Leitsatz (redaktionell)
Hat der Versorgungsberechtigte mehr als 2 1/2 Jahre lang ununterbrochen Vorschüsse erhalten und sind in dieser Zeit zahlreiche Anträge des Klägers von der Versorgungsbehörde bearbeitet worden, darf er darauf vertrauen, daß er auch bei endgültiger Festsetzung der Rente mindestens die gleichen Bezüge erhalten wird. Wenn die Versorgungsverwaltung erst nach so langem Zögern und ohne durch das Verhalten des Versorgungsberechtigten dazu veranlaßt zu sein, von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch machte, so entspricht dies nicht mehr pflichtgemäßem Verwaltungsermessen; dies umso mehr, wenn die Verwaltung weitere 4 1/2 Jahre verstreichen läßt, bis sie endgültig die Rückerstattung der Vorschußzahlungen fordert.
Normenkette
KOVVfG § 47 Fassung: 1955-05-02; BGB § 242
Tenor
1) Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 5. Dezember 1958 wird aufgehoben.
2) Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 10. Januar 1955 wird wie folgt abgeändert:
Der in Ziffer 2 des Bescheides vom 19. September 1951 ausgesprochene Widerruf der Benachrichtigung vom 5. Februar 1949 und der Mitteilungen vom 17. November 1949, 6. Dezember 1950 und 6. August 1951 wird aufgehoben. Im übrigen wird die Klage gegen den Bescheid vom 19. September 1951 abgewiesen. Die Kostenentscheidung des Sozialgerichts wird aufgehoben.
3) Der Bescheid vom 10. März 1956 wird aufgehoben.
4) Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des ersten und zweiten Rechtszuges zur Hälfte, diejenigen des Revisionsverfahrens in voller Höhe zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger stellte im November 1948 einen Antrag auf Kriegsbeschädigtenrente. Auf Grund seiner Angaben nahm Dr. Sch... vom Ärztlichen Dienst der Körperbeschädigten-Abteilung der Landes-Versicherungsanstalt bei der vorläufigen und unverbindlichen Feststellung der Versehrtenstufe am 6. Dezember 1948 an, daß der Kläger an einem "Folgezustand nach nachgewiesener Hirnschädigung mit Hirnleistungsschwäche und organisch-vasamotorischen Störungen" leide. Er führte diese Schädigungen auf die Verschüttung des Klägers bei einem Luftangriff auf B... zurück und bewertete die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 60 v.H. Daraufhin benachrichtigte die Landesversicherungsanstalt den Kläger am 5. Februar 1949, daß er vom 1. März 1949 an bis auf weiteres einen monatlichen Vorschuß von 62,- DM erhalten werde. Es werde zunächst eine MdE von 60 v.H. zugrunde gelegte Gleichzeitig wurde der Kläger darauf hingewiesen, daß er nach Erteilung des endgültigen Bescheides einen etwaigen Überempfang oder - bei fehlendem Hechtsanspruch - den gesamten zu Unrecht gezahlten Betrag zurückzuerstatten habe. Im Anschluß an die Benachrichtigung vom 5. Februar 1949 ergingen von der Versorgungsverwaltung noch mehrere Mitteilungen an den Kläger; am 17. November 1949 wurde die vorläufige Rente infolge des höheren Einkommens des Klägers ab 1. Januar 1950 auf monatlich DM 25,70 festgesetzt; am 6. Dezember 1950 wurde der monatliche Rentenbetrag wegen Wegfalls der Kinderzulage ab 1. Januar 1951 um DM 5,70 gekürzt und am 6. August 1951 wurde die vorläufige Rente mit monatlich DM 35,- ab 1. Oktober 1950 neu berechnet.
Nach Beiziehung der Krankenunterlagen der Universitätsklinik M..., in der der Kläger 1947 wegen Multipler Sklerose und 1948 wegen Verdachts auf Lungen-Tbc und ungeklärter neurologischer Erkrankung stationär behandelt wurde, und nach Einreichung eines ärztlichen Zeugnisses des Dr. St... vom 31. Mai 1949 durch den Kläger ließ die Versorgungsverwaltung den Kläger durch den Nervenfacharzt Dr. St... ambulant untersuchen.
In seinem Gutachten vom 27. November 1950 führte Dr. S... aus, daß er zur Klärung der Frage, ob bei dem Kläger eine raumbeschränkende Erkrankung an der Basis, ein traumatischer Hirnschaden oder eine basale Meningitis (Tbc) vorliege, eine klinische Begutachtung in der Universitäts-Nervenklinik vorschlage. Stattdessen wurde der Kläger auf seinen Wunsch im Hirnverletztenheim in M... vom 16. Mai 1951 bis zum 2. Juni 1951 stationär beobachtet und untersucht. In dem Gutachten des Hirnverletztenheimes vom 2. Juni 1951 wurde angenommen, daß die Hirnerkrankung des Klägers wahrscheinlich auf einen gefäßabhängigen Abbauprozeß zurückzuführen sei; es wurde jedoch darauf hingewiesen, daß durch Vornahme einer Arteriographie in einem dafür geeigneten Institut eine endgültige Klärung des Krankheitsbildes und seiner Ursachen erreicht werden könnte. Die vom Versorgungsamt (VersorgA) vorgesehene Durchführung einer arteriographischen Untersuchung in der Universitäts-Nervenklinik M... lehnte der Kläger ab; er erklärte sich nur bereit, niese Untersuchung als Privatpatient durch Dr. D... M... vornehmen zu lassen. Daraufhin traf das VersorgA A... in dem Bescheid vom 19. September 1951, den es als "Rentenentziehungsbescheid" bezeichnete, folgende Entscheidung:
1. Ein Körperschaden im Sinne des Art. 1 Abs. 1 KBLG und § 1 BVG liegt nicht vor.
2. Die Benachrichtigung vom 5. Februar 1949 und die Mitteilungen vom 17. November 1950, 6. Dezember 1950 und 6. August 1951 werden aufgehoben.
3. Die bisher vorschußlich bezogene Rente nach einer MdE von 60 v.H. kommt mit Ende Oktober 1951 in Wegfall.
4. Eine Entscheidung über die Rückforderung der vom 1. März 1949 bis 31. Oktober 1951 zu Unrecht bezogenen Versorgungsgebührnisse in Höhe von DM 1.323,40 erfolgt später.
In der Begründung dieses Bescheides ist ausgeführt, daß ein ursächlicher Zusammenhang der Gehirnerkrankung des Klägers mit einer im Jahre 1944 erlittenen Kopfverletzung nicht bestehe.
Das Sozialgericht (SG) wies mit Urteil vom 10. Januar 1955 die Klage gegen den Bescheid vom 19. September 1951 ab.
Im anschließenden Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) erließ das Versorgungsamt am 10. März 1956 einen weiteren Bescheid, in dem es vom Kläger nach § 47 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) den bis zum 31. Oktober 1951 vorschüssig gezahlten Rentenbetrag in Höhe von DM 1.306,30 zurückforderte. Durch Urteil des LSG vom 5. Dezember 1958 wurde die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG und gegen den Bescheid vom 10. März 1956 zurückgewiesen. Das LSG führte aus: Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Versorgungsrente. Es sei nicht wahrscheinlich, daß die beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen auf einen schädigenden Vorgang im Sinne des Art. 1 Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (KBLG) und § 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zurückzuführen seien. Der am 27. Oktober 1950 erhobene Röntgenbefund lasse keinen Schädelbasisbruch erkennen. Die stationäre Beobachtung im Hirnverletztenheim in München und das Ergebnis der arteriographischen und encephalographischen Untersuchungen in der Universitäts-Nervenklinik M... hätten ebenfalls keinen Anhalt für eine Hirnsubstanzschädigung ergeben. Auch die in den Bescheinigungen des Dr. L... und der Ersten Chirurgischen Universitäts-Klinik ... vom 22. August 1944 und 26. Oktober 1944 beschriebenen encephalographischen Befunde rechtfertigten nicht den Schluß, daß der Kläger entweder bei dem von ihm behaupteten Verkehrsunfall im Jahre 1940 oder bei der Verschüttung im Jahre 1944 eine Hirnverletzung erlitten habe. Nach diesen Befundangaben könne nur angenommen werden, daß beim Kläger eine leichte Gehirnerschütterung vorgelegen habe. Es sei aber unwahrscheinlich, daß im Zeitpunkt der Antragstellung noch wesentliche Beschwerden von dieser Gehirnerschütterung vorhanden gewesen seien. Da dem Kläger kein Versorgungsanspruch zustehe, habe er die von Beklagten gezahlten Rentenbeträge auch zurückzuerstatten. Diese Leistungen habe er zu Unrecht empfangen. Der Beklagte sei berechtigt gewesen, die Benachrichtigung vom 5. Februar 1949 und die hierzu ergangenen ergänzenden Mitteilungen zu widerrufen. Bei dieser Benachrichtigung und diesen Mitteilungen handle es sich um Verwaltungsakte, denen ein Widerrufsvorbehalt beigefügt gewesen sei. Bas ergebe sich aus der Bezeichnung des Vorschusses als einer "vorläufigen Rente". Der Widerruf von Verwaltungsakten sei aber immer dann rechtmäßig, wenn es pflichtgemäßen Ermessen entsprochen habe, von ihm Gebrauch zu machen. Diese Voraussetzung sei bei Erlaß des Bescheides vom 19. September 1951 erfüllt gewesen. Der Kläger habe mit dem Widerruf der ihn begünstigenden Verwaltungsakte rechnen müssen. Auf Grund seiner Vorbildung habe er bei kritischer Würdigung des Sachverhalts zu der Einsicht gelangen müssen, daß seine Beschwerden nicht die Folge einer im Kriege erlittenen Gesundheitsschädigung sein könnten. Der Kläger habe bereits im Zeitpunkt der Rentenantragstellung die Bescheinigungen des Dr. ... und der Ersten Chirurgischen Universitäts-Klinik ... in seinem Besitz gehabt, die keinen Hinweis auf eine traumatische Hirnschädigung enthielten. Die wirtschaftliche Notlage des Klägers aber, die wahrscheinlich der Beweggrund seiner Antragstellung gewesen sei, stehe dem Rückforderungsanspruch des Beklagten nicht entgegen. Es liege auch keine schuldhafte Verzögerung in der Bearbeitung des Rentenantrages durch die Versorgungsverwaltung vor. Daß der Bescheid erst im September 1951 erteilt werden konnte, sei im wesentlichen auf das eigene Verhalten des Klägers, auf die Verzögerung bei der Beiziehung der Krankengeschichte von 1947/48 und auf den Wechsel der Zuständigkeit des VersorgA zurückzuführen. Darüber hinaus stelle die ratenweise Rückzahlung der zu Unrecht empfangenen Leistungen auch keine besondere Härte im Sinne des § 47 Abs. 4 VerwVG für den Kläger dar, weil er ein Monatseinkommen von DM 450,- beziehe. Hinsichtlich des Rückforderungsanspruches des Beklagten wurde die Revision zugelassen.
Mit der Revision beantragte der Kläger:
unter Aufhebung des Urteils des Bayerischen LSG vom 5. Dezember 1958 und des Urteils des SG Augsburg vom 10. Januar 1955 sowie des Bescheides vom 10. März 1956 den Rückforderungsanspruch des Beklagten in Höhe von DM 1.306.30 für unbegründet zu erklären und den Beklagten zu verurteilen, von der Rückforderung dieses Betrages abzusehen.
Der Kläger rügt Verletzung des § 47 VerwVG. Die Rückforderung des gezahlten Rentenbetrages sei unzulässig, weil sie nicht pflichtgemäßem Verwaltungsermessen entspreche. Der Beklagte habe über den Rentenantrag erst nach Ablauf von mehr als 2 1/2 Jahren entschieden. In der Zwischenzeit sei der Versorgungsanspruch mehrfach bearbeitet und geprüft worden. Wenn ihm dennoch jahrelang Vorschußleistungen gewährt wurden, so habe er annehmen müssen, daß sein Anspruch auf Rente in der festgestellten Höhe berechtigt und die Auszahlung des Rentenvorschusses zutreffend sei. Es habe von ihm als medizinischen Laien. nicht verlangt werden können, daß er auf Grund der ihm bekannten medizinischen Unterlagen mit der Erfolglosigkeit seines Rentenbegehrens rechnen mußte. Darüber hinaus sei aber auch der Rückforderungsanspruch des Beklagten verwirkt, weil der Rückforderungsbescheid vom 10. März 1956 erst 4 1/2 Jahre nach Ablehnung seines Versorgungsanspruchs durch den Bescheid vom 19. September 1951 ergangen sei. Da die monatlichen Vorschüsse auf die Rente in erster Linie gewährt worden seien, um seiner Notlage Rechnung zu tragen, habe der Beklagte darauf bedacht sein müssen, alsbald über die Rückforderung zu entscheiden. Der Beklagte habe nicht erwarten dürfen, daß der Kläger damit rechnen würde, eine etwaige Rückzahlung noch 4 1/2 Jahre nach Ablehnung seiner Versorgungsrente leisten zu müssen.
Der Beklagte beantragte,
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen LSG vom 5. Dezember 1958 als unbegründet zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, daß der Widerruf der Benachrichtigung vom 5. Februar 1949 und der ergänzenden Mitteilungen auch noch am 19. September 1951 ausgesprochen werden konnte. Eine wesentliche Verzögerung in der Bearbeitung des Rentenantrages sei auf das Verhalten des Klägers selbst zurückzuführen; der Kläger habe sich grundlos geweigert, zu der vorgesehenen Untersuchung und Begutachtung durch die Universitäts-Nervenklinik zu erscheinen. Er habe außerdem durch eine Unzahl von Anträgen auf Erhöhung des Rentenvorschusses und einmalige Unterstützungen die medizinische Klärung seines Krankheitsbildes immer wieder verzögert, weil zunächst zu seinen Anträgen Stellung genommen werden mußte. Schließlich habe der Kläger auch nicht davon ausgehen können, daß der Rentenvorschuß nach 4 1/2 Jahren seit der Ablehnung seines Versorgungsanspruchs nicht mehr zurückgefordert werden würde. Seiner Vorbildung nach, nicht zuletzt auch seiner früheren Tätigkeit beim VersorgA A..., habe er wissen müssen, daß der von ihm gegen den Bescheid vom 19. September 1951 eingelegte Rechtsbehelf eine aufschiebende Wirkung bei der Rückforderung von Versorgungsleistungen zur Folge hatte. Zumindest habe sich der Kläger darüber klar werden müssen, daß eine Rückforderung des festgestellten Überempfanges von dem Ausgang des Versorgungsstreitverfahrens abhängig war.
Streitgegenstand im Revisionsverfahren ist der Rückforderungsanspruch des Beklagten. Zwar hat das LSG sowohl über den vom Kläger geltend gemachten Versorgungsrentenanspruch als auch über den Rückforderungsanspruch entschieden. Mit der Revision greift der Kläger jedoch nur den Teil der Entscheidung des Berufungsgerichts an, der die Rückforderung der vorschußweise gezahlten Rentenbeträge betrifft. Soweit das LSG auch über den Rentenanspruch entschieden hat, hat der Kläger das Berufungsurteil nicht angefochten.
Die Revision ist vom LSG bezüglich des Rückforderungsanspruches zugelassen worden und somit nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft (BSG 3, 135).
Der Kläger hat sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Die Revision ist somit zulässig. Sie ist auch sachlich begründet.
Obwohl die Beteiligten nicht in Zweifel gezogen haben, daß das LSG berechtigt gewesen ist, sich mit dem Rückforderungsbescheid vom 10. März 1956 zu befassen, mußte der Senat diese Frage von Amts wegen prüfen; denn ihre Verneinung würde bedeuten, daß es an einer Prozeßvoraussetzung fehlt (vgl. BSG 5, 234).
Die Auffassung des Berufungsgerichts, daß der Rückforderungsbescheid auf Grund des § 96 SGG in Verbindung mit § 153 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden sei, ist zutreffend. § 96 SGG setzt zunächst voraus, daß das den Bescheid vom 19. September 1951 betreffende gerichtliche Verfahren bei Erlaß des Bescheides vom 10. März 1956 noch anhängig war. Diese Voraussetzung ist erfüllt. § 96 SGG fordert weiter, daß der Verwaltungsakt vom 10. März 1956 den Bescheid vom 19. September 1951 abändert oder ersetzt. Dies ist dann der Fall, wenn der spätere Bescheid den Kläger im Hinblick auf sein Prozeßziel, also den Streitgegenstand, noch beschwert. Sinn und Zweck der Vorschrift des § 96 SGG stellt darauf ab, im Rahmen einer gesunden Prozeßökonomie ein schnelles und zweckmäßiges Verfahren zu ermöglichen. Danach soll die Rechtmäßigkeit aller Bescheide, die den Prozeßstoff des schon anhängigen Rechtsstreits nachträglich beeinflussen, in diesem Rechtsstreit beurteilt werden (vgl. BSG 11, 147). Im vorliegenden Fall ist der Bescheid vom 19. September 1951 durch den Rückforderungsbescheid vom 10. März 1956 beeinflußt worden. Soweit der Erstbescheid die Aufhebung der Benachrichtigung vom 5. Februar 1949 und der ergänzenden Mitteilungen ausgesprochen und eine spätere Entscheidung über die Rückforderung angekündigt hat, ist diese Regelung durch den Bescheid vom 10. März 1956 ersetzt worden. Im Rückforderungsbescheid hat der Beklagte neu und abschließend geregelt, daß der Kläger die empfangenen Rentenvorschußzahlungen zurückzuerstatten hat. Durch diese Entscheidung wurde auch der bisherige Streitgegenstand betroffen; denn bereits vor Erlaß des Rückforderungsbescheides war streitig, ob dem Kläger der gezahlte Rentenvorschuß gebührt. Das LSG hat demnach über die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 10. März 1956 mitentscheiden dürfen.
Entgegen der Rechtsansicht des LSG ist der Beklagte jedoch nicht berechtigt, vom Kläger die Rückerstattung der gezahlten Rentenvorschüsse zu verlangen. Nach § 47 Abs. 1 VerwVG sind die Leistungen zurückzuerstatten, die "zu Unrecht" empfangen worden sind. Der Kläger hat die vorschußweise geleisteten Zahlungen aber nicht zu Unrecht im Sinne dieser Vorschrift empfangen.
Zwar steht dem Kläger nach der im Bescheid vom 19. September 1951 vorgenommenen und nunmehr endgültigen Feststellung für den Zeitraum, für den er vorschußweise Leistungen erhalten hat, keine Rente zu. Die an einen Versorgungsberechtigten gezahlten Rentenvorschüsse sind aber erst dann zu Unrecht empfangen, wenn der vorläufige Bescheid, auf dem diese Leistungen beruhen, für die entsprechende Zeit nicht mehr rechtswirksam besteht (vgl. BSG 7, 228 und BSG, Urteil des 8. Senats vom 18. Februar 1960 - 8 RV 317/59 -, auszugsweise veröffentlicht in SozR VerwVG § 47 Ca 5 Nr. 9). Die Benachrichtigung, durch die dem Kläger mitgeteilt wurde, daß ihm auf seine Kriegsbeschädigtenrente jeden Monat ein Vorschuß gewährt werde und daß die endgültige Rentenfeststellung vorbehalten bleibe, stellt rechtlich einen Verwaltungsakt mit Widerrufsvorbehalt dar. An die in diesem Verwaltungsakt getroffene Regelung ist der Beklagte nur dann nicht mehr gebunden, wenn er den Verwaltungsakt rechtswirksam widerrufen hat (BSG aaO). Ein Recht zum Widerruf der Vorschußanordnungen für den Zeitraum, für den der Kläger Vorschüsse erhalten hat, stand dem Beklagten aber nicht zu.
Auch wenn die Versorgungsverwaltung einen Verwaltungsakt unter einem Widerrufsvorbehalt erlassen hat, kann sie für einen zurückliegenden Zeitraum von dem Widerruf nicht nach freiem Belieben Gebrauch machen; sie darf den Widerruf nur aussprechen, wenn er ihrem pflichtgemäßen Ermessen entspricht (BSG aaO). Ob diese Voraussetzung vorliegt, ist stets nur für den Einzelfall zu entscheiden. Dem Ermessensspielraum sind jedoch um so engere Grenzen gesetzt, je länger die Behörde den mit Widerrufsvorbehalt versehenen Verwaltungsakt bestehen läßt und die endgültige Feststellung - ob mit oder ohne Verschulden - hinauszögert. Im vorliegenden Fall hat der Beklagte über den Rentenantrag des Klägers vom November 1948 erst am 19. September 1951 endgültig entschieden und dem Kläger den Vorschuß mehr als 2 1/2 Jahre lang, nämlich vom 1. März 1949 bis zum 31. Oktober 1951, laufend gezahlt. Auf die Gewährung dieser Vorschußzahlungen und auf deren Höhe hat der Kläger keinerlei Einfluß nehmen können; er war vielmehr, abgesehen von einer nicht zumutbaren Annahmeverweigerung ganz von der Beurteilung und Schätzung durch die Versorgungsverwaltung abhängig. Die Gewährung der Vorschüsse erfolgte auch nicht ohne Prüfung durch die Versorgungsverwaltung. Der Benachrichtigung vom 5. Februar 1949 lag die vorläufige ärztliche Beurteilung des Dr. Sch... zugrunde; während des Zeitraumes, in dem der Kläger die Vorschußleistungen erhalten hat, erhielt der Beklagte auch hinreichende ärztliche Unterlagen (Befundangaben, Untersuchungsergebnisse und Begutachtungen), die eine Beurteilung des streitigen Ursachenzusammenhangs der Gesundheitsstörungen des Klägers mit wehrdienstlichen Vorgängen zuließen. Alle diese Umstände rechtfertigen es, das Vertrauen des Klägers darauf, daß er die gleichen Bezüge auch bei der endgültigen Festsetzung der Rente erhalten werde und deshalb zumindest nichts zurückzuzahlen brauche, zu schützen. Dieser Vertrauensschutz entfällt auch nicht deshalb, weil der Kläger von Anfang an im Besitz der Bescheinigungen des Dr. L... und der Ersten Chirurgischen Universitäts-Klinik war. Abgesehen davon, daß Dr. L... selbst von "Versehrtenstufe III" sprach, konnte vom Kläger als medizinischem Laien nicht erwartet werden, daß er aus den in seinem Besitz befindlichen ärztlichen Unterlagen sachverständige bzw. seinen Begehren entgegenstehende Schlüsse zog. Zu solchen Schlußfolgerungen ist selbst der Beklagte nach Kenntnisnahme des Befundes der W... Universität, der schon 1950 in die Versorgungsakten gelangte, nicht gekommen, obwohl ihm medizinisch geschulte Hilfskräfte zur Verfügung standen. Die Versorgungsverwaltung erließ den Bescheid vom 19. September 1951 schließlich erst, nachdem das Gutachten des Hirnverletztenheims vorlag und weitere Untersuchungen, die in das freie Ermessen des Klägers gestellt worden waren, an dessen Weigerung scheiterten.
Auch der Umstand, daß der Kläger der von der Versorgungsverwaltung angeordneten und vorgesehenen Untersuchung in der Universitäts-Nervenklinik nicht nachgekommen ist, ist nicht geeignet, die Rechtswirksamkeit des Widerrufs zu begründen. Der Kläger hatte gebeten, ihn stattdessen im Hirnverletztenheim zu untersuchen, was auf Vorschlag des Dr. S... auch geschah. Daraus ist zu schließen, daß das VersorgA den Wunsch des Klägers für gerechtfertigt angesehen hat. Es hat demgemäß auch nach Erstattung des Gutachtens des Hirnverletztenheims die Rentenvorschüsse weitergewährt. Für die Versorgungsverwaltung bestand andererseits aber besondere Veranlassung, eine schnelle Entscheidung herbeizuführen, durch den sie den vom Kläger geltend gemachten Rentenanspruch endgültig regelte, zumal der Kläger immer wieder auf den Erlaß eines endgültigen Bescheides drängte. Sie mußte damit rechnen, daß bei einer Entscheidung über den Rentenantrag die Rückzahlung der gesamten Vorschußzahlungen in Betracht kam. Die Bearbeitung betraf nur die Klärung des ursächlichen Zusammenhangs der beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen mit wehrdienstlichen Vorgängen. Bei dieser Sachlage mußte die Versorgungsbehörde in Betracht ziehen, daß die vollständige Rückzahlung von jahrelang empfangenen Leistungen für den Kläger eine schwere Belastung darstellen würde. Die Vorschüsse sind dem Kläger zur Behebung einer Notlage gewährt und von ihm für sich und seine Familie verbraucht worden. Das entsprach auch dem Zweck der Vorschüsse. Auch die Erwägung, daß der Kläger, wenn er später zur Rückzahlung verpflichtet würde, die Vorschüsse nicht mehr von der Versorgungsrente einbehalten lassen könnte, sondern sie aus seinem eigenen Einkommen zurückzahlen müßte, sprach für eine alsbaldige Entscheidung durch die Versorgungsbehörde. Die Tatsache, daß der Kläger eine "Unzahl von Anträgen" stellte, hätte um so mehr Anlaß geben sollen, den Schwebezustand raschesten zu beseitigen; denn auch die Bearbeitung der Anträge mußte den Kläger in der Annahme bestärken, daß ein Widerruf nicht mehr zu erwarten sei. Wenn die Versorgungsverwaltung dennoch von ihrem Widerrufsrecht erst nach mehr als 2 1/2 Jahren Gebrauch machte, so entsprach dieses Verhalten nicht mehr pflichtgemäßem Ermessen.
Dies gilt um so mehr als der Beklagte weitere 4 1/2 Jahre verstreichen ließ, bis er die Rückerstattung der an den Kläger geleisteten Vorschußzahlungen durch den Bescheid vom 10. März 1956 endgültig verlangte. Auch auf Grund dieses Verhaltens der Verwaltung durfte der Kläger damit rechnen, daß der Beklagte die vorschußweise gezahlten Rentenbeträge nicht mehr zurückfordern würde.
Daraus folgt, daß der Rückforderungsbescheid rechtswidrig ist. Dieser Beurteilung steht die Entscheidung des 11. Senats vom 15. Dezember 1959 (BSG 11, 167) nicht entgegen. Dem dort entschiedenen Rechtsstreit lag insofern ein anderer Sachverhalt zugrunde, als der Widerruf des Bescheides über die vorläufige Gewährung von Beschädigtenbezügen nicht die Bewilligung von Vorschußzahlungen schlechthin, sondern nur die Festsetzung des Grades der MdE betraf und die Rückforderung des zuviel gezahlten Betrages gleichzeitig mit dem Widerruf angeordnet wurde.
Da die Revision des Klägers begründet ist, unterliegt das Urteil des LSG der Aufhebung. Es beruht auf der von der Revision gerügten Gesetzesverletzung. Das gilt nicht nur soweit die Berufung gegen den Rückforderungsbescheid vom 10. März 1956 zurückgewiesen worden ist, sondern auch für die Zurückweisung der Berufung gegen das Urteil des SG. Die Abweisung der Klage betrifft nämlich außer der im Bescheid vom 19. September 1951 enthaltenen - von der Revision nicht angegriffenen - Ablehnung des Versorgungsanspruchs auch die in diesem Bescheid ausgesprochene Aufhebung der Benachrichtigung vom 5. Februar 1949 und der zu dieser Benachrichtigung ergangenen ergänzenden Mitteilungen. Der Widerruf der Benachrichtigung und der Mitteilungen für den Zeitraum, den der Kläger Vorschüsse erhalten hat, war aber rechtsunwirksam, so daß auch der Bescheid vom 19. September 1951 insoweit rechtswidrig ist.
Auf Grund der tatsächlichen von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Rechtsstreit zur Entscheidung reif. Der Berufung des Klägers ist stattzugeben, soweit sie sich gegen den Rückforderungsbescheid vom 10. März 1956 und die im Bescheid vom 19. September 1951 unter Ziffer 2) ausgesprochenen Aufhebung der Benachrichtigung vom 5. Februar 1949 und der Mitteilungen hierzu richtet. Mithin waren der Rückforderungsbescheid und das Urteil des SG, soweit die Klageabweisung die in Ziffer 2) des im Bescheides vom 19. September 1951 enthaltene Aufhebung der Benachrichtigung und der der Mitteilungen betrifft, aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen