Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorzeitiges Altersruhegeld. Arbeitslosigkeit
Orientierungssatz
Ist die Arbeitszeit eines ehrenamtlichen Bürgermeisters nicht völlig unbedeutend und das für dieses Ehrenamt bezogene Entgelt stets höher als ein Achtel der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze und auch höher als ein Fünftel des Gesamteinkommens, so liegt keine Arbeitslosigkeit iS von § 25 Abs 2 AVG vor.
Normenkette
AVG § 25 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1248 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; AVG § 4 Abs. 2 Buchst. b
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 12.10.1972) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. Oktober 1972 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der im Jahre 1909 geborene Kläger begehrt vorzeitiges Altersruhegeld nach § 25 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), und zwar - nachdem ihn die Beklagte während des Revisionsverfahrens durch Erteilung eines neuen Bescheides ab 1. September 1972 klaglos gestellt hat - nur noch für die Zeit vom 1. April 1971 bis 31. August 1972. Der Kläger hat sich zum 1. April 1970 beim Arbeitsamt Kaiserslautern arbeitslos gemeldet und bezog seitdem Arbeitslosengeld von wöchentlich 126,77 DM. Außerdem erhielt er nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) als ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Altenkirchen in der Zeit von April 1970 bis einschließlich November 1970 eine Entschädigung von monatlich 700,- DM und ab 1. Dezember 1970 bis zur Beendigung dieser Tätigkeit am 31. August 1971 eine solche von monatlich 749,- DM. Unter Abzug des ihm durch seine Tätigkeit als ehrenamtlicher Bürgermeister entstehenden tatsächlichen Aufwandes von pauschal einem Drittel seiner Vergütungen belief sich das ihm gezahlte versicherungspflichtige Entgelt für die Monate April bis einschließlich November 1970 auf monatlich 466,67 DM, im Monat Dezember 1970 auf monatlich 500,- DM und ab 1. Januar 1971 auf monatlich 499,34 DM.
Die Beklagte lehnte den Antrag auf vorzeitiges Altersruhegeld durch Bescheid vom 15. Juli 1971 ab, weil der Kläger in der Zeit vom 1. April 1970 bis 31. August 1971 im Hinblick auf seine Tätigkeit als ehrenamtlicher Bürgermeister und das dafür gezahlte Entgelt nicht "arbeitslos" gewesen sei. Klage und Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg. Nach der Ansicht des LSG handelte es sich bei der Tätigkeit des Klägers als ehrenamtlicher Bürgermeister nicht um eine gelegentliche Aushilfe im Sinne des § 25 Abs. 2 Satz 4 AVG aF; hierfür sei allein entscheidend, wie lange er diese Tätigkeit ausgeübt, nicht, wie viele Stunden er täglich in diesem Amt gearbeitet habe. Da er über die zeitliche Höchstgrenze von drei Monaten oder 75 Tagen im Jahr beschäftigt gewesen sei, sei der Rahmen einer gelegentlichen Aushilfe überschritten. Bei Anwendung des § 25 Abs. 2 AVG dürfe nicht berücksichtigt werden, ob das für eine Beschäftigung gezahlte Entgelt unter den Grenzen der Geringfügigkeit in § 4 Abs. 2 Buchst. b AVG bleibe; der Kläger wäre aber auch dann nicht als arbeitslos anzusehen, wenn man unter Heranziehung dieser Vorschrift auf die Höhe der ihm für seine Tätigkeit als ehrenamtlicher Bürgermeister gezahlten Vergütungen abstelle.
Mit der zugelassenen Revision beantragt der Kläger,
unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. April 1971 bis 31. August 1972 vorzeitiges Altersruhegeld zu gewähren;
hilfsweise,
den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Er rügt eine Verletzung des § 25 Abs. 2 AVG. Es widerspreche dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers, wenn man, wie es das LSG getan habe, bei der Bestimmung der "gelegentlichen Aushilfe" ausschließlich auf die Dauer dieser Tätigkeit abstelle. Aber auch dann, wenn unter sinngemäßer Anwendung des § 4 Abs. 2 Buchst. b AVG das für die Tätigkeit des Klägers als ehrenamtlicher Bürgermeister gezahlte Entgelt berücksichtigt werde, sei die Revision begründet. Insoweit komme es auf die Höhe der dem Kläger tatsächlich verbliebenen Vergütung an. Die hierzu getroffenen Feststellungen des LSG seien allerdings nicht ausreichend. Insoweit rügt der Kläger eine Verletzung des § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 103 SGG. Das LSG habe verkannt, daß die vom Kläger selbst angegebenen tatsächlichen Aufwendungen im Betrag von monatlich 234,- DM von seinen um ein Drittel gekürzten monatlichen Bezügen in Höhe von 466,- DM bzw. 500,- DM abzuziehen seien. Bei richtiger Würdigung des Akteninhalts hätte sich das LSG verpflichtet fühlen müssen, die genauen tatsächlichen Aufwendungen des Klägers festzustellen. Das sei durch eingehende Befragung des Klägers, des zuständigen Finanzamtes und der örtlichen Verbandsgemeindekasse auch möglich und aussichtsreich gewesen.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet; er hat für die jetzt noch streitige Zeit vom 1. April 1971 bis 31. August 1972 keinen Anspruch auf vorzeitiges Altersruhegeld.
Da im Falle des Klägers die Vollendung seines 60. Lebensjahres, die mindestens einjährige Arbeitslosigkeit und auch die Stellung des Antrages auf vorzeitiges Altersruhegeld jedenfalls vor Dezember 1972 liegen, ist der Klageanspruch noch nach § 25 Abs. 2 AVG in der bis zum Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 geltenden Fassung zu beurteilen (Art. 6 § 8 Abs. 1 RRG). Hiernach kann ein Versicherter - abgesehen von den im vorliegenden Falle nicht streitigen weiteren Voraussetzungen - das vorzeitige Altersruhegeld nur erhalten, wenn er seit mindestens einem Jahr ununterbrochen arbeitslos ist. Allein hierum geht der Streit.
Zur Auslegung des Begriffs "arbeitslos" ist entgegen der Meinung des LSG nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auf das jeweils geltende Recht der Arbeitslosenversicherung zurückzugreifen, soweit nicht Besonderheiten des Rechts der Rentenversicherung entgegenstehen (u. a. BSG 23, 222 ff). Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß von dem seit 1. Juli 1969 geltenden Arbeitsförderungsgesetz (AFG) vom 25. Juni 1969 auszugehen ist. Nach § 101 AFG (früher: § 75 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung) ist arbeitslos auch ein Arbeitnehmer, der nur eine geringfügige Beschäftigung ausübt; das ist nach § 102 AFG eine solche, die auf nicht mehr als 20 Stunden wöchentlich der Natur der Sache nach beschränkt zu sein pflegt. Diese Vorschriften können allerdings für die Auslegung des Begriffs Arbeitslosigkeit im Sinne des § 25 Abs. 2 AVG aF nicht herangezogen werden, weil ihnen die Sonderregelung in Satz 4 dieser Vorschrift vorgeht, wonach eine Beschäftigung oder Tätigkeit, die über eine gelegentliche Aushilfe nicht hinausgeht, außer Betracht bleibt. Der angeführte Satz 4 gilt sinngemäß auch für die erstmalige Gewährung der Rentenleistung (vgl. BSG aaO sowie Verb.-Komm. § 1248 Anm. 7).
Der Begriff "gelegentliche Aushilfe" beinhaltet eine zeitliche begrenzte Beschäftigung oder Tätigkeit; er verträgt sich nicht mit einen Dauerarbeitsplatz. Nur eine im Vergleich mit einjähriger Arbeitslosigkeit unbedeutende Beschäftigung darf unberücksichtigt bleiben (BSG 14, 53, 58 sowie Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung Bd. III S. 684 d). Nach der Rechtsprechung des BSG ist eine Beschäftigung oder Tätigkeit, die im Laufe eines Jahres seit ihrem Beginn nicht mehr als drei Monate oder insgesamt 75 Tage ausmacht, noch als "gelegentliche Aushilfe" anzusehen (SozR Nr. 43 und 45 zu § 1248 Reichsversicherungsordnung). Das LSG hat somit die vom 1. April 1970 bis 31. August 1971 bestehende versicherungspflichtige Beschäftigung des Klägers als ehrenamtlicher Bürgermeister zu Recht nicht als eine "gelegentliche Aushilfe" angesehen.
Gleichwohl ist es nach der Meinung des Senats nicht unbedenklich, jede Dauerbeschäftigung oder Dauertätigkeit ungeachtet der täglichen Arbeitszeit und der Höhe des Entgelts als der Arbeitslosigkeit im Sinne des § 25 Abs. 2 AVG aF im Wege stehend anzusehen. Die Praxis hat solchen Fällen bisher offenbar durch entsprechende Verwaltungsübung Rechnung getragen (vgl. Koch/Hartmann, Das Angestelltenversicherungsgesetz, 3. Aufl., Bd. IV § 25 III - V 206 d). Das BSG hatte sich bisher - soweit ersichtlich - noch nicht mit einer Dauerbeschäftigung zu befassen, gegen deren Beachtlichkeit mit Rücksicht auf einen nur geringen täglichen Zeitaufwand Bedenken zu erheben waren; es hat auch die Bedeutung eines nur sehr geringen Entgelts für die Frage der Arbeitslosigkeit (nach dem vor dem RRG geltenden Recht) bisher weder erschöpfend noch abschließend erörtert. Der Gesetzgeber hat solche Fälle im Rahmen des vorzeitigen Altersruhegeldes alter Art offenbar nicht bedacht. Es handelt sich um eine Lücke im Gesetz, die durch die Rechtsprechung zu schließen ist; sie läßt sich durch ergänzende Rechtsfindung nach dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers ausfüllen. Die tägliche Arbeitszeit des Klägers als ehrenamtlicher Bürgermeister ist vom LSG nicht festgestellt worden; es hat offen gelassen, ob der Kläger, wie er behauptet, als ehrenamtlicher Bürgermeister "nicht in dem gleichen zeitlichen Umfang tätig war wie ein sonstiger vollbeschäftigter Arbeitnehmer und oft oder gar ausschließlich nur einige Stunden am Tage im Rahmen des ihm übertragenen Amtes gearbeitet hat". Jedenfalls aber kann die tägliche Arbeitszeit des Klägers selbst nach seinen eigenen Angaben nicht als völlig unbedeutend angesehen werden. Zur Höhe eines un-schädlichen Entgelts kann dahingestellt bleiben, ob man - wie es das LSG hilfsweise getan hat und wie es im Hinblick auf die Neufassung des § 25 AVG durch das RRG auch gerechtfertigt erscheinen könnte - die Entgeltgrenzen des § 4 Abs. 2 Buchst. b AVG maßgebend sein läßt; ein höheres Entgelt könnte auf keinen Fall unbeachtet bleiben.
Nach den Feststellungen des LSG sind die Grenzen des § 4 Abs. 2 Buchst. b AVG überschritten. Der Kläger erhielt als ehrenamtlicher Bürgermeister eine Aufwandsentschädigung von zunächst 700,- DM monatlich und ab 1. Dezember 1970 von monatlich 749,- DM. Das versicherungspflichtige Entgelt belief sich unter Abzug des ihm in seinem Amt entstehenden tatsächlichen Aufwandes von pauschal einem Drittel seiner Vergütungen auf monatlich 466,67 DM für die Monate April bis November 1970, 500,- DM im Dezember 1970 und monatlich 499,34 DM ab 1. Januar 1971. Diese Vergütungen lagen somit stets höher als ein Achtel der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (im Jahre 1970 1.800,- DM : 8 = 225,- DM und 1971 1.900,- DM : 8 = 237,50 DM) und auch höher als ein Fünftel seines Gesamteinkommens (§ 4 Abs. 2 Buchst. b AVG). Der Kläger hat zwar hinsichtlich dieser tatsächlichen Feststellungen des LSG einen Verstoß gegen § 128 i. V. m. § 103 SGG geltend gemacht und insoweit sein Vorbringen im Berufungsverfahren wiederholt. Diese Verfahrensrüge greift aber nicht durch, denn es ist nicht dargetan, inwiefern das LSG bei seiner Beweiswürdigung gegen einen Erfahrungssatz des täglichen Lebens oder gegen Denkgesetze verstoßen hat (§§ 128 Abs. 1, 164 Abs. 2 SGG). Im übrigen würden die dem Kläger jeweils gezahlten Vergütungen ein Achtel der für die Jahre 1970 und 1971 festgesetzten Beitragsbemessungsgrenze selbst dann überschreiten, wenn seine Auffassung zuträfe und weitere tatsächliche Aufwendungen in Höhe von 234,- DM monatlich abzuziehen gewesen wären.
Die Revision des Klägers ist hiernach als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen