halbbelegung als Voraussetzung der Anrechenbarkeit einer Zurechnungszeit erfüllt sei, nicht zu einer ursprünglichen Rechtswidrigkeit der Bescheide 1/1980 und 2/1980 geführt haben. Die Bescheide sind am 16. Januar 1980 erlassen worden. Der Versicherte hat die Beitragsnachentrichtung durch Einreichung eines Schecks mit Schreiben seines damaligen Bevollmächtigten vom 15. August 1981 und somit erst nach dem Erlaß der Bescheide 1/1980 und 2/1980 vorgenommen.
Allerdings hat die Beklagte – ersichtlich unter dem Eindruck der Erklärung des Versicherten vom 4. Dezember 1980 über eine angeblich bereits im Jahre 1970 gefaßte Absicht zur Beitragsnachentrichtung – die nachentrichteten Beiträge über die Regelung des Art. 4 § 2 Abs. 2 WGSVÄndG hinausgehend fiktiv so behandelt, als seien sie unmittelbar nach Inkrafttreten des WGSVG entrichtet worden, und deswegen mit dem Bescheid 1/1982 die EU-Rente des Versicherten rückwirkend für die Zeit ab 1. März 1971 unter Berücksichtigung der nachentrichteten Beiträge festgestellt. Das betrifft jedoch allein die Rechtsfolgewirkungen der Beitragsnachentrichtung und läßt die Tatsache unberührt, daß die Nachentrichtung als solche erst nach dem Erlaß der Bescheide 1/1980 und 2/1980 erfolgt ist. Damit kann sie diese Bescheide nicht als schon von Anfang an rechtswidrig erscheinen lassen (ebenso BSGE 60, 245, 246 = SozR 1300 § 44 Nr. 24 S 63).
Sie können allenfalls nachträglich rechtswidrig geworden sein. Allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Grundlage für die Aufhebung eines nachträglich rechtswidrig gewordenen Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung ist § 48 Abs. 1 SGB 10. Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (Abs. 1 Satz 1). Er soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit ua die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (Abs. 1 Satz 2 Nr. 1). Diese allgemeine Regelung kann für den vorliegenden Fall nicht herangezogen werden. Die Klägerin begehrt eine Neufeststellung der dem Versicherten wegen BU und wegen EU gewährten Renten unter Berücksichtigung der gemäß § 10 WGSVG nachentrichteten Beiträge. Für eine hierdurch veranlaßte Neufeststellung einer Rente kommt als Rechtsgrundlage allein Art. 4 § 2 WGSVÄndG in Betracht. Diese Vorschrift ist eine sich aus einem besonderen Teil des SGB ergebende Regelung iS des § 37 Satz 1 SGB 1 und geht damit den einschlägigen Regelungen des SGB 10 vor (BSG SozR 5075 Art. 4 § 2 Nr. 2 S 2). § 48 Abs. 1 SGB 10 scheidet somit als Rechtsgrundlage einer Neufeststellung der dem Versicherten gewährten Renten aus.
Eine Neufeststellung der dem Versicherten mit dem Bescheid 1/1980 bewilligten BU-Rente gemäß Art. 4 § 2 WGSVÄndG kann die Klägerin aus sachlichen Gründen nicht beanspruchen. Zwar ergibt sich aus dem Zusammenhang der Vorschrift mit Art. 4 § 1 Satz 2 WGSVÄndG, daß im Falle der Nachentrichtung von Beiträgen auch die Renten aus vor dem Inkrafttreten des WGSVG eingetretenen Versicherungsfällen neu festzustellen sind. Dies gilt jedoch nur für Bezugszeiten frühestens ab Inkrafttreten des WGSVG. Daraus ergibt sich – worauf bereits im Zusammenhang mit § 12 WGSVG eingegangen worden ist –, daß im Zeitpunkt des Inkrafttretens des WGSVG der Rentenanspruch aufgrund eines vorher eingetretenen Versicherungsfalles zumindest dem Grunde nach noch bestanden haben muß. Ist er bereits vor diesem Zeitpunkt erloschen, so ist zwangsläufig für eine Neufeststellung unter Berücksichtigung der Vorschriften des WGSVG kein Raum mehr. So ist es auch hier. Die BU-Rente des Versicherten ist wegen des Eintritts des Versicherungsfalles der EU am 15. März 1970 mit Bescheid der LVA Württemberg vom 16. Juni 1970 in eine EU-Rente umgewandelt worden. Dies hat zum Erlöschen des Anspruchs auf BU-Rente (vgl § 24 Abs. 5 AVG) schon in der Zeit vor Inkrafttreten des WGSVG geführt und schließt eine Neufeststellung der BU-Rente nach den Vorschriften dieses Gesetzes aus.
Darüber, ob die Klägerin gemäß Art. 4 § 2 WGSVÄndG eine Neufeststellung der dem Versicherten mit dem Bescheid 2/1980 bewilligten EU-Rente beanspruchen kann, darf im vorliegenden Rechtsstreit nicht mehr sachlich entschieden werden. Dem steht die Rechtskraft des Urteils des LSG Berlin vom 14. Juni 1983 entgegen. Mit diesem Urteil hat das LSG nicht nur die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Berlin vom 20. Januar 1981 zurückgewiesen. Es hat auch die Klage wegen des gemäß § 96 SGG zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gewordenen Bescheides 1/1982 abgewiesen. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte unter Berücksichtigung der gemäß § 10 WGSVG nachentrichteten Beiträge die dem Versicherten gewährte EU-Rente rückwirkend für die Zeit ab 1. März 1971 neu festgestellt und somit eine Neufeststellung nach Art. 4 § 2 WGSVÄndG vorgenommen. Dabei hat sie eine Zurechnungszeit nicht berücksichtigt. Das LSG hat dies für rechtmäßig gehalten und deswegen die gegen den Bescheid 1/1982 gerichtete Klage abgewiesen. Damit ist rechtskräftig entschieden worden, daß der Klägerin ein Anspruch auf Neufeststellung der dem Versicherten gewährten EU-Rente nach Art. 4 § 2 WGSVÄndG unter Berücksichtigung einer Zurechnungszeit von 76 Kalendermonaten nicht zusteht. Denselben Anspruch erhebt die Klägerin wiederum im vorliegenden Verfahren. Eine erneute gerichtliche Entscheidung hierüber ist nach § 141 Abs. 1 SGG durch die Rechtskraft des Urteils des LSG vom 14. Juni 1983 ausgeschlossen.
Die Sprungrevision der Klägerin erweist sich nach alledem als unbegründet und ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen